Bereits 1996, wenige Jahre nach Ende des Kalten Krieges, konstatierte Pierre Bourdieu: »Der Neoliberalismus ist heute das, was für die Theologen des Mittelalters die ›communis doctorum opinio‹ war«1. Der zurzeit an der Texas A&M University tätige Historiker Fritz Bartel geht mit dem vorliegenden Buch dieser globalen Ubiquität des Neoliberalismus auf den Grund, erkennt sie zugleich als ursächlich für das Ende des Kalten Krieges und führt das Thema damit in das Feld der Cold War Studies ein.

Bartel unterteilt das zehn Kapitel umfassende Buch nach dem Kausalitätsprinzip in zwei Teile, die seine These auch wirtschaftstheoretischen und -geschichtlichen Laien mit dem ersten Blick ins Inhaltsverzeichnis veranschaulichen mögen: Die »Privatisierung des Kalten Krieges« führte zum »Ende des Kalten Krieges«: Die zunehmende Bedeutung und Globalisierung des Finanz- und Energiesektors und das seit den 1970er-Jahren auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs stagnierende Wirtschaftswachstum setzten einen neuen Maßstab, an welchem sich Ost und West zu überbieten versuchten. Waren es bis zur Ölkrise im Jahr 1973 die eingelösten Versprechen von wirtschaftlichem Wohlstand, Wachstum und Stabilität gewesen, die die Existenz der kontrahierenden Systeme garantierten, so ging es danach darum, diese Versprechen in Anbetracht der globalen Rezession und des damit einhergehenden Gebots zur Austerität zu brechen, ohne dabei eine systemdestabilisierende Opposition zu evozieren.

Den Anfang vom Ende des Kalten Krieges macht Bartel in der 1973 einsetzenden Ölkrise aus. Die Staaten des Ostblocks schienen zu Beginn von den wirtschaftlichen Konsequenzen verschont, da der Ölbedarf preislich unverändert durch die natürlichen Ressourcen der Sowjetunion gedeckt werden konnte. Gegen 1980 stagnierte jedoch die sowjetische Ölproduktion, die Preise stiegen und somit auch die Abhängigkeit von westlichen Kreditgebern. Zur Schuldentilgung war es geboten, weniger aus kapitalistischen Staaten zu importieren, was schließlich auch den Ostblock mit dem Problem der Austerität konfrontierte.

Dass Verzicht und Sparsamkeit der Bevölkerung demokratisch organisierter Systeme allerdings erfolgreicher abgerungen werden konnten als den Einwohnern des autoritär regierten Ostblocks, wird dem Leser als das ausschlaggebende Argument für das Ende des Kalten Krieges in den folgenden beiden Kapiteln vorgestellt. Zum einen konnten demokratisch gewählte Regierungen selbst unangenehme neoliberale politische Maßnahmen, wie etwa Sozialleistungskürzungen oder die Schwächung von Arbeitnehmerrechten, legitim erscheinen lassen. Zum anderen konnten sie die Verantwortung für diese Maßnahmen abschieben auf vorangegangene Regierungen und deren falsche Politik sowie auf vermeintlich unbeeinflussbare Marktlogiken. In den osteuropäischen Ländern konnten ähnlich unpopuläre Maßnahmen zwar autoritär durchgesetzt werden, doch da dort Regierung bzw. Partei, kommunistische Ideologie und Staat eine Einheit bildeten, ging dies mit der Kompromittierung des gesamten politisch-gesellschaftlichen Systems einher.

An dieses Defizit knüpft Bartel im vierten und fünften Kapitel an. Anhand der massiven US-amerikanischen Aufrüstung unter Reagan schildert Bartel, wie sich die Sowjetunion nun endgültig damit konfrontiert sah, »Versprechen zu brechen«. Sollte man nun militärisch gleichziehen und damit finanzielle Einbußen gegenüber der eigenen Bevölkerung oder den verbündeten Satellitenstaaten hinnehmen? Dieser Frage musste sich Michail Gorbatschow stellen, der mit Perestroika, Glasnost und Abrüstungsabkommen versuchte, wirtschaftliche Disziplinierung durch liberalere Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik zu umgehen und den Staatshaushalt durch den pekuniären Rückzug aus den osteuropäischen Satellitenstaaten zu stärken (Kapitel 6).

Die Kapitel 7 bis 9 behandeln jeweils die Folgen der ausbleibenden Unterstützung durch die Sowjetunion und die damit einhergehende Abhängigkeit von internationalen Kreditgebern in Polen, Ungarn und der DDR wie auch die Einsicht, dass strenge staatliche Sparmaßnahmen vor dem autoritär-sozialistischen Kontext ohne Widerstand aus der Bevölkerung nicht umsetzbar waren. Die szenischen Kapiteleinstiege Bartels, die den Leser beinahe dramaturgisch mit wichtigen Akteuren, Strukturen, Zahlen und Verflechtungen bekannt machen, treten hier als Stärke des gesamten Buches hervor.

Dass der Kalte Krieg schließlich »not with a bang, but with a checkbook« (S. 295) endete, wird im letzten Kapitel deutlich: Die Öffnung der Berliner Mauer sowie das Unvermögen Gorbatschows, die DDR aufgrund der befürchteten negativen Auswirkungen auf die sowjetische Kreditwürdigkeit durch finanzielle oder militärische Unterstützung vor dem Kollaps zu bewahren, führten schließlich zum endgültigen Rückzug der Sowjetunion aus Osteuropa und Deutschland. Gorbatschow konnte die sozialistischen Versprechen von Wohlstand und Fortschritt nicht wahren. Der misslungene Versuch, die stagnierende sowjetische Wirtschaft durch Modernisierung und Privatisierung zu retten, um diese Versprechen nicht brechen zu müssen, und die gleichzeitig ausgeweitete Meinungsfreiheit boten dem Unmut der Bevölkerung freie Bahn und resultierten im Zerfall der Sowjetunion.

Bartels wirtschafts- und finanzpolitische Perspektive verleiht seiner Arbeit doppeltes Gewicht. Einerseits diversifiziert sie die Cold War Studies, indem sie abseits rein geopolitischer Ansätze und mit einer langen zeitlichen Perspektive nach Erklärungsansätzen für das fluktuierende Mächtegewicht und den Ausgang des Konfliktes sucht. Andererseits bietet sie eine Verständnisgrundlage für den heute in politischen und staatlichen Systemen etablierten Neoliberalismus; er wurde als Ausweg aus der Wirtschafts- und Ölkrise beschritten und brachte die autoritär sozialistisch regierten Staaten Osteuropas an ihre wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Grenzen.

Bartel nutzt als Basis seiner Argumentation bisher nicht beachtete Archivquellen aus Polen, Ungarn, Deutschland, Großbritannien und Russland. Sie richten den Blick überzeugend auf die gemeinsame Wirtschafts- und Energieproblematik, der sich Ost wie West gleichermaßen stellen mussten, eine faszinierende Konvergenz in einem Forschungsfeld, welches sonst primär auf Konfrontation und Polarität zielt. Allerdings geht diese Leistung aufgrund der fehlenden Vorstellung und Kritik der Quellen unter, auch ein Quellenverzeichnis sucht man vergeblich und die Leserschaft bleibt im Unklaren bezüglich des methodischen Vorgehens. Der überzeugende Erzählstil verwischt die Tiefe der Quellen; auch bleibt wenig Raum für ausführliche Kommentare zu den zahlreichen Diagrammen und Tabellen, die Bartel präsentiert. Nichtsdestotrotz verspricht das Werk allen Lesern, die sich mit der wirtschafts- und finanzpolitischen Dimension des Kalten Krieges vertraut machen wollen, eine nachvollziehbare und einsichtsreiche Lektüre.

1 »Wie Maos rotes Buch«. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu über die Bundesbank und die neoliberale Wirtschaftspolitik, in: Der Spiegel 50/1996, S. 172–178, hier S. 172 (PDF).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Nicole Götzelmann, Rezension von/compte rendu de: Fritz Bartel, The Triumph of Broken Promises. The End of the Cold War and the Rise of Neoliberalism, Cambridge, MA, London (Harvard University Press) 2022, 440 p., ISBN 978-0-674-97678-8, EUR 40,95., in: Francia-Recensio 2023/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2023.3.99976