RIHA Journal 0142 | 15 November 2016

Der Planetenhumpen von Neusohl/Banská Bystrica.

Meisterliches Objekt – sichere Anlage – elitäre Repräsentation

Barbara Balážová

Abstract
Following an analysis of the exceptional tankard decorated with the signs of the zodiac and the planet lords preserved in the collection of Stredoslovenské múzeum in Banská Bystrica, Slovakia, this case study brings attention to the huge European market of goldsmithery in the Renaissance era and the intercultural exchange in Central Slovakian mining towns around 1550. In the economically highly prosperous cities, where a long-time living, though, was regarded dangerous because of the closeness to the border with the Ottoman Empire, one could consider this kind of movable artwork as an investment preferable over, for instance, architecture. Besides, this study is trying to answer the question how to capitalize on the results of the basic arthistorical research and how to articulate its theoretical frames, since the systematics of the research, in this case of Renaissance art in Slovakia around 1550, is missing.

Das Objekt

[1] Im Rahmen zweier nicht lange zurückliegender Ausstellungen der Slowakischen Nationalgalerie in Pressburg/Bratislava (Geschichte der slowakischen bildenden Kunst – Renaissance, 20091 und Industrieland? Mittelslowakische Bergbaustädte im 16.-18. Jahrhundert, 2010/20112) wurde ein sogenannter Planetenhumpen gezeigt (Abb. 1), der zurzeit Teil der permanenten Ausstellung des Mittelslowakischen Museums in Neusohl/Banská Bystrica ist.3

1 Werkstatt Jamnitzer, Nürnberg, Humpen mit den Personifikationen der sieben Planeten, sog. Planetenhumpen, 1570er-1580er Jahre, Silber, gegossen, ziseliert, vergoldet, Emails, Höhe 18 cm. Stredoslovenské múzeum, Banská Bystrica (© Stredoslovenské múzeum, Banská Bystrica)

Diese bemerkenswerte Goldschmiedearbeit erregt schon seit einem ganzen Jahrhundert die Aufmerksamkeit der Spezialisten, nämlich seit 1911, als sie zum ersten Mal und überaus detailgenau durch Kornél Divald im Rahmen der Bestandsaufnahme der Goldschmiedearbeiten im Eigentum der Evangelischen Kirche A.B. [Augsburger Bekenntnisses] in Neusohl/Banská Bystrica, Kremnitz/Kremnica und Schemnitz/Banská Štiavnica beschrieben wurde.4 Divald war zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der heutigen Slowakei eine markante und meinungsbildende Persönlichkeit der Kunstgeschichtsschreibung, Museumswissenschaft und kunstgeschichtlichen Dokumentation. Er dokumentierte den Planetenhumpen nicht nur, sondern nahm ihn schon im Jahr 1909 als Exponat in die erste museale Ausstellung in Neusohl/Banská Bystrica auf.5 Offen blieben bislang jedoch die Fragen nach der Urheberschaft, Provenienz und Datierung sowie nach möglichen Vorlagen bei der Schaffung dieses Werks. Auch die Frage nach seinem kulturellen Kontext in der Region der mittelslowakischen Bergbaustädte6 ist noch nicht beantwortet.7

[2] Die Gestalt des vom Meister oder der Zunft nicht punzierten, silbernen und zum größten Teil vergoldeten Humpens (aktuelles Gewicht 1378 g) geht von Mustersammlungen für Goldschmiedearbeiten aus, wie sie aus dem deutschen Raum bekannt sind; doch die Verwandtschaft zu diesen Modellen ist nur allgemein und hilft lediglich, den Planetenhumpen in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts einzuordnen.8 Auf der Wandung des leicht konischen Korpus sind in sieben Felder, die von architektonischen Arkaden gebildet werden, gegossene Plaketten mit selbständigen, stehenden Figuren (ca. 70 mm hoch) eingesetzt. Die zwei ornamentalen Streifen über und unter den Scheinarkaden füllt ein angenietetes Rollwerk mit Grubenschmelz-Medaillons. Was die Konstruktion des Artefakts betrifft, so sind die beiden Mäntel des Planetenhumpens gemeinsam einerseits in seinen robusten profilierten Fuß aus geformtem Blech eingesetzt, andererseits an der Umfassung seines oberen Randes fixiert. Der Rollwerkstreifen, der durch vollplastische gegossene Köpfe ergänzt wird, wiederholt sich auf dem massiven Deckel des Humpens; gleichermaßen schmückt wiederum Email auf farblich hervorgehobenem silbernem Untergrund dessen birnenförmigen Knauf. In Form gegossen sind auch die Daumenrast des Deckels sowie der innen hohle Henkel des Humpens in Gestalt einer Herme. Vom Gesichtspunkt der Technik aus handelt es sich in allen Fällen um qualitätsvoll, ohne jegliche Porosität gegossene Segmente, die in der Folge verbunden, montiert und präzise ziseliert wurden. An der Innenseite des Deckels und der Innen- und Außenseite des Bodens setzte der Schöpfer drei selbständige Werke ein – eine Medaille und zwei Plaketten. Wenn der Planetenhumpen auch nicht einzigartig ist, so kann man ihn doch als überaus qualitätsvolles Werk ansehen, auch im gängigen Vergleich zu den deutschen, insbesondere Nürnberger Goldschmiedearbeiten.9 Die Besonderheit dieses Kunstwerks liegt gar nicht so sehr in der künstlerisch-handwerklichen Ausführung an sich, als vielmehr in der Repräsentation einer Gruppe von Renaissancearbeiten und vor allem des kulturellen Umfelds der mittelslowakischen Bergbaustädte im 16. Jahrhundert.

Die Grundidee des Bildprogramms

[3] Auf der äußeren Ummantelung des Humpens sind von links nach rechts in sieben Feldern sieben Figuren dargestellt, welche die im 16. Jahrhundert bekannten Planeten unseres Sonnensystems personifizieren: Sonne, Venus, Saturn, Jupiter, Merkur, Mars und Luna/der Mond. Werden sie umgekehrt von rechts nach links gelesen, entsprechen sie mit einer Ausnahme (Venus und Saturn müssten vertauschte Positionen einnehmen) der Einteilung der Woche nach den römischen Patronen der einzelnen Tage (lat. dies Lunae, dies Martis, dies Mercurii, dies Jovis, dies Veneris, dies Saturni, dies Solis). Die erste Linie der ikonographischen Lesung – die Verbindung der sieben Planeten mit den sieben Tagen – wird durch eine zweite fortgesetzt, und zwar durch die Verbindung mit dem Tierkreis zu Füßen der Planeten, welche allerdings wiederum nicht ganz korrekt eingehalten wird: Zu Füßen der Sonne befindet sich der Löwe (Abb. 2a), bei der Venus nur der Stier, obwohl ihr zugleich auch die Waage zugeordnet sein sollte, bei Saturn finden sich Steinbock und Wassermann (Abb. 3a), zu Füßen Jupiters Schütze und Fische (Abb. 4), bei Merkur die Zwillinge (Abb. 5a) – sein zweites Zeichen, die Jungfrau, fehlt –, bei Mars finden sich Widder und Skorpion (Abb. 6a), bei Luna schließlich der Krebs.

2a (links) Werkstatt Jamnitzer, Personifikation der Sonne auf dem Planetenhumpen, um 1550 und 1570er-1580er Jahre, Silber, gegossen, ziseliert, vergoldet, Höhe 6,5 cm. Stredoslovenské múzeum, Banská Bystrica (© Barbara Balážová, Bratislava)

2b (rechts) Meister des Nürnberger Kreises, Plakette mit Personifikation der Sonne, um 1550, Blei, gegossen, Höhe 6,5 cm. Köln, Museum für Angewandte Kunst (© Rheinisches Bildarchiv, rba_L001854_12)

3a (links) Werkstatt Jamnitzer, Personifikation des Saturn auf dem Planetenhumpen, um 1550 und 1570er-1580er Jahre, Silber, gegossen, ziseliert, vergoldet, Höhe 6,4 cm. Stredoslovenské múzeum, Banská Bystrica (© Barbara Balážová, Bratislava)

3b (rechts) Meister des Nürnberger Kreises, Plakette mit Personifikation des Saturn, um 1550, Blei, gegossen, Höhe 6,4 cm. Köln, Museum für Angewandte Kunst (© Rheinisches Bildarchiv, rba_L001854_10)

4 Werkstatt Jamnitzer, Personifikation des Jupiter auf dem Planetenhumpen, um 1550 und 1570er-1580er Jahre, Silber, gegossen, ziseliert, vergoldet, Höhe 6,5 cm. Stredoslovenské múzeum, Banská Bystrica (© Barbara Balážová, Bratislava)

5a (links) Werkstatt Jamnitzer, Personifikation des Merkur auf dem Planetenhumpen, um 1550 und 1570er-1580er Jahre, Silber, gegossen, ziseliert, vergoldet, Höhe 6,3 cm. Stredoslovenské múzeum, Banská Bystrica (© Barbara Balážová, Bratislava)

5b (rechts) Meister des Nürnberger Kreises, Plakette mit Personifikation des Merkur, um 1550, Blei, gegossen, Höhe 6,3 cm. Köln, Museum für Angewandte Kunst (© Rheinisches Bildarchiv, rba_L001854_24)

6a (links) Werkstatt Jamnitzer, Personifikation des Mars auf dem Planetenhumpen, um 1550 und 1570er-1580er Jahre, Silber, gegossen, ziseliert, vergoldet, Höhe 6,1 cm. Stredoslovenské múzeum, Banská Bystrica (© Barbara Balážová, Bratislava)

6b (rechts) Meister des Nürnberger Kreises, Plakette mit Personifikation des Mars, um 1550, Blei, gegossen, Höhe 6,1 cm. Köln, Museum für Angewandte Kunst (© Rheinisches Bildarchiv, rba_L001854_20)

[4] In der Graphik der sogenannten Nürnberger Kleinmeister in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde die bis dato übliche Darstellung des Verhältnisses zwischen Planeten und Tierkreis abgewandelt, und zwar hin zu einzeln stehenden Figuren der römischen Götter mit ihrem jeweiligen Tierkreiszeichen. Dies gilt beispielsweise für die oft zitierten Graphikzyklen von Hans Sebald Beham (1500-1550),10 Heinrich Aldegrever (1502-1555/1561)11 oder Virgil Solis (1514-1562).12 Die übliche Zuordnung der Tierkreiszeichen zu den Planeten ist dort genau eingehalten. Für das ikonographische Gesamtkonzept des Planetenhumpen aus Neusohl/Banská Bystrica stellen diese Zyklen allerdings nur einen allgemeinen Bezugsrahmen dar, sie sind keine formale Vorlage für die einzelnen Teile dieses bemerkenswerten Objekts.13 Gerade die Nürnberger Kleinmeister waren es, welche die antiken ikonographischen Schemata gleichberechtigt neben deren partiellen mittelalterlichen Revitalisierungen heranzogen. Mit ihren Graphikserien zu römischen Kaisern oder alttestamentarischen Königen, heroischen Frauen des Altertums, den klassischen antiken und christlichen Tugenden und Lastern, den Planeten, Musen, Jahreszeiten, Monaten, menschlichen Temperamenten, den Freien Künsten etc. schufen sie ein gewaltiges Repertoire an Motiven sowohl für die bildende Kunst als auch für das Kunsthandwerk. Dieses wurde verschiedenartig kombiniert und im Verlauf des 16. Jahrhunderts zuweilen nicht mehr ganz korrekt adaptiert, wie sich an der Vertauschung der Figuren der Venus und des Saturn auf dem Planetenhumpen von Neusohl/Banská Bystrica oder dem Fehlen der Tierkreiszeichen bei mehreren der personifizierten Planeten zeigt.

Die Bildvorlagen

[5] In den Sammlungen des Museums für Angewandte Kunst in Köln befinden sich vier Plaketten mit Abbildungen der Planeten Saturn (Abb. 3b), Mars (Abb. 6b), Sonne (Abb. 2b) und Merkur (Abb. 5b).14 Die Gestalten dieser Gottheiten sind, auch in den Abmessungen, mit den Figuren auf dem Planetenhumpen von Neusohl/Banská Bystrica in einem Ausmaß identisch, dass letztere gewiss nicht bloß von derselben graphischen Vorlage übernommen wurden. Vielmehr stellen die genannten Plaketten vorbereitende Studien oder Hilfsmittel für dieses konkrete Werk dar. Nach den derzeit bekannten erhaltenen Exemplaren ist es offensichtlich, dass es sich um eine einzige Serie handelt, die nur minimal vervielfacht wurde; Plaketten mit Luna und Jupiter sind gar keine bekannt, eine Plakette mit der Abbildung der Venus war in der Sammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg verzeichnet; sie ist verloren.15

[6] Während man in Italien in der Renaissance Plaketten als kleine Plastiken ansah und sie sich in der Folge zu bedeutenden Sammlerstücken entwickelten, verstand man nördlich der Alpen eine Plakette vor allem als Zwischenprodukt für die Arbeit der Goldschmiede oder anderer Handwerker.16 Plaketten dienten auch als motivische Vorlagen, ihre Darstellungen finden sich auf Goldschmiedearbeiten, auf Zinn- oder Kupfergegenständen, auf Bronzemörsern und Glocken, sogar auf Serien von Töpfen oder bemaltem Glas. Das Relief der Plakette wurde vom Künstler in Holz, Stein oder Schiefer geschnitten, aus Gips oder Wachs modelliert und dann in Bronze oder Blei gegossen. Die italienischen Meister verwendeten eher eine härtere Legierung, jene nördlich der Alpen weicheres Metall. Diese Abgüsse kursierten dann unter Goldschmieden, Bronze- oder Zinngießern, Schnitzern (auch von Elfenbein) und Möbeltischlern vor allem als sog. Zwischenmodelle. Für die Form als solche wurde der Ausdruck patrone gebraucht; aus einem Exemplar konnten ungefähr 50 bis 60 Abgüsse hergestellt werden, also relativ viele Stücke, mit denen offenbar reger Handel getrieben wurde.17

[7] Bei der Umsetzung anspruchsvollerer oder bezüglich des Auftrags ungewöhnlicher Goldschmiedearbeiten kam es zu einer direkten Zusammenarbeit zwischen Bildhauer und Goldschmied;18 als illustratives Beispiel kann das Nürnberger Paar Peter Flötner (1485/1490-1546) und Melchior Baier (ca. 1495-1577) dienen. Im Fall des Planetenhumpens von Neusohl/Banská Bystrica handelte es sich wohl ebenfalls um eine Verbindung des ornamentalen Elements und des plastischen Teils, wobei der Schöpfer der sieben Planetenpersonifikationen ein Bleiplaketten-Meister war – Ingrid Weber hält ihn für einen deutschen Künstler aus dem Nürnberger Umfeld um 155019 – und diese Teile sekundär in die Goldschmiedearbeit eines bislang unbekannten Meisters eingefügt wurden. Die vermutete Arbeitsteilung zwischen Bildhauer und Goldschmied wird auch durch die Existenz eines Humpens mit einer identischen Serie personifizierter Planeten, jedoch einer deutlich unterschiedlichen Wahl der Ornamentierung gestützt: Statt der architektonischen Felder mit Rollwerk-Ornament, welches die runde Basis des Humpens von Neusohl/Banská Bystrica durchgehend umläuft, finden sich dort auf einer betonten siebeneckigen Basis sechseckige Felder, die durch Schuppendekor weicher definiert sind. Diese Goldschmiedearbeit, die mit 17 cm Höhe etwas kleiner als der Humpen von Neusohl/Banská Bystrica (18 cm) ist, weist eine identische Größe der Planetengottheiten auf (61-65 mm). Das Werk befand sich im 19. Jahrhundert in der Sammlung des Barons Mayer Karl von Rothschild (1820-1886) in Frankfurt am Main.20 Es trägt das bislang nicht zuordenbare Meisterzeichen "FR".21 Im deutschen Umfeld wiederholt sich die Planeten-Serie im Museum für Angewandte Kunst in Köln noch zwei Mal in qualitativ völlig unterschiedlichen Werken in den Sammlungen des Kunstgewerbemuseums der Staatlichen Museen zu Berlin, und zwar auf zwei Bronzemörsern mit den sieben Planeten, die ebenso wie die Plaketten im Museum für Angewandte Kunst in Köln dem Nürnberger Kreis zugeordnet werden.22

[8] In den Verzeichnissen der deutschen Museen und Galerien existieren aus dem 16. Jahrhundert einige weitere Plakettenserien mit Personifikationen der sieben Planeten,23 auch die Ikonographie mehrerer Goldschmiedearbeiten beruht auf den sieben Planeten: Geradezu ikonisch ist der heute verschollene "Deckelpokal", den gemäß den Quellen Melchior Baier im Jahr 1540 im Auftrag des Nürnberger Stadtrats gefertigt haben soll, vielleicht unter Verwendung der bekannten Planeten-Plakettenserie Flötners, und den Kaiser Karl V. während seines Besuchs in der Reichsstadt zum Geschenk erhalten haben soll.24 Doch dieselbe Serie Flötners wurde beispielsweise auch für die von Paul Weise um 1560 hergestellte Zinnkanne in der Sammlung des Victoria and Albert Museum in London verwendet,25 ebenso für die ebenfalls um 1560 von Christoph Geriswald oder Stephan Lichtenhahn hergestellte Zinnkanne in der Sammlung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.26 Unter den repräsentativeren Arbeiten lassen sich noch der vom Nürnberger Meister Peter Gronymus († 1569) geschaffene Planetenhumpen in der ehemaligen Sammlung des Barons Mayer Karl von Rothschild27 oder die Bartel Jamnitzer (1548-1625) zugeschrieben Planetenkanne in der Kollektion des Rijksmuseum in Amsterdam28 nennen.

Zum Schema der Sieben Planeten

[9] Was die Verwandtschaft der Siebener-Schemata betrifft – sieben Planeten, sieben Tage, sieben Freie Künste, sieben Tugenden, sieben Hauptlaster, als additive Beifügung sieben Metalle oder sieben Farben –, so handelt es sich um ein spätmittelalterliches Konzept, das auf der neuplatonischen Philosophie und der Magie der Zahl Sieben beruht;29 auch die Zuordnung des Tierkreises zu den Himmelskörpern war eine etablierte Idee.30 Zu Beginn der Frühen Neuzeit kann wohl die Konzeption des Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim (Paracelsus, 1493-1541) als die relevanteste und ausgefeilteste gelten.Gerade auch angesichts des potentiellen bergbaulichen Hintergrunds des Auftraggebers des Planetenhumpens von Neusohl/Banská Bystrica dürfte sie für dieses Werk von Bedeutung gewesen sein. Paracelsus arbeitet in seinem Buch Liber de imaginibus detailliert mit verschiedenen Siebenergruppen und nutzt sie zur Komposition einer gewissen visuellen Magie (Sonne = Gold = gelb, Luna/Mond = Silber = grau, Saturn = Blei = schwarz, Jupiter = Zinn = weiß, Venus = Kupfer = grün, Merkur = Quecksilber = blau, Mars = Eisen = rot),31 womit er die Idee der "Planeten und ihrer Kinder" weiterführt,32 die etwa Baccio Baldini (1436-ca. 1487) beispielhaft in der bildenden Kunst des 15. Jahrhunderts visualisiert hatte. Nach Paracelsus beeinflussen die Planeten auch die Körperaktivitäten. Dank der Einsicht in die Beziehungen zwischen den Himmelskörpern und den Organen kann der Arzt nicht nur heilen, sondern gewinnt auch die Möglichkeit, Krankheiten vorherzusehen.33 Überaus exakt formulierte der bekannte dänische Astronom Tycho Brahe (1546-1601) in einem Brief vom 18. August 1588 an den Mathematiker und Astronomen Christoph Rothmann (1550/1560-nach 1600) dieses die Einheit und Harmonie der Welt bildende alchemistische Prinzip der konzeptuellen Beziehung zwischen dem Makrokosmos, Mikrokosmos und dem menschlichen Körper:

Und damit Du Dir etwas von dem aneignest, was Du wünschst, ist es angebracht zu wissen, dass es sieben Planeten am Himmel gibt, die den sieben Metallen auf der Erde entsprechen und im Menschen, der zu Recht ein Mikrokosmos genannt wird, weil er zum einen wie zum anderen geschaffen wurde, die sieben Hauptorgane darstellen. All diese Elemente sind untereinander so schön und harmonisch verbunden und einander so ähnlich, dass es scheint, als hätten sie beinahe dieselben Funktionen und dieselben Eigenschaften, und dass auch ihr natürlicher Charakter derselbe ist. So gleichen die beiden Hauptlichter am Himmel, Sonne und Mond, den beiden wertvollsten Metallen der Erde, dem Gold und Silber, und im Menschen den beiden Hauptlebensorganen, dem Herzen und Gehirn. Die beiden freundlichen Planeten Jupiter und Venus finden ihren Platz bei denjenigen irdischen Metallen, die danach in der Rangfolge stehen, Zinn und Kupfer; in unserem Körper sind das die Leber zur Bluterzeugung und die Nieren, welche der Zeugung dienen. Die beiden Planeten, die als ungünstig gelten, Saturn und Mars, entsprechen den niedrigeren Metallen Blei und Eisen, und im menschlichen Körper den beiden weniger notwendigen und nichtigen Organen Milz und Galle, in denen die überflüssige schwarze und gelbe Galle gesammelt wird. Der himmlische Merkur, der seinem Charakter nach neutral und veränderlicher ist als Proteus, hat auf der Erde seine Entsprechung im irdischen Mercurium, also dem Quecksilber oder lebendigen Silber, das ebenfalls verschiedene Zustände annimmt, sich um die Nachahmung des Charakters anderer Metalle bemüht und zu wundersamen Veränderungen imstande ist. Im Mikrokosmos des Körpers wird ihm unter den sieben Hauptorganen richtig die Lunge zugeteilt, deren Aufgabe es ist, die Luft einzuziehen und durch ihre Tätigkeit das Herz und die anderen Organe zu beleben. Die Lunge spielt für das Sprechen eine wichtige Rolle, das ja genauso, wie man glaubt, vom himmlischen Merkur beherrscht wird.“34

[10] Das alchimistische Verständnis des Konzepts der sieben Planeten kann den Planetenhumpen fester im Umfeld der Bergwerke verankern,35 einem stark unternehmerisch geprägten Segment der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wirtschaft mit relativ bedeutenden Erträgen, die sich auch in repräsentativen Goldschmiedearbeiten des 16. Jahrhunderts niederschlugen, beispielsweise so berühmten wie dem Holzschuer-Pokal von Peter Flötner und Melchior Baier oder dem Rappoltsteiner-Pokal von Georg Kobenhaupt.36 Auch Paracelsus selbst vertrat die Ansicht, dass "die Bergwerke die beste Philosophenschule" seien und hielt sich sogar, laut Informationen des hundert Jahre später wirkenden französischen Philosophen, Arztes, Astrologen und Astronomen Jean Baptiste Morin (1583-1656) im Jahr 1521 längere Zeit in den mittelslowakischen Bergbaustädten auf.37 Er führte angeblich in seinem Laboratorium im Haus eines Goldschmiedes in Neusohl/Banská Bystrica verschiedene Versuche mit "Vitriol, Antimonit, Zinnober, Kupfer, Silber und Gold" durch und habe vor den Augen seines Hausherrn "ein Stück Kupfer in Silber transmutiert".38

Verwandte Plaketten?

[11] Neben den bereits besprochenen Plaketten gibt es vier weitere die auf ihren möglichen Zusammenhang mit dem Planetenhumpen untersucht werden müssen: Denn im Museum für Angewandte Kunst in Köln und im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg befinden sich je zwei Plaketten, die hinsichtlich des Materials, der Abmessungen und der Form mit der Planetenserie in Köln übereinstimmen und – im Kölner Museum – sogar unter derselben Inventarnummer (J 158) gelistet sind.39 Zusammen handelt es sich um drei Darstellungen von Frauenfiguren (zwei Plaketten sind identisch), die ziemlich schwer zu identifizieren sind, weil sie deutlich von den üblichen, vor allem durch die deutsche und niederländische Graphik definierten ikonographischen Schemata des 16. Jahrhunderts abweichen.

7 Meister des Nürnberger Kreises (?), Plakette mit Personifikation der Potentia, um 1550, Blei, gegossen, Höhe 6,1 cm. Köln, Museum für Angewandte Kunst (© Rheinisches Bildarchiv, rba_L001854_22)

[12] Die erste Frauenfigur mit Herrscherinsignien, d.h. mit einer Krone auf dem Kopf, Zepter und Reichsapfel in Händen und Adler beim linken Bein (Abb. 7) wurde von Ingrid Weber als Jupiter identifiziert.40 Meiner Ansicht nach dürfte es sich dabei aber eher um die Visualisierung der relativ ungewöhnlichen Allegorie der Potentia handeln, wie sie z.B. in einer Nische des sog. Reliquiars des Hl. Viktor auftritt, das von Wenzel Jamnitzer (1508-1585) als Geschenk der Stadt Nürnberg an Erzherzogin Maria von Österreich im Jahr 1570 geschaffen wurde.41 Die Botschaft von Jamnitzers Prunkkassette besteht in der umfangreichen und in einigen Fällen sehr spezifischen und seltenen Ikonographie der durch Inschriften identifizierten Tugenden: Neben der Darstellung der Mildtätigkeit (Caritas) an der Spitze des Schreins finden sich zehn Personifikationen als stehende Einzelfiguren in den Nischen der Wandungen der Kassette sowie weitere als kleine Relieffiguren auf dem Deckel. Sechs der zehn Personifikationen an der Wandung beruhen eindeutig auf Graphiken von Marcantonio Raimondi (1480-1534), und zwar der Glaube (Fides), die Hoffnung (Spes), die Gerechtigkeit (Justitia), die Stärke (Fortitudo), die Klugheit (Prudentia) und die Mäßigung (Temperantia); zu ihnen existieren gleichermaßen auch vorbereitende Plaketten.42 Für die übrigen vier Personifikationen, Potentia, Unsterblichkeit (Immortalitas), Glück (Fortuna) und Weisheit (Sapientia), sind bislang keine direkten Vorlagen bekannt.

[13] Die ikonographische Identifikation der Potentia auf der ersten der vier genannten Plaketten (Köln, Museum für Angewandte Kunst, Inv.-Nr. J 158) kann als relativ glaubwürdig gelten. Im Fall der zweiten Plakette (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. Pl. 0. 882), die eine Frauenfigur mit einem Füllhorn in der rechten Hand und einem Lorbeerkranz in der linken darstellt, kann man gerade im Vergleich mit Jamnitzers Madrider Kassette an die Fortuna denken. Im 16. Jahrhundert werden für die Visualisierung des Glücks nämlich nicht unbedingt die mittelalterlichen Attribute wie die Erdkugel oder das Rad gebraucht, sondern in direkter Anknüpfung an die antike Tradition insbesondere das Füllhorn und der Lorbeerkranz.43 Was diese Identifikation teilweise unsicher macht, ist die Platzierung einer Armillarsphäre zu Füßen der Tugend. Diese könnte jedoch auf den Status des Glücks als Himmelstochter, Jupiters Tochter, verweisen. Die thematische Bestimmung der identischen dritten und vierten Plakette (Köln, Museum für Angewandte Kunst, Inv.-Nr. J 158, und Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. Pl. 0. 883) mit der Abbildung einer geflügelten Frauenfigur mit lohendem Haar und einer in beiden Händen gehaltenen Fackel ist problematisch: Auf Jamnitzers Reliquiar des hl. Viktor figuriert nur eine geflügelte Tugend, die Unsterblichkeit (Immortalitas) mit einem Nimbus um den Kopf und einer Rolle in der rechten Hand. Die Ikonographie dieser beiden Plaketten könnte, sehr hypothetisch, mit der Abbildung der Morgenröte in Zusammenhang gebracht werden, personifiziert durch die römische Göttin Aurora, der Schwester der Sonne und der Luna, in der Form, wie sie in der Iconologia (1593) des Cesare Ripa (ca. 1560-ca. 1622) als Crepusculo della Mattina definiert ist.

[14] Auch wenn die Plaketten mit den Planetenpersonifikationen im Kölner Museum für Angewandte Kunst, deren Motive sich auf dem Humpen von Neusohl/Banská Bystrica wiederfinden, und die in diesem Abschnitt besprochenen vier Plaketten in Köln und Nürnberg Gemeinsamkeiten hinsichtlich des Materials, der Abmessungen und der Form aufweisen, so läßt sich doch kein weitergehender Zusammenhang zwischen ihnen erkennen.

Eine Medaille und Plaketten in sekundärer Verwendung an Deckel und Fuß

[15] Vom Gesichtspunkt der Datierung der einzelnen Teile des Planetenhumpens von Neusohl/Banská Bystrica ist das offensichtlich älteste Artefakt die Medaille, die in die Innenseite des Deckels eingesetzt ist (Durchmesser ca. 47 mm). Für die sekundäre Verwendung in der Goldschmiedearbeit ist ihr Thema relativ ungewöhnlich – Lot und seine Töchter, erläutert auch durch den Text "GENE / 19" im oberen Teil der Komposition (Abb. 8): Im Vordergrund der sitzende biblische Lot, den von beiden Seiten seine Töchter mit Wein betrunken machen (Gen 19, 30-38), der Hintergrund bezieht sich auf die Ereignisse, die dieser Szene vorangingen, das brennende sündige Sodom und Lots Frau, die bei der Flucht aus der Stadt in eine Salzsäule verwandelt wurde (Gen 19, 26).

8 Concz Welcz und Werkstatt Jamnitzer, Medaille mit Lot und seinen Töchtern, eingesetzt in den Deckel des Planetenhumpens, um 1535 und 1570er-1580er Jahre, Silber, gegossen, ziseliert, vergoldet, Breite 47 mm. Stredoslovenské múzeum, Banská Bystrica (© Barbara Balážová, Bratislava)

[16] Die Medaille, auf deren Rückseite eine andere alttestamentarische Szene dargestellt ist, König David, wie er Bathseba beobachtet (2 Sam 11, 2), wird in der Literatur allgemein um das Jahr 1535 datiert und Concz Welcz (†vor 1555) zugeschrieben,44 einem bekannten Goldschmied und Medailleur aus Sankt Joachimsthal/Jáchymov.45 Legitim ist allerdings die Frage, ob sich im Planetenhumpen von Neusohl/Banská Bystrica wirklich die gesamte Medaille befindet oder der Goldschmied nur einen sekundären Guss der einen Seite verwendet hat; Medaillen können nämlich nicht nur geprägt werden, wie vor allem im Fall der Produktion von Sankt Joachimsthal/Jáchymov, sondern auch gegossen, mit einer gewissen zeitlichen Verschiebung je nach den besonderen Wünschen des Kunden.46 Andererseits hängt vielleicht gerade die Einsetzung dieser konkreten Medaillenarbeit in den Planetenhumpen mit einem Wunsch des Auftraggebers zusammen, der hypothetisch mit den im 16. Jahrhundert ja überaus berühmten und hochgeschätzten Silberbergwerken von Sankt Joachimsthal/Jáchymov zu tun hatte oder dort aktiv war. Wie es nämlich scheint, kann die Thematik Lots und seiner Töchter im Kontext des Planetenhumpens von Neusohl/Banská Bystrica nicht tiefergehend gelesen werden denn als Warnung vor übermäßigem Weingenuss angesichts der primären Funktion des Humpens.

[17] Mit dem Umfeld der Nürnberger Renaissance um die Mitte des 16. Jahrhunderts verbinden den Humpen von Neusohl/Banská Bystrica außer dem Schöpfer der Planetengottheiten noch weitere Artefakte, die in die Innen- und Außenseite des Fußes eingesetzt sind, und zwar zwei runde und für die Renaissance nördlich der Alpen beinahe ikonische Plaketten mit der Abbildung der theologischen Tugend der Hoffnung (Spes) und der Kardinaltugend der Klugheit (Prudentia) aus der Serie der acht sitzenden Tugenden von Peter Flötner, geschaffen um das Jahr 1540 (Abb. 9, 10).47

9 Peter Flötner und Werkstatt Jamnitzer, Plakette mit Personifikation der Hoffnung (Spes), eingesetzt in die Innenseite des Fußes des Planetenhumpens, um 1540 und 1570er-1580er Jahre, Silber, gegossen, ziseliert, vergoldet, Breite 65 mm. Stredoslovenské múzeum, Banská Bystrica (© Barbara Balážová, Bratislava)

10 Peter Flötner und Werkstatt Jamnitzer, Plakette mit Personifikation der Klugheit (Prudentia), eingesetzt in die Außenseite des Fußes des Planetenhumpens, um 1540 und 1570er-1580er Jahre, Silber, gegossen, ziseliert, vergoldet, Breite 66 mm. Stredoslovenské múzeum, Banská Bystrica (© Barbara Balážová, Bratislava)

[18] Beide Plaketten im Humpen von Neusohl/Banská Bystrica sind überaus qualitätsvolle, nachträglich vergoldete Silbergüsse, wobei die Übereinstimmung selbst der geringsten Details die Überlegung zulässt, ob es sich um direkte Abgüsse von Flötners patrone handelt, die auf Steinmodellen des Künstlers aus sog. Solnhofener Kalkstein beruhen.48 Schon Kornél Divald wies auf die kleineren Maße der Plaketten im Planetenhumpen hin (Spes: Durchmesser ca. 65 mmm, Prudentia: Durchmesser ca. 66 mm), aber nach Vergleich mit den Originalgüssen des Künstlers ist klar, dass die Plaketten von Neusohl/Banská Bystrica identisch sind und bloß bei der Einsetzung am Rand verkleinert und um einige Millimeter unregelmäßig zugeschnitten wurden, was wahrscheinlich mit dem gleichsam angehobenen Rand der beiden Originale Flötners zusammenhängt, der sie für die Einsetzung in eine ebene Fläche ungeeignet macht. Die im 16. Jahrhundert allgemein beliebte moralisierende Thematik der Tugenden taucht auf Goldschmiedearbeiten mehrfach auf. Das Ziel bestand darin, durch die Ikonographie die Ideale eines bestimmten Gesellschaftsstands zu repräsentieren, und zwar entweder des Auftraggebers oder des Empfängers eines konkreten Geschenks (siehe z.B. den Rappoltsteiner-Pokal oder den sog. Kaiserpokal). Die Übernahme von Plaketten Flötners in die eigenen Arbeiten war symptomatisch für den um eine Generation jüngeren Wenzel Jamnitzer; letzterer fügte z.B. direkt aus Flötners Serie der Tugenden die Plakette mit der Mildtätigkeit (Caritas) in die Unterseite des Fußes des sog. Kaiserpokals ein49 und in den sog. Escritorio, der heute nur fragmentarisch in Form von Tafeln in Berlin und Wien erhalten ist, fügte er die ganze Serie, sogar in mehreren Exemplaren, ein.50 Andererseits hat es den Anschein, dass aufgrund von Flötners Popularität und allgemein der Beliebtheit der Nürnberger Produkte der Handel mit Kunstplaketten üblich war und auch andere Goldschmiede seine Werke in Artefakte verschiedener Art, unterschiedlicher Qualität und zu verschiedenen Zeiten einsetzten und der Zauber von Flötners Plaketten, wohl auch dank der Reklame durch Jamnitzer, stark und dauerhaft war.51

Zur Daumenrast des Humpens

[19] Wer ist aber nun der Schöpfer des Planetenhumpens von Neusohl/Banská Bystrica, der ein bemerkenswertes Werk ist, wenngleich es sich vom Gesichtspunkt der Thematik der einzelnen Artefakte um eine heterogene Kompilation handelt? Die vorangehenden Verweise auf Referenzen zwischen Peter Flötner und Wenzel Jamnitzer waren nicht zufällig; außer der Verwendung der beiden Plaketten Flötners verbindet den Planetenhumpen mit Jamnitzers Werkstatt ein auf den ersten Blick vernachlässigbares Detail, und zwar die Daumenrast des Deckels, gearbeitet als Frauenfigur, die einen Wappenschild mit Löwenhaupt hält (Abb. 11).