RIHA Journal 0056 | 8 October 2012
Das Ende der Welt ist nicht das Ende der Tugend. Tintorettos Jüngstes Gericht für Venedig
Daniela Wagner
Editing and peer review managed by:
Regina Wenninger, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München
Reviewers:
Albert Dietl, Christian Hecht
Abstract
Tintoretto's Last Judgement of Madonna dell'Orto in Venice includes an unusual detail: the scene of a flood. While Tintoretto refers to Michelangelo's Sixtine Chapel Judgement in form and structure, the depiction of masses of water or the small boat riding down the stream seems unprecedented in that context. As no attempts have been made so far to interpret these unique details, the aim of this article is to set forth and put up for discussion a new approach to Tintoretto's Last Judgement. In particular, it argues that these details reflect the virtuous ideals of the Republic; this suggests the conclusion that Tintoretto has created a judgement for the people of Venice.
Inhalt
Von der Fortuna der Händler zur Seefahrt des Lebens
Einleitung
In den späten 1550er Jahren schuf Jacopo Robusti, genannt Tintoretto, zwei Ölgemälde von monumentaler Größe für den Chor der Kirche Madonna dell'Orto in Venedig. Das erste Bild zeigt mit der Übergabe der Gesetzestafeln an Mose und der Vorbereitung zur Anbetung des goldenen Kalbes eine eher ungewöhnliche Kombination von zwei zwar zusammengehörigen Erzählungen, welche für gewöhnlich aber getrennt voneinander gezeigt werden. Direkt gegenüber, auf der rechten Seite des Chorhauses, befindet sich das zweite Bild, das Jüngste Gericht (Abb. 1). Die beiden Bilder entstanden im Rahmen einer größeren Kampagne zur Neudekoration von Madonna dell'Orto, die in Tintorettos Nachbarschaft lag.1
1 Jacopo Tintoretto, Das Jüngste Gericht, ca. 1556-1561, Öl auf Leinwand, 14,5 x 5,9 m. Madonna dell'Orto, Venedig (nach Roland Krischel, Jacopo Robusti, genannt Tintoretto. 1519-1594, Köln 2000, Abb. 54, Foto: Cameraphoto-Arte, Venezia)
Während das Motiv der Übergabe der Gesetzestafeln aus einem weiteren, etwa zeitgleich entstandenen Gemälde Tintorettos bekannt ist, in dem dieselben Inhalte zusammengebracht werden,2 ist das Jüngste Gericht das erste von ihm geschaffene Gerichtsbild und zudem auch das einzige erhaltene.3
Das Vorbild für das Bild von Madonna dell'Orto war Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle,4 aus dem Tintoretto Teile der Komposition und auch einzelne Figuren direkt übernahm. Doch auch die sich im 13. Jahrhundert in den Schriften verschiedener Gelehrter ausformende Vorstellung von der Geografie des Jenseits war von entscheidendem Einfluss. Dante hat später aus diesen Ideen in seiner Göttlichen Komödie eine detaillierte Topografie des Jenseits entwickelt, die so populär wurde, dass sie sich auch in Bildern niederschlug. So auch in den Gerichtsbildern Luca Signorellis (San-Brizio-Kapelle, Orvieto), Michelangelos und Tintorettos, die alle die Hölle durch die dämonischen Platzhalter Charon bzw. Minos markieren,5 die wohl eindrücklichsten Gestalten, die über die Schwellen der Unterwelt wachen. Möglicherweise hat Tintoretto auch Dante selbst in seinem Jüngsten Gericht dargestellt, mit der Gestalt, die sich in der himmlischen Gemeinschaft, inmitten des zweiten Wolkenrings von oben befindet (Abb. 2).
2 Jacopo Tintoretto, Das Jüngste Gericht, Detail, ca. 1556-1561, Öl auf Leinwand, 14,5 x 5,9 m. Madonna dell'Orto, Venedig (nach: Roland Krischel, Jacopo Robusti, genannt Tintoretto. 1519-1594, Köln 2000, Abb. 54 [Ausschnitt], Foto: Camerphoto-Arte, Venezia)
Der Mann hat die Hände gefaltet und den Blick zum Weltenrichter erhoben. Er trägt ein weißes Gewand, sein Kopf ist mit einer Lorbeerkrone geschmückt.6 Auch Luca Signorelli zeigt den Dichter in der Sockelzone unter den Fresken zur Apokalypse in Orvieto (1499-1504), wenn auch in einem Portrait und nicht in die Szenen eingebunden; als ein noch früheres Beispiel gilt eine Figur unter den Auserwählten in Nardo di Ciones Jüngstem Gericht in der Capella Strozzi, Florenz (1354-1357).7
Doch trotz der erkennbaren Vorbilder ist das Bild mehr als eine Neukomposition von bereits Bekanntem. Tintorettos Jüngstes Gericht stellt hinsichtlich des Korpus der Gerichtsbilder ein Einzelstück dar, denn die Szene ist um zwei ungewöhnliche Motive ergänzt worden, die spezifisch auf den Ort des Bildes und sein Publikum zugeschnitten scheinen und die die ikonologische Verdichtung des Gesamten bilden. Ihr Interpretationspotential soll hier zur Diskussion gestellt werden. Weder die Wassermassen noch das auf ihnen fahrende Boot wurden bisher von der Forschung eingehender betrachtet, was insbesondere hinsichtlich des Wassers erstaunt.8 Frühere Veröffentlichungen beschränkten sich auf den Versuch einer Zuordnung des Wassers, weitere Deutungen oder gar die Einbeziehung des Bootes blieben aus. Möglicherweise bedingt das eine hier das andere, erklärt die Nichtbeachtung des Wassers, weshalb auch das Boot übergangen worden ist, denn dass Boote auf Wasser fahren ist ebenso gewöhnlich wie in Venedig auf Wasser zu stoßen. Doch sind die Motive bei Tintoretto meines Erachtens eben nicht auf jenen oberflächlichen Lokalbezug reduziert, sondern vermitteln die höchsten Tugenden der Republik. Der Mythos Venedig beginnt mit der Geburt aus dem Meer, die Frage nach dem Ende stellt sich der Republik in der Zeit ihrer Blüte selbstverständlich nicht. Dass die Gemeinschaft mit ihren selbsterwählten Tugenden auch über den Tod hinaus besteht, ja bestehen muss, um ewiges Heil zu erreichen, ist kein mit dem Geburtsmythos vergleichbarer Topos. Dennoch kann eben dieser Gedanke mit zumindest einer bildlichen Darstellung assoziiert werden, dem Gericht Tintorettos, wo sich im Tod das tugendhafte Leben widerspiegelt. Die folgenden Überlegungen verstehen Meer, Boot und dessen Insassen als zusammenhängendes Bildphänomen, dem ich mich ikonografisch, dabei zuweilen auch assoziativ argumetierend annähern will, um mögliche Bedeutungen des Motivs auszuloten.
Eine apokalyptische Flut
Etwa in der Bildmitte öffnet sich in Tintorettos Gericht das chaotische Durcheinander von Auferstehung und Gericht über die Seelen, himmlischen Scharen, höllischen Dämonen und überall in das Geschehen eingreifenden Engeln und gibt den Blick frei auf die sich aus der Tiefe des Bildes ergießenden Wassermassen. Sie überfluten eine Schwelle in der Bildmitte, bevor sie den Vordergrund erreichen. Dieser Strom hat Menschen mit sich gerissen, umspült entlaubte Bäume und den Nachen des Charon. Auch den aus der Erde Auferstehenden kommt er sehr nahe. Die Wasserschwelle selbst erstreckt sich über annähernd die gesamte Bildbreite, aufgrund der Maße des Bildes ergibt sich eine Spanne von etwa 5 Metern. Eine derart gewaltige Flut ist aus anderen Gerichtsbildern nicht bekannt, ist doch das zerstörende Element der Apokalypse das Feuer.
Naheliegend ist der Gedanke, dass es sich bei dem Wasser um eine Anpassung an die venezianischen Gegebenheiten handelt. In Venedig sind Hochwasser und Fluten regelmäßig auftretende Ereignisse, immer wieder geschieht hier "auf begrenztem Gebiet, was einst bei der Sintflut in weitestem Ausmaße geschah",9 auch starben mit Sicherheit viele Venezianer auf See. Doch um diese lokalen Gegebenheiten ausreichend zu würdigen, hätte die Berücksichtigung der sonst selten dargestellten, aber immerhin in der Bibel erwähnten Auferstehung aus dem Meer genügt (Off 20,13). Tintoretto zeigt diese zwar, aber weit im Bildhintergrund, weshalb die dem Wasser entsteigenden Körper weitaus weniger präsent sind als die Flut selbst. Dennoch wird dem Wasser durch dieses Motiv zunächst eine ganz konkrete Bestimmung gegeben. Wie die Erde ist es ein Ort, an dem – beziehungsweise das Element, aus dem – sich die Auferstehung vollzieht. In künstlerischer Hinsicht interessanter und religiös bedeutsamer erscheint sowohl für Tintoretto als auch für die meisten seiner Vorgänger die Auferstehung aus der Erde, die im Vordergrund ausdrucksstark und großformatig dargestellt ist. Im direkten Vergleich fällt die Auferstehung aus dem Wasser sehr viel kleiner und daher scheinbar auch unbedeutender aus. Doch ist sie an einem vorteilhaften Ort platziert: nahe der Mittelachse zur rechten Seite Christi, also entgegen der althergebrachten, aus byzantinischen Darstellungen übernommenen Ordnung, in der sich diese Szene direkt über der Hölle und somit links von Christus abspielt.10 Durch diese Anordnung misst Tintoretto der Auferstehung aus dem Wasser eine größere Bedeutung bei als üblich, verzichten doch die meisten Gerichtsbilder auf diesen Teil des Geschehens.11 Mit der Darstellung eines sintflutartigen Ereignisses als Teil des Jüngsten Gerichts wird dann zugleich an die Opfer des ersten großen Endes erinnert, die im Wasser ihren Tod fanden, nun aber ebenfalls auferstehen und vor das Gericht treten. Die Sintflut galt als Vorausdeutung des Weltgerichts, entsprechend Mt 24, 38-39 bzw. Lk 17,26-27. Hier zieht Christus in der Ölbergrede den Vergleich zwischen Sintflut und Weltende. Dieser typologische Bezug hatte im Mittelalter kaum Resonanz gefunden, wurde aber später, in der Zeit nach der Reformation, populär.12 Des Weiteren ist die Auslegung der durch die Sintflut Todgeweihten als Präfiguration der Verdammten des Jüngsten Gerichts bedeutsam. Sowohl in der Erzählung von der Sintflut als auch im Weltgericht werden die Guten von den Schlechten geschieden.13
Hinsichtlich der Verbindung von Sintflut und Weltgericht lässt sich sogar ein mögliches Vorbild für Tintoretto finden. So sollte Jacopo Pontormo als Reaktion auf Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle den Chor der Kirche San Lorenzo in Florenz mit einem Jüngsten Gericht ausmalen. Er erhielt den Auftrag 1546; die obere Zone war vermutlich um 1550 vollendet, worauf die Arbeit an den unteren Bereichen begann, die nach Pontormos Tod 1557 von Agnolo Bronzino beendet wurde. 1558 wurde der Chor enthüllt. Da die Fresken jedoch 1738 bei der Umgestaltung des Chores zerstört wurden, sind Rückschlüsse auf das genaue Bildprogramm allein über Beschreibungen und erhaltene Vorzeichnungen möglich, die jedoch nur einzelne Figuren oder Figurengruppen zeigen, ohne den Gesamtzusammenhang darzulegen. Janet Cox-Rearick14 hat die Anordnung der einzelnen Motive rekonstruiert: Die obere Zone zeigte demnach, von links nach rechts, Kain und Abel, den Bau der Arche, die Übergabe der Gesetzestafeln an Mose, die Vertreibung aus dem Paradies, im Zentrum dann den thronenden Christus über der Schaffung Evas, den Sündenfall, die vier Evangelisten, das Opfer Isaaks und schließlich die Arbeit Adams und Evas. In der flächenmäßig größeren unteren Zone waren dargestellt – ebenfalls von links nach rechts – die Segnung der Nachkommen Noahs, darunter die Sintflut, der Aufstieg der Seelen, darunter das Martyrium des Heiligen Lorenzo und abschließend die Auferstehung der Toten. In der Mittelachse ergibt sich mit der dortigen Anordnung von thronendem Christus, Erschaffung Evas und Aufstieg der Seelen eine lineare Verbindung zwischen Anfang und Ende, zwischen Schöpfung und Weltgericht. Auf den Seitenwänden hingegen sind die Sintflut mit der Segnung der Nachkommen Noahs und die Auferstehung der Toten gegenübergestellt, also erneut Verweise auf Anfang und Ende und zudem eine auffällige Ähnlichkeit zu Tintorettos Jüngstem Gericht, in dem das Flutgeschehen und die Auferstehung der Toten ebenfalls bedeutsame Elemente sind.15 Auch die Datierung der Gemälde der Madonna dell'Orto16 spricht nicht unbedingt gegen die These, so ist davon auszugehen, dass trotz der Absicht der Geheimhaltung der Inhalt von Pontormos Fresken verschiedenen Leuten bekannt war, darunter Anton Francesco Doni, der 1548 von Florenz nach Venedig übersiedelte und den Kontakt in seine Heimatstadt aufrecht erhalten konnte, wie verschiedene Briefwechsel belegen.17
Aufgrund der lückenhaften Überlieferung des Bildprogramms kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, inwiefern Pontormos Fresken ein ikonografisches Vorbild für Tintoretto hätten sein können. So ist etwa unklar, inwiefern in Florenz tatsächlich Wasser dargestellt war, denn die erhaltenen Zeichnungen zeigen nur Körperstudien und auch die Beschreibungen geben diesbezüglich keinerlei Hinweise.18 Formale Ähnlichkeiten zwischen den Darstellungen, die aufgrund der erhaltenen Zeichnungen ausgemacht werden können, sind am ehesten auf das gemeinsame Vorbild Michelangelo zurückzuführen. Dennoch entsprechen sich die Christusfiguren Pontormos und Tintorettos, während sie zu jener Michelangelos weniger Ähnlichkeiten aufweisen. Sowohl Pontormo als auch Tintoretto zeigen einen eher schmächtigen Körper, der auf die ausladende Gestik des muskulösen Richters wie er in der Sixtinischen Kapelle dargestellt ist, verzichtet. Sicherlich war Pontormo nicht das einflussreichste Vorbild für Tintoretto, der sich, wie erwähnt, insbesondere hinsichtlich des Gerichtsbilds stark an Michelangelo orientierte. Dennoch sind die Ähnlichkeiten in der zuweilen doch eher ungewöhnlichen Zusammenstellung der Bildthemen auffällig und sollten nicht unerwähnt bleiben.
Neben der Assoziation mit der Sintflut hat insbesondere in Tintorettos Gerichtsbild das Meer zudem den Charakter eines Strafinstruments. Zugleich demonstriert dies einmal mehr Gottes Macht über das für den Menschen unbeherrschbare Element, wie auch die biblischen Erzählungen vom Zug der Israeliten durch das Rote Meer oder der Flucht des Propheten Jona verdeutlichen.
Das Wasser, besonders das fließende, ist aber auch ein Zeichen von Vergänglichkeit, so wie es auch in Psalm 58,8 heißt: "Sie sollen vergehen wie verrinnendes Wasser." Das Bild des Jüngsten Gerichts selbst hatte ebenfalls diese Funktion, weshalb es oftmals an den Westwänden der Kirchen und Kapellen zu finden war. Beim Verlassen der Kirche sollte die Bedrohung des Gerichts die Gläubigen zum guten Lebenswandel anhalten.19 Indem er es mit einer Strömung versah, hat Tintoretto seinem Wasser also womöglich eine weitere Bedeutung hinzugefügt. Die Flut verstärkt den Gedanken des memento mori. Das Wasser lässt sich als ein Verweis auf das Ende sehen, selbst wenn es hier nicht als das beendende Element auftritt und in der biblischen Erzählung vom Ende der Welt ebenfalls nicht als solches in Erscheinung tritt.
Zuweilen wurde das Wasser Tintorettos als Fluss gedeutet,20 hat doch auch Michelangelo – wie zuvor auch schon Signorelli – den Fährmann Charon am Fluss Acheron, der endgültigen Grenze zwischen Diesseits und Jenseits, dargestellt. Dante beschrieb die Vorgänge am Acheron in der Göttlichen Komödie. Gleich zu Beginn seiner Reise durch die Unterwelt, das Inferno, besteigt er mit seinem Führer Vergil das Boot des Charon. Vergil ist bereits erfahren in diesen Dingen, er hat, wie in der Aeneis zu lesen ist, die Hölle schon einmal durchquert. Charon ist also mit dem Acheron eng verbunden, und doch übernimmt Tintoretto nur den Fährmann von Michelangelo, nicht den Fluss, was bei einer genaueren Betrachtung des Wassers deutlich wird. So ist die Wasserfläche vor allem im Hintergrund zu weitläufig, eine klar umrissene Uferzone ist nicht erkennbar. Nur die Anwesenheit des Fährbootes und die klare Bewegungsrichtung des Wassers sprechen für einen Fluss, doch entsteht die Strömung allein durch den Überfluss über die Schwelle.
Eine Grenzfunktion, wie sie Flüssen im Allgemeinen, insbesondere aber den Unterweltflüssen zukommt, ist hier ebenfalls nicht gegeben. Zwar sieht auch Michelangelos Unterweltfluss kaum wie ein solcher aus, wird aber vor allem durch seine klare Positionierung zwischen Erde und Hölle und dann auch durch die motivische Verbindung mit Charon als solcher erkennbar. Sein rechtes Ufer ist die Erde, während sich links die Gestade der Hölle befinden, wo die Fähre bereits angelegt hat und die gefallenen Seelen in die Unterwelt getrieben werden. Minos ist in der Sixtinischen Kapelle ebenfalls anwesend, und selbst wenn er sich nicht an dem ihm eigentlich zugeteilten Ort befindet,21 so wird durch seine Positionierung an dieser Stelle eine Kurzformel für die gesamte Unterwelt generiert.22 Dies legt den Schluss nahe, dass es sich bei dem Wasser tatsächlich um den Grenzfluss zwischen irdischer Welt und Inferno und nicht etwa um eine Flut handelt. Auch wenn das Wasser im venezianischen Bild eine andere Dimension bekommt, nutzt Tintoretto ebenso wie Michelangelo den Fährmann Charon und seinen Kahn als eine Landmarke, als einen Verweis auf die Existenz der Hölle und ihrer Strafen.
Die Grausamkeiten der Unterwelt selbst werden durch die Schergen des Charon angedeutet, aber nicht wie in früheren Darstellungen und in der Göttlichen Komödie im Detail geschildert. Am Beispiel der Hölle wird der Wandel deutlich, der sich in der Ikonografie des Weltgerichts vollzogen hat. Waren frühere postbyzantinische Darstellungen noch der schematischen Ordnung des Endes verpflichtet, folgten also einem klar strukturierten, ausgeglichenen Aufbau von Gericht, Auferstehung, Jenseits, so ist der Umgang mit den einzelnen Stationen des Gerichts nun freier. Die hierarchische Einteilung bleibt erhalten, doch können einzelne Bereiche verkürzt oder detaillierter dargestellt werden, ohne dass das Verständnis verloren geht. So wurde nach dem Erfolg der Göttlichen Komödie Charons Fähre zu einem Symbol der Unterwelt. Sie konnte an die Stelle des Feuerflusses und der brennenden Höllenzone treten, die Topografie der Strafen musste nicht mehr vollständig aufgezeigt werden. Nun wird Charon unten rechts positioniert, an eben jener Stelle, an der in älteren Gerichtsbildern die Hölle mit ihren vielfältigen Qualen präsentiert wurde.
Auch im Gerichtsbild von Madonna dell'Orto ist der Ort so weit wie möglich von Christus entfernt, jedoch nicht mehr durch einen Feuerstrom mit dem Weltenrichter verbunden, wie es noch Giotto in Padua gezeigt hat. Doch scheint Tintoretto den Feuerfluss in gewisser Hinsicht wieder aufzugreifen. So ist etwa die Strömungsrichtung der Flut entsprechend ausgerichtet: Der Katarakt befindet sich mittig im Bild und schneidet die durch Christus markierte Mittelachse horizontal. Da die Schwelle nicht parallel zur Ebene des Betrachters verläuft, sondern in die Bildtiefe fluchtet, fließt das Wasser dem rechten Bildrand entgegen, umspült Charons Nachen und erreicht die untere rechte Bildecke und somit den Ort, der im Gerichtsbild der Hölle vorbehalten ist. Susanne Richter identifiziert Tintorettos Wasser zwar als Fluss, erkennt den Feuerfluss aber in dem vom Weltenrichter ausgehenden Licht wieder: "An die Stelle des todbringenden Stromes setzt Tintoretto dagegen göttliche Lichtstrahlen, die aus Christi Wolkenthron hervorkommen und sich über die Seligen bis in die Wasserzone ergießen."23 Vor allem durchdringt das göttliche Licht jedoch die himmlische Sphäre und lässt sich daher kaum als Verbindungselement zwischen Himmel und Unterwelt sehen. Vielmehr trägt es zur Unterscheidung der einzelnen Zonen bei, da die obere Bildhälfte noch hell erleuchtet ist, während die Intensität des Lichts in den unteren Bereichen immer mehr abnimmt. Die Umgebung der Charonsbarke und vor allem die Barke selbst erscheinen schließlich am dunkelsten. Das Licht wird als Mittel zur Hierarchisierung der einzelnen Abschnitte eingesetzt, eine Vorstellung, die sich in ihrer populärsten Form bei Dante wiederfinden lässt, aber ebenfalls auf älteren Vorstellungen der mittelalterlichen Mystik und der aristotelischen Unterscheidung der drei Arten des Feuers fußt.24
Die Topografie des Paradieses ergibt sich in der Göttlichen Komödie aus einzelnen konzentrischen Sphären, die hierarchisch aufeinander folgen. Die oberste Sphäre ist der Sitz Gottes, von dem aus das Licht auf den Kosmos strahlt und umso schwächer wird, je tiefer die einzelnen Ringe liegen. "Dies hat zur Folge, daß die einzelnen Sphären von unten nach oben, d.h. mit zunehmender Nähe zum Schöpfer, heller und vollkommener werden."25 Tintoretto wendet dieses Ordnungsprinzip auf seine himmlische Sphäre an. Die Lichtstrahlen lassen sich darüber hinaus als Fortführung des Flutgeschehens sehen, wie Anna Pallucchini bemerkt: "I raggi luminosi che partono dal Christo […] hanno dato l'impressione di una pioggia, quindi di contaminazione tra i temi del Giudizio e del Diluvio."26 Der Gedanke an die Sintflut wird von Tintoretto also nicht allein über das Flutmotiv evoziert. Die Lichtstrahlen, die im Wasser treibenden Menschen, die entblätterten Bäume als möglicher Verweis auf den Gedanken der natura lapsa – all diese Elemente ergänzen das Flutgeschehen.
Von der Fortuna der Händler zur Seefahrt des Lebens
Zu diesen suggestiven Motiven zählt, zum anderen, auch das zweite Boot (Abb. 3). Es befindet sich inmitten des die Schwelle übertretenden Stroms und liegt tief im Wasser. Wie die Flut selbst ist es kein kanonisches Motiv des Gerichts; eine Deutung als Rettungsboot erscheint aufgrund der Szenerie am nächstliegenden und auch das direkte Umfeld spricht dafür: Dem reißenden Strom ausgelieferte Körper, Menschen, die nach Ästen greifen und sie doch nicht erreichen, die Halt suchen und nicht finden. Ein Boot als Staffage, zur Verstärkung des dramatischen Geschehens, in dem sich verschiedene Menschen zur Rettung vor den Fluten zusammengefunden haben, sich gemeinsam um ein Entkommen bemühen? In dieses Bild passt jedoch nicht die aus der Gruppe hervorstechende weibliche Figur.
3 Jacopo Tintoretto, Das Jüngste Gericht, Detail, ca. 1556-1561, Öl auf Leinwand, 14,5 x 5,9 m. Madonna dell'Orto, Venedig (nach: Lino Moretti, Antonio Niero und Paola Rossi, La chiesa del Tintoretto. Madonna dell'Orto. IV Centinario della Morte di Tintoretto, Venedig 1994, Abb. 57)
Als einzige steht sie aufrecht im Boot, hält mit beiden Händen die Riemenstange, die parallel zu ihr aufragt und in dieser Position fast wie ein Mastbaum wirkt, tatsächlich aber wie das Ruder einer Gondel der Steuerung dient. Sie ist mit dünnem Tuch bekleidet, ihr Kopf ist leicht nach rechts geneigt und ihre Haare wehen ebenso wie ihr Gewand im Wind. Der rechte Fuß ist nach hinten versetzt, sie steht auf ihrem linken Bein. Der Stand ist dennoch fest und vom Wechselspiel der Wellen nicht gefährdet. Sie hält sich nicht am Ruder fest, sondern hat es kontrolliert in eine Position gebracht, die der schwierigen Situation angemessen ist. Durch ihre Körperhaltung, ihre Ausrichtung und ihr Haar erinnert sie an eine Figur, die sonst nicht mit dem Jüngsten Gericht in Verbindung gebracht wird: Fortuna, die Göttin des wechselhaften Glücks. Selbstredend ist es nicht jene klassische Fortuna, die in Tintorettos Bild den Strom hinabfährt, doch erscheint es mir sinnvoll, dieser Ähnlichkeit der Gestalten nachzugehen, denn wie sich bei einer Betrachtung der Bild- und Bedeutungsgeschichte der Fortuna und ihrer Transformationen zeigt, sind auch über das Optische hinausgehende Verbindungen vorhanden.
Schon in der Antike wurde Fortuna als Schicksals- und Glücksgöttin verehrt, in der antiken römischen Literatur wird sie als "Personifikation des veränderlichen, unberechenbaren und tückischen Glücks"27 beschrieben, mit ihren Attributen Rad, Kugel und Füllhorn ist sie noch in der spätantiken Kunst zu finden, als Fortuna-Tyche liegt ihre Hand auf einem Ruder. Im Mittelalter deuteten Theologen "die unabhängige und souverän waltende Schicksalsgöttin Fortuna zu einem Effekt zweiter Ordnung im Dienst Gottes" um, "so daß auch ihr teuflisch-dämonisches Wesen keinerlei Wirkung auf einen vernünftigen und gläubigen Christen mehr hatte".28 Ihre ursprünglichen Eigenschaften lebten jedoch in Dichtung und Volksglauben fort, "sie wird weiter verantwortlich gemacht für Glück und Unglück in Liebe und Krieg, für Seefahrer und Kaufleute bleibt sie weiter Herrin des Meeres und der Stürme, durch Einfluss der Sterne wirkt sie weiter auf das menschliche Schicksal ein und verteilt günstige und ungünstige Lose".29 War Fortuna im Mittelalter also noch Teil der göttlichen Providentia, wurde sie in der Renaissance wieder zu einer eigenständigen Autorität. Während Kugel, Ruder und auch die des Öfteren gezeigten Flügel im Mittelalter vorübergehend verschwinden und erst mit der Renaissance wiederkehren, bleibt das Rad zunächst Fortunas wichtigste Beigabe. Es weist auf das Unbeständige des Lebens hin, Auf und Ab befinden sich in einem steten Wechsel. Selbst wenn sich im Laufe der Zeit die Bedeutung und die Darstellung des Rades leicht verändern, so bleibt es doch im Mittelalter das bedeutsamste Attribut der Fortuna, die zuweilen auch blind oder mit zwei Gesichtern gezeigt wird.30
Das Bild der Fortuna wandelt sich im Humanismus und die eben genannten Charakteristika der antiken Schicksalsgöttin gewinnen wieder an Einfluss. Es ändern sich Ikonografie und Attribute, auch die Beziehung zwischen Mensch und Fortuna verändert sich. Fortuna ist nun die Personifikation des Zufalls und der günstigen Gelegenheit. Der Mensch kann sie abwehren, wobei die virtus, die Tugendhaftigkeit, das dafür beste Mittel ist.31 So entstehen eigenständige neue Charaktere, die zur genaueren Zuordnung zuweilen mit einem Doppelnamen versehen werden. Als Beispiele seien hier die Fortuna-Occasio, die Fortuna-Maris oder die vor allem durch Dürers Kupferstich populär gewordene Fortuna-Nemesis genannt. Ähnlichkeiten oder Vermischungen zwischen den einzelnen Fortuna-Charakteren sind dabei nicht ungewöhnlich. Die ikonografischen Regeln brechen auf, die Darstellung der Fortuna wird an die gewünschte Intention, das angedachte Wirkungsfeld angepasst. Dies jedoch nur so weit, als dass Fortuna noch immer als solche erkennbar ist. Vor diesem Hintergrund wurde es schließlich möglich, auch eine männliche Figur als Fortuna darzustellen, wie Das Glücksschiff des Bernardo Rucellai zeigt (Abb. 4).
4 Baccio Baldini, Das Glücksschiff des Bernardo Rucellai, 1466, Kupferstich (nach: Ehrengard Meyer-Landrut, Fortuna. Die Göttin des Glücks im Wandel der Zeiten, Berlin 1997, Abb. 41)
Der Kupferstich von 1466 ist eine Abwandlung des Wappenreliefs der Rucellai (1461, Abb. 5), einer bekannten Florentiner Kaufmannsfamilie.32 Auf dem Wappen ist die Fortuna als Mastbaum eines Schiffes dargestellt, der Stich hingegen zeigt Bernardo Rucellai an eben dieser Stelle. Er nimmt die Haltung der Fortuna ein, in der Hand das sich wölbende Segel. Aus Anlass der Vermählung des Sohnes Bernardo mit einer Medici wird das Glück der Familie dargestellt, die ihr Schicksal eng mit der Fortuna verknüpft sieht. Dem Bild beigegeben ist das Motto "Io mi lascio portare alla Fortuna, sperando alfin daver buona ventura". In der Renaissance wird Fortuna oftmals in der Verbindung mit Occasio dargestellt, so auch auf dem Wappen der Rucellai, denn diese verstanden es, das Glück beim Schopfe, also Fortuna-Occasio bei ihrer Stirnlocke, zu packen.33 Dieser Aspekt wird jedoch im Glücksschiff nicht übernommen, vielmehr geht es um den der Fortuna begegnenden Menschen. Zum einen ist noch immer virtus angemessen, um etwaigen Schicksalsschlägen entgegenzutreten,34 zum anderen ist aber jeder Mensch für sein Glück verantwortlich, wie dieses frühe Beispiel illustriert. Bernardo Rucellai wird im Bild zur Fortuna, weil er "seine eigene Fortuna" ist.35 Hier zeigt sich die neue Kombination der Fortuna mit dem Seehandel. Im Lateinischen entsprach die Bedeutung der Fortuna unter anderem dem unverhofft aufkommenden, Gefahren mit sich bringenden Sturmwind. Hierin findet sich ein Charakterzug der Tyche wieder, die bereits in der Antike das Ruder hielt. Fortuna ist demnach die Herrin des Meeres, die im Glücksschiff als den Rucellai positiv gesonnener Sturmwind dafür sorgt, dass die Rucellai ihre Schiffe sicher über die oftmals stürmische See steuern konnten. Die Händler wussten die günstige Gelegenheit zu nutzen, sie hielten das Segel in der Hand. Ihnen war bewusst, dass Schicksal und Sturm miteinander verwoben sind, sowohl Gefahr als auch Reichtum bringen können.36
5 Bernardo Rossellini, Wappenrelief der Rucellai, um 1460. Palazzo Rucellai, Florenz (nach: Klaus Reichert, Fortuna oder die Beständigkeit des Wechsels, Frankfurt am Main 1986, Abb. 5)
Es ist anzunehmen, dass die Impresa der Rucellai und vielleicht auch Baccio Baldinis Glücksschiff in Venedig und auch den Mitgliedern der Scuola di San Cristoforo bekannt gewesen sind. Die 1377 gegründete Scuola, in der venezianische Händler unter dem Patronat des Heiligen Christophorus zusammengeschlossen waren und die daher auch Scuola dei Mercanti genannt wurde, hatte ihren Sitz direkt neben der Kirche Madonna dell'Orto und war zudem eng mit dem dort residierenden Orden der Umiliati verbunden.37 Auch als später eine Kongregation von San Giorgio in Alga die Umiliati im Kloster ablöste, blieb der Bund bestehen. Am bedeutsamsten für die Zukunft der Kirche38 zeigte sich die Unterstützung der Scuola 1377 beim Erwerb der Statue der Madonna dell'Orto. Von dieser wurde angenommen, dass sie wundertätig sei, womit sich das Geld der Scuola als hervorragend investiert erwies. Bald wurde die Kirche im Volksmund Madonna dell'Orto genannt, 1414 erhielt sie offiziell den Namen San Cristoforo e Madonna dell'Orto. Die Mehreinnahmen, die sich durch die bekannte Statue ergaben, sollten laut Vereinbarung zwischen Scuola und Orden in die Kirche, die Kapelle der Madonna oder in die Wollproduktion der Mönche investiert werden. Über Ausgaben entschieden beide Parteien gemeinsam: Das Geld wurde in einer Schatulle aufbewahrt, die nur mit zwei Schlüsseln geöffnet werden konnte. Einen besaß die Scuola, den anderen die Mönche.39 1420 bekam die Scuola das Recht zugesprochen, ihren Namen offiziell in Scuola di Santa Maria dell'Orto e di San Cristoforo zu ändern. Hierbei hatte sie sich gegen eine andere Scuola durchgesetzt, die ebenfalls in der Nähe der Kirche lag und den Namen für sich beanspruchte. Offensichtlich legte die Scuola sehr viel Wert darauf, dass sie als der Kirche zugehörig wahrgenommen wurde – oder vielmehr, dass die Kirche ihr zugehörig war, schließlich hatte die Scuola 150 Golddukaten für die prestigeträchtige Statue gezahlt, die nun in der Kirche stand.
Über die Vergabe des Auftrags zur Anfertigung der Chorbilder von Madonna dell'Orto ist nichts bekannt, doch ist aufgrund der eben geschilderten Umstände davon auszugehen, dass Scuola und Konvent auch hier eine gemeinsame Entscheidung getroffen haben – sowohl was den zu beauftragenden Künstler betrifft, als auch die darzustellenden Themen. Der Handel, insbesondere der Seehandel, war für die Scuola von enormer Bedeutung und in ganz Venedig Teil des täglichen Lebens. So kann die Schifffahrt und ebenso das immerwährende Risiko des Schiffbruchs als eine Metapher für das Leben der Händler von San Cristoforo gelten. Es wäre demnach nicht verwunderlich, in einer dem Patron der Händler und Seefahrer geweihten und mit diesem eng verbundenen venezianischen Kirche eine Darstellung des Jüngsten Gerichts zu finden, welche sich dieser Allegorie bedient. Schließlich kann nichts "so wie die Schifffahrt den Selbsterhaltungskampf und die Ausgegrenztheit des Menschen in endlosen Weiten, die Erfahrung der schauderlichen Tiefe, den Schmerz der Trennung und das Glück der Rettung, das triumphale Können des großen Menschen und sein Scheitern sinnlich erfahrbar machen".40
Doch tatsächlich ist Tintorettos Darstellung einen Schritt zu weit vom Wappen der Rucellai entfernt, als dass ihre Bedeutung an diesem Punkt bereits vollständig erfasst und eine Gleichsetzung der Bedeutungen möglich wäre. Auch verändert sich die Figur der Fortuna kontinuierlich in den einhundert Jahren, die zwischen der Impresa der Rucellai und Tintorettos Jüngstem Gericht liegen. So ist die Fortuna-Maris eine neue Variante der Fortuna, in der eben auch der Gedanke der Fortuna-Rucellai zum Tragen kommt.41 Die Doppeldeutigkeit der Fortuna als Sturmwind und glückliche Gelegenheit ist hier ebenso von Bedeutung wie der unsichere Stand des Glücks, die Wankelmütigkeit des Schicksals. Fortuna-Maris trägt ein Segel oder ein im Wind gewölbtes Tuch, ihre Haare flattern, vereinzelt wird sie von einer Stirnlocke geziert. Sie balanciert auf einer im Wasser liegenden Kugel und hat zuweilen einen Fuß, für gewöhnlich den linken, auf einem Schiffswrack abgestellt.42 Die Ungewissheit und Unverlässlichkeit der Fortuna zeigt sich hier genauso wie die Macht, die sie über das Leben der Menschen hat. So kann die Kugel nicht nur unvorhersehbare Wendungen symbolisieren, sondern auch als irdische Welt gedeutet werden, die von der auf ihr stehenden Fortuna beherrscht wird.43 Fortuna als Symbol der geglückten Seefahrt über das schon immer als bedrohlich empfundene Meer wandelte sich unter diesen Voraussetzungen zu einem Sinnbild, das auf alle Lebenslagen bezogen werden konnte.44 Das Leben wurde zur Reise über das Meer, dem "Element des Aufstiegs und des Vergehens".45 Macchiavelli verglich die Fortuna in seinem Manifest Il Principe (1513/1532) mit einem reißenden Strom, der alles zerstört, ohne dass ihm Widerstand geleistet werden könnte. Der Mensch könne jedoch frühzeitig Vorsorge treffen, indem er Deiche und Dämme baut, die den Fluten Einhalt gebieten.46
Einen ähnlichen Gedanken greift die Joachim Forster zugeschriebene Darstellung auf einer Bronzeplakette aus dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts auf, die als Allegorie der irdischen Pilgerschaft oder Sinnbild des Lebens bezeichnet wird (Abb. 6). Die hier gezeigte Frau trägt zwar keine Attribute der Fortuna, ist in ihrem Aussehen aber dennoch an sie angelehnt. Auch ist eine Ähnlichkeit zur Steuerfrau in Tintorettos Jüngstem Gericht vorhanden. Die auf einem Schiff stehende und ein Ruder haltende Figur ist nur mit einem im Wind wehenden Tuch bedeckt und auch das flatternde Haar und Segel werden dargestellt, auch wenn das Segel dabei nicht die für Fortuna charakteristische Wölbung annimmt. Die Haare der Frau sind offen, eine Locke, wie sie die Fortuna-Occasio tragen würde, ist allerdings nicht erkennbar. Auch die Körperhaltung, insbesondere die charakteristische Beinstellung der Fortuna wird hier aufgegriffen, wenn auch nicht in so graziler Form wie üblich. Die Inschriften auf Schiff, Schild und Kasten – Caro, Fides und Gracia Dei – sind unüblich für die Fortuna. Hier hat sich also erneut eine Wandlung vollzogen. Von der Fortuna abgeleitet entstand ein ihr in Aussehen und Bedeutung nahes Sinnbild, das die Aspekte der mittelalterlichen Providentia mit der humanistischen Ikonografie der Fortuna-Maris verknüpft. Ihre Bedeutung ist aus dem Fortuna-Verständnis der Renaissance abzuleiten: Die allegorische Darstellung des Lebens ergibt sich aus dem Zusammenwirken von Gottvertrauen und der eigenständigen Macht Fortunas, der jedoch entgegengewirkt werden kann, indem man ihr – und somit dem Leben – mit virtus begegnet. Das Leben ist eine Schiffsreise, die glücklich überstanden werden kann, solange man sich auf die Gnade Gottes und den Glauben verlässt. Die occasio ist hinfällig, denn das hier gezeigte Leben ist keine Abfolge von Gelegenheiten, sondern baut auf Tugend und Gott. Sich entsprechend zu verhalten, obliegt allerdings jedem einzelnen selbst, so dass auch hier die Deutung des Menschen als Steuermann seines eigenen Schiffes greift. Während also in der Antike das Schicksal in Gestalt der Tyche das Ruder hielt, ist es nun die der christlichen Moral unterstellte Fortuna-Providentia der Renaissance.
6 Joachim Forster (zugeschr.), Sinnbild des Lebens, ca. 1525-1550, Bronzeplakette. Kunsthistorisches Museum, Wien (nach: Ingrid Weber, Deutsche, niederländische und französische Renaissanceplaketten. 1500-1560. Modelle für Reliefs an Kult-, Prunk- und Gebrauchsgegenständen, München 1975, Abb. 129)
Dass Forsters Darstellung und Deutung der Fortuna kein Einzelfall ist und vergleichbare Motive auch in Italien nicht unbekannt waren, zeigt Le imprese illustri, ein Emblembuch Girolamo Ruscellis, das erstmals 1566 in Venedig gedruckt wurde. Fortuna war in der Emblematik eine bedeutende Figur, die oft und in verschiedenen Zusammenhängen dargestellt wurde.47 Ruscelli beschreibt Fortuna als eine nackte Frau, die – in ihrer immerwährenden Unbeständigkeit – mit einem Fuß auf einer Kugel steht. Das Segel trägt sie in der Hand, was darauf hinweist, dass sie immer und überall das Schiff des Lebens steuert.48 Auch wenn Ruscelli hier eher eine typisierte Darstellung aufgreift, wird deutlich, dass das Bild der Fortuna auf einem Schiff oder zumindest mit einem Segel in der Hand als ein Sinnbild des Lebens und seiner Unbeständigkeit aufgefasst wurde und dass dieses Bild von universeller Natur war. Es war lange Zeit bekannt und auch noch aktuell, als Tintoretto die Chorbilder der Madonna dell'Orto malte.
Allegorie des Lebens und die Macht der Tugend im Tod
Dass es sich meines Erachtens bei Tintorettos Frauenfigur nicht um die klassische Fortuna handelt, sondern sie sich vielmehr als ein eng mit dem venezianischen Umfeld verwobenes Sinnbild des Lebens verstehen lässt, habe ich bereits versucht deutlich zu machen. Durch das Heranziehen weiterer Motive lässt sich diese Charakterisierung noch stützen und erweitern. So ergibt sich eine andere, nicht auf die Scuola dei Mercanti beschränkte Verbindung zur Stadt selbst aus der Ähnlichkeit zur Personifikation der Venezia. Die Darstellung der Stadtpatronin setzt sich aus verschiedenen Charakteristika tugendhafter Frauen zusammen: der Justitia, Venus, Dea Roma und der Jungfrau Maria.49 Wie Venus wurde auch Venedig aus dem Meer geboren, und dieser zunächst metaphorische, suggestive und poetische Topos wurde später zum Standard, als Venedig selbst ein literarisches Thema wurde.50 Entsprechend erwuchs aus der Identifikation der Stadt mit der Tugend der Gerechtigkeit bald ein Selbstbild, dem die an Justitia und Venus angelehnte Personifikation folgte.51 Doch lässt sich auch schon früh ein Beispiel für die Verbindung mit Fortuna finden.
1393 wurde in Anlehnung an antike Vorbilder von Marco Sesto eine Medaille gefertigt, deren Vorderseite Kaiser Galba abbildet (Abb. 7). Die Rückseite hingegen zeigt eine weibliche, auf dem Rad der Fortuna stehende Figur mit dem Banner des Heiligen Markus, dem Schutzheiligen Venedigs. Auch die Inschrift PAX TIBI VENETIA verweist auf die enge Verbindung zwischen Markus und Venedig. Es handelt sich hierbei um eine Abwandlung der Grußworte Pax tibi Marce, die ein Engel im Traum an den Heiligen richtete, als dieser auf einer Insel der Lagune übernachtete. In jener Nacht prophezeite ihm der Engel, dass seine Gebeine einst hier ruhen würden. In der Darstellung der verso-Seite der Münze findet vermutlich erstmals eine Verschmelzung verschiedener Traditionen zu einer Personifikation Venedigs statt.52 Etwa 154453 wurde eine weitere Medaille geprägt, die für eben jene Ikonografie der Venezia von Bedeutung ist, die wohl eher im privaten als im staatlichen Kontext Anwendung fand (Abb. 8).54
7 Marco Sesto, Medaille des Kaisers Galba, 1393. Museo Nazionale del Bargello, Florenz (nach: David Rosand, "Venetia Figurata. The Iconography of a Myth", in: Interpretazioni Veneziane. Studi di storia dell'arte in onore di Michelangelo Muraro, hg. David Rosand, Venedig 1984, 177-196, Abb. 9)
8 Maffeo Olivieri, Medaille des Sebastiano Renier, 1544. Bibliothèque National, Paris (nach: David Rosand, Myths of Venice. The Figuration of a State, Chapel Hill 2001, Abb. 80, Foto: Bibliothèque nationale, Paris)
Das Portrait auf der Vorderseite zeigt Sebastiano Renier mit Namensinschrift und Jahreszahl. Auf der Rückseite ist die auf dem Meer stehende, mit der Unterschrift VENET. namentlich benannte Venezia zu sehen. In dieser Darstellung und Inschrift – MEMORIAE ORIGINIS – wird auf den Mythos der Geburt der Stadt aus dem Meer verwiesen und damit auch Bild und Mythos der Venus evoziert. Venezia hält die Standarte des Heiligen Markus in den Händen und ähnelt dabei jener Darstellung auf der Galba-Münze. Ebenso steht sie aber Tintorettos späterer Darstellung außerordentlich nahe, denn auch sie hält die Stange oben mit ihrer linken und unten mit ihrer rechten Hand. Die Stange selbst verläuft jedoch hinter Venezias Körper, während Tintoretto die bei ihm zu einem Gondelriemen gewordene Standarte vor dem Leib der Frau platziert. Bei der Medaille handelt es sich vermutlich um eine zu persönlichen Zwecken entworfene Darstellung,55 welche die Verbundenheit Reniers mit der Stadt und somit seiner Herkunft zeigen sollte. Renier, der Zeit seines Lebens in verschiedenen Ämtern Venedig in der Fremde vertrat, beschwört bildlich und durch die Inschrift seine Heimattreue.
Der private Gebrauch erklärt, warum die Venezia-Renier nicht im Kanon der gängigen Darstellungen zu finden ist. In der Regel wird Venezia thronend als gekrönte, das Schwert der Justitia tragende Herrscherin gezeigt. Darstellungen einer nackten Venezia sind dagegen selten, wenn auch nicht völlig unbekannt.56 Ein Beispiel hierfür ist Giambattista Zelottis Gemälde Venezia zwischen Mars und Neptun, das 1553 im Rahmen der Ausmalung der Decke des Sala del Consiglio dei Dieci entstand.57 Auch hier verdeckt Venezia, wie es für Justitia üblich ist, eine ihrer Brüste mit ihrem Umhang. Dieser ist diagonal zwischen ihren Brüsten geknotet und bauscht sich hinter ihrem Rücken. Ähnlichkeiten zu Tintorettos Figur sind vorhanden, und aufgrund der Entstehungszeit ist es wahrscheinlich, dass Tintoretto das Bild kannte. Ob ihm die Münze Reniers bekannt war, ist ungewiss, doch gibt es Hinweise, die dafür sprechen. So war die Familie Renier eng mit den Kanonikern von San Giorgio in Alga verbunden. Alvise Renier war Mitglied des Ordens, sein Sohn Federico stiftete 1528 einen Familienaltar in der linken Nebenapsis der Madonna dell'Orto.58 Vor diesem Hintergrund und ob der Besonderheit der Figur auf der Münze, die eben nicht zu einem ikonografischen Topos wurde, kann angenommen werden, dass Tintoretto, der bereits andere Werke für die Kirche ausgeführt hatte, die Venezia-Renier kannte, diese als Vorbild gewählt hat und dementsprechend, vielleicht in Kombination mit der Venezia Zelottis, seine eigene Figur entwarf. So ist es für den Maler nicht ungewöhnlich, dass er aus bekannten, oftmals zeitgenössischen Kompositionen einzelne Teile übernahm, wie beispielsweise anhand von Michelangelos Jüngstem Gericht nachvollziehbar ist.59
Es zeigt sich also, dass Tintorettos Figur mit verschiedenen Motiven in Verbindung gebracht werden kann und es sich bei ihr weniger um eine traditionelle Figur handelt, als um eine singuläre Gestalt, die aus vielerlei Komponenten zusammensetzt ist. Aus der Allegorie des Lebens als Seereise, bei der die Menschen selbst die moralische Verantwortung tragen, konnte so bei Tintoretto in Anlehnung an die gerechte und starke Venezia, die den Platz der repräsentativen Frauenfigur am Steuer einnimmt, eine Allegorie des venezianischen Lebens, ein Sinnbild der venezianità werden. Durchaus ungewöhnlich ist, dass eine derartige Darstellung im Kontext des Jüngsten Gerichts zu finden ist. Eine Erklärung hierfür könnte allerdings das Selbstbild der Stadt sein, das bis über das Weltende hinaus seine Gültigkeit behält. Tintorettos Venezia wäre nach dieser Lesart die Patronin eines Bootes voller Venezianer, die sich Rettung erhoffen und von denen auch selbst einige an den Rudern arbeiten, um auf Kurs zu bleiben und nicht von der Strömung mitgerissen zu werden. Diese Szene entspricht dem Selbstverständnis Venedigs als Stadt der Nächstenliebe. Hier sollte ein soziales Miteinander herrschen, damit die Stadt ihre Stärke und Macht erhalten kann. Nicht nur kirchliche, auch staatliche Institutionen waren mit karitativen Aufgaben betraut. Bestes Beispiel hierfür sind die Scuole, die einen der bedeutendsten Grundpfeiler des städtischen Lebens bildeten. Sie hatten neben ihren karitativen Aufgaben wie etwa Armen- oder Witwenfürsorge auch religiöse Verpflichtungen zu erfüllen, unterstanden aber dem Consiglio dei Dieci, also dem Staat, und so konnte ihr Wirken ein Teil des politischen Venedig werden.
Noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts war das soziale Miteinander ein Thema von politischer Brisanz. So wurden 1545 neue umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut und zur Eindämmung der Bettlerei beschlossen. Diese Bestimmungen wurden mit Hilfe der Pfarrgemeinden umgesetzt, deren Vertreter die Gemeindemitglieder besuchten, um an ihre Nächstenliebe zu appellieren, um sie zu gemahnen, dass der Erfolg der sozialen Maßnahmen von allen abhänge.60 Das Thema wird auch an einer anderen, sehr prominenten Stelle im Jüngsten Gericht aufgegriffen. Nahe bei Christus – so nah, wie ihm sonst nur Maria und Johannes der Täufer sind – befindet sich die Personifikation der Caritas (Abb. 9). Aus dieser vielversprechenden Position heraus tritt sie als Fürsprecherin der Bürger Venedigs ein und macht somit im Bild deutlich, dass die christliche Nächstenliebe die wichtigste der venezianischen Tugenden ist, die "venezianische Tugend schlechthin".61 So ist es also nicht der Heilige Markus, dem die Aufgabe zufällt, sich beim Jüngsten Gericht für die Bürger seiner Stadt zu empfehlen, und auch der Schutzheilige der Kirche, San Cristoforo, wird nicht herangezogen. Am Ende verlassen sich die Venezianer nicht auf heilige Beschützer, sondern auf das, was sie selbst zu leisten vermögen, auf jene Mythen, die von ihnen selbst begründet worden sind.
9 Jacopo Tintoretto, Das Jüngste Gericht, Detail, ca. 1556-1561, Öl auf Leinwand, 14,5 x 5,9 m. Madonna dell'Orto, Venedig (nach: Lino Moretti, Antonio Niero und Paola Rossi, La chiesa del Tintoretto. Madonna dell'Orto. IV Centinario della Morte di Tintoretto, Venedig 1994, Abb. 56)
Wenn also die aus dem Wasser Erretteten, dessen Strömung sie unweigerlich in die Hände Charons und somit in die Hölle getragen hätte, gemeinsam rudern, tun sie dies sowohl für die Gemeinschaft, als auch für die Errettung ihrer eigenen Seele. Das Ruderboot auf den Fluten des Jüngsten Tages könnte als eine Mahnung zur Buße gelesen werden, durch die eine Abwendung des Schlimmsten, der ewige Aufenthalt in der Hölle, möglich ist.
Ein venezianisches Endgericht
Bei Tintorettos Steuerfrau handelt es sich nach der von mir vorgeschlagenen Lesart um das Ergebnis eines mehrstufigen Transformationsprozesses, dem Fortuna in Inhalt und Bild unterworfen war. Vertrauten die Rucellai auf die ihnen wohlgesonnene Fortuna und verstanden es, das Glück beim Schopfe zu packen und doch zumindest das Segel in den eigenen Händen zu halten, so wird bei Tintoretto die Verantwortung des Menschen selbst betont. Venezia, die aus dem Selbstbild der Gemeinschaft entstandene Patronin, hält nicht mehr das Segel, sondern das Ruder in der Hand. Die Fortuna ist in der Figur selbst erkennbar, doch ist der unstete, das Segel blähende Sturmwind hier nicht mehr von Bedeutung. Es ist die Tugend jedes einzelnen, die sich in der Personifikation der Venezia wieder findet, und somit obliegt es auch jedem einzelnen, durch tugendhaftes Verhalten positiven Einfluss auf die Fahrt zu nehmen. Dies ist im Interesse aller Bootsinsassen, was der schon von Aristoteles formulierten Vorstellung von der Organisation eines Staates entspricht: Die Steuerfrau sorgt für die sichere Fahrt des Schiffes, doch gilt auf dem Schiff und im Staat das Prinzip der Arbeitsteilung mit einem gemeinsamen Ziel, nämlich "den Seeleuten die Erhaltung des Schiffes auf der Fahrt, den Bürgern die Erhaltung der Gemeinschaft. Zwar nennt Aristoteles die unterschiedlichen Aufgaben des Ruderers, Steuermanns und Vordersteuermanns, aber er bewertet diese Funktionen nicht, denn wichtig ist allein der jeweilige, spezifische Beitrag zur Erreichung des gemeinsamen Ziels."62
Problematisch bleibt allerdings, dass die Allegorie des venezianischen Lebens das Boot auf den rot glühenden rechten Bildrand zuzusteuern scheint, wodurch sich der wohl größte Konflikt mit meiner Lesart des Motivs ergibt. Sein tatsächliches Ziel ist nicht auszumachen, so dass eine endgültige Deutung der von Tintoretto entworfenen Szenerie hier offen bleiben muss.
Schlussendlich ist aber, wie ich versucht habe nachzuzeichnen, die sich auf Venedig beziehende Motivik schwer von der Hand zu weisen. Welche möglichen tieferen Bedeutungen ihr innewohnen, sollte hier zur Diskussion gestellt werden, wobei die Verweise auf die Scuola dei Mercanti wohl als die stärksten gelten können, steht doch eben diese Scuola für viele Eigenschaften der Stadt. So kann auch das Meer als ein mit der Scuola eng verbundes Territorium gelten, mit all seinen vielversprechenden Möglichkeiten und zugleich seinen gefährlichen Eigenschaften.
Auf dem Meer sind alle gleich,63 einfache Seeleute wurden ebenso sein Opfer wie adlige Herrscher oder Kirchenleute. Auch vor dem Weltgericht wird der Fischer gleichermaßen nach seinen Taten gerichtet wie der Patrizier. Mit der Angst vor dem Meer geht die Hoffnung einher, seine Gefahren überwinden zu können, worauf das Sinnbild des Lebens als Schifffahrt über das Meer basiert. Wenn also Venezia mit ihren Schützlingen über ein Meer fährt, das wie eine Sintflut anmutet, so spricht dies für die Hoffnung, diese letzte Reise auch mithilfe der Gnade Gottes64 glücklich zu überstehen und sich schließlich im Paradies wiederzufinden. Tintorettos Version des Gerichtsgeschehens ist durch das Wasser und die Allegorie des venezianischen Lebens zu einer singulären Darstellung geworden, die in ihrer Bedeutung so nur in Venedig bestehen kann. Der Begriff Weltgericht erscheint daher nur mehr bedingt zutreffend. Mit seiner Abwandlung des Weltgerichts und mit dem detaillierten Venedigbezug schuf Tintoretto ein Jüngstes Gericht, das in seiner Allgemeingültigkeit zwar auf die gesamte Menschheit anzuwenden ist, in seinen Details aber eine durch und durch venezianische Auffassung vertritt.
1 Wann genau Jacopo Tintoretto die Arbeit an den zwei großformatigen Gemälden begonnen hat, ist unbekannt. Meist werden die Jahre 1562-1563 genannt, u. a. Paola Rossi, "Jacopo Tintoretto alla Madonna dell'Orto", in: Lino Moretti, Antonio Niero und Paola Rossi, La chiesa del Tintoretto. Madonna dell'Orto. IV centenario della Morte di Tintoretto 1594-1994, Venedig 1994, 93-150, hier 105. Susanne Richter spricht sich für einen frühen Beginn im Jahr 1556 aus, da zum einen die nachweisbare Arbeitstechnik des Malers eher den Jahren vor 1560 entspreche und zum anderen Tintorettos Schwiegervater bereits 1555 die Familiengrabstätte vor dem Chorraum übertragen bekommen habe. Susanne Richter, Jacopo Tintoretto und die Kirche Madonna dell'Orto zu Venedig. Studien zur künstlerischen Rezeption von Michelangelos Jüngstem Gericht in Italien nach 1540 (Beiträge zur Kunstwissenschaft 77), München 2000, 46. Eine Datierung in die späteren 1550er Jahre bestätigt sich durch ein von Richter noch nicht berücksichtigtes Jüngstes Gericht in der Benediktinerabtei von Farfa, das in seiner Gesamtkomposition und auch in einzelnen Motiven stark an das Gerichtsbild von Madonna dell'Orto angelehnt ist. Der sogenannte Meister von Farfa, vermutlich ein Mitarbeiter der Werkstatt Tintorettos, hat sein Gemälde mittels einer Inschrift auf das Jahr 1561 datiert; es kann daher davon ausgegangen werden, dass zum Zeitpunkt, als der unbekannte Künstler mit dem Wandgemälde in Farfa begann, Tintorettos Jüngstes Gericht zumindest in seiner Komposition schon vorlag und auch die Vorzeichnungen oder Entwürfe zu vielen der Figuren schon fertig waren. Zum Gericht von Farfa siehe Roland Krischel, Jacopo Robusti, genannt Tintoretto. 1519-1594, Köln 2000, 68; Bert W. Meijer, "Flemish and Dutch Artists in Venetian Workshops. The Case of Jacopo Tintoretto", in: Renaissance Venice and the North. Crosscurrents in the Time of Dürer, Bellini and Titian, Ausst.kat., hg. Bernard Aikema und Beverly Louise Brown, London 1999, 132-143, hier 138-140.
2 Um 1555, Washington, National Gallery. Dieses Bild ist jedoch beschnitten, so dass von Mose nur die untere Körperhälfte geblieben ist.
3 Das etwa zehn Jahre später für die Sala dello Scrutino im Dogenpalast angefertigte Jüngste Gericht wurde 1577 bei einem Brand zerstört, genaue Beschreibungen sind nicht überliefert. Den Auftrag für das neue Gerichtsbild erhielt dann ebenfalls Tintoretto, der ihn jedoch ablehnte, so dass schließlich Jacopo Palma il Giovane das Folgebild malte. Inwiefern dieser sich an das zerstörte Werk hielt, ist unklar, zumindest ist aber davon auszugehen, dass Palma il Giovane das Bild Tintorettos kannte. Im Programmentwurf von 1578 wird das Jüngste Gericht Tintorettos als Vorbild genannt. Zu Erwähnungen von Tintorettos Bild siehe Rodolfo Pallucchini und Paola Rossi, Tintoretto. Le opere sacre e profane, Bd. 1, Mailand 1982, 265; zur Ausstattung des Palastes und dem Folgebild Wolfgang Wolters, Der Bilderschmuck des Dogenpalastes. Untersuchungen zur Selbstdarstellung der Republik Venedig im 16. Jahrhundert, Wiesbaden 1983, 289-290.
4 Zur den Vorbildern Tintorettos siehe Richter, Jacopo Tintoretto und die Kirche Madonna dell'Orto zu Venedig.
5 Vgl. hierzu Ruth Feldhusen, Ikonologische Studien zu Michelangelos Jüngstem Gericht (Diss. 1953), Unterlengenhardt-Bad Liebenzell 1978, 35-36.
6 Obwohl Dante, im Gegensatz zu Petrarca, nie die Dichterkrone verliehen bekam, wurde er oftmals mit dem Lorbeerkranz portraitiert.
7 Aufgrund der ungewöhnlichen Perspektive lassen sich die typischen physiognomischen Merkmale der Dante-Ikonografie bei Tintoretto nicht wiederfinden, dennoch kann gerade die Figur bei Nardo di Cione als Referenz gelten, trägt doch auch sie ein weißes Gewand und hat den Kopf in den Nacken gelegt, um den Blick auf den Weltenrichter werfen zu können. Hier ist der Dichter allerdings im Profil dargestellt, während Tintorettos Figur frontal von unten gezeigt wird. Zur Darstellung Dantes siehe Rachel Owen, "The Image of Dante, Poet and Pilgrim", in: Dante on View. The Reception of Dante in the Visual and Performing Arts, hg. Antonella Braida und Luisa Calè, Aldershot 2007, 83-94.
8 Mit dem Jüngsten Gericht beschäftigten sich bisher Hanna Hohl, Die Darstellung der Sintflut und die Gestaltung des Elementaren, Diss. Bamberg 1967, 56; Anna Pallucchini, "Considerazioni sui grandi teleri del Tintoretto della Madonna dell'Orto", in: Arte Veneta 23 (1969), 54-68; Elaine Banks, Tintorettos Religious Imagery of the 1560's, Diss. Princeton University 1978, vor allem 114-151; Karl Maria Swoboda, Tintoretto. Ikonographische und stilistische Untersuchungen, hg. Wolfgang Huber und Sieghard Pohl, Wien, München 1982, vor allem 19-24; Dagmar Knöpfel, "Sui dipinti di Tintoretto per il coro della Madonna dell'Orto", in: Arte Veneta 38 (1984), 149-154; Moretti, Niero und Rossi, La chiesa del Tintoretto; Ruggero Ruggolo, "Il simbolismo dei grandi teleri custoditi nel presbiterio della Madonna dell'Orto", in: Jacopo Tintoretto nel quarto centenario della morte. Atti del Convegno Internazionale di Studi (Venezia 24-26 novembre 1994), hg. Paola Rossi, Padua 1996, 213-233; Richter, Jacopo Tintoretto und die Kirche Madonna dell'Orto zu Venedig; Donatella Cialoni, "I due teleri del Tintoretto alla Madonna dell'Orto di Venezia", in: Arte Cristiana 90 (2002), 183-200.
9 Dorothea Forstner, Die Welt der Symbole, München 1967, 73.
10 Zum Beispiel im Jüngsten Gericht von Santa Maria Assunta, Torcello, 12. Jahrhundert.
11 Michelangelo zeigt die Auferstehung aus dem Wasser gar nicht, ebenso wenig Signorelli in seinen Fresken in Orvieto. Jan van Eyck hingegen orientiert sich in seinem Jüngsten Gericht des New Yorker Diptychons (ca. 1430) an dem byzantinischen Schema und verortet das Meer zur Linken Christi.
12 Hans Martin von Erffa, Die Ikonologie der Genesis. Die christlichen Bildthemen aus dem Alten Testament und ihre Quellen, München 1989, 463.
13 Vgl. 2. Petr 2,5: "Er hat auch die frühere Welt nicht verschont, nur Noach, den Verkünder der Gerechtigkeit, hat er zusammen mit sieben anderen als achten bewahrt, als er die Flut über die Welt der Gottlosen brachte."
14 Janet Cox-Rearick, "Pontormo, Bronzino, Allori and the lost 'Deluge' at San Lorenzo", in: The Burlington Magazine 134 (1992), 239-248, hier 240.
15 Schon Susanne Richter wies auf die mögliche Vorbildfunktion Pontormos für die Chorbilder Tintorettos hin, wenn auch vor allem vor dem Hintergrund des Wettstreits mit Michelangelo und der Rezeption der Theologie des Benedetto da Mantova. Auf die expliziten Parallelen zwischen den in beiden Chören dargestellten Themen Gesetzesübergabe, Jüngstes Gericht, Auferstehung und Sintflut geht sie nicht ein, sie spricht lediglich von der Vermutung, "daß auch Tintoretto über seinen Freundeskreis von Pontormos ehrgeizigem Projekt erfahren hat und langsam die Idee entstanden sein könnte, ein vergleichbares Programm mit besonderer Ausrichtung auf Venedig zu entwickeln". Richter, Jacopo Tintoretto und die Kirche Madonna dell'Orto zu Venedig, 158-168, hier 168.
16 Siehe Anm. 1.
17 Richter, Jacopo Tintoretto und die Kirche Madonna dell'Orto zu Venedig, 166-167.
18 Für den Chor von San Lorenzo ist dieses Motiv nicht in den schriftlichen Quellen beschrieben, sondern wird aufgrund von erhaltenen Zeichnungen und der Eignung als Pendant zur Darstellung der Evangelisten angenommen. Janet Cox-Rearick, The Drawings of Pontormo, Cambridge-Massachusetts 1964, 323 u. 330; Massimo Firpo, Gli affreschi di Pontormo a San Lorenzo. Eresia, politica e cultura nella Firenze di Cosimo I, Turin 1997, 40-41.
19 Vgl. Iris Grötecke, Das Bild vom Jüngsten Gericht. Die ikonographischen Konventionen in Italien und ihre politische Aktualisierung in Florenz (Manuskripte zur Kunstwissenschaft 52), Worms 1997, 1.
20 Unter anderem von Pallucchini, "Considerazioni sui grandi teleri del Tintoretto della Madonna dell'Orto", 56; Swoboda, Tintoretto, 21; Richter, Jacopo Tintoretto und die Kirche Madonna dell'Orto zu Venedig, 96, passim; Cialoni, "I due teleri del Tintoretto alla Madonna dell'Orto di Venezia", 189.
21 In der Göttlichen Komödie bewacht Minos die Schwelle zum zweiten Höllenkreis, er befindet sich also tiefer in der Hölle als Charon.
22 "Die Einschiffung zur Überfahrt über den Acheron, von der Dante berichtet, wird nun aber durch die Verbindung mit Minos zur Ankunft des Verdammtenbootes am Ufer der Hölle. Charon treibt die Verdammten aus dem Boot Minos entgegen. Michelangelo stellt damit eine Szene dar, die sich nicht im Inferno-Text findet." Feldhusen, Ikonologische Studien zu Michelangelos Jüngstem Gericht, 35.
23 Richter, Jacopo Tintoretto und die Kirche Madonna dell'Orto zu Venedig, 92.
24 Dante greift hier ältere Vorstellungen der mittelalterlichen Mystik auf, die wiederum an Aristoteles Unterscheidung der drei Arten des Feuers angelehnt ist (Topik, V,5). Er "hat nun dieses verschiedene Leuchten der Seligen noch systematisch variiert und weiter dramatisiert, indem er es sich mischen und steigern läßt mit dem Licht der Sphären, also in einem gestuften Seelenreiche, das emporreicht bis zu Gott, dessen Licht nur noch als Blitz wahrnehmbar ist." Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie. Band VI. Kommentar. Dritter Teil. Paradies, übers. und komm. von Hermann Gmelin, München 1988, 15. Eine himmlische Ordnung, wie sie im Jüngsten Gericht zu finden ist, zeigt Tintoretto auch in seinem Paradies im Dogenpalast.
25 Manfred Hardt, "Nachwort", in: Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, 535-563, hier 551.
26 Pallucchini, "Considerazioni sui grandi teleri del Tintoretto della Madonna dell'Orto", 60.
27 Ehrengard Meyer-Landrut, Fortuna. Die Göttin des Glücks im Wandel der Zeiten, Berlin 1997, 18.
28 Meyer-Landrut, Fortuna, 39.
29 Meyer-Landrut, Fortuna, 39.
30 Zur Ikonografie der Fortuna im Mittelalter siehe Meyer-Landrut, Fortuna, 37-134.
31 Meyer-Landrut, Fortuna, 135. Zur Fortuna als Unterlegene im Kampf mit den Tugenden siehe ebenda 115-122.
32 Zu Wappen und zu Kupferstich siehe auch Aby Warburg, "Francesco Sassettis letztwillige Verfügung", in: Aby Warburg, Die Erneuerung der heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance. Gesammelte Schriften Band I, Nendeln 1969, 127-158.
33 Zur Verschmelzung von Fortuna und Occasio siehe Philine Helas, "Fortuna-Occasio. Eine Bildprägung des Quattrocento zwischen ephemerer und ewiger Kunst", in: Städel-Jahrbuch N.F. 17 (1999), 101-124.
34 Meyer-Landrut, Fortuna, 135.
35 Helas, "Fortuna-Occasio", 107.
36 Helas, "Fortuna-Occasio", 107.
37 Zur Geschichte der Kirche und der sie nutzenden Orden siehe: Lino Moretti, "Seicento anni di storia. Dagli Umiliati ai Giuseppini", in: Moretti, Niero und Rossi, La chiesa del Tintoretto, 11-17, und Moretti, "La Chiesa", in: Moretti, Niero und Rossi, La chiesa del Tintoretto, 18-27.
38 Mit dem Bau der Kirche wurde 1365 begonnen, also noch im selben Jahr, in dem das Gelände erworben wurde. Aus ungeklärten Gründen zog sich die Bautätigkeit jedoch über Jahrzehnte hin, siehe hierzu Moretti, "La Chiesa", in: Moretti, Niero und Rossi, La chiesa del Tintoretto, 24.
39 Moretti, "Seicento anni di storia", in: Moretti, Niero und Rossi, La chiesa del Tintoretto, 11-17, hier 13.
40 Hartmut Böhme, "Die guten und die bösen Wasser. Katastrophen und kulturelle Ausdifferenzierung eines Elements", in: ÜberFluten, hg. Heike Brandstätter und Katharina Jeorgakopulos, Hamburg 2004, 45-67, hier 55-56.
41 Vgl. Meyer-Landrut, Fortuna, 146.
42 In eher seltenen Fällen wird die Fortuna-Maris zusätzlich mit dem Rad der mittelalterlichen Fortuna dargestellt. Eine außergewöhnliche Variante ist auf einem Kupferstich Heinrich Aldegrevers von 1549 zu sehen, in dem das Rad als Bild im Bild auf dem von Fortuna gehaltenen Segel abgebildet wird.
43 Meyer-Landrut, Fortuna, 146-147.
44 Vgl. Horst Bredekamp, "Wasserangst und Wasserfreude in Renaissance und Manierismus", in: Kulturgeschichte des Wassers, hg. Hartmut Böhme, Frankfurt am Main 1988, 145-188, hier 147-148, 150.
45 Bredekamp, "Wasserangst und Wasserfreude in Renaissance und Manierismus", 150.
46 "Similmente interviene della fortuna; la quale dimostra la sua potenzia dove non è ordinata virtù a resisterle; e quivi volta li sua impeti dove la sa che non sono fatti gli argini e li ripari a tenerla." Niccolò Macchiavelli, Il Principe. Der Fürst. Italienisch/Deutsch, übers. und hg. Philipp Rippel, Stuttgart 1999, 192. Macchiavelli schrieb Il Principe um 1513, gedruckt wurde das Werk jedoch erst 1532, nach seinem Tod.
47 So etwa auch mit dem Motto Festina lente, dessen ursprüngliche Darstellung sich im Laufe der Zeit stark wandelte und schließlich mittels der Fortuna dargestellt wurde. Vgl. Francesca Cappelletti, "Festina lente: Fortuna, Prudenza e Fama nell'emblematica del cinquecento", in: Der antike Mythos und Europa. Texte und Bilder von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, hg. Francesca Cappelletti und Gerlinde Huber-Rebenich, Berlin 1997, 74-82.
48 "Una donna ignuda, con un piede sopra una palla per mostrar la sua perpetua instabilità e con la vela in mano, per voler mostrare che elle guida ovunque vuole questa nave del viver nostro." Girolamo Ruscelli, Le imprese illustri, Venedig 1584, 88.
49 Siehe hierzu David Rosand, "Venetia Figurata. The Iconography of a Myth", in: Interpretazioni Veneziane. Studi di storia dell'arte in onore di Michelangelo Muraro, hg. David Rosand, Venedig 1984, 177-196.
50 David Rosand, Myths of Venice. The Figuration of a State, Chapel Hill 2001, 117.
51 Rosand, "Venetia Figurata", 179.
52 Rosand, "Venetia Figurata", 180.
53 Bei Rosand, Myths of Venice, 162, findet sich die Datierung 1523. Toderi und Vannel errechnen aus den Lebensdaten Reniers und der Inschrift AN. XLVII das Jahr 1544. Gefertigt wurde die Medaille von Maffeo Olivieri, Brescia. Giuseppe Toderi und Fiorenza Vannel, Le medaglie italiane del XVI secolo, Bd. 1, Florenz 2000, 210.
54 Die staatliche Venezia-Ikonografie entspricht dem Bild der starken und gerechten Herrscherin, die mit einem Schwert über Flussgöttern thront und von einem oder zwei Löwen begleitet wird. So etwa im Relief Sansovinos an der Loggetta oder auch auf der verso-Seite einer Medaille (Inschrift: VENETIA MAGNA), die recto den Dogen Francesco Foscari zeigt.
55 Rosand, Myths of Venice, 117.
56 Rosand, Myths of Venice, 117.
57 Neben Zelotti arbeiteten auch Paolo Veronese und Giambattista Ponchino an der Decke, was erklärt, warum die anderen Venezia-Figuren bekleidet dargestellt sind.
58 Das Altarbild wurde von Pordenone ausgeführt und zeigte Lorenzo Giustiniani, eine der zentalen Persönlichkeiten des Ordens San Giorgio in Alga. Zum Altar der Renier siehe Lino Moretti, "La navata sinistra", in: Moretti, Niero und Rossi, La chiesa del Tintoretto, 75-78, sowie Charles E. Cohen, The Art of Giovanni Antonio da Pordenone. Between Dialect and Language, Cambridge 1996, 333.
59 Tom Nichols, Tintoretto. Tradition and Identity, London 1999, 98.
60 Bernard Aikema, "L'immagine della 'Carità Veneziana'", in: Nel regno dei poveri. Arte e storia dei grandi ospedalei veneziani in età moderna 1474-1797, hg. Bernard Aikema und Dulcia Meijers, Venedig 1989, 71-98, hier 73.
61 Richter, Jacopo Tintoretto und die Kirche Madonna dell'Orto zu Venedig, 94. Antonio Niero ist der Meinung, dass die beiden Figuren unterhalb der zwei Kinder in ihren Armen haltenden Caritas trotz des Fehlens der üblichen Attribute Glaube und Hoffnung sein müssten, um die Reihe der theologischen Tugenden zu vervollständigen. Im Einklang mit dem venezianischen Selbstverständnis, in dem die Nächstenliebe stark präsent ist, wäre es nicht problematisch, Caritas allein darzustellen. Dennoch ist Nieros Deutung durchaus denkbar. So nähme die Caritas noch immer eine herausragende Position ein, während ihre Begleiterinnen zwar anwesend wären, aber neben der viel bedeutsameren Caritas verblassten. Antonio Niero, "Riflessioni sui Tintoretto del presbiterio", in: Moretti, Niero und Rossi, La chiesa del Tintoretto, 157-170, hier 160. Auch Pallucchini spricht von den Tugenden im Plural, benennt jedoch nur Caritas. Pallucchini, "Considerazioni sui grandi teleri del Tintoretto della Madonna dell'Orto", 60.
62 Dietmar Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik in literarischen Zeugnissen von der Antike bis zur Gegenwart (Münsterische Mittelalter-Schriften 50), München 1983, 782. Vgl. Aristoteles, Politik, 1276b.
63 Vgl. Bredekamp, "Wasserangst und Wasserfreude in Renaissance und Manierismus", 150.
64 Vgl. Heinrich Kraft, Die Offenbarung des Johannes (Handbuch zum Neuen Testament 16a), Tübingen 1974, 261.
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