RIHA Journal 0277 | 26 October 2022

Eine Geschichte von Hasen: Zu Sigmar Polkes Rezeption des Feldhasen von Albrecht Dürer

Ksenija Tschetschik-Hammerl

Abstract
The article explores the role of Albrecht Dürer’s famous watercolour The Hare (1502) in the work of Sigmar Polke (1941–2010) who is considered one of the most prominent artists active in Rhineland in the post-war period. In his work, Polke repeatedly used visual materials from everyday life in West Germany, which he inserted as objets trouvés or as references and paraphrases into his paintings and other images. In art-historical and art-critical literature, Polke’s quotations of The Hare have been interpreted primarily in terms of the artist’s supposedly critical attitude either towards the mimetic character of Dürer’s study or towards the misuse of the Old Master’s imagery in consumer society. This article argues that the reflective potential of the presence of Dürer’s Hare in Polke’s work goes far beyond mere reference to the Renaissance artist and his study of nature. It will be shown that Polke’s reference to the Hare also comments on working methods of colleagues such as Joseph Beuys, Konrad Lueg and Dieter Roth. By paraphrasing Dürer’s Hare, Polke also reflects on the relationship between art and everyday life, blurring and questioning the established hierarchies.

Einleitung: Polkes Dürer Hase im Spiegel der Forschung

[1] "Es war einmal ein Hase, der war braun, hatte lange Haare und lange Ohren, einen kurzen Schwanz und hüpfte um die Ecke."1 So beginnt der Dada-Künstler und Theoretiker Kurt Schwitters sein Märchen Die Geschichte vom Hasen (1934), welches von einer absurden Verwandlung des Tieres erzählt. Der Wandlungsweg des Hasen verläuft über ein Schwein, eine Ente, einen Fisch, ein Nilpferd, ein Dampfschiff, eine Laus und zurück zum Hasen. Eine Transformation erfährt auch Albrecht Dürers berühmtes Aquarell Feldhase (Abb. 1), heute in der Grafischen Sammlung der Albertina in Wien, im Schaffen des 1941 im niederschlesischen Oels (Oleśnica) geborenen Künstlers Sigmar Polke. Im Jahr der Studentenrevolte 1968 fertigte der Künstler sein erstes Bild des Dürer Hasen an, heute in der Sammlung Frieder Burda in Baden-Baden (Abb. 2).

1 Albrecht Dürer, Feldhase, 1502, Aquarell und Deckfarben auf Papier, 25 × 22,5 cm. Albertina, Wien (Foto: www.albertina.at)

2 Sigmar Polke, Dürer Hase, 1968, Dispersion und Silberbronze auf Baumwoll- oder Leinenstoff, 80,2 × 64,5 cm. Museum Frieder Burda, Baden-Baden (© The Estate of Sigmar Polke, Cologne / VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

[2] Im Zentrum des hochformatigen Bildes ist eine Silhouette des Dürer-Hasen erkennbar, welche mit wenigen Pinselstrichen in Schwarz über einem grau gestrichenen rautenförmigen Farbenfleck aufgetragen ist. Zur karikierenden Wirkung des Dürer Hasen aus der Burda-Sammlung trägt das links von der Tierzeichnung platzierte Monogramm "AD" bei, welches das berühmte und leicht erkennbare Signet des Nürnberger Altmeisters nachbildet. Als Malgrund fungiert eine dünne Textilie, welche – ähnlich der traditionell seit Jahrhunderten genutzten Leinwand – über dem Keilrahmen aufgespannt ist, zugleich jedoch mit ihrer industriell vorgefertigten, klein karierten Musterung die visuelle Wirkung des Hasenbildes mitprägt. Zwei Jahre später wandte sich Polke dem Motiv des Dürer-Hasen erneut zu und schuf 1970 seinen Gummiband Dürer Hasen, welcher sich heute in der Sammlung von Josef Froehlich befindet (Abb. 3).

3 Sigmar Polke, Gummiband Dürer Hase, 1970, Gummiband, Nägel auf Stoff auf Spanplatte, 90 × 75 cm. Sammlung Froehlich, Stuttgart (© The Estate of Sigmar Polke, Cologne / VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

[3] In der Mitte dieses hochformatigen Bildes findet sich eine Silhouette des Dürer-Hasen wieder, welche diesmal allerdings mithilfe eines weißen, zwischen zierlichen schwarzen Nägeln aufgespannten Gummibandes nachgebildet ist. Den Bildgrund für die auf diese Weise bravourös erzeugte Hasengestalt bildet der hellblaue monochrome Stoff, in welchen eine Spanplatte akkurat eingehüllt ist. Auch auf diesem Bild fehlt die Replikation des Dürer-Monogramms nicht: Links unter der Tiergestalt sind Dürers ineinander verschränkte Initialen mittels des Gummibandes und der Nägel nachgebildet.2

4 Sigmar Polke, Handtücher, 1994, Textilien vernäht, 300 × 225 cm. Privatsammlung (© The Estate of Sigmar Polke, Cologne / VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

[4] 1994 tauchte das Motiv des Dürer-Hasen im Werk des inzwischen international bekannt gewordenen Künstlers zum dritten Mal auf. Sein Bild Handtücher stellt ein Readymade-Patchwork aus unterschiedlich gemusterten Geschirrtüchern dar, welche collageartig auf eine Leinwand aufgenäht sind (Abb. 4). Innerhalb des rechteckigen Hochformats des Bildes fällt unten, mittig, ein Geschirrtuch auf, in dem wiederum eine Nachbildung des Hasenaquarells Albrecht Dürers samt Signatur zu erkennen ist. Das Bild wurde in mehreren Retrospektiven zum Werk Polkes gezeigt, verblieb aber bis zu dessen Tod 2010 im Besitz des Künstlers.3

[5] In der relativ jungen kunstwissenschaftlichen Forschung zum Werk von Sigmar Polke spielen die Dürer Hasen eine bemerkenswerte Rolle. Die Hasenbilder des Künstlers werden von der gegenwärtigen Forschung einhellig als Persiflage des Dürer’schen Originals verstanden. Dabei lassen sich durchaus divergierende Deutungsmodelle zu Polkes Dürer-Adaptionen unterscheiden. Zum einen wird die Position (deren Initiator der Kunsthistoriker Martin Hentschel ist) vertreten, dass Polke mit seinen "Kunstparodien" den Anspruch der Kunst auf Naturnachahmung, als deren Paradebeispiel gerade Dürers Naturstudie in Wien gelten kann, "desavouiert und profaniert".4 Zuletzt spitzte Ellen Heider Hentschels Gedanken weiter zu, indem sie aus Polkes Dürer Hasen glaubte herauslesen zu können, dass "die nachahmende Darstellung der Natur für die heutige Kunst obsolet geworden ist, längst neue künstlerische Ziele unter dem Zeichen eines erweiterten Kunstbegriffes verfolgt werden, die es immer wieder von Neuem zu erproben gilt".5 Zum Anderen hat sich eine Interpretationsvariante für die Hasenbilder Sigmar Polkes etabliert, welche ebenfalls von Hentschel in seiner Dissertation angedeutet und zuletzt von Julia Gelshorn und Karoline Feulner weiterentwickelt wurde. Danach gelte Polkes Parodie nicht primär Dürer und seinem Werk, sondern viel eher der Vereinnahmung des Aquarells durch dessen massenhafte Vervielfältigung innerhalb der trivialisierten und kommerzialisierten Alltagskultur der Bundesrepublik der Nachkriegszeit. "Die Ironie Polkes richtet sich hier nicht gegen die Bildfindung Dürers, sondern auf deren 'Vernutzung' in einer Konsum- und Massenkultur und damit auch auf die Mechanismen der Kunstvermarktung und den Publikumsgeschmack", resümierte Julia Gelshorn zur Funktion der Hasen-Bilder in Polkes Schaffen.6 Die angeführten Interpretationsmodelle für Polkes Adaptionen des Dürer’schen Hasenaquarells entsprechen der verbreiteten Sichtweise in der kunstwissenschaftlichen Literatur bezogen auf Polke, wonach dessen Kunst und insbesondere die frühen Werke, die der Phase des so genannten Kapitalistischen Realismus zugerechnet werden, eine zuweilen bissige Kritik an überlieferten künstlerischen Traditionen sowie an der kommerziellen Fetischisierung von Kunstwerken auf dem Kunstmarkt ausdrücken.7

[6] Doch es gibt Gründe, die bisherigen Deutungsmodelle zu Polkes Hasenbildern zu erweitern und die Aussagekraft dieser Werke neu zu hinterfragen. Bereits als Student an der Düsseldorfer Kunstakademie wehrte sich Sigmar Polke gegen die Annahme, seine Kunst übe Kritik. In einem Interview mit Dieter Hülsmanns und Friedolin Reske, welches 1966 in der Rheinischen Post erschien, formulierte der Künstler entschieden: "Es kann nicht Aufgabe eines Malers sein, etwas auf gut oder schlecht hin zu untersuchen und zu beurteilen."8 Darüber hinaus erscheint es fraglich, dass Polke gerade in einer Zeit der ‒ zumindest in künstlerischen Kreisen angestrebten ‒ Denobilitierung der Kunst, in deren Zuge beispielsweise kostengünstige, seriell hergestellte Werke, wie Multiples, vermarktet wurden, die vermeintliche Popularisierung und Trivialisierung des Dürer’schen Hasen in der Alltagswelt anprangern wollte. Im künstlerischen Klima der 1960er- und 1970er-Jahre dürfte gerade die massenhafte Zugänglichkeit des Hasenaquarells von Albrecht Dürer durch zahlreiche Reproduktionen kaum Anlass zu Kritik geboten haben.

[7] Schließlich steht das bestehende Interpretationsmodell für Adaptionen des Dürer-Hasen bei Sigmar Polke vor dem zusätzlichen Problem, dass der Künstler in den 1980er-Jahren seine so genannten Schleifenbilder produzierte, welche ebenfalls Motive aus der Kunst Dürers zitieren, allerdings eine ganz andere Einstellung des Künstlers zum deutschen Altmeister zu artikulieren scheinen.9 Im Rahmen seiner Präsentation im deutschen Pavillon auf der 42. Biennale in Venedig 1986 stellte Polke einen Zyklus aus acht Schleifenbildern aus, in welchem die filigranen Schleifenmotive aus Albrecht Dürers Riesenholzschnitt Der Große Triumphwagen Kaiser Maximilians I. (1522) in vergrößertem Maßstab zitiert wurden. Polke betitelte diese Bilder nach den lateinischen Namen der humanistischen Tugenden, die in Dürers Vorlage als weibliche Figuren personifiziert und mit abstrakten, schwebenden Linienschnörkeln ausgeschmückt sind. Auf seinen Bildern kombinierte Sigmar Polke die stark vergrößerten Schleifen Dürers mit Hintergründen, welche er durch ein Experimentieren mit verschiedenen Substanzen und deren chemischen Interaktionen erschuf, wodurch die Lineamente in wolkenartigen Landschaften zu schweben scheinen. In der kunsthistorischen und kunstkritischen Literatur erfuhren Polkes Schleifenbilder zum Teil stark voneinander abweichende Interpretationen. In einem sind sich aber alle Sichtweisen auf diese Dürer-Adaptionen einig: Weder wird ihnen eine Geringschätzung des Altmeisters und dessen künstlerischer Intentionen unterstellt, noch wird in ihnen eine Parodierung der Vereinnahmung von Dürer’schen Motiven in der Massenkultur gesehen.10 Im Gegenteil, Polkes Appropriation der Schleifenlineamente wird zuweilen im Sinne eines in der Kunsttradition seit der Antike überlieferten Künstlerwettstreits, eines Paragone mit Dürer, gedeutet.11

[8] Fasst man gegenwärtige Forschungsmeinungen zu den Dürer-Adaptionen in Polkes Schaffen zusammen, so werden sich daraus äußerst heterogene Interpretationen der Sichtweise des Künstlers auf den deutschen Renaissancemaler ergeben. Demnach scheint Polke in seinen frühen Werken Dürers künstlerisches Erbe mit kritischer Distanz betrachtet und dessen Stellung in der deutschen Kultur ironisiert zu haben, wohingegen er in seinen späteren Arbeiten in Dürers Motiven Aktualität erkannt und sie daraufhin produktiv verarbeitet habe. Die Annahme einer derartigen Inkongruenz in Polkes Haltung gegenüber Dürer erscheint besonders dann zweifelhaft, wenn man bedenkt, dass der Künstler sein Werk Handtücher viele Jahre nach den ersten zwei Dürer Hasen schuf. Folgt man dem gegenwärtigen Interpretationsmodell der Dürer-Rezeption bei Polke, scheint der Künstler nach Jahren der alchemistischen Experimente wieder zur Kritik an Dürers Vereinnahmung in der Trivialkultur zurückzukehren. In der vorliegenden Untersuchung wird hingegen davon ausgegangen, dass Polkes Dürer-Rezeption nicht auf disparaten Rückgriffen auf Dürers Erbe gründet, sondern vielmehr aus der Kontinuität bestimmter Interessen und Themen in seinem Schaffen erwachsen ist.

[9] Die in der frühen kunsthistorischen Befassung mit dem Werk Sigmar Polkes etablierte Fokussierung auf dessen Frühwerk trug zu dem Eindruck einer strikten Trennung seines Schaffens in einzelne, miteinander kaum verbundene Etappen bei.12 Es fällt jedoch auf, dass bei aller Variabilität der Formate, Themen und Medien Polkes künstlerische Praxis auch durch viele Konstanten geprägt ist, wie die immer wiederkehrende Bildsprache der Druckrasterpunkte, die Appropriation von Bildmotiven aus Massenmedien, Subkultur oder Kunst sowie eine Vorliebe für vielfältige textile Materialien, Strukturen und Ornamente. Ein wichtiger Impuls für eine weniger fragmentierte Betrachtung von Polkes Schaffen ging zuletzt von der 2009 in Hamburg von Petra Lange-Berndt und Dietmar Rübel organisierten Ausstellung Wir Kleinbürger! aus, in welcher der gleichnamige Bildzyklus von "Polke und Co." aus den 1970er-Jahren zum ersten Mal einer umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung unterzogen wurde. Eine nähere Beleuchtung dieser zuvor stark marginalisierten Schaffens- und Lebensphase Sigmar Polkes verwandelte einen vermeintlichen Bruch in der Karriere des Künstlers in eine Art biografisches Scharnier.13 Auch in der vorliegenden Studie wird durch eine eingehende Analyse der formalen und medialen Bezüge in Polkes Adaptionen des Dürer-Hasen versucht, diese Werke in den breiteren Kontext seiner Positionen und Problemstellungen einzugliedern. Zudem knüpft die Studie in die seit einiger Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnende kunst- und bildhistorische Forschung zur Interpikturalität (auch als Interikonizität und Interpiktoralität bezeichnet) an. Dieser Begriff, der die "Relationen zwischen Bildern sowie die Modi ihrer Transformation von Einem in ein Anderes [bezeichnet]", wurde in Anlehnung an das literaturwissenschaftliche Konzept der Intertextualität entwickelt.14 Die bulgarische Philosophin, Literaturwissenschaftlerin und Begründerin der Intertextualität Julia Kristeva postulierte erstmals im Jahr 1967, dass jeder "Text" unvermeidlich ein "Mosaik von Zitaten" darstelle.15 Kristeva und die Literaturwissenschaftler Roland Barthes und Gérard Genette stellten damit grundsätzlich das Konzept in Frage, wonach ein Text als intendiertes Resultat der Tätigkeit einer konkreten Person zu verstehen ist. Barthes betrachtete vielmehr jeden "Text" als eine "Echokammer" (chambre d`échos).16 Genette fasste verschiedene Arten der intertextuellen Beziehungen unter der Begriffsmetapher "Palimpsest" zusammen.17 Der Kunsthistoriker Christoph Zuschlag, der in seiner Forschung die Theorie der Interikonizität für moderne und postmoderne Kunst zuletzt angebahnt hatte, räumte ebenfalls ein: "Die Frage des Stellenwerts von Intentionalität und Autorschaft in einer Theorie der Interikonizität gehört […] zu den schwierigsten überhaupt."18 Dennoch betonte er, dass ihm ein enger gefasster, intentionsgeleiteter Begriff von zwischenbildlichen Bezügen für die Kunstwissenschaft produktiver erscheine. In der folgenden Untersuchung zu Dürers Hasenbildern im Werk von Sigmar Polke wird davon ausgegangen, dass Polke mit seinen Adaptionen des berühmten Tiermotivs nicht bloß sein Verhältnis zum Altmeister und dessen Aquarell zum Ausdruck bringen, sondern das Dürer-Zitat in ein Reflexionsfeld für andere, dem Künstler gegenwärtigere Themen transformieren wollte. Die Dürer Hasen von Sigmar Polke werden im Folgenden eingehend formal-, material- und produktionsästhetisch analysiert und im Kontext der Werkpraktiken seiner Künstlerkollegen und der zeitspezifischen sozialen Realitäten untersucht. Die Symbolik und die Ikonografie der Hasen in der westlichen Kultur seit der Antike bildet dabei die Grundlage für die folgende Untersuchung.

Zur Ambiguität des Hasen als Symbol

[10] Als Dürer im Jahr 1502 in Nürnberg die Gestalt eines Hasen in Aquarellfarben auf Papier ausführte, war ihm die Ambiguität dieses Tieres als religiöser und politischer Symbolfigur mit Sicherheit bewusst. Allein in der christlichen Ikonografie können Hasen sowohl das Tugendhafte und Fromme als auch das Lasterhafte verkörpern.19 In frühchristlichen Darstellungen stehen Hasen, da ihnen traditionell ängstliches Verhalten nachgesagt wurde, stellvertretend für Heiden oder schwache und verängstigte Anhänger des neuen Glaubens. Im Gegensatz zu dieser Auslegung wird im Physiologus, einem frühchristlichen Kompendium mit religiös-erbaulichen Deutungen verschiedener Tierarten, das Verhalten eines Hasen allegorisch als musterhafte Einstellung zum christlichen Glauben angeführt. Jeder Christ sollte sich demnach Beispiel am Hasen nehmen, welcher seinen Feinden, Jägern und Hunden, entkommt, indem er bergauf und damit gegen Himmel strebt.20 Die allseits bekannte Fähigkeit der Hasen zur raschen Vermehrung wurde symbolisch ebenfalls kontrovers gedeutet: Seit der Antike zählen Hasen zu den Attributen der Liebes- und Schönheitsgöttin Venus, und als Fruchtbarkeitssymbol sind sie im Mittelalter und in der Renaissance oft in Darstellungen der Geburt Jesu und der Gottesmutter mit Kind zu sehen, etwa in Dürers Holzschnitt Die Heilige Familie mit den drei Hasen (um 1497).21 Vor den Füßen der auf einer Bank im Freien sitzenden Gottesmutter mit Jesuskind sind auf dem Bild drei kleine verspielte Häschen zu sehen. Doch die Fruchtbarkeit dieser Tiergattung machte sie auch zum Sinnbild für Lüsternheit und Sünde, worauf die Rückenfigur eines Hasen auf Dürers Kupferstich Adam und Eva (1504) zu verweisen scheint.22 Auf Gemälden insbesondere der italienischen Renaissance tauchen außerdem oft simultan helle und dunkle Häschen als Begleitfiguren in Darstellungen der Passionsgeschichte nebeneinander auf und dienen dabei als Verweis auf den bevorstehenden Opfertod Christi und dessen nachfolgende Auferstehung. Aufgrund des für Hasen typischen saisonalen Fellwechsels wurde diese Tiergattung in der christlichen Ikonografie zum Symbol der Passion und der Erlösung.23

[11] Seit dem Mittelalter etablierte sich auch die Deutung des Hasen als einer subversiven Figur, die für die Umkehrung bestehender Ordnungen steht. Bereits unter den Reliefdekorationen an den Fassaden romanischer Kirchen finden sich Darstellungen, in welchen Hasen ihre typische Rolle als Jagdbeute verlassen haben und, zu furchterregenden Wesen mutiert, ihre Feinde überwältigen.24 Nach christlicher Auslegung versinnbildlichen Hasen dabei die christlichen Seelen, welche den Versuchungen des Teufels ‒ hier in Gestalt des Jägers ‒ entkommen. Mit der Zeit wurde die Ikonografie der 'rebellierenden' Hasen in das Themenrepertoire der profanen Kunst aufgenommen und zunehmend zu einem politisch zu deutenden Motiv.25 Von dem Nürnberger Künstler Georg Pencz stammt ein Holzschnitt, auf welchem in einer waldigen Landschaft aufrechtgehende Hasen hantieren.26 Während die dargestellte Szene mit den vielen geschäftig wirkenden Hasen auf den ersten Blick amüsant erscheint, entwickelt sich bei genauerem Hinsehen der entsetzliche Charakter des abgebildeten Geschehens. Pencz zeigt, wie ein Hasenrudel einen bärtigen Jäger samt seinen Hunden gefangen genommen hat. Im Vordergrund der Komposition wird der Jäger an einem Baum aufgeknüpft. Den Unglücklichen erwartet vermutlich das gleiche Schicksal wie das seiner Hunde, die in der Darstellung bereits in Stücke zerteilt gezeigt werden. Pencz’ Holzschnitt diente zur Illustration eines um 1550 in Umlauf gebrachten Flugblatts, auf dem auch der Schwank Die Hasen fangen und braten den Jeger des Nürnberger Dichters Hans Sachs in Blockbuchstaben abgedruckt war. Dabei wird der Aufstand der Hasen als allgemeine Parabel auf den Aufstand von Unterdrückten gedeutet, zu dem unvermeidbar jede tyrannische Herrschaft führe.27

[12] Das subversive Potenzial der Hasen bleibt auch für die Kunst der Gegenwart relevant. Die Stimmung des herannahenden Unheils vermitteln David Lynchs Kurzfilmfolgen Rabbits (2002), in welchen eine humanoide Hasenfamilie Szenen einer amerikanischen Sitcom imitiert und dabei das beliebte Fernsehformat in einen dystopischen Horrorfilm verwandelt. Auch das Pastellbild War (Krieg) (2003) der in Portugal geborenen Malerin Paola Rego zeigt eine surreal anmutende Szene der Flucht, in der hasenähnliche Gestalten als agierende Figuren den Bildraum dominieren.28 Die fliehenden Mischwesen mit menschlicher Statur, mit Stoffpuppen ähnelnden Körpergliedern und mit weißen Hasenköpfen wirken gespenstisch und beängstigend. Obwohl sie offensichtlich die zermarterten Opfer des Krieges repräsentieren, wird in den Figuren der Verfolgten eine transformative und aggressive Kraft angedeutet.29

Polkes Dürer Hasen als Rezeption von Beuys

[13] In seiner frühen Skulptur Der Unbesiegbare aus dem Jahr 1963 machte sich auch der in Krefeld geborene Künstler Joseph Beuys vor allem die subversiven Kapazitäten des Hasensymbols zunutze.30 In der kleinen Figureninstallation platzierte der Künstler auf einer weiß gestrichenen Sperrholzplatte einen aufrechtsitzenden Plastilinhasen einem Bleisoldaten gegenüber. Mit der aus Blei ‒ einem Material also, aus dem Gewehrkugeln gegossen werden ‒ geformten Figur des Schützen, der mit seinem Gewehr auf den Hasen zielt, verweist Beuys zunächst auf die Gefährdung der Natur durch menschliche Tätigkeit. Da die Hasenfigur im Maßstab wesentlich größer ist als der Bleisoldat, könnte auch das Potential der Natur angesprochen sein, sich infolge eines unvernünftigen Handelns des Menschen in dessen Bedrohung zu verwandeln. Es ist nicht verwunderlich, dass die plakative Aussage der Skulptur viele Jahre später im Wahlplakat der Grünen zur Europawahl 1979 aufgenommen wurde.31 Im Schaffen von Joseph Beuys blieb der Hase über die Jahre eine immer wiederkehrende Figur. Allerdings wurde die naheliegende, leicht lesbare umweltpolitische Metapher des Unbesiegbaren in den Aktionen und anderen Werken des Künstlers bald durch eine spirituell aufgeladene 'Naturspolie' ersetzt. Beuys wollte, dass der Hase in seinem Werk als eine Art kultischer Naturfetisch gedeutet wird, wie aus seiner Definition der Funktion des Hasen in seiner Kunst im Interview mit Hagen Lieberknecht von 1970 ersichtlich wird:

[...] ich kenne den Hasen aus meiner unmittelbaren Erfahrung. Der Hase hat direkt eine Beziehung zur Geburt. Eine Beziehung in die Erde, nach unten. Für mich ist der Hase ein Symbol für die Inkarnation. Das ist mir übrigens andeutungsweise passiert. Denn der Hase macht das ganz real, was der Mensch nur in Gedanken kann. Er gräbt sich ein, er gräbt sich einen Bau. Er inkarniert sich in die Erde. Und das allein ist wichtig.32

[14] Durch die Figur des Hasen signalisierte Beuys seine große Verbundenheit mit der Natur und drückte in kultisch anmutenden Handlungen mit dem Tier seine Abneigung gegen das rationale Denken und den Positivismus der Naturwissenschaften aus.33 In der ersten Hälfte der 1960er-Jahre setzte der Künstler in mehreren Aktionen den Kadaver eines Hasen als eines der zentralen Elemente ein. Im Rahmen des FESTUM FLUXORUM. FLUXUS an der Düsseldorfer Akademie am 3. Februar 1963 zeigte Beuys seine Aktion FLUXUS Sibirische Symphonie 1. Satz, bei der er einen toten Hasen an einer Schultafel aufhängte und diesem im Verlauf des Happenings das Herz herausschnitt.34 Den eigenen Worten nach suchte der Künstler gerade mit dem Kadaver des Hasen die inhaltliche Relevanz seiner Aktion von den vermeintlich sinnentleerten Aktionen seiner Fluxus-Kollegen abzusetzen:

Wenn ich mit dem Hasen, der innerhalb dieses Konzerts zum ersten Mal real in Erscheinung tritt, eine inhaltliche Beziehung zum Ausdruck bringen will, zu Geburt und Tod, zur Verwandlung der Materie, so hat das nichts gemein mit neodadaistischem Bürgerschreckgetue.35

[15] Die wohl bekannteste Aktion mit einem toten Hasen fand am 26. November 1965 bei der Eröffnung von Beuys’ Ausstellung ... irgendein Strang ... in der Galerie Alfred Schmela in Düsseldorf statt. In der Aktion, die etwas später den Titel Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt erhielt, wurde ein toter Hase vom Künstler als erster Besucher durch die Ausstellung geführt.36 Die Aktion fand unter Ausschluss des Publikums statt, das dem Geschehen nur von außen durch das Galeriefenster schauend beiwohnen konnte. Den Hasen in seinen Armen haltend, ging der Künstler eine Stunde lang durch die Ausstellung und gab vor, mit dem toten Lebewesen zu kommunizieren. Es ist sehr gut möglich, dass sich auch Sigmar Polke im vor dem Schaufenster der Galerie versammelten Publikum befand.37

[16] Als Sigmar Polke 1968 und 1970 seine Dürer-Hasen-Adaptionen schuf, ist ihm zweifelsohne bewusst gewesen, dass er damit nicht nur Bezug zu Dürers Aquarell nahm, sondern ebenso mit dem Motiv des Hasen ein wichtiges Element aus dem Repertoire von Joseph Beuys aufgriff.38 Seit 1961 bekleidete Beuys die Professur für Bildhauerei an der Kunstakademie in Düsseldorf. Sigmar Polke war kein Schüler von Joseph Beuys, sondern er studierte von 1961 bis 1967 an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Karl Otto Götz und Gerhard Hoehme, den Vertretern der informellen Malerei. Nichtsdestotrotz kann man davon ausgehen, dass die künstlerischen Aktivitäten und die Lehrtätigkeit von Joseph Beuys in Düsseldorf für den jungen Polke mitprägend waren.

Beuys war natürlich sehr beeindruckend, immer überraschend und interessant. [...] Unglaublich war seine Fähigkeit, Leute zu bezaubern, richtig zu reagieren und der Mittelpunkt zu sein. [...] Wir haben ihn schon auch kritisch gesehen. Auch die Werke.39

So beschrieb der Maler Gerhard Richter 2015 in einem Interview den Eindruck, den Beuys auf ihn und seine Klassenkollegen während der Studienzeit an der Kunstakademie ausübte. Polke war in derselben Klasse wie Richter; die beiden waren in der frühen Phase ihrer Karrieren eng befreundet und produzierten auch Gemeinschaftswerke.40 Aus den Erinnerungen der anderen Zeitzeugen geht zudem hervor, dass Sigmar Polke als Student Veranstaltungen in der Beuys-Klasse besuchte.41

[17] In seiner Kunst war Joseph Beuys stets bestrebt, seine Nähe zur Natur zu betonen. Mit dem Einsatz natürlicher Materialien suggerierte er, dass diesen bestimmte Wirkungskräfte auf beinahe magische Art und Weise innewohnten.42 Im Kontrast zur deklarierten Naturunmittelbarkeit in Beuys’ Kunst hebt Sigmar Polke in seinen Dürer Hasen hervor, dass seine Hasendarstellungen eben nicht unmittelbar nach der Natur entstanden sind, sondern explizit Dürers Blick auf diese Spezies nachahmen. Geradezu eindringlich betont Polke den rezeptiven Charakter seiner Tierdarstellungen, indem er neben der Hasensilhouette auch Dürers berühmtes Signet "AD" prominent positioniert. Damit zeigt er sich skeptisch gegenüber der Vorstellung, dass eine unmittelbare und unvoreingenommene Rezeption des Hasen und generell der Natur in der zeitgenössischen Kunst möglich sei. Vielmehr deutet er hier an, dass es sogar unmöglich sei, sich der bildlichen Tradition und ihrer Geschichte zu entziehen.

[18] In seinem Baden-Badener Dürer Hasen scheint Sigmar Polke zudem auf okkultisch-alchemistische Züge der Kunst von Joseph Beuys einzugehen. Der rautenförmige Farbfleck, in dessen Mitte Polke mit schwarzer Dispersionsfarbe die Hasensilhouette platzierte, weist Silberpigmente auf. Mit dem Einsatz von Silber nahm Polke ein wichtiges Element aus seiner späteren malerischen Karriere vorweg, als er sich selbst verstärkt alchemistisch anmutenden Experimenten zuwandte. Silber gehört zu den sieben wichtigsten Metallen der Alchemie, der mittelalterlichen Lehre von der Umwandelbarkeit von Metallen und Mineralien.43 Im Verlauf der 1960er-Jahre galt Joseph Beuys als derjenige Künstler am Rhein, der sich als einen wiedergeborenen Schamanen und Alchemisten präsentierte. In Analogie zu ars perfectionis, wie Alchemie auch genannt wurde, strebte der Künstler an, im Rahmen seines erweiterten Kunstbegriffs einen Wandlungsprozess hin zu einem besseren gesellschaftlichen Zusammenleben zu initiieren.44 Als Zeichen dieses Wandels flossen auch traditionelle okkulte und alchemistische Techniken, Handlungen und Materialien, darunter Gold, in sein Werk hinein. Während seiner Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt trug Beuys, Honig und Blattgold auf seinen Kopf auf. Laut Anne Hoormann sollten "diese Materialien sein rationales Denken verändern und stattdessen seine intuitiven Kräfte aktivieren".45 Auch Sigmar Polke spielte in seinen Werken oft mit den Themenfeldern Spiritismus, Geisterbeschwörung und Alchemie. Im Unterschied zu Beuys weisen seine Spiele mit dem Übernatürlichen jedoch Anzeichen der Selbstironie auf. Diese selbstironisierende Haltung Polkes wird dadurch ersichtlich, dass er die spiritistisch-abergläubischen Motive oft übersteigerte, auf absurde Ziele ausrichtete oder mit Motiven aus der Popkultur kombinierte.46 Auch auf dem Bild aus Baden-Baden kontrastiert der anmutige Glitzer des Silbers mit der auf die Umrisslinien reduzierten Gestalt des Dürer’schen Feldhasen.

[19] Dabei stellt der abgebildete Hase keineswegs eine virtuose Karikatur auf Dürers Vorbild dar. Polke führte die Kontur der Hasensilhouette in mehreren Zügen mit schwarzen Pinsellinien aus. Anschließend setzte er, ebenfalls mit dem Pinsel, einige Striche und Tupfer in mattem Grau am Rücken des Tieres, an seinen beiden Ohrlöffeln, der Nase und den Pfoten auf. Diese ergänzenden grauen Pinselstriche überdecken an manchen Stellen die schwarzen Konturlinien und verunklären damit ihre Exaktheit. Sie erwecken dadurch den Eindruck, als habe der Künstler vorgehabt, dem durch Konturlinien skizzierten Hasenbild im nächsten Schritt plastische Wirkung zu verleihen. Polkes Nachzeichnung des Hasen weist damit weniger den Charakter einer gekonnten Karikatur auf als vielmehr den einer scheinbar ernsthaft intendierten Wiedergabe eines Hasen, in deren Zügen bereits nach wenigen Linienstrichen Dürers Feldhase erkennbar wird. Mit seiner fast clownesk-naiv wirkenden Hasenzeichnung scheint Polke Beuys’ Rückgriffe auf archaische Kulturformen zu parodieren. Beuys’ Kunst ist durch die Intention gekennzeichnet, künstlerische Tätigkeit auf archaisierende Formen und Handlungen zurückzuführen. Polke zweifelt hingegen die Möglichkeit des Rückfalls in den Zustand vollkommener kultureller Unschuld an, indem er exemplarisch mit der stark reduzierten Wiedergabe des berühmten Dürer-Hasen verdeutlicht, dass dieses Bild so unmittelbar wirkt, weil es zum Kulturgedächtnis der Deutschen gehört. Mit seinem Dürer Hasen aus Baden-Baden und dem Gummiband Dürer Hasen aus der Sammlung Froehlich formulierte Polke seine provokante Vermutung, dass die Vorstellung des modernen Menschen vom Hasen zu einem großen Anteil durch Dürers Aquarell und weniger durch die Kenntnis der Natur geprägt ist. Gründe für eine solche These konnte der Künstler in den bereits damals vielfältigen Formen der Vereinnahmung des Dürer’schen Hasenmotivs in der Massenkultur finden.47 Im Unterschied zu Beuys wollte Polke die Bilderfahrung der Konsumgesellschaft nicht negieren oder ausblenden, vielmehr versuchte er, darin anderen Vertretern der Pop Art ähnlich, aus Bildern, Materialien und Bildpraktiken des Alltags das subversive und schöpferische Potenzial herauszulösen.48 Gerade die manifeste Verstrickung des Dürer’schen Feldhasen in der Alltagswelt vieler Deutscher motivierte Polke dazu, sich mit diesem Werk in seiner Kunst zu befassen.

Für die Hausfrau

[20] Sigmar Polke kombinierte in den beiden Hasenbildern von 1968 und 1970 das Dürer-Motiv explizit mit Materialien und Attributen aus der Alltagswelt der Bundesrepublik. Der klein gemusterte Stoff, welcher auf dem Baden-Badener Bild als Bildträger fungiert, könnte in einem westdeutschen Haushalt auch als Textilie für Bettwäsche oder Tischdecken Verwendung gefunden haben. Aus dem hellblauen Stoff, welcher den Hintergrund des Gummiband Dürer Hasen aus der Sammlung Froehlich bildet, könnte man auch unprätentiöse einfarbige Herrenhemden nähen lassen. Zudem ruft das weiße Gummiband, welches auf dem Bild dazu dient, die Umrisslinien des Dürer-Hasen nachzuzeichnen, Assoziationen mit gängigen Bekleidungsstücken aus der Herren- und Damengarderobe hervor, wie Röcke, Hosen, Strumpfhosen oder Unterhosen. Das Auswechseln des Gummibandes war in der Nachkriegszeit ein präsentes Merkmal für die alltägliche Sparsamkeit und gehörte wohl primär zum Tätigkeitsbereich der Frauen oder Hausfrauen.

[21] Auch Geschirrtücher, welche auf Polkes 1994 angefertigtem Bild Handtücher zu einer Collage vernäht sind, gehörten durch ihre funktionale Koppelung an Haushaltsaktivitäten wie Kochen, Putzen, Abwaschen, Abtrocknen eher zur Domäne der Frauen als derjenigen der Männer. Polke selbst zementierte diese Assoziationen mit dem Betätigungsfeld der Frau in seiner frühen Zeichnung Für die Hausfrau (1963), in der er in Anlehnung an die Bildsprache professioneller Werbung mit einem banalen Kugelschreiber schlicht gemusterte Geschirrtücher in dünnen, sauberen Linien ausführte (Abb. 5).49

5 Sigmar Polke, Für die Hausfrau, 1963, Kugelschreiber und Aquarell auf Papier, 30 × 25 cm. Sammlung Froehlich, Stuttgart (© The Estate of Sigmar Polke, Cologne / VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

[22] Die dargestellten Geschirrtücher scheinen zu schweben und lassen an die fliegenden Teppiche aus orientalischen Märchen denken. Links oben auf dem Blatt wirkt die schräg angebrachte, titelgebende Beschriftung "für die Hausfrau" ebenfalls schwebend. Die "Hausfrauen" werden damit vom Künstler als Zielgruppe des Erwerbs und Gebrauchs von Geschirrtüchern definiert. Die frühe Zeichnung bezeugt, dass das Geschirrtuchmotiv in Polkes Schaffen bereits in den 1960er-Jahren auftauchte und 1994 im Bild Handtücher mit anderen Mitteln wiederaufgegriffen wurde. Außerdem veranschaulichen die Geschirrtuchmotive Polkes Ideenaustausch mit dem Studienkollegen Konrad Lueg, der als Galerist Konrad Fischer bekannt geworden ist. Während seiner aktiven künstlerischen Karriere bis etwa 1968 wählte Lueg monoton gemusterte Handtücher und Waschlappen als Materialien seiner künstlerischen Arbeiten:

Das Interesse an der Rapporthaftigkeit der Muster lenkte meine Aufmerksamkeit auf andere Dinge. So entdeckte ich nicht nur ähnliches in Einwickelpapieren, sondern auch in der Aussteuer meiner Frau, nämlich in den Handtüchern. Ich habe sie einfach aus dem Schrank nehmen können, so wie sie sind, und habe sie zum Teil unter Glas und im Rahmen, aber auch direkt aufgehängt und ausgestellt.50

So gestand Lueg in einem Interview aus dem Jahr 1966 seine Faszination für die allgegenwärtige "Ornamentik vorgefundener Objekte" ein.51 Der Künstler merkte dabei auch an, dass für ihn diese Haushaltstextilien mit dem Lebensbereich der Frau, hier insbesondere seiner Ehefrau, verbunden seien. Ähnlich wie Polke in seiner Zeichnung Für die Hausfrau und in seinem Bild Handtücher scheint auch Lueg in seinen Gemälden und Siebdrucken durch die Nobilitierung der Haushaltsästhetik und ihrer Einbindung in die Kunst die verankerten geschlechtsspezifischen Rollenstereotype in Frage zu stellen.52 "Die Auseinandersetzung mit Genderfragen spielt eine wichtige Rolle in Polkes Kunst", konstatierten Petra Lange-Berndt und Dietmar Rübel 2009 in ihrem Artikel im Ausstellungskatalog Wir Kleinbürger!.53 Tatsächlich knüpften bereits Polke und Lueg mit ihrer Hinwendung zu Haushaltstextilien an die Tradition des Einsatzes von traditionell als typisch feminin geltenden Handarbeitstechniken, wie Sticken, Stricken und Nähen, durch feministische Aktivistinnen und Künstlerinnen an. Seit den bestickten Protestbannern der britischen Suffragetten zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis hin zu Werken von Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, Annette Messager und Rosemarie Trockel gehören Haushaltstextilien und Handarbeitstechniken zur subversiven feministischen Bildsprache.54 Eine Infragestellung der starren geschlechtlichen Rollenzuweisungen wird bei Polke besonders daran deutlich, dass der Künstler die Haushaltsästhetik ausgerechnet mit der Gestalt des Hasen verknüpfte. Wie bereits oben gezeigt wurde, fungierte der Hase in der politisch-ikonografischen Tradition seit dem Mittelalter als eine beliebte allegorische Figur auf die Umkehrung der bestehenden Ordnungshierarchien. Das Beutetier schlechthin verwandelte sich dabei in den Bezwinger seiner Peiniger.

[23] Polke versuchte darüber hinaus, die Möglichkeiten von Umkehrung oder Wandlung der vorgegebenen Ordnungen visuell zu erproben. Das wird vor allem dann einleuchtend, wenn man seinen Umgang mit dem Motiv der Geschirrtücher dem seines Künstlerkollegen Konrad Lueg gegenüberstellt. Während Lueg die Monotonie der sich immer wiederholenden kleinteiligen ornamentalen Dekore auf Haushaltstextilien affirmativ appropriierte und höchstens durch einzelne zusätzliche Elemente bereicherte, versuchte Polke, die Monotonie und Symmetrie der industriell vorgefertigten Muster zu brechen.55 Er suchte im Vorgefundenen das subversive Potenzial freizulassen, wie einen Dschinn aus Aladins Wunderlampe. Analysiert man schließlich genauer die Beziehungsebenen zwischen Polkes Dürer Hasen von 1968 sowie 1970 und seinem Bild Handtücher von 1994, so wird noch deutlicher, dass der Künstler eine Destabilisierung von Ordnungshierarchien anstrebt.

[24] Viele Zeitgenossen bemerkten Sigmar Polkes phänomenale Fähigkeit zu sehen und zu beobachten.56 Sein Interesse insbesondere an Druckrasterpunkten war oft darauf ausgerichtet, die kleinsten Druckfehler innerhalb der Regelmäßigkeit des Rasters zu entdecken. Diese winzigen Fehler betrachtete der Künstler als Zeichen des kreativen Eigensinnes der Maschine. Dem aufmerksamen Auge des Künstlers entging es wohl auch nicht, dass das Geschirrtuch mit dem Dürer-Hasen, welches auf dem Bild Handtücher eine fast zentrale Stellung einnimmt, keine bloße Replikation des bekannten Kunstmotivs ist, sondern durchaus eine interpretierende Adaption des berühmten Feldhasen aus der Albertina darstellt. Der anonym gebliebene Designer oder die Designerin des Geschirrtuchs paraphrasierte das farbig fein ausnuancierte Aquarell Dürers als ein Chiaroscuro in Rot und Weiß, das an die Pinselzeichnungen Dürers mit schwarzer Tinte und Deckweiß auf farbig grundierten Papieren oder auf blauem, venezianischem Papier (carta azzurra) denken lässt.57 Vergleicht man den Dürer-Hasen auf dem Geschirrtuch mit dem Original, so lassen sich etliche weitere Abweichungen feststellen. Der vordere Kopfteil des Hasen auf dem Geschirrtuch wirkt insgesamt formal zugespitzter als auf der Vorlage. Zudem weist der Hase auf der Textilie ein voll geöffnetes Auge auf, während die Pupille des Dürer-Hasen vom Augenlid leicht überdeckt ist. An Polkes Geschirrtuchhasen ist zudem eine Art Halskrause aus Fell festzustellen, wohingegen der Hals des Dürer-Hasen viel schlanker ausfällt. Schließlich sind auch weiß angelegte Partien zu entdecken, die wie parallele und horizontal platzierte Pinselstriche wirken und den Rumpf des Hasen auf dem Geschirrtuch auf beiden Seiten flankieren. Diese Partien beziehen sich zwar auf den Schattenwurf des Hasen in Dürers Aquarell, da sie jedoch im Unterschied zur Vorlage auf beiden Seiten des Hasen auftauchen, markieren sie weniger den Schatten, als vielmehr die Fläche, auf der das Tier zu kauern scheint. Das den Dürer-Hasen zeigende Geschirrtuch kann damit als eine künstlerische Adaption oder Paraphrase des Vorbildes betrachtet werden.

[25] Gerade in dieser Paraphrase des Dürer-Hasen auf dem handelsüblichen Geschirrtuch erkannte Sigmar Polke eine Verwischung der hierarchischen Schranke zwischen der 'Hochkunst' und dem feminin konnotierten Konsumobjekt. Er beschloss offenbar diesen im Geschirrtuch angebahnten Schwund der Hierarchien aufzugreifen und weiterzudenken. Im Folgenden soll die These aufgestellt werden, dass sich Polke in seinem Baden-Badener Dürer Hasen und folglich auch im Gummiband Dürer Hasen nicht vorrangig auf das Aquarell Dürers bezogen hat, sondern das Geschirrtuch als Vorlage nutzte. Diese Annahme setzt voraus, dass sich das Geschirrtuch mit dem Dürer-Hasen, das erst 1994 in das Bild Handtücher einging, bereits seit Ende der 1960er-Jahren im Besitz des Künstlers befand.58 Zunächst ist zu bemerken, dass der vordere Kopf der Hasensilhouette auf Polkes Baden-Badener Dürer Hasen deutlich zugespitzt wirkt und damit dem Hasen auf dem Geschirrtuch näher kommt als der Vorlage von Dürer. Auch die Form des Tierauges auf Polkes Bild scheint dem Auge des Geschirrtuchhasen mehr zu ähneln. Der karierte Stoff, der dem Bild aus Baden-Baden als Bildträger und Hintergrund dient, scheint auf den karierten Randstreifen des Geschirrtuchs anzuspielen. Doch das stärkste Argument für die Hypothese eines Bezugsverhältnisses von Polkes Dürer Hasen mit dem Geschirrtuch des viel später entstandenen Bildes Handtücher liefert die Position des "AD"-Monogramms. Es fällt auf, dass das Monogramm Dürers mit dem darüber platzierten Datum "1502" auf dem Geschirrtuch im Vergleich zu Dürers Aquarell deutlich nach links verschoben wurde. Während Dürer sein Monogramm ganz augenfällig unterhalb der Vorderpfoten des Tieres und damit fast in der Verlängerung der Diagonale des Hasenrumpfes anbrachte, liegt sein Namenskürzel auf dem Geschirrtuch aus Polkes Handtücher unter der hinteren Pfote des dargestellten Tieres und damit merklich weiter links als auf der Vorlage. Diese Änderung ist wahrscheinlich der Notwendigkeit einer zusätzlichen Aufschrift auf dem Geschirrtuch geschuldet, die mit didaktischem Anspruch über die deutsche und die lateinische Gattungsbezeichnung informiert. Interessanterweise ist sowohl auf Polkes Bild in Baden-Baden als auch auf seinem Gummiband Dürer Hasen in der Sammlung Froehlich eine deutliche Verschiebung des Dürer-Monogramms nach links feststellbar. Hätte der Künstler Dürers Aquarell als direktes Vorbild für seine Adaption genutzt, hätte er wahrscheinlich Dürers Monogramm exakt in die Diagonalachse des dargestellten Tieres gesetzt, zu der das Monogramm in der Vorlage eindeutig tendiert. Die deutliche Verschiebung des "AD"-Signets nach links kann mit keiner kompositorischen Notwendigkeit erklärt werden, außer dass sich der Künstler an einer Vorlage orientiert hat, auf der das Monogramm ebenfalls unter der hinteren Pfote des Tieres platziert ist. Diese Vorlage war für Polke wahrscheinlich das Geschirrtuch, welches er viele Jahre später zum Bild Handtücher verarbeiten sollte.

[26] Das Bezugsverhältnis zwischen dem Dürer Hasen und dem Geschirrtuch wird zudem durch ihre konzeptuelle Verwandtschaft mit dem imitativen Ansatz in einigen Gemälden Polkes aus dem Ausstellungprojekt Original + Fälschung bekräftigt. Diese Ausstellung, entstand in Kooperation mit Achim Duchow und wurde erstmals 1973 im Westfälischen Kunstverein in Münster gezeigt.59 Im Rahmen des Projekts fertigte Polke neun Gemälde nach schwarz-weißen Fotoaufnahmen von Werken Alter Meister und Künstler der Moderne an, die gestohlen worden waren und daher auf einem Steckbrief von Interpol landeten.60 Stefan Römer betrachtet Polkes und Duchows Ausstellungsprojekt als ein Beispiel der künstlerischen Strategie des "Fake" und damit als kritische Hinterfragung der Konzepte von Autorschaft, Originalität und künstlerischer Autonomie: "Der Titel [Original + Fälschung] demonstriert die ironische Distanz der Künstler zur Original-Fälschung-Dichotomie, die offensichtlich für sie keine Wertigkeit mehr besitzt, sondern vielmehr als künstlerisches Reflexionsthema dient."61 Wenn man davon ausgeht, dass Polkes Dürer Hasen aus Baden-Baden und aus der Sammlung Froehlich das Geschirrtuch als Vorlage aufnehmen, so ähnelt dieses Verfahren konzeptuell der paraphrasierenden Aneignung von Fotoaufnahmen verschollener Kunstwerke aus der Ausstellungarbeit Original + Fälschung. In beiden Fällen wird über Nachahmungs- und im weitesten Sinne auch über Aneignungsprozesse in der Kunst reflektiert, wobei die Hierarchieverhältnisse zwischen 'Original' und 'Nachahmung' beziehungsweise zwischen Kunst und Alltagsgegenständen verunklärt und sogar verkehrt werden.

Schlussbetrachtung: Aus Dürer Hasen werden Dürerschleifen

[27] In seinen Adaptionen des Dürer’schen Hasenmotivs reflektierte Sigmar Polke das Verhältnis zwischen Kunst, Alltag und dem kulturellen Gedächtnis der bundesdeutschen Gesellschaft. In Opposition zu Joseph Beuys versuchte er nicht, die durch Massenmedien und Werbung geprägte bürgerliche Kultur der Nachkriegszeit durch archaisierende Kunstsprache zu negieren, vielmehr suchte er sich das Triviale produktiv anzueignen. Die skeptische Ironie seines Rückgriffs auf das Motiv des Dürer-Hasen gilt damit vermutlich weniger dem altmeisterlichen Aquarell, sondern eher dem schamanistischen Hantieren mit dem Hasen seines Düsseldorfer Kollegen. Zudem weist Polkes Verschränkung der künstlerischen Praktiken mit alltäglichen Gegenständen, die in erster Linie der Sphäre der Hausfrau in der Nachkriegsgesellschaft angehörten, subversive Züge auf. Dem Gedanken der Subversion geschlechtsspezifischer Rollenstereotypen pflichtet auch die Gestalt des Hasen bei.

[28] Sigmar Polkes Appropriation des Dürer’schen Hasenmotivs thematisiert ebenfalls die Transformationsprozesse in und durch Kunst – ein Thema, das die gesamte Karriere des Künstlers umspannte. Monika Wagner beobachtete an Polkes Werken aus den 1960er-Jahren jene Wandlungsdynamiken, durch die sich seine eigenen Werke von der Pop Art seiner amerikanischen Kollegen unterscheiden: "Veränderungen und Metamorphosen der Dinge, die im Wurstesser motivisch vorgeführt werden, unterscheiden Polkes Arbeiten von den thematisch verwandten Arbeiten der amerikanischen Pop Art."62 Gerade an Polkes Gummiband Dürer Hasen wird seine Beschäftigung mit dem transformatorischen Potenzial der Kunst nochmals deutlich. Das Bild aus der Sammlung Froehlich bezieht sich offenkundig auf seinen thematischen Vorgänger aus dem Jahr 1968. Beide Arbeiten weisen nicht nur das gleiche Motiv auf, sondern ähneln einander auch im Format. In beiden Bildern lässt sich ebenfalls die bereits angesprochene Verschiebung des Dürer-Monogramms nach links feststellen, die beide gleichermaßen von Dürers Original entfernt und dem Geschirrtuch vom Handtücher-Bild nahebringt. Im Vergleich zum Baden-Badener Bild vollzieht Polke im Gummiband Dürer Hasen eine radikale mediale Transformation. Während das Bild von 1968 noch mit den traditionellen malerischen Mitteln wie Farben und Pinsel auf einem textilen Bildträger ‒ gewissermaßen einer Ersatzleinwand ‒ hergestellt wurde, wird im Bild von 1970 das gleiche Motiv ganz ohne jeglichen Malprozess erzeugt. Es scheint so, als habe Polke in seinem Gummiband Dürer Hasen eine Malerei ohne Malakt angestrebt, ganz im Sinne von Kurt Schwitters’ Plädoyer für die Verwischung der Grenzen zwischen Kunstarten und die Gleichwertigkeit der künstlerischen Materialien: "Bei der Merzmalerei wird der Kistendeckel, die Spielkarte, der Zeitungsausschnitt zur Fläche, Bindfaden, Pinselstrich oder Bleistiftstrich zur Linie, Drahtnetz, Übermalung oder aufgeklebtes Butterbrotpapier zur Lasur, Watte zur Weichheit."63

[29] In seinem Bild thematisiert Polke jedoch nicht nur mediale Transformationsprozesse in der Kunst. Sein Gummiband-Kunstwerk deutet ebenso die Umwandlung einer figurativen Darstellung in eine Abstraktion an. Martin Hentschel bemerkte in seiner Dissertation treffend die formale und mediale Verwandtschaft des Gummiband Dürer Hasen mit Dieter Roths Serie der Gummiband-Bilder aus den späten 1950er-Jahren.64 Bei Roth handelt es sich um monochrom gefärbte quadratische Holztafeln, auf die ein regelmäßiges Raster aus Metallnägeln eingeschlagen wurde.65 Neben der Tafel legte Roth eine Tüte mit Gummiringen so, dass jeder und jede sich in der Formung von beliebigen Figuren mithilfe von zwischen den Nägeln gespannten Gummiringen üben konnte. Roths Gummiband-Bilder regten das Publikum zur Partizipation an der Bildproduktion an und waren damit auf kein bestimmtes finales Ergebnis ausgelegt. Martin Hentschel geht davon aus, dass auch Polkes Gummiband Dürer Hase "eine variable und im wahren Wortsinn dehnbare Vorstellung des Gegenstandes" zum Ausdruck bringt.66 Diese Beobachtung kann jedoch noch weiter präzisiert werden: Im Unterschied zu Dieter Roths Gummiband-Bildern, welche ständig verändert werden können, ohne dabei die immanente künstlerische Intention zu verlieren, wird Polkes Dürer Hase von 1970 nur so lange als Paraphrase des Dürer’schen Aquarells lesbar bleiben, solange die Gummibänder zwischen den Nägeln festgespannt bleiben. Die fotografische Aufnahme des Bildes im Katalog der Tübinger Ausstellung von 1976 dokumentiert, wie sich bereits damals das Gummiband im Bereich des Monogramms teilweise von den Nägeln löste, so dass das "AD"-Kürzel dadurch verunklärt wurde.67 Die Dehnbarkeit des Gummibandes im Falle des Dürer Hasen ist wohl kaum "spielerischer Moment der Variabilität", sondern eher ein dem Bild immanentes Potenzial zur Selbstauflösung.68 Mehr als Dieter Roth in dessen Gummiband-Bildern reflektiert Polke im Gummiband Dürer Hasen über seine Kapazität, das Schicksal seines Werkes nach dessen Herstellung beeinflussen zu können, denn wenn sich die Spannkraft des Gummiband Dürer Hasen mit der Zeit löst, werden sich an seiner Stelle und ohne weiteres Zutun abstrakte Gummibandschleifen bilden. Diese Art von Eigenmächtigkeit des Materials wird Sigmar Polke vor allem ab den 1980er-Jahren verstärkt beschäftigen.

Danksagung
Dieser Artikel resultiert aus dem Forschungsprojekt "Hasenschleife. Dürer-Appropriation bei Sigmar Polke" (2020), gefördert durch ein Stipendium der Anna Polke-Stiftung, Köln. Ich danke ganz herzlich Sophia Stang, Anna Polke und Michael Trier für die Unterstützung bei Recherchen und für Gespräche über Sigmar Polke. Ein besonderer Dank gilt auch Judith Irrgang, Leiterin der Sammlung des Museums Frieder Burda, für den Zugang zu Polkes Bild Dürer Hase (1968) vor Ort. Ich danke ebenfalls ganz herzlich Bettina Uppenkamp für Gespräche über Polke und für die kritische Lektüre dieses Textes.

Gutachter
Prof. Dr. Ursula Frohne, Institut für Kunstgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Prof. Dr. Georg Imdahl, Kunstakademie Münster

Redaktion
Sophie Reinhardt, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München

Lizenz
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1 Kurt Schwitters, Das literarische Werk, hg. v. Friedrich Lach, 5 Bde., Köln 2004, Bd. 3: Prosa 1931–1948, 43.

2 Die Dürer Hasen wurden in den 1970er-Jahren in folgenden Ausstellungen gezeigt: Der Dürer-Hase und anderes: Arbeiten 1964–1972, Ausstellungsverzeichnis Galerie Toni Gerber, in: Die Sammlung Toni Gerber im Kunstmuseum Bern, hg. v. Josef Helfenstein, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bern, Zürich/Bern 2000, 238; Sigmar Polke. Bilder, Tücher, Objekte, Werkauswahl 1962–1971, hg. v. Benjamin H. D. Buchloh, Ausst.-Kat. Kunsthalle Tübingen; Städtische Kunsthalle, Düsseldorf; Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, Köln 1976, 68.

3 Das Bild wurde wohl zum ersten Mal in einer Ausstellung des Künstlers im Musée d’art contemporain de Nîmes ausgestellt, vgl. Jean-Pierre Criqui, "Clothes Make the Canvas: Sigmar Polke", übers. v. Sheila Glaser, in: Artforum international 33/3 (1994), 58-61. Siehe auch Sigmar Polke. Die drei Lügen der Malerei, hg. v. Martin Hentschel, Ausst.-Kat. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, Ostfildern-Ruit 1997, 263. Frieder Burda erwarb den Dürer Hasen (1968) im Jahr 1995 aus der Sammlung Toni Gerber in Bern. Josef Froehlich erwarb den Gummiband Dürer Hasen ebenfalls im Jahr 1995. Die vorherige Besitzerin des Bildes war Heidrun Kaupen-Haas (Hamburg). Zur vollständigen Ausstellungshistorie der beiden Bilder siehe Polke. Eine Retrospektive. Die Sammlungen Frieder Burda, Josef Froehlich, Reiner Speck, Ausst.-Kat. Museum Frieder Burda, Baden-Baden; Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Baden-Baden 2007, 227, Nr. 19; 235, Nr. 20.

4 Siehe Martin Hentschel, Die Ordnung des Heterogenen. Sigmar Polkes Werk bis 1986, Phil. Diss. Univ. Bochum 1991, 299.

5 Ellen Heider, "Spiele mit der Tradition", in: Sigmar Polke. Werke aus der Sammlung Froehlich, Ausst.-Kat. Museum für neue Kunst, ZKM Karlsruhe, Ostfildern-Ruit 2000, 138-145: 140.

6 Julia Gelshorn, Aneignung und Wiederholung: Bilddiskurse im Werk von Gerhard Richter und Sigmar Polke, Paderborn 2012, 199-200. Vgl. auch Karoline Feulner, Auseinandersetzung mit der Tradition – Die Rezeption des Werkes von Albrecht Dürer nach 1945. Am Beispiel von Joseph Beuys, Sigmar Polke, Anselm Kiefer und Samuel Bak, Hamburg 2013, 138.

7 Für die Interpretation von Polkes frühen Werken als Kritik auf Künstlerkollegen siehe zuletzt Mark Godfrey, "From 'Moderne Kunst' to 'Entartete Kunst': Polke and abstraction", in: Alibis – Sigmar Polke, 1963–2010, hg. v. Kathy Halbreich, Ausst.-Kat. The Museum of Modern Art, New York; Tate Modern, London; Museum Ludwig, Köln, London 2014, 118-143.

8 Dieter Hülsmanns, "Kultur des Rasters, Ateliergespräch mit dem Maler Sigmar Polke", in: Rheinische Post, Nr. 108, 10. Mai 1966, o. S.; nochmal abgedruckt in: Dieter Hülsmanns und Friedolin Reske, Ateliergespräche, Düsseldorf 1966, hg. v. Susanne Rennert, Köln 2018, 120-123: 122. Susanne Rennert verweist darauf, dass die Interviewtexte von manchen Künstlern während der Autorisierung stark umgeschrieben wurden. Sigmar Polke gehörte laut Rennert zu jenen, die ihren Text umgeschrieben haben, vgl. dazu Susanne Rennert, "Einführung", in: ebd., 9-15: insb. 8 und 11. Bice Curiger führt in ihrem Artikel aus dem Jahr 1977 folgende Aussage Sigmar Polkes an: "Aufzeichnen, was einem täglich begegnet, was man so anguckt, was einem so in die Augen und in die Hände fällt, ohne zu beurteilen." Siehe Bice Curiger, "Das Lachen von Sigmar Polke ist nicht zu töten (1977)", in: Sigmar Polke: Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. Die 1970er Jahre, hg. v. Petra Lange-Berndt und Dietmar Rübel, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Köln 2009, 190-197: 197.

9 Karoline Feulner kommt zu dem Schluss, dass Polkes Dürer Hasen und seine Dürerschleifen konträre Positionen zu Dürer ausdrücken: "Letztlich stehen sich die Dürer-Hasen, die zweifellos nicht immer ganz ernst aufzufassen sind, den Dürerschleifen, die eine sehr tiefgründige Auseinandersetzung und Intention charakterisieren, diametral gegenüber." Siehe Feulner (2013), 161. Auch Siegfried Gohr konstatierte bei Polke unterschiedliche Beweggründe für Adaptionen des Hasenmotivs und für seine späteren Schleifen-Zitate: "Während also in den frühen Beispielen das Dürer-Motiv als Reflex der Massenkultur in Polkes Werk auftauchte, lassen die späteren Bezugnahmen andere Strategien erkennen." Zit. nach: Dürer und ... Künstler der Akademie und Albrecht Dürer, hg. v. Siegfried Gohr und Vanessa Sondermann, Ausst.-Kat. Akademie-Galerie – Die Neue Sammlung, Kunstakademie Düsseldorf, Düsseldorf 2008, 80.

10 Die Dürerschleifen werden oft in den Kontext von Polkes Farb- und Chemikalienexperimenten gestellt und als Interesse des Künstlers an Zeichen/Symbolen der kreativen Prozesse in Kunst und Natur gedeutet. Charakteristisch für dieses Deutungsmodell ist die Formulierung von Annette Lagler, "Polke deutete die 'Schleifen' als in die Luft gemalte magische Beschwörungsformeln, die seiner Vorstellung von 'Zauber' und rätselhafter Metamorphose entsprachen." Zit. nach Annette Lagler, "Museum – Historischer Ort – Medium der Inspiration. Die westdeutschen Beiträge zur Biennale 1964–1990 und die Rolle des Pavillons", in: Biennale Venedig. Der deutsche Beitrag 1895–1995, hg. v. Christoph Becker und Annette Lagler, Ostfildern 1995, 51-78: 68. Siehe dazu auch Carla Schulz-Hoffmann, "Sigmar Polke, Albrecht Dürer und eine venezianische Reise oder zwei Hunde und ein Knochen kommen nicht leicht zu einer Einigung", in: Sigmar Polke. Schleifenbilder, mit Texten v. Ulrich Bischoff und Carla Schulz-Hoffmann, Stuttgart 1992, 10-28. Auch Anita Shah deutet die Schleifenmotive bei Polke als "Signifikanten für Bewegung, Zeit und Entwicklung", siehe Anita Shah, Die Dinge sehen wie sie sind. Zu Sigmar Polkes malerischem Werk seit 1981, Phil. Diss. Univ. Bonn 1999, Weimar 2002, 70. Verena Kuni und Karoline Feulner sehen in Polkes Rückgriff auf Dürers Schleifenstrukturen auf der Biennale eine kritische Bezugnahme zur nationalsozialistischen Vergangenheit des deutschen Pavillons in Venedig, vgl. Verena Kuni, Der Künstler als 'Magier' und 'Alchemist' im Spannungsfeld von Produktion und Rezeption. Aspekte der Auseinandersetzung mit okkulten Traditionen in der europäischen Kunstgeschichte nach 1945. Eine vergleichende Fokusstudie – ausgehend von Joseph Beuys, Phil. Univ. Marburg 2004, Marburg 2006; Feulner (2013), 149-161.

11 Hans Belting verortet Polkes Dürerschleifen im seit der Antike überlieferten Narrativ der künstlerischen Selbstbehauptung durch Wettstreit: "Das ist vielleicht der Sinn der 'Dürerschleifen', die Polke durch einen virtuosen Wettstreit in 'Polkeschleifen' verwandelte." Zit. nach Hans Belting, "Über Lügen und andere Wahrheiten der Malerei. Einige Gedanken für S. P.", in: Sigmar Polke. Die drei Lügen der Malerei (1997), 129-144: 134. Laszlo Glozer definierte die Funktion der Dürerschleifen in Polkes Beitrag für die Biennale in Venedig als eine Art Symbolzeichen der künstlerischen Hand: "[...] die Signatur der Kunst als Stempelabdruck der Kultur, [...]". Zit. nach Laszlo Glozer, "Mutmassungen über Polke in Venedig", in: Parkett 30 (1991), 74-79: 79.

12 Für einen kritischen Abriss der aktuellen Polke-Forschung siehe Stefan Gronert, "Noch nicht auf den Punkt gebracht: Zum Stand der Forschungen zur Kunst von Sigmar Polke", in: Kunstchronik 71/7 (2008), 392-398.

13 Siehe die Essays zum Thema in: Sigmar Polke: Wir Kleinbürger! (2009).

14 Valeska von Rosen, "Interpikturalität", in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. v. Ulrich Pfisterer, 2. Aufl., Stuttgart/Weimar 2003, 208-211: 208. Für eine kritische Reflexion des Forschungsfeldes vgl. Guido Isekenmeier (Hg.), Interpiktorialität. Theorie und Geschichte der Bild-Bild-Bezüge, Berlin 2013 (Image, Bd. 42). Als Synonym zur "Interpikturalität" wird auch der Begriff "Interikonizität" verwendet, vgl. Julia Gelshorn, "Interikonizität", in: Kritische Berichte 35/3 (2007), 53-58.

15 Julia Kristeva, "Wort, Dialog und Roman bei Bachtin", übers. v. Michel Korinman und Hainer Stück, in: Literaturwissenschaft und Linguistik, hg. v. Jens Ihwe, Bd. 3: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft, Frankfurt am Main 1972, 345-375: 348.

16 Roland Barthes, Über mich selbst, übers. v. Jürgen Hoch, München 1978, 81.

17 Gérard Genette, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, übers. v. Wolfram Bayer und Dieter Hornig, 8. Aufl., Frankfurt am Main 2018. Um die Vielschichtigkeit der Bildbezüge zu beschreiben, greift auch Klaus Krüger den Begriff "Palimpsest" auf, vgl. Klaus Krüger, "Das Bild als Palimpsest", in: Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch, hg. v. Hans Belting, München 2007, 133-164.

18 Christoph Zuschlag, "Auf dem Weg zu einer Theorie der Interikonizität", in: Lesen ist wie Sehen. Intermediale Zitate im Bild und Text, hg. v. Silke Horstkotte und Karin Leonhard, Weimar/Wien 2006, 89-99: 97. Zur Beschreibung der Strategien künstlerischer Nachahmung in der Kunst der Moderne und der Gegenwart verwendet Christoph Zuschlag auch Begriffe wie "Kunstzitat" und "Metakunst", vgl. Christoph Zuschlag, "Vom Kunstzitat zur Metakunst, Kunst über Kunst im 20. Jahrhundert", in: Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier, hg. v. Ekkehard Mai, Kurt Wettengl und Andreas Büttner, Wolfratshausen 2002, 170-189.

19 Auch in anderen Kulturen ist der Hase ein verbreitetes Symbol der Fruchtbarkeit, wie beispielsweise bei den Azteken und nordamerikanischen Ureinwohnern. In China und Japan gilt der Hase als lunares Zeichen und wird als Glücksbringer geschätzt. Mehr zur Symbolik des Hasen in nicht-christlichen Kulturen, siehe Art. "Hase", in: Das Buch der Symbole, hg. v. Ami Ronnberg und Kathleen Martin, Köln 2011, 288-289.

20 Vgl. dazu Physiologus, übers. und hg. v. Otto Schönberger, Stuttgart 2001, 100-103.

21 Albrecht Dürer, Die Heilige Familie mit den drei Hasen, um 1497, Holzschnitt, 39 × 28,2 cm, Abb. in Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk, hg. v. Rainer Schoch, Matthias Mende, Anna Scherbaum, 3 Bde., München/Berlin/London/New York 2002, Bd. 2: Holzschnitte und Holzschnittfolgen, 56-58, Nr. 108.

22 Albrecht Dürer, Adam und Eva, 1504, Kupferstich, 25,1 × 19 cm, Abb. in Schoch/Mende/Scherbaum (2002), Bd. 1: Kupferstiche, Eisenradierungen und Kaltnadelblätter, 110-113, Nr. 39. In der Renaissance finden sich auch Beispiele von Hasendarstellungen, in welchen antagonistische symbolische Deutungen dieser Tiere simultan Anwendung finden. Siehe beispielsweise Giovanni di Paolo, Vertreibung aus dem Paradies und die Verkündigung, 1435, Tempera auf Holz, 40 × 46,4 cm, Washington, D.C., The National Gallery of Art, Inv. 1939.1.223. Das Bild, ursprünglich wohl Teil der Predella eines größeren Altarretabels, kombiniert eine alttestamentliche mit einer neutestamentlichen Szene. Die im Paradiesgarten spielenden Häschen verweisen damit zugleich auf die Erbsünde der Ureltern und auf die unbefleckte Empfängnis. Zu anderen Beispielen der Auslegung der Hasen als christlichem Symbol von sowohl Fruchtbarkeit als auch Sünde vgl. Wolfgang Kemp, "Hase", in: Lexikon der christlichen Ikonographie, hg. v. Engelbert Kirschbaum, 8 Bde., Freiburg im Breisgau 1994, Bd. 2, 222-226; Sigrid Dittrich und Lothar Dittrich, Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14.–17. Jahrhunderts, Petersberg 2004 (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte, Bd. 22), 194-206.

23 Zum Hasen als Symbol für Verwandlung und mystische Transsubstantiation siehe Franz-Joachim Verspohl, "Mit offenen Augen schläft der Hase... – Joseph Beuys und die Tiere", in: Uni Report. Berichte aus der Forschung der Universität Dortmund 12 (1990/91), 26-30.

24 Vgl. dazu Reliefs mit Hasen, welche einen Menschen verfolgen oder gefangen genommen haben, an der Fassade der Kirche Saint Léger in Murbach (Elsass) und an der Ost-Apsis des Kaiserdoms von Königslutter (1135–1137), vgl. Kemp (1994), 223.

25 Zur politischen Interpretation von Darstellungen der verkehrten Welt, in welchen Hasen in der Rolle von Menschen zu sehen sind, siehe Jeffrey Chipps Smith, Nuremberg. A Renaissance City 1500 ‒ 1617, Austin 1983, 208; Diana Scillia, "Hunter Rabbits/Hares in Fifteenth and Sixteenth-Century Northern European Art. Parody and Carnival?", in: Parody and Festivity in Early Modern Art. Essays on Comedy as a Social Vision, hg. v. David Smith, Farnham 2012, 39-49. Eine sehr ausführliche Zusammenstellung von historischen Quellen sowie Sekundärliteratur zu verschiedenen Varianten der symbolischen Deutung von Hasen siehe Klaus Graf, "Verkehrte Welt: Hasen fangen und braten den Jäger", in: ARCHIVALIA [1.5.2020], URL: https://archivalia.hypotheses.org/114945#footnote_10_114945 (letzter Zugriff: 8.7.2021).

26 Die Welt des Hans Sachs. 400 Holzschnitte des 16. Jahrhunderts, hg. v. Stadtgeschichtliche Museen Nürnberg, Ausst.-Kat., Nürnberg 1976, Nr. 166, 159.

27 Hans Sachs, Werke in der Reihenfolge ihrer Entstehung, hg. v. Wolfgang F. Michel und Roger A. Crockett, Bd. 2: Hochperiode 1548–1553, Bern 1996, 115-116.

28 Paola Rego, War (Krieg), 2003, Pastell auf Papier aufkaschiert auf Aluminium, 160 × 120 cm, London, Tate Modern, Inv. Nr. T12024.

29 So bemerkte Maria Warner: "[...] hers [Paola Rego’s] are not simplistic tales of victims and opressors at all, but full of reversals and surprises", zit. nach Marina Warner, Forms of Enchantment. Writings on Art & Artists, London 2018, 22.

30 Joseph Beuys, Der Unbesiegbare, 1963, Sperrholzplatte, Knetmasse, Bleisoldat, 5,5 × 30 × 20 cm, heute Teil des Block Beuys im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, siehe die Fotoaufnahme von Eva Beuys in Götz Adriani, Winfried Konnertz und Karin Thomas (Hg.), Joseph Beuys, überarb. und erweitert. Neuauflage, Köln 1994, 56.

31 Zur Deutung der Skulptur vgl. Anne Hoormann, Medium und Material. Zur Kunst der Moderne und der Gegenwart, hg. v. Dieter Burdorf, Mechthild Fend und Bettina Uppenkamp, Paderborn/München 2007, 35.

32 Joseph Beuys im Gespräch mit Hagen Lieberknecht (29.9.1970), zit. nach: Joseph Beuys, Hiermit trete ich aus der Kunst aus. Vorträge, Aufzeichnungen, Gespräche, hg. v. Wolfgang Storch, Hamburg 2021, 60-82: 69.

33 Bettina Paust definiert die Funktion der Tiere in Beuys’ Schaffen folgendermaßen: "Tiere versinnbildlichen im Beuys’schen Werk die Verheißung, dass der Mensch in Rückbesinnung auf ältere Kulturen in der (Re)aktivierung innerer Kräfte sein Verhältnis zur Natur und damit zu den Tieren bzw. zu nicht-menschlichen Lebewesen wiederherstellen, verbessern oder sogar vollständig heilen könne." Zit. nach Bettina Paust, "Joseph Beuys und der Kojote. Wie das lebende Tier in die Kunst kam", in: Das ausgestellte Tier. Lebende und tote Tiere in der zeitgenössischen Kunst, hg. v. Bettina Paust und Laura-Mareen Janssen, Berlin 2019, 13-35: 18.

34 Eine ausführliche Beschreibung der Aktion bietet Uwe M. Schneede, Joseph Beuys. Die Aktionen. Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotografischen Dokumentationen, Ostfildern-Ruit 1994, 22-24.

35 Zit. nach Adriani/Konnertz/Thomas (1994), 54.

36 Der Titel der Aktion tauchte zum ersten Mal in der dänischen Zeitschrift Hvedekorn 40/5 (1966), 169-171 auf. Zur Videodokumentation der Aktion siehe Joseph Beuys. Die Eröffnung 1965 "... irgendein Strang ... wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt", hg. v. Eva Beuys und Wenzel Beuys, Booklet und DVD mit den Fragmenten der Aktion, Göttingen 2010. Zur Aktion selbst vgl. Martin Müller, Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt. Schamanismus und Erkenntnis im Werk von Joseph Beuys, Alfter 1993; Schneede (1994), 102-111.

37 Im Gespräch mit Uwe Schneede berichtet Gerhard Richter, dass er die Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt gesehen habe, und bemerkt dazu, sie sei "[...] mit großem Abstand das Interessanteste gewesen, was überhaupt geschah: Alles andere konnte man verstehen, und das war das Unangenehme", zit. nach Schneede (1994), 104.

38 Eine sehr ausführliche Darlegung und Interpretation der Rolle des Hasen im Werk von Beuys bietet Hoormann (2007), 23-38.

39 Interview von Franziska Leuthäußer mit Gerhard Richter (7.5.2015), in: Café Deutschland, URL: https://cafedeutschland.staedelmuseum.de/gespraeche/gerhard-richter (letzter Zugriff: 18.3.2021).

40 Zur frühen Freundschaft und späteren Rivalität zwischen Polke und Richter vgl. Hubertus Butin, "Gerhard Richter und Sigmar Polke. Eine Künstlerfreundschaft als mikrosoziales System", in: Legitimationen. Künstlerinnen und Künstler als Autoritäten der Gegenwartskunst, hg. v. Julia Gelshorn, Bern 2005 (Kunstgeschichten der Gegenwart, Bd. 4), 43-60.

41 Auch Walter Dahn, Begründer der Mülheimer Freiheit und Vertreter der sogenannten Neuen Wilden, war ebenfalls bis 1971 Student in der Beuys-Klasse. Später studierte Dahn bei Sigmar Polke in Hamburg. Der Künstler erinnert sich folgendermaßen an das Verhältnis zwischen Polke und Beuys: "Der Sigmar hatte mit Beuys so eine Art Competition lange Jahre laufen: Wer hat das letzte Wort, wer hat den witzigsten Satz zum Schluss." Zit. nach Interview mit Walter Dahn (13.12.2020), in: Audioarchiv Kunst, URL: http://audioarchivkunst.de/zeitzeugen/walter-dahn/, Audiodatei, 40'58'' (letzter Zugriff: 18.6.2021). Beuys’ Student und Assistent Johannes Schüttgen erinnert sich, dass Polke bei Veranstaltungen in der Beuys-Klasse oft mit dabei war, vgl. das Interview mit Johannes Schüttgen (14.3.2019), in: Audioarchiv Kunst, URL: http://audioarchivkunst.de/zeitzeugen/johannes-stuettgen/, Audiodatei, 27' (letzter Zugriff: 18.6.2021). Auch die Videokünstlerin Ulrike Rosenbach, die ebenfalls bei Beuys studierte, erinnert sich daran, dass Polke viel Zeit in der Beuys-Klasse verbrachte, vgl. das Interview mit Ulrike Rosenbach (25.6.2018), in: Audioarchiv Kunst, URL: http://audioarchivkunst.de/zeitzeugen/ulrike-rosenbach/, Audiodatei, 5'36'' (letzter Zugriff: 18.6.2021).

42 Vgl. dazu Hans Dickel, Kunst als zweite Natur. Studien zum Naturverständnis in der modernen Kunst, Berlin 2006, 170; Paust (2019), 21.

43 Vgl. dazu Hans Werner Schütt, "Silber", in: Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, hg. v. Claus Priesner und Karin Figala, München 1998, 336-338; Lawrence M. Principe, "Gold", in: ebd., 157-160; ders., "Lapis philosophorum", in: ebd., 215-220. Zu Alchemie und ihrer Relevanz für die zeitgenössische Kunst siehe Ulli Seegers, Alchemie des Sehens: Hermetische Kunst im 20. Jahrhundert: Antonin Artaud, Yves Klein, Sigmar Polke, Köln 2003. Zuletzt zum Verhältnis zwischen Alchemie und Kunst vgl. Kunst und Alchemie. Das Geheimnis der Verwandlung, hg. v. Sven Dupré, Ausst.-Kat. Museum Kunstpalast Düsseldorf, München 2014; Alchemie. Die große Kunst, hg. v. Jörg Völlnagel, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Köln 2017.

44 Zu alchemistischen und schamanistischen Zügen der Kunst von Joseph Beuys siehe Antje von Graevenitz, "Die alten und neuen Initiationsriten. Epiphanie bei Beuys", in: Joseph-Beuys-Tagung, hg. v. Volker Harlan, Basel 1991, 102-106; Laura Arici, "Joseph Beuys als Esoteriker. Zum Weltbild des deutschen Künstlers", in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1991, 302-314; Nicole Fritz, Bewohnte Mythen. Joseph Beuys und der Aberglaube, Nürnberg 2007. Für einen kritischen Überblick über Beuys’ Rezeption als 'Magier', 'Schamane' oder 'Alchemist' durch kunsthistorische Literatur, Kunstkritik und Kunst siehe Kuni (2004), insb. Kap. III. "Exemplum. Joseph Beuys", 149-280.

45 Zit. nach Hoormann (2007), 26.

46 Zuletzt diskutierte Joseph Imorde am Beispiel von Polkes Bild Tischerücken (1981) die Koppelung zwischen Ironie und dem Spiritismus im Schaffen des Künstlers. Siehe Joseph Imorde, "Tischerücken. Sigmar Polkes (ironische) Explorationen künstlerischer Hinterwelten", in: Sigmar Polke und die 1970er Jahre. Netzwerke, Experimente, Identitäten, hg. v. Joseph Imorde, Eva Schmidt und Christian Spies, unter Mitarbeit von Erhard Schüttpelz, Ausst.-Kat. Museum für Gegenwartskunst Siegen, Siegen 2020, 27-35.

47 Zur Kommerzialisierung der Dürer-Motive in der Nachkriegszeit vgl. Feulner (2013), 47-54. Zur Geschichte der Rezeption des Hasenaquarells in Kunst, Literatur und Fotografie vgl. Christof Metzger, "'Lieben, Lächeln und Sich erinnern': Albrecht Dürers Hase", in: Die Gründung der Albertina. 100 Meisterwerke der Sammlung, hg. v. Klaus Albrecht Schröder, Ostfildern 2014, 48-56.

48 Am Bezug zum Alltag machte Uwe Schneede den Unterschied zwischen Beuys und dessen Fluxus-Kollegen fest: "Offenbar wird auch, daß Beuys den von Fluxus in Frage gestellten Abstand zwischen Kunst und Leben wiederherstellte. Seine Aktionen wollten nicht – wie diejenigen von Wolf Vostell – die Grenzen zwischen Leben und Kunst verwischen; sie erhielten diese Grenzen sehr wohl um der Besonderheit des Bildes und der Kunst willen aufrecht [...]." Zit. nach Schneede (1994), 27.

49 Polke. Eine Retrospektive. Die Sammlungen (2007), Nr. 64, 236; Sigmar Polke. Arbeiten auf Papier 1963–1974, hg. v. Margit Rowell, mit weiteren Essays von Michael Semff und Bice Curiger, Ausst.-Kat Hamburger Kunsthalle, Ostfildern 1999, Nr. 27, 50.

50 Interview von Dieter Hülsmanns mit Konrad Lueg, erstmals veröffentlicht in: Rheinische Post, 26.4.1966; zuletzt abgedruckt in: Hülsmanns/Reske/Rennert (2018), 105-107: 107.

51 Hülsmanns/Reske/Rennert (2018), 105-107: 107.

52 In Luegs Schaffen findet sich ein Bild mit dem Titel Betende Hände, 1963 (Acryl auf Leinwand, 120 × 100 cm. Nachlass des Künstlers, Sammlung Fischer, Düsseldorf), welches sich unmissverständlich auf Dürers Zeichnung Betende Hände bezieht. Das Werk kann ebenfalls als subversive Hinterfragung der Rollenbilder verstanden werden, da der Künstler die offensichtlich männlichen Hände von Dürers Vorbild in eher weibliche Hände mit rot lackierten Nägeln uminterpretierte. Vgl. Ich nenne mich als Maler Konrad Lueg, hg. v. Thomas Kellein, Ausst.-Kat. P.S.1 Contemporary Art Center New York; Kunsthalle Bielefeld; Stedelijk Museum voor Actuele Kunst (SMAK) Gent, Bielefeld 1999, Nr. 12. Darüber hinaus hängte Lueg dieses Bild 1963 als Teil seiner mit Gerhard Richter veranstalteten Ausstellung Leben mit Pop. Demonstration für den kapitalistischen Realismus im Düsseldorfer Möbelhaus Berges auf. Inmitten der Mustereinrichtungen verschiedener Möbelabteilungen fungierte das Bild als ausdrücklicher Verweis auf die Popularität der Dürer-Zeichnung als Zimmerschmuck. Vgl. dazu Susanne Küper, "Konrad Lueg und Gerhard Richter: 'Leben mit Pop – Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus'", in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 53 (1992), 289-306: 295 (dort Abb. 9).

53 Petra Lange-Berndt und Dietmar Rübel, "Multiple Maniacs! Fluchtbewegungen bei Sigmar Polke & Co.", in: Sigmar Polke: Wir Kleinbürger! (2009), 21-70: 58.

54 Zur Kunst- und Sozialgeschichte des Stickens als einer Form der weiblichen Handarbeit und zum Einsatz von Handarbeitsmotiven in den Frauenbewegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vgl. Rozsika Parker, The Subversive Stitch. Embroidery and the Making of the Feminine, London 1984, insb. Kap. 8: "A Naturally Revolutionary Art?", 189-215. Zu Annette Messagers Werkzyklus Collection de proverbes (1973–1974) sowie zu weiteren Beispielen der Einbeziehung der Handarbeit durch Künstlerinnen seit den 1970er-Jahren siehe Bettina Uppenkamp, "(Un)zeitgemäß und subversiv? Sticken bei Annette Messager und anderen feministischen Künstlerinnen in den 1970er Jahren", in: Unzeitgemäße Techniken. Historische Narrative künstlerischer Verfahren, hg. v. Magdalena Bushart, Henrike Haug und Stefanie Stallschus, Wien/Köln/Weimar 2019 (Interdependenzen, Bd. 4), 267-281. Zum Stricken bei Rosemarie Trockel und anderen Künstlerinnen vgl. Julia Wallner, "Spiderwomen: Verletztheit, Verletzlichkeit und analoges Sticken. Die Umwertung geschlechtsspezifischer Klischees", in: Kunst & Textil. Stoff als Material und Idee in der Moderne von Klimt bis heute, hg. v. Markus Brüderlin, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Wolfsburg, Ostfildern 2013, 308-317. Zuletzt verwies Anne Röll auf die konzeptuelle Nähe von Polkes Nutzung der Textilien in seinem Werk und den Praktiken der Anfertigung von Quilts durch feministische Künstlerinnen, vgl. Anne Röll, "Polkes Bett", in: Sigmar Polke und die 1970er Jahre (2020), 89-99.

55 Für eine ähnliche Argumentation jedoch an einem anderen Beispiel aus dem Werk Polkes, vgl. Ksenija Tschetschik-Hammerl, "Das Haus von Mondrian. Zur Symbiose von Kunst und Alltag bei Sigmar Polke", in: Sigmar Polke. Dualismen, hg. v. Verena Hein, Stefanie Patruno, Ausst.-Kat. Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg; Städtische Galerie Karlsruhe, Regensburg 2021, 71-75: 73.

56 Der Schweizer Fotograf Andreas Züst gab einer Fotoaufnahme von Sigmar Polke aus dem Jahr 1976 folgende Beschriftung bei: "Der äußerst scharf beobachtende Sigmar Polke aus Köln, dem selten etwas entgeht, [...]". Zit. nach Andreas Züst, Bekannte Bekannte. 561 Photos aus 17 Jahren, Göttingen 1987, Bd. 1, 11.

57 Vgl. beispielsweise Dürers Studien zu seinem Gemälde Rosenkranzfest (1506) und zum Heller-Altar (1507­–1508), siehe Albrecht Dürer, hg. v. Christof Metzger, Ausst.-Kat. Albertina Wien, München/London/New York 2020, 264-279; 302-315.

58 Sigmar Polke hatte ein ausgeprägtes Interesse an Stoffen, wovon bereits seine Bilder aus den frühen 1960er-Jahren zeugen. Der Künstler kaufte Stoffe auf Vorrat. Anna Polke erinnert sich, dass sich im Atelier ihres Vaters "Berge an Stoffen" befunden haben. Vgl. Mike Karstens und Anna Polke im Gespräch mit Christian Spieß, "leicht kann jeder", im Rahmen von: POLKE SALON (4.2.2021), URL: https://www.anna-polke-stiftung.com/veranstaltungen/, 10'20'' (letzter Zugriff: 5.7.2021).

59 Zur Ausstellung erschien die Publikation von Sigmar Polke und Achim Duchow, Franz Liszt kommt gern zu mir zum Fernsehen, hg. v. Jean-Christophe Ammann, Münster 1973. Ein Jahr später wurde die Ausstellung im Städtischen Kunstmuseum in Bonn gezeigt, siehe dazu Sigmar Polke: Original + Fälschung, hg. von Dierk Stemmler unter Mitarbeit von Achim Duchow, Ausst.-Kat. Städtisches Kunstmuseum Bonn, Bonn 1974.

60 Diese Liste "The 12 Most Wanted Works of Art" wurde von Polke und Duchow auf dem Kommentarbild 5-13, 60 × 80 cm, unterhalb der Gemälden ausgestellt. Zur Beschreibung des Ausstellungsprojekts siehe den Text des Kurators der ersten Ausstellung Original + Fälschung im Westfälischen Kunstverein von 1973, Klaus Honnef, "Sigmar Polke und die Kunst der Fälscher", in: Sigmar Polke. Original + Fälschung, hg. v. Agnes Husslein-Arco, Ausst.-Kat. Rupertinum ‒ Museum Moderner Kunst, Salzburg 2003, 6-10.

61 Stefan Römer, Der Begriff des Fake, Phil. Diss. Humboldt-Univ. Berlin 1998, 36, URL: https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/15158/Roemer.pdf?sequence=136 (letzter Zugriff: 4.7.2021); auch publiziert als Stefan Römer, Künstlerische Strategien des Fake. Kritik von Original und Fälschung, Köln 2001.

62 Monika Wagner, "Polkes Pop", in: Sigmar Polke: Wir Kleinbürger! (2009), 386-397: 389. Unter Wurstesser ist folgendes Bild von Sigmar Polke gemeint: Der Wurstesser, 1963, Dispersion auf Leinwand, 200 × 150 cm, Glenstone Museum, Potomac, Maryland, siehe Sigmar Polke. Die drei Lügen der Malerei (1997), 23.

63 Kurt Schwitters, "Die Merzmalerei", 1919, in: Lach (2004), Bd. 5: Manifeste und kritische Prosa, 37.

64 Hentschel (1991), 301-302.

65 Zu Dieter Roths Gummiband-Bildern siehe Roth-Zeit. Eine Dieter Roth Retrospektive, hg. v. Theodora Vischer und Bernadette Walter, Texte von Dirk Dobke und Bernadette Walter, Ausst.-Kat. Schaulager, Basel; Museum Ludwig, Köln; The Museum of Modern Art Queens/P.S.1 Contemporary Art Center, New York, Baden 2003, 64.

66 Hentschel (1991), 301.

67 Sigmar Polke. Bilder, Tücher, Objekte (1976), 68.

68 Michael Trier erinnert sich, dass, als der Gummiband Dürer Hase von dem Sammler Josef Froehlich 1995 erworben wurde, Sigmar Polke die bereits schlaff hängenden Gummibänder auf dem Bild neu bespannen musste. Gespräch mit Michael Trier in der Anna Polke Stiftung in Köln am 3.8.2021.