Koreny Ein unbekanntes Meisterwerk altdeutscher Glaskunst RIHA Journal 0007

RIHA Journal 0007 | 25 August 2010

Ein unbekanntes Meisterwerk altdeutscher Glaskunst: Hans Wertingers gläserne Hostienschale von 14981

Fritz Koreny

Peer review and editing organized by:

Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Munich

Reviewers:

Yves Jolidon, Hartmut Scholz

Abstract

This hitherto unknown glass paten with églomisé painting, dated 1498 and measuring 36 cm in diameter, depicts the meeting of Abraham and Melchisedek. The painting can be attributed to Hans Wertinger, an artist from Landshut, who is well known for his paintings and stained glass. The recently discovered paten is executed in a refined églomisé technique with painting, scratching-out and with underlayers of gold and silver leaf, making it one of the earliest and finest examples of this technique, not only for Bavarian early Renaissance art but worldwide. The paten thus sheds fresh light on Wertinger as it shows him as an highly trained artist who worked also with bravura in the art of verre églomisé.

Inhalt



Vorbemerkung

Der Artikel beruht auf einem Vortrag, der im Rahmen des von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe am 19./20. September 2008 veranstalteten internationalen Kolloquiums "Der Scheibenriss: Technik – Verwendung – Bedeutung. Neue Perspektiven der Forschung" außerhalb des Veranstaltungsprogramms gehalten und in dem die Schale erstmals öffentlich vorgestellt wurde.

In der hier vorliegenden, erweiterten Fassung war der Vortrag für das wissenschaftliche Kolloquium "Hans Wertinger: Hofkünstler der Wittelsbacher" im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, am 11. Februar 2009 geplant. Das Referat musste entfallen, da der Verkäufer der Schale, Kunsthandel Alexander Rudigier Ltd., London, die Verwendung des Bildmaterials unter Androhung gerichtlicher Schritte hatte verbieten lassen. Es kann daher auch hier nicht gezeigt werden.

Bei dem Bildmaterial handelt es sich um Abbildungen, die um 2000/2001 von einem Münchner Fotografen angefertigt wurden und den Zustand der Schale vor der Restaurierung zeigen. Die Restaurierung erfolgte 2006 durch einen Münchner Restaurator im Auftrag des ursprünglichen Eigentümers, Kunsthandel Gertrud Rudigier-Rückert, München; dabei nahm die Zeichnung, besonders an der Umrandung, beträchtlichen Schaden. Anschließend wurde die Schale neuerlich fotografiert. Die aussagekräftigen Fotos des Zustands vor der Restaurierung waren von Frau Gertrud Rudigier-Rückert für die Erforschung der Schale zur Verfügung gestellt worden und bildeten eine wesentliche Grundlage der hier vorgestellten Ergebnisse.

Auf diese Vergleichsabbildungen des ursprünglichen, in wichtigen Details besseren Zustandes muss aus oben genannten Gründen hier verzichtet werden. Abb. 1 zeigt den heutigen Zustand der Schale, die sich seit 2008 im Besitz des Metropolitan Museum of Art, New York, befindet.

Dass die fotografische Dokumentation des originalen Zustandes nicht verwendet werden darf, ist umso bedauerlicher, als es sich bei diesem Glas nicht nur um eines der bedeutendsten Werke der bayerischen und deutschen Kunst der Spätgotik handelt, sondern um ein weltweit einzigartiges Dokument der Amelierkunst. Es erschließt unserem Verständnis der in spätmittelalterlichen Urkunden geläufigen, oft subsumierend gebrauchten Bezeichnung "Glasmaler" neue Perspektiven.

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Die Hostienschale von 1498 – biblische Darstellung in technischer Bravour

  1. Glas war schon in der Antike bekannt: Es war von symbolischer Bedeutung, teuer, ein Luxusprodukt und mithin Gegenstand künstlerischer Aufmerksamkeit. Kostbare Glassubstanzen, Schmelzverfahren, irisierende Oberflächen, Millefioritechniken und Zwischengoldglas wurden entwickelt, schmuckhafte Formgebung zeichnete es aus. Gläser wurden von außen farbig bemalt, mit eingeschliffenen oder eingeritzten Zeichnungen verziert; im durchfallenden Licht erstrahlende Bildfenster aus farbigem Glas schmückten mittelalterliche Kathedralen, in Emaillefarben auf klarem Glas gemalte Kabinettscheiben zierten Renaissancestuben, und als bäuerliche Kunstform wurde Hinterglasmalerei populär. Hinterglasbilder werden mit Pinsel und Farbe von hinten unmittelbar auf das Glas gemalt. Als zeichnerische Variante entwickelte sich die Technik der Hinterglasradierung. Bei dieser entsteht die Darstellung als Linienzeichnung – einer Druckgrafik ähnlich – durch Kratzen mit spitzer Nadel in eine deckende Farbschicht bzw. in eine auf Glas geklebte Metallfolie.2 Die Verfahren lassen sich kombinieren. Das fertige Bild betrachtet man – durch das Glas hindurch – von der unbemalten Seite. Ein besonderer Reiz der Technik liegt in der durch sie erzeugten glänzenden Oberfläche und den leuchtenden Farben. Der Begriff "Amelieren" (vermutlich aus dem Altdeutschen "gamalen" für malen oder zeichnen herzuleiten) umfasst all die vielfältigen Möglichkeiten und Techniken der Hinterglas-Veredelung.3

  2. In der hier vorgestellten, bisher praktisch unbekannten flachen runden Schale verschmelzen Glasradierung und Hinterglasmalerei in bildhafter Synthese zu einem Glaskunstwerk ohnegleichen (Abb. 1).4 Architektonische Umrahmung, Figurenszene und Landschaft sind mit feinen Linien in den dunklen Grund geritzt, der Himmel und der Schalenrand hell ausgespart. Technisch wie künstlerisch ist die Arbeit von exzeptioneller Bravour. Wie die Ritzzeichnung der Hände und Gesichter inkarnatfarben hintermalt ist, die Gewänder z. T. kleinteilig ornamentiert, mit Krapplack oder Blau gemalt sind, der Boden grün und braun hinterlegt ist, Abendröte den Horizont färbt, im Blau des Himmels ein Kranz weißer Wölkchen den Erlöser umsäumt, eine farbige Bordüre den Schalenrand ziert und die Umrahmung, teilweise auch die Gewänder, vor allem aber die Geharnischten mit Gold hinterfangen im einfallenden Licht aufleuchten, ist von beispielloser Kunstfertigkeit. In der souveränen Beherrschung der Mittel ist die Darstellung der Begegnung Abrahams mit Melchisedek ein einzigartiges Meisterwerk der Amelierkunst. Dass das kostbare Glas die Jahrhunderte nahezu unversehrt überdauerte, grenzt an ein Wunder.

1 Hans Wertinger, Hostienschale aus Stift Freising. Hinterglasradierung und Hinterglasmalerei, datiert 1498. New York, The Metropolitan Museum of Art, The Cloisters Collection5

  1. Thema der figurenreich ins Bild gesetzten Szene ist die Begegnung des Priesterkönigs Melchisedek mit dem Patriarchen Abraham.6 Hervorgehoben durch die kostbare Krone auf dem Haupt, geht Melchisedek, König von Salem, Abraham nach dem Sieg über die Könige entgegen, segnet ihn und empfängt von ihm den Zehnten der Siegesbeute. Die Szene dominierend kniet Melchisedek, den Kelch, Patene und Brot in den erhobenen Händen, vor dem in die Knie sinkenden Abraham, der Helm und Streitaxt abgelegt hat. Mit stattlichem Gefolge – darunter auch ein Bischof – steht die Begleitung des Priesterkönigs dem Tross von Bewaffneten gegenüber. Geharnischte Kriegsknechte, Knappen sowie geistliche Würdenträger und Musik verleihen dem dramatischen Ereignis der siegreichen Rückkehr Abrahams und dem Empfang durch den Hohenpriester einen wirkungsvollen Rahmen. Zwischen den beiden Gruppen fällt der Blick auf die Zelte eines Kriegslagers im Mittelgrund, wo eine Frau weiße, runde Formen in einem Korb sammelt, wohl in Anspielung auf das Manna, das wunderbare Brot, das Gott den Israeliten während ihres Zuges durch die Wüste regnen ließ. Dahinter breitet sich um den reich gegliederten, alles überragenden gotischen Kirchturm eine mit Ringmauer und Wehrtürmen befestigte Stadt aus, die sich nach rechts auf einen Hügel hinzieht und links von einem Wasserlauf begrenzt wird.7 Die Darstellung steht als typologisches Gleichnis für Christus als den allein würdigen Hohepriester des Neuen Bundes, der durch das Opfer seines Lebens Erlösung erwirkt und vor Gott für die Kirche als Fürsprecher eintritt. In ihm findet das alttestamentliche Priestertum Ziel und Ende. Indem der Hohepriester dem siegreichen Feldherrn den Kelch mit Brot und Wein reicht, dieser aber der Kirche "den Zehnten vom Besten der Beute"8 opfert, verbindet die Darstellung gleichnishaft Christi Opfer mit göttlicher Ordnung auf Erden9.

2 Landshut mit St. Martin, Ansicht von Südwesten. Fotografie um 1900

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Malerei in Landshut um 1500 – zu Lokalisierung, Datierung und Stil

  1. Im Verband der architektonischen Umrahmung am oberen Rand finden sich zwei Laternen, darauf sitzend Löwen, die Wappen halten: Das rechte Wappen zeigt das Stadtwappen von Freising, einen schwarzen Bären, das Attribut des hl. Korbinian, der auf dem Rücken ein mit gekreuzten Bändern verschnürtes rotes Bündel trägt (vgl. Abb. 3). Das linke Wappen zeigt einen rot gekrönten Mohrenkopf mit Ohrring. Der Mohrenkopf in Form eines Büstenreliquiars ist das Wappen von Stift Freising (vgl. Abb. 4).

3 Wappen der Stadt Freising (links)

4 Älteste Darstellung des Freisinger Mohren, aus dem Prädialbuch des Freisinger Bischofs Konrad III. von 1316 (rechts)

  1. Über die Heraldik hinaus, die die Schale mit Stift Freising verbindet, sind in den doppelschneckenförmigen Voluten an den beiden seitlichen Säulenbasen – nicht mehr ganz deutlich – die Zahlen 14 (links) und 98 (rechts), zu lesen. (Die ursprünglich gut lesbare Zahl 14 ist infolge der Restaurierung kaum noch auszumachen.) Somit lässt sich auch der Auftraggeber eingrenzen: Ruprecht der Tugendhafte, Pfalzgraf bei Rhein, von 1495-1498 Fürstbischof von Freising, bzw. sein ihm nachfolgender Bruder Philipp von der Pfalz, der von 1499-1541 die Geschicke des Klosters lenkte. Darauf sei später ausführlicher eingegangen.

  2. Die kunstvoll ins Rund gefügte Komposition der Schale erinnert in der architektonischen Rahmung mit seitlichen Säulen, sich daran emporrankenden Bändern, den Laternen und bekrönenden, reich profilierten Maßwerkbögen an die Arbeiten des Nikolaus Mair von Landshut.10 In seinen Tafelbildern und Stichen finden sich vergleichbar reich ornamentierte bühnenartige Gehäuse, bizarre Säulenbildungen, Treppenläufe und baukastenartige Bauskulptur. Mair, wie er nahezu alle seine Stiche bezeichnete, arbeitete in München mit Jan Pollak zusammen, wurde dort in den Steuerlisten von 1490 aber als "Mair, Maler von Freising" bezeichnet. Sein Bezug zu Freising war offenbar sehr eng. 1495 führte er in der Domsakristei zu Freising (heute noch in situ) den vom Domkustos Tristram von Nußberg gestifteten Lünettenaltar mit Abendmahl und Fußwaschung aus (Abb. 5). Von da an bis 1504 ist er mit datierten Werken fassbar. Wegen seines künstlerischen Rangs und seiner charakteristischen, eigenwilligen Mal- und Zeichenweise zählt Mair zu den profiliertesten Vertretern der altbayerischen Malerei um 1500.

  3. Ihn deshalb aber gleich für den Künstler der Schale zu halten, wäre voreilig. Die – flüchtig besehen – scheinbare Ähnlichkeit zwischen der Malerei der Schale und dem Stil von Mairs Arbeiten hält eingehender Prüfung nicht stand. Die handelnden Personen des Glasbildes zeichnen sich gegenüber Mairs hölzern agierenden, wie gedrechselt wirkenden Figürchen durch größere Lebendigkeit aus. Von den puppenstubenartigen Architekturbühnen Mairs ist im Glas wenig zu sehen. Während Mair den Bildaufbau mehr von innen her mit spiegelsymmetrischen Bildarchitekturen entwickelt, scheint die aus architektonischen Elementen zusammengesetzte, symmetrische Rahmung der Schale im Gegensatz dazu gleichsam wie von außen, vom Rand her der Darstellung übergestülpt (Abb. 1).

5 Mair von Landshut, Abendmahlstafel, 1495, Öl auf Holz. Stift Freising, Domsakristei

  1. Diese an vorgeblendetes gotisches Maßwerk erinnernde und für Mair atypische Rahmungsform ist hingegen charakteristisch für ein anderes bedeutendes, aber viel weniger bekanntes Kunstwerk in Freisinger Besitz, die 1498 datierte Sigismundtafel11 (Abb. 6, 7). Die große spitzbogige Tafel, die in 16 Szenen Leben, Martyrium und Kult des Heiligen schildert,12 wurde den Urkunden nach von dem Landshuter Maler Hans Wertinger13 für die Sigismundempore des Freisinger Doms ausgeführt.

6 Hans Wertinger, Sigismundtafel, 1498, Öl auf Fichtenholz, 314,5 x 236 cm. Freising, Diözesanmuseum

7 Hans Wertinger, Sigismundtafel, Ausschnitt. Freising, Diözesanmuseum

  1. Die gemalten Rahmungen der Randfelder in Wertingers Tafel entsprechen vollkommen dem oben beobachteten Prinzip. Mehr noch, es kehrt die für die Schale charakteristische Form der seitlich auf breiten Basen ruhenden schlanken Säulen wieder, deren oberer Abschluss ohne konstruktive Funktion bleibt. Nach innen, mehr zur Mitte hin versetzt, gehen sie in laternenartige Formen über und gleichen darin verblüffend den seitlichen unteren Feldern der Sigismundtafel.

  2. Ähnliche Übereinstimmungen lassen sich auch zwischen einzelnen Figur- und Draperiemotiven beobachten. So hält z. B. ein hinter Melchisedek stehender Alter den Saum des Priestermantels hoch, wodurch die weitausladenden, dekorativ fallenden Gewänder den Hohepriester in den formalen und inhaltlichen Mittelpunkt des Geschehens rücken.

  3. In der Bergung der Leiche des Heiligen aus dem Brunnen wird das Pluviale des Bischofs (von Agaunum?), der die Füße des Heiligen umfasst (Abb. 8), von seinem Diakon in gleicher Weise hochgehalten, ist der Saum gleichartig umgeschlagen, fallen die Falten ebenso V-förmig herab, stoßen die Faltenbahnen von beiden Seiten ähnlich gegensätzlich ineinander: In beiden Darstellungen erscheinen die dahinter stehenden Assistenten, die beide bildnishafte Züge aufweisen, deutlich größer als ihre Herrn. Ähnlich signifikante Übereinstimmungen beobachten wir zwischen Melchisedeks Kleid und einzelnen Figuren der Sigismundtafel in Bezug auf den dominanten, vom Rücken gerade bis zum Boden führenden und dann erst eckig umbrechenden Faltensteg. Dieses charakteristische Detail prägt auch die Faltenformen der Kleidung des knienden Bischofs im rechten oberen Zwickelfeld sowie das Kleid des Abtes von Agaunum vor dem Brunnen oder in der Darstellung Sigismund im Gebet u. a. m. Ihnen allen ist dieselbe Grundformel bildnerischer Gestaltung gemeinsam.

8 Hans Wertinger, Sigismundtafel, Detail: Der Leichnam Sigismunds wird aus dem Brunnen gehoben. Freising, Diözesanmuseum

  1. Der mit seinem Flötenspiel die beiden Gruppen verbindende Musikant ist eine beliebte Kunstfigur der Zeit und vielfach – auch in Stichen Israhel van Meckenems oder des Meisters MZ – anzutreffen (Abb. 9).14 Elegant in der Bewegung, modisch in der Kleidung stellt die Wiedergabe seiner farbig raffinierten Ausstattung ein Kabinettstück ohnegleichen dar: Die roten Schuhe, das rot-weiß-gestreifte Beinkleid, der goldene Dolch, das rote Wams mit weißen Schlitzen an Schultern und an den Ellenbogen, das goldbestickte Brustkleid, die goldene Flöte, das fleischfarbene Inkarnat an Brust und Gesicht und das schwarze Barett mit golddurchwirktem Stirnband und rötlichen, weit abstehenden, keck wippenden Federn auf dem Kopf – mit all dem würde dieses elegante Figürchen auch einem Tafelmaler zur Ehre gereichen; als Werk der Hinterglasmalerei bedeutet es in Schwung und Bewegung, Ausdruck und Verkürzung wohl ein zeitloses Meisterwerk von ebensolch technischer wie künstlerischer Vollendung.

9 Israhel van Meckenem, Flötist, Detail aus der Querfüllung mit Moriskentanz, Kupferstich, L. 617

  1. Der Fahnenträger in Abrahams Gefolge mit kostbarem Harnisch und geschlossenem Visier ist von nicht weniger imposanter Erscheinung. In Haltung und Wendung vergleichbare Figuren finden sich wiederum in den Sigismundszenen, etwa im linken, oberen Zwickelfeld der Tafel. Hingegen zeigt der hinter der Hellebarde etwas undeutlich auszunehmende Ritter mit offenem Visier, Kinnreff und schlanker Lanze große Übereinstimmung mit dem aus der Gruppe der Burgunder, die dem französischen König die Gefangennahme Sigismunds geloben (Abb. 10).

10 Hans Wertinger, Sigismundtafel, Detail: Die Burgunder kommen zu Sigismund, der als Einsiedler im Berg lebt. Freising, Diözesanmuseum

  1. Ebenso lohnt es, künstlerische Eigenheiten wie die knittrigen Fahnen und Wimpel unter die Lupe zu nehmen, die sich ganz deutlich von den in runden Schwüngen im Wind wellenden Bannern Mairs von Landshut abheben. Aufschlussreich ist dabei der Vergleich des wimpeltragenden Löwen in Mairs Domsakristei-Altar von 1495 (Abb. 11) mit jenem der Schale.

11 (links) Mair von Landshut, Domsakristei-Altarverkleidung, 1495, rechte Flanke, Detail. Freising, Domsakristei

12 (rechts) Hans Wertinger, Sigismundtafel, Detail: Der Abt bittet den Burgunder Ausebius, beim König von Frankreich die Erlaubnis zum Begräbnis Sigismunds zu erwirken. Freising, Diözesanmuseum

  1. Deutlich tritt das unterschiedliche künstlerische Temperament hervor: Den runden Schwüngen bei Mair stehen die sperrigen, splittrigen Formbildungen des Hinterglasmalers gegenüber. Spiegelverkehrt zum Glas, aber in ebenso eckig-knittrig umbrechenden Formen, malt Wertinger den Wimpel des Knappen der Szene, in der Ausebius vom Abt gebeten wird beim König von Frankreich die Erlaubnis zum Begräbnis Sigismunds zu erwirken (Abb. 12).

  2. Die Technik der Hinterglasmalerei verlangt eine sichere Hand. Jeder Pinselstrich muß auf Anhieb sitzen. Korrekturen – wie Übermalung – sind nicht möglich, und ausgebesserte, neu gemalte Stellen bleiben stets deutlich erkennbar. In diesem Glas wurde nicht so sehr gemalt als vorwiegend mit spitzer Nadel direkt in die aufgetragene Farbe bzw. in die aufgeklebte Goldfolie gezeichnet – seitenverkehrt und gleichsam "negativ", d. h. die die Zeichnung wesentlich mitbestimmenden Lichter wurden herausgekratzt. In der verblüffenden Leichtigkeit und Sicherheit des Strichs entspricht die Nadellinie dem Strich der Zeichenfeder, und dies erlaubt die "Hinterglasradierung" wie eine originale Handzeichnung zu beurteilen.

  3. Diese Besonderheit des Hinterglasbildes einerseits sowie die gute Erhaltung und feinmalerische Endausführung der Sigismundszenen andererseits ermöglichen – wie dies im Zustand vor der Restaurierung noch anschaulicher war als heute – den detaillierten Vergleich mit der Glasschale, insbesondere mit deren spezifisch künstlerischer, zeichnerischer Handschrift. So etwa werden an den mit der Nadel gezeichneten krabbenartigen, gotischen Zierformen im Maßwerk des Glases sowohl Form- als auch Strichanalogien ablesbar, wie sie in derselben spontanen, autografen Zeichenschrift mit Pinsel und Farbe in Malerei umgesetzt erscheinen. Ein Vergleich der Krabbenformen und Strichlagen der Architekturumrahmung der Szene Der Abt bittet den Burgunder Ausebius (Abb. 13) verdeutlicht, wie bei gleichem Formenschatz die Lichtstege in gleicher Weise mit dem Pinsel pastos in Weiß gemalt bzw. mit der Nadel hell aus dem schwarzen Grund geritzt sind. Die Blattoberflächen sind ebenso mit kurzen parallelen Schraffenlagen artikuliert, die Konturen mit kurzen Häkchen umrandet, ja die Formen selbst lassen bei aller Unterschiedlichkeit des Konturverlaufs gleiches Formgefühl erkennen. Dies ist in den Schraffenlagen der Maßwerkprofile ebenso deutlich wie in den aus mehreren Strichen zusammengesetzten Rankenstämmen der Blatt- und Krabbenformen zu erkennen.

13 Hans Wertinger, Sigismundtafel, Detail: Der Abt bittet den Burgunder Ausebius, beim König von Frankreich die Erlaubnis zum Begräbnis Sigismunds zu erwirken. Freising, Diözesanmuseum

  1. Wo schattierende Schraffenlagen mit dem Pinsel aufgesetzt wurden wie am Maßwerkbogen links im Glas neben dem Mohrenkopfwappen, tritt das Idiom der individuellen künstlerischen Handschrift noch deutlicher zutage. Helle Ritzlinien und dunkle Pinselstriche liegen hier nebeneinander und gewähren unmittelbaren Vergleich mit ihrem malerischen Äquivalent. Ein Indiz mit erheblicher Aussagekraft für die engen künstlerischen Verbindungen zwischen der Schale und der Sigismundtafel bilden auch die Maßwerkformen aus gekehlten Rippenbögen, deren Profile sowie ihre in den Raum stoßenden Enden. Denn auch das 1498 datierte Schlussbild der Tafel mit den Siechen und Bettlern, am Grabe Sigismunds, zeigt Rippenbögen von exakt derselben Profilierung und Dimension sowie der gleichen Verschattung der Gewölbezwickel.

  2. Nicht weniger sprechend sind die Säulenformen. Die 1498 datierte Bitttafel O Du Heilliger sand Sigmund Bit für uns 1498 hängt an einer Säule, deren glatter Schaft und schraubenförmig gewundene Basis in ihren Übereck-Stellungen und rautenförmigem Zierrat, ja selbst in der volutenförmigen Doppelschnecke zu Füßen des Mönchleins in Vielem der linken Säule der Umrahmung des Glases gleicht (Abb. 14).

14 Hans Wertinger, Sigismundtafel, Detail: Sieche und Bresthafte beten am Grabe Sigismunds. Freising, Diözesanmuseum

  1. Alle Ingredienzen kehren dort wieder, zwar in keinem Detail genau, jedoch in neuer, innovativer Zusammensetzung. Selbst in Pendants wie den beiden Säulen der Schale streben spielerische Freude und Leichtigkeit in der Ausbildung verwandter Formen nach Abwechslung. Geradezu einen Musterkatalog solcher Formvarianten bilden die Säulenstellungen und Basen im Rücken der betenden Bettler sowie – vielleicht noch deutlicher – in der dazu spiegelbildlichen äußersten linken unteren Szene der Sigismundtafel.

  2. Die Durchbildung der Säulen, Basen, Laternen und das Maßwerk der Umrahmung der Abraham-Melchisedek-Szene zeigen eine einprägsame, ausgesprochen grafische Struktur: Ein vertikaler, die gesamte Länge der Säulen von oben nach unten durchgehender dunkler Steg wird zu beiden Seiten von ebensolchen parallelen weißen Streifen begleitet, die sich nach außen in zarte Schraffen und Kreuzschraffuren auflösen. Hans Wertinger übernahm diese Art der dekorativen Zerlegung von Glanzlichtern auf runden Objekten offensichtlich von seinem mutmaßlichen Lehrer Mair von Landshut. Auch bei diesem beobachten wir ähnliche, etwas weitmaschigere und mit mehreren Vertikalen durchsetzte Strukturen. Einige von Mair eigenhändig kolorierte Stiche zeigen vergleichbare "Lichtstreifen".15

15 a / b Hans Wertinger, Sigismundtafel, Detail mit vergrößertem Ausschnitt: Der Abt bittet den Burgunder Ausebius, beim König von Frankreich die Erlaubnis zum Begräbnis Sigismunds zu erwirken. Freising, Diözesanmuseum

  1. Wertingers grafische Pinselschrift ging darüber noch hinaus, wie die "Lichtzeichnung" an den Säulenbasen in der Ausebius-Szene der Sigismundtafel zeigt (Abb. 15). In nahezu identischer Weise ist die Ritzzeichnung an der Basis der rechten Säule der Schale16 gestaltet: Bei beiden, der Tafel und der Schale, setzen zu Seiten der vertikalen "Lichtlinien" horizontale, parallele Strichlagen an, die – von rechts in breiten Abständen beginnend sich nach links, in radikaler Perspektive, extrem verjüngend – die Säulentrommel riesig wirken lassen. Die Übereinstimmung ist derart eng, dass, wären nicht beide Arbeiten ohnehin 1498 datiert, wir auch daraus auf unmittelbare künstlerische wie zeitliche Nähe schließen dürften.

  2. Auf zahlreiche weitere Analogien ließe sich hinweisen, etwa auf den baumbestandenen Hügel im Hintergrund der Glasschale, den ebenso signifikant schwungvolle Linienzüge, Kugelbäume, Sträucher und Lichtflecken formen, wie sie auch die malerische Durchbildung von Landschaftsdetails der Sigismundtafel prägen. Die Blütenköpfe und Knospenformen im Rankenornament des Schalenrandes – ja selbst die Rankendichte – sind Wertingers gemalten Blumenstudien verwandt. Darüber hinaus beobachten wir sowohl an den Laternen der Schale als auch an den Kapitell- und Architekurformen der Sigismundszenen – in Zeichnung wie Malerei – dieselben künstlerischen Schwierigkeiten in der Suggestion dreidimensionaler runder Formen (Abb. 16).

16 Hans Wertinger, Sigismundtafel, Detail: Die Burgunder kommen zu Sigismund, der als Einsiedler im Berg lebt. Freising, Diözesanmuseum

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"Glasmaler" – der Terminus in neuem Licht17

  1. Den beobachteten Übereinstimmungen nach sind die Abraham-Melchisedek-Schale und die Sigismundtafel Arbeiten derselben Künstlerpersönlichkeit. Den Domkustos-Rechnungen des Hochstifts Freising zufolge wurde die Tafel von Hans Wertinger, gen. "Schwab Maler", in Landshut ausgeführt.18 Sie ist 1498 datiert und galt bisher als das einzige erhaltene Werk der frühen, urkundlich überlieferten Arbeiten für Fürstbischof Philipp von Freising.19 Ihrer Datierung sowie der Datierung und den Wappen der Schale zufolge hat Wertinger beide für denselben Auftraggeber ausgeführt. Urkundliche Nachrichten aus den Jahren 1497-99 bezeugen wiederholt Wertingers Tätigkeit für Freising. Neben dem Altar für die Sigismundkapelle ist darin – allerdings mit der Angabe 1497 – auch von einem Glas die Rede, "das zu den oblaten in die sancto Cene (Gründonnerstag) wirt gepraucht"20. Ob die Urkunde auf unsere Hostienschale zu beziehen ist, auch wenn die Daten um ein Jahr differieren, oder ob Wertinger bereits ein Jahr später neuerlich den Auftrag für ein solches Glas erhielt, muss offen bleiben. Thema, Form und Technik der Abraham-Melchisedek-Schale würden der Urkunde jedenfalls ebenso entsprechen wie der Verwendungszweck als Hostienschale.21

  2. Die grafische Durchbildung dieser Hinterglasmalerei lässt ein Maß an zeichnerischer Spontaneität und Freiheit erkennen, wie sie in kaum einer erhaltenen Zeichnung der Zeit anzutreffen ist. Dies unterstreicht die Bedeutung und den Rang der Schale als einzigartiges Meisterwerk der Amelierkunst. Unikal in ihrer Art, repräsentiert sie eine nahezu völlig verschwundene Kunstgattung. Dass nicht ein einziges vergleichbares Glas der Spätgotik bzw. der beginnenden Neuzeit erhalten ist, mag an der Schwierigkeit der Herstellung wie an der Fragilität solcher Gläser liegen. Nicht zuletzt liegt darin auch ein Teil der exzeptionellen Bedeutung dieses Glaskunstwerks, das uns nicht nur die vollgültige Vorstellung des hohen Niveaus einer so gut wie verlorenen Kunsttechnik gibt, sondern auch die Vielfalt der Anwendungsformen in Erinnerung ruft, wenn zeitgenössische Quellen von "Glasmalerei" sprechen22. Erst mit diesem Hinterglasbild in Ameliertechnik bekommt die verallgemeinernd gebrauchte Bezeichnung "Glasmaler" – über die bildhafte Verglasungen von Fenstern hinaus – erweiterten, übergreifenden Sinngehalt.

  3. Indem wir die 1498 datierte Darstellung auf Hans Wertinger und – als offiziellen Auftrag für das Hochstift Freising – auf Bischof Philipp von der Pfalz zurückführen können, erhält das Glas auch eine zusätzliche Dimension dokumentarischer Aussagekraft. Bezeichnet es doch Rang und künstlerische Höhe der Amelierkunst an süddeutschen Fürstenhöfen und lässt zudem die Künstlerpersönlichkeit Hans Wertingers in neuem, seine Malkunst überstrahlendem Licht erscheinen.

  4. In seiner Gattung steht das Werk allein. Weder in der deutschen Glasmalerei des 15. und des 16. Jahrhunderts noch in der Glaskunst Italiens findet sich auch nur annähernd Vergleichbares. Die erhaltenen Beispiele der als führend in der Zeit geltenden venezianischen Glasprodukte nehmen sich sogar vergleichsweise bescheiden aus. Erst mit Hans Wertingers amelierter Darstellung von Abraham und Melchisedek in der Kombination von Hinterglasmalerei und Glasradierung besitzen wir ein Werk, das die Bedeutung des Verlorenen in seiner tatsächlichen Tragweite erahnen lässt. Dies macht die bisher unbekannte Hostienschale zu dem mit Abstand bedeutendsten künstlerischen Dokument spätgotischer Amelierkunst und zum Ausgangspunkt sowie Richtmaß künftiger Beurteilung deutscher, ja europäischer Hinterglasmalerei zwischen Spätmittelalter und Renaissance.23

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Technische Daten

TECHNIK:

Als Hinterglasradierung und Hinterglasmalerei ausgeführt. Die Darstellung ist mit dem Pinsel in kalter Bemalung mit Deckweiß, Ocker, Rot, Blau, Grün, Braun und Schwarz, z. T. in Lüsterfarben und goldfarbenem Lack gearbeitet und mit Zinnfolie hinterlegt. Die Randverzierungen sind mit Muschelgold hintermalt, die feinen Strukturen der Binnenzeichnung und die Schattierungen geritzt, einzelne Schraffenlagen wurden mit feinem Pinsel nachträglich über die schon ausgekratzten Flächen gemalt.

Glasschale aus geschleudertem Mondglas mit leicht aufgewölbtem Boden und flachem Standring.

Durchmesser: 360 mm äußere Umrandung; 335 mm Bilddurchmesser, Hefteisenansatz hochoval, ca. 20 mm.

Fahnenhöhe: 30–35 mm (am Rand tiefer, zur Mitte hin höher).

ZUSTAND:

Die gesamte Darstellung einschließlich der Umrandung ist mit Leinwand hinterklebt, die mit zinnoberfarbener Substanz (Siegellack?) dick bestrichen ist. Einzelne Farbpartien der farbigen Darstellung sind im Lauf der Zeit krepiert, der Bildzusammenhang jedoch noch deutlich lesbar.

Die Vergleichsabbildungen, die hier nicht gezeigt werden dürfen (vgl. Vorbemerkung), dokumentieren den Zustand der Schale vor der Restaurierung: Ein Teil der Farbschicht hatte sich vom Glas gelöst, andere Teile waren noch in perfekter Erhaltung. Die fotografische Dokumentation macht deutlich, dass die 2006 erfolgte Restaurierung empfindliche Änderungen – von Teilen der Darstellung selbst, vor allem aber der innerbildlichen ornamentalen Umrandung des Hinterglasbildes – zur Folge hatte: Von links nach rechts: Die Zahl "14" im Schriftband am linken Sockel ist bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt; im Originalzustand waren sowohl die "1" als auch die "4" noch vollständig erhalten. Die sich um die Säule schlingende Ranke ist vor allem in ihrem oberen Ende verzerrt und verstümmelt, das sich nach links rollende Blattende verschwunden. Die Lesbarkeit der bekrönenden Maßwerkformen im Scheitel der Darstellung, der Profile, der Kehlungen und Überschneidungen sowie der modellierenden Feinzeichnung ist empfindlich gestört. Während im Originalzustand die mit Schraffen fein ziselierten Blattwerk- und Krabbenformen den schlagenden Vergleich mit Wertingers Sigismund-Altar erlaubten, erschwert das Gesamtbild des heutigen Zustandes solche Gleichsetzung. In den Sockeln, Säulchen und Schriftbändern zu beiden Seiten, den beiden Laternen mit Löwen und Wappen, ging die zuvor noch vorhandene Klarheit und Lesbarkeit der Formen zu einem Gutteil verloren.

DATIERUNG:

In den Schriftbändern an der Basis der beiden seitlichen Säulen, links "14" (vor der Restaurierung noch deutlich lesbar, jetzt nur noch Fragmente) und rechts "98" datiert.

LOKALISIERUNG:

Wappen: Bekrönter Mohrenkopf (Stift Freising) und Bär (Stadt Freising).

PROVENIENZ:

Stift Freising; wohl bis zur Säkularisierung 31. Dezember 1802 im Besitz des Klosters. Im Jahre 2000 tauchte die Schale im Münchener Kunsthandel auf (G. Rudigier-Rückert). Spuren führen zurück zu den Sammlungen des Fürstenhauses Oettingen-Wallerstein. Die Fürsten hatten 1793, im Zuge der napoleonischen Kriege, die Herrschaft Dagstuhl (Saarland) an Frankreich verloren. Im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 erhielt die Linie Oettingen-Wallerstein Kirchengut in Bayern als Entschädigung für ihre an Dagstuhl verloren gegangenen Rechte (darunter aus Kloster Maihingen und wahrscheinlich auch aus dem 1802/03 säkularisierten Domstift Freising).

Von der Kunsthandelsfirma Alexander Rudigier Ltd., London, 2008 an das Metropolitan Museum of Art, New York, verkauft.

Die Schale trägt auf der Rückseite ein blaues Klebeetikett mit der Nummer. "88" in Bleistift (spätes 19. Jahrhundert?), damit wird das ungewöhnliche Kunstwerk in älteren Inventaren möglicherweise noch zu identifizieren und die Provenienz zu präzisieren sein.

BESITZ:

New York, The Metropolitan Museum of Art, The Cloisters Collection, Inv.:2008.278.

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Bildnachweis

Abb. 1:

© Bildagentur bpk / The Metropolitan Museum of Art

Abb. 2

Reprod. nach: Die Kunstdenkmäler von Bayern. Bd. 16: Stadt Landshut mit Einschluß der Trausnitz, bearbeitet von Felix Mader, München 1927, 311, Abb. 246.

Abb. 3

Reprod. nach: Deutsche Wappen: Bundesrepublik Deutschland, Hg. Klemens Stadler, Bd. 4: Die Gemeindewappen des Freistaates Bayern, 1. Teil A-L, Freising 1965, 53.

Abb. 4

Archiv des Erzbistums München und Freising

Abb. 5

Reprod. nach: Freising. 1250 Jahre Geistliche Stadt, Ausst.-Kat., Bd. 1: Ausstellung im Diözesanmuseum und in den historischen Räumen des Dombergs in Freising, hg. Sigmund Benker und Marianne Baumann-Engels, München 1989, 400.

Abb. 6

© Diözesanmuseum Freising, Foto: Carola Wicenti

Abb. 7

© Diözesanmuseum Freising, Foto: Carola Wicenti (Ausschnitt)

Abb. 8

Zentralinstitut für Kunstgeschichte München / Photothek

Abb. 9

Fritz Koreny

Abb. 10

Zentralinstitut für Kunstgeschichte München / Photothek

Abb. 11

Diözesanmuseum Freising, Peter B. Steiner

Abb. 12-16

Zentralinstitut für Kunstgeschichte München / Photothek

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1 Für wertvolle Anregungen und Hinweise danke ich Yves Jolidon und Hartmut Scholz.

2 Zur Geschichte und zu den Techniken der Hinterglasmalerei grundsätzlich: Frieder Ryser, Verzauberte Bilder, München 1991, 13-14 sowie 21, Anm. 4 und 5. Zur differenzierten Unterscheidung zwischen Amelieren und Eglomisé siehe Simone Bretz, "Maltechnik und Glastechnik in der Hinterglasmalerei 1600 bis 1650," in: Farbige Kostbarkeiten aus Glas, Kabinettstücke der Zürcher Hinterglasmalerei 1600-1650, hg. Hanspeter Lanz und Lorenz Seelig, München 1999, 181-219, bes. 200-201. Ausführlich zur Technik der Hinterglaskunst siehe Frieder Ryser und Brigitte Salmen, Amalierte Stuck uff Glas/Hinder Glas gemalte Historien und Gemäld, Ausst. Kat. Schloß Murnau 1997.

3 Siehe dazu auch: Glanzlichter – Die Kunst der Hinterglasmalerei, hg. Schweizerisches Forschungszentrum zur Glasmalerei Romont, Bern 2000, 169-174.

4 Zu den technischen Daten der Schale siehe am Ende des Beitrages.

5 Eine Abbildung der Schale ist auch in der Online-Datenbank des Metropolitan Museums zugänglich, mit Möglichkeit zur Detailvergrößerung (als Keyword "Wertinger" eingeben): http://www.metmuseum.org/works_of_art/collection_database/.

6 Psalm 110, 4, und bes. im Brief an die Hebräer 7, 4,10-14,18. Genesis 14, 17-20.

7 Der hohe, schlanke Kirchturm sowie die Burg auf dem Hügel dahinter erinnern an alte Ansichten der Stadt Landshut. Von Süden oder Norden her gesehen gibt die Vedute die Stadtbefestigungen, St. Martin und Burg Trausnitz neben dem Lauf der Isar wieder (Abb. 2). Die Darstellung des Glasmalers entspricht damit den topografischen Gegebenheiten von Landshut in den wesentlichen Zügen.

8 Hebräer 7, 4.

9 Zur Verwendung von Glas im Dienst der Kirche siehe Clementine Schack, Die Glaskunst. Ein Handbuch über Herstellung, Sammeln und Gebrauch des Hohlglases, München 1976, 100.

10 Zu Nikolaus Alexander Mair von Landshut siehe Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, Bd. XXIV, Leipzig 1907-1950; Jane Turner, Hg., The Grove Dictionary of Art, Bd. 20, New York 1996, 130, oder ausführlich Alfred Stange, Deutsche Malerei der Gotik, Bd. 10, München 1960, 124-130. Die Vornamen "Nikolaus Alexander" sowie Mairs Herkunft aus Landshut sind nach heutigem Wissenstand nicht gesichert.

11 Die Tafel befindet sich heute im Diözesanmuseum Freising, Inv. F 6. Sie wurde im 19. Jahrhundert nach oben ergänzt (Christus und Maria) und neu gerahmt.

12 Sigismund, König der Burgunder, wurde wegen seines Glaubens von den Franken ermordet, 523 heilig gesprochen. Freising besaß Reliquien des Heiligen, die seit der Mitte des 14. Jahrhunderts Wallfahrer anzogen und das Stift zum Mittelpunkt der Sigismund-Verehrung in Deutschland machten.

13 Zu Hans Wertinger siehe den Eintrag von Karl Feuchtmayr in: Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, Bd. XXXV, Leipzig 1907-1950, 425-431, sowie Gloria Ehret, Hans Wertinger. Ein Landshuter Maler an der Wende der Spätgotik zur Renaissance, München 1976. Siehe auch den Artikel über Wertinger von Hans Gmelin in: The Dictionary of Art, Bd. 33, 1996, 84-86.

14 Vgl. z. B. van Meckenems Stich Querfüllung mit dem Moriskentanz, L.617; Meister MZ, Der Ball, L.17.

15 Besonders deutlich zeigt dies der (unter den Zeichnungen des Louvre aufbewahrte) Pariser Druck. Da der Abdruck der Albertina, Wien, eine ganz ähnliche farbige Durchbildung – wenn auch weniger gut erhalten – zeigt, ist dies ein gewichtiger Beleg für die Eigenhändigkeit der Kolorierung und ein entscheidender Schritt hin zu dem 1508 mit dem Clair-obscur-Holzschnitt einsetzenden Farbdruck.

16 Diese im Originalzustand noch weitgehend intakten "Lichtlinien" wurden bei der Restaurierung des Glases, vor allem an der rechten Laterne, der Säule und deren Basis, in viele kleine Teile zerbrochen und sind heute bis zu 1 mm nach links und rechts versetzt fixiert.

17 Zur Berufsbezeichnung siehe Ryser und Salmen, Amalierte Stuck uff Glas, 26-27.

18 Hans Ramisch, "Der Freisinger Dom und seine Nebenkirchen im 14. und 15. Jahrhundert," in: Freising. 1250 Jahre Geistliche Stadt. Bd. 1: Ausstellung im Diözesanmuseum und in den historischen Räumen des Dombergs in Freising, hg. Sigmund Benker und Marianne Baumann-Engels, München 1989, 26-29, hier 29.

19 Bischof Philipp von der Pfalz (geb. 1480), Fürstbischof von Freising (1499-1541) und Administrator des Bistums Naumburg (1517-1541), folgte seinem jüngeren Bruder Rupert (geb. 1481) als Bischof von Freising (1495-1498). Nachdem am 1. August 1495 das Domkapitel mit Stimmeneinheit die Bischofswürde an den damals 14jährigen Rupert übertragen hatte, trat dieser am 27. Dezember 1496 das Amt an. Doch bereits am 4. Januar 1497 ersuchte er den Kaiser, ihm das Lehen noch nicht zu übertragen, und bat den Vater, das Bistum seinen Bruder Philipp übernehmen zu lassen. Die Resignation erfolgte in aller Stille; bereits am 21. Februar 1497 erhielt Philipp (vom Bischof von Worms) die Tonsur, am 3. Dezember d. J. kam die Annahme der Resignation aus Rom. Philipp übernahm die Geschäfte und wurde am 17. Mai 1499 mit der Verwaltung betraut. Dies erklärt die Überlappung von Wirkungsraum und Amtsführung der beiden Bischöfe in den Jahren 1497/98. Rupert heiratete Elisabeth, Tochter Georgs des Reichen von Landshut. Die Ehe löste den Landshuter Erbfolgekrieg aus. Siehe dazu: Anton Baumgärtner, Meichelbeck’s Geschichte der Stadt Freising und ihrer Bischöfe, neu in Druck gegeben und fortgesetzt bis zur Jetztzeit, Freising 1854, 184 ff. Volker Liedke, "Hans Wertinger und Sigmund Gleismüller, zwei Hauptvertreter der Altlandshuter Malschule," in: Ars Bavarica 1 (1973), 50-83, hier 50, spricht gar davon, dass "Fürstbischof Philipp von Freising [...] als sein ausgesprochener Freund und Mäzen gelten darf". Zu den angesprochenen historischen Verbindungen siehe zuletzt im Ausstellungskatalog Ewig blühe Bayerns Land. Herzog Ludwig X. und die Renaissance, hg. Brigitte Langer und Katharina Heinemann, Regensburg 2009. Darin auch ein Beitrag von Matthias Weniger, in dem Schale und Zuschreibung erwähnt werden: Matthias Weniger, "Neues zu Hans Wertinger und seinen Porträts," in: Ewig blühe Bayerns Land, 65-81, hier 65 f.

20 Zit. nach Feuchtmayr, "Wertinger," 426, linke Spalte. Zum genauen Wortlaut und weiteren Quellen siehe: Hans Ramisch, Hg., Die Freisinger Dom-Custos-Rechnungen von 1447-1500 (Studien zur altbayerischen Kirchengeschichte Bd. 10/1), München 1998, 777, wo – zwar mit verschiedenen Jahresangaben, aber unmittelbar aufeinanderfolgend auf derselben Seite – sowohl das Glas als auch die Sigismundtafel genannt werden. Auf Seite 663, mit Datum vom 5. April 1497: "Jn crastino S. Ambrosi. Maister Hannsen Maler / zu Lanndshut / hat das Glaß das zu den / Oblaten jn die Sancto Cene / wird gepraucht gefast oder / gemalt." Gleich anschließend, mit Datum vom 4. Oktober 1498: "In die S. Francisci. (Eintrag 11.577) Item hab ich Maister Hannsen Maler / zw Lanndshut von der Tafel gen / Sand Sigmund gemalt geben vnd / zalt nach dem Geding / Mer hab ich jm zw einer / Pesserung geben / Der Frawen ain / zu Leikauf." Die folgenden Einträge 11.578-11.580 beziehen sich auf Trinkgeld für die Gesellen, die Abrechnung mit dem Kistler sowie die Bezahlung für den Transport der Tafel von Landshut nach Freising.

21 Siehe in diesem Zusammenhang Gerhard H. Waldherr, "Albert Ernst Graf von Wartenberg (1635-1715). Weihbischof und 'erfaner der apostolischen antiquiteten'," online verfügbar unter: http://www.uni-r.de/Fakultaeten/phil_Fak_III/Geschichte/Alte_G/roemer/kapitel2/k2h3_wart.htm (Zugriff am 23.06.2010), wo in dem Abschnitt "Der Weihbischof als Bodenforscher" Wartenberg neben anderen gläseren Fundstücken "gläserne Patenen" gefunden zu haben meinte. (Die Fundstücke befinden sich heute im Bayerischen Nationalmuseum, München.) Auch wenn es sich nach heutigem Urteil nicht um originale Bodenfunde aus Regensburgs römischer Vergangenheit handelt, sondern um italo-römische Zwischengoldgläser, die möglicherweise erst im Zuge mittelalterlichen Reliquienhandels über die Alpen gekommen sind, bestätigt diese Beurteilung aus dem 17. Jahrhundert, dass gläserne Hostienschalen bekannt und in Verwendung waren.

22 Zu Hans Wertinger als Glasmaler siehe den Eintrag von Hartmut Scholz in: Painting on Light, Drawings on Stained Glass in the Age of Dürer and Holbein, hg. Barbara Butts, Los Angeles 2000/2001, 39-40.

23 Woher das Rohglas kam, ist schwer zu beurteilen. Erst Proben könnten klären, ob es sich um trans- oder cisalpines Glas handelt. Ob aufgrund des frühen Datums venezianisches Glas zur Verwendung kam oder bereits ein Tiroler Erzeugnis bzw. gar ein Produkt aus Bayern, wo in Landshut selbst bis 1580 eine Glashütte betrieben wurde, steht noch zur Klärung an.


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