Biologische Verwandtschaft und soziale Struktur im latènezeitlichen Gräberfeld von Münsingen-Rain
Identifier (Artikel)
Identifier (Dateien)
Abstract
Das Gräberfeld Münsingen-Rain bei Bern (Schweiz) gehört zu den europaweit am besten untersuchten Nekropolen der keltischen Zeit: Ungewöhnlich ist die qualitätvolle Ausstattung der Toten sowie die lange
Belegungsdauer des Begräbnisplatzes von der Stufe Latène A bis zur Stufe C2 (Ende 5. bis Anfang 2. Jahrhundert v. Chr.). Bei 230 Gräbern entspricht dies einer Lebendpopulation von ein bis zwei Dutzend Personen. Es stellte sich die Frage, ob diese miteinander verwandt waren. Da für eine genetische Verwandtschaftsanalyse kein geeignetes DNA-Material gewonnen werden konnte, musste auf die morphologische Methode zurückgegriffen werden. Neben epigenetischen Merkmalen sind auch die vermutlich kongenital bedingten Schädeldeformationen (Plagiocephalie), die innerhalb der Bestattungsgemeinschaft von Münsingen-Rain gehäuft auftreten, in die Analyse miteinbezogen worden. Die Untersuchung ergab eine durchgehende genetische Filiation vom Anfang bis zum Schluss der Belegung, wobei das Gräberfeld ursprünglich vermutlich von zwei Verwandtschaftsgruppen begründet worden war. Die endogame Heiratspraxis wurde offenbar über viele (mindestens acht) Generationen hinweg gepflegt; exogame Beziehungen (über Männer) sind ebenfalls nachgewiesen. Der sehr eng gefasste, durch verwandtschaftliche Bande definierte Personenkreis, die gehobene Grabausstattung, die soziale Ausgrenzung mittels eines eigenen Friedhofs und die lange genealogische Fortdauer sind mögliche Anzeichen einer Adelsbildung, wie sie seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. in den schriftlichen Quellen als nobilitas für Gallien überliefert ist.