RIHA Journal 0299 | 10 December 2023
Verlockende Struktur und gefährliche Ganzheit
György Kepes’ Band Struktur in Kunst und Wissenschaft als Bindeglied zwischen Vorkriegsavantgarden, Strukturalismus und Postmoderne
Abstract
After 1945, the term 'structure' became a guiding category not only in the
sciences but also in the arts. In 1965, while teaching at the Massachusetts
Institute of Technology, György Kepes published in the MIT series vision
+ value the anthology Structure in Art and Science, which contains
individual contributions by various authors from different disciplines. Through a
close reading, I show how these build on elementarist concepts of the pre-World
War II period, while at the same time offering connecting possibilities to
so-called poststructuralist models of thought. In addition, I examine how macro
photographs were used suggestively in this context to create a holistic unity of
art and nature.
Inhalt
'Struktur
in der Nachkriegsmoderne
Der Band Struktur
in Kunst und Wissenschaft von
György Kepes
Kepes als Vermittler
Struktur in Kunst und Wissenschaft
– Aufbau und Inhalte
Zu Argumentation und Funktion des Bandes
Formanalogie als populäre
Seherfahrung in der Nachkriegszeit
'Struktur'
als Leitbegriff in Kunst und Gestaltung
Kepes’ visuelle Argumentation
Analogiesetzung als heuristisches Mittel
Kepes’ ganzheitlicher Ansatz
Elementarismus vs. Dynamismus in der
Vorkriegsmoderne
Kepes’ Anknüpfungspunkte an
die Vorkriegsmoderne
Ganzheit als zeittypische Vorstellung
Jenseits von Ganzheit
Anti-Struktur?
Fazit
'Struktur' in der Nachkriegsmoderne
[1] Der Begriff 'Struktur' bestimmte unter dem programmatischen Oberbegriff 'Strukturalismus' nicht nur Philosophie, Linguistik, Ethnologie und Soziologie der Nachkriegszeit,1 sondern wurde vor allem in den 1960er Jahren auch auf den Gebieten der Architektur und Gestaltung ubiquitär verwendet.2 Die Popularität des Begriffs 'Struktur' erklärt sich neben seiner sehr hohen Adaptionsfähigkeit an unterschiedlichste Bereiche damit, so die These, dass 'Struktur' offenbar zeitweise geeignet erschien, modelltheoretisch von den regelbasierten Konzepten der (Spät‑)Moderne zu relationalen, gesellschaftsbezogenen Gestaltungstheorien überzuleiten, die sich selbst als poststrukturalistisch und/oder postmodern bezeichneten. Die erste Hälfte der 1960er Jahre stellt damit eine kurze Zeitspanne in der Theoriebildung der Nachkriegszeit dar, die zwar einen zentralen ideengeschichtlichen Umbruch markiert, aber bislang in Hinblick auf die Brückenfunktion des Struktur-Begriffes nur wenig untersucht wurde.3
[2] Ziel dieses Beitrags ist es, die Kontinuitäten und Überschneidungen zu älteren Denkfiguren und Entwurfskonzepten nachzuzeichnen, um das dem Struktur-Denken inhärente Erbe der Vorkriegszeit sichtbar zu machen und zugleich das unorthodoxe, schöpferische Potential aufzuzeigen, das die Denkfigur der 'Struktur' eröffnete. Nicht zuletzt sollen die Anschlüsse poststrukturellen und postmodernen Denkens an den Struktur-Begriff skizziert werden.
Der Band Struktur in Kunst und Wissenschaft von György Kepes
[3] Als signifikantes Beispiel für die beschriebene Überleitungsfunktion der 'Struktur' dient hier der 1965 von György Kepes herausgegebene Sammelband Struktur in Kunst und Wissenschaft (englisch: Structure in Art and Science), in dem verschiedene Wissenschaftler, Architekten und Künstler (darunter zwei Frauen) Gestaltung als strukturellen Prozess und/oder in Analogie zu in der Natur beobachtbaren Strukturen beschreiben. Die einzelnen Beiträge umreißen gerade in ihrer Heterogenität zentrale Punkte des Entwurfskonzepts 'Struktur', das viele Denktraditionen der Vorkriegsmoderne weiterführte, diese jedoch zugleich zu erweitern oder sogar zu überwinden suchte und damit unterschiedliche Anschlussmöglichkeiten bereithielt. Insofern soll hier weniger versucht werden, 'Struktur' für die Bereiche Kunst und Gestaltung eindeutig zu definieren und beispielsweise vom Begriff des 'Systems' trennscharf abzugrenzen; vielmehr wird den verschiedenen semantischen Aufladungen der Begriffe, wie diese sich in Kepes’ Buch symptomatisch wiederfinden, nachgegangen, um die Kontinuitäten zu den historischen Avantgarden, aber auch zu späteren sogenannten postmodernen oder poststrukturalistischen Theorien aufzeigen zu können.4 'Struktur' sei hier mithin weniger als exakte methodologische Kategorie, sondern als kontingenter, historischen Wandlungen unterliegender Topos aufgefasst, der sich im Bereich von Kunst und Gestaltung zudem mit visuellen Phänomenen wie strukturierten Oberflächen oder konstruktiv-statischen Aspekten, also genuin bildhaften, formal-ästhetischen Eigenschaften verbindet. Ein besonderer Fokus soll daher nicht zuletzt auf der Mikrofotografie liegen, die als Erfahrung bildhafter Evidenz von Strukturformen wahrgenommen wurde.
[4] Der Band Struktur in Kunst und Wissenschaft erschien in der von Kepes edierten Reihe vision + value, in der er 1965 und 1966 insgesamt sechs aufwändig ausgestattete Themenbände herausgab, die sich alle im breiteren Spektrum von Kunst und Wissenschaft verorten lassen und in den Folgejahren auch in Europa auf Deutsch und Französisch verlegt wurden.5 Schon die einzelnen Titel der Reihe machen die programmatische Ausrichtung des Gesamtprojekts deutlich: Der erste Band widmet sich Education of Vision; der zweite Structure in Art and Science; Nummer 3 behandelt unter dem Titel The Nature and Art of Motion Phänomene der Bewegung; der vierte thematisiert Module, Proportion, Symmetrie, Rhythm; Band 5 untersucht The Man-Made Object und der sechste schließlich kreist um das Thema Sign Image Symbol.6 Visuelle Erziehung, Kunst sowie Informations- und Produktdesign werden im übergeordneten Kontext neuester (natur-)wissenschaftlicher Erkenntnisse diskutiert – womit Kepes an die am (späten) Bauhaus und im Konstruktivismus artikulierte Forderung nach einer Auflösung des klassischen Kunstbegriffes hin zu einem technik- und erkenntnisgeleiteten Gestaltungsparadigma anschloss. Jeder Band der explizit interdisziplinär angelegten Reihe versammelt Aufsätze unterschiedlichster Wissenschaftsgebiete, verfasst von führenden Wissenschaftler/innen und Künstler/innen, die Kepes zuvor zu Seminaren an das Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, MA, eingeladen hatte. Die Reihe vision + value kann damit als das ambitionierteste Publikationsprojekt Kepes’ gelten, in dem er gleichsam ein Fazit seiner vorangegangenen Tätigkeiten zieht.
Kepes als Vermittler
[5] Als gebürtiger Ungar war Kepes (1906–2001) vor der NS-Zeit im Bauhaus-Umfeld in Berlin auf dem Gebiet der kinetischen Lichtkunst aktiv gewesen und dann seinem Landsmann László Moholy-Nagy 1936 ins Exil nach London und kurz darauf an das New Bauhaus in Chicago gefolgt.7 Ab 1947 unterrichtete er am MIT in Cambridge, wo er ab 1967 den Bereich Visual Design sowie das Centre for Advanced Visual Studies aufbaute.8 Das Erscheinen der Buchreihe vision + value 1965/66 markiert mithin nicht nur eine wichtige Phase in Kepes’ Laufbahn, sondern auch in der Geschichte des MIT.9
[6] Bereits mit seiner ersten größeren Publikation Language of Vision, die 1944 in Chicago erschienen war,10 hatte Kepes noch zu Kriegszeiten einen wichtigen Übertrag der in den 1920er Jahren in Europa formulierten funktionalistischen, auf den Grundlagen der Gestaltpsychologie aufbauenden Ästhetik in die Nachkriegszeit geleistet. Für den nordamerikanischen Raum kann das Buch, das in zahlreichen Neuauflagen erschien und in mehrere Sprachen übersetzt wurde, als ähnlich einflussreich gelten wie Paul Klees 1925 erschienenes Pädagogisches Skizzenbuch.11 Vergleichbar ist es auch mit Max Burchartz’ Gestaltungslehre Gleichnis der Harmonie, die allerdings nicht ins Englische übersetzt wurde.12 In diesem Kontext von systematischer, auf den Grundsätzen des Bauhauses aufbauender Künstlerausbildung und dem allgemeinen Ziel visueller Bildung ist auch Kepes’ Reihe vision + value zu verorten, die sich nicht nur an Spezialisten, sondern auch an ein interessiertes Laienpublikum richtete, um nicht zuletzt den Allgemeingültigkeitsanspruch visueller Gestaltung zu untermauern.
Struktur in Kunst und Wissenschaft – Aufbau und Inhalte
[7] Bereits ein kursorischer Blick auf das Inhaltsverzeichnis von Struktur in Kunst und Wissenschaft – auf einzelne Artikel wird noch ausführlich einzugehen sein – gibt Aufschluss über die Breite, in der der Strukturbegriff dort diskutiert wird:13 Lancelot L. Whyte, britischer Polyhistor und Vertreter der Unified Field Theory, schreibt über Atomismus, Struktur und Form. Über die Naturphilosophie der Form. Sein Artikel gibt eine Zusammenfassung neuerer naturwissenschaftlicher Forschungsperspektiven insbesondere aus der Physik, die seiner Auffassung nach bestehende Denkmodelle in Frage stellen. Im zweiten Beitrag, verfasst von dem britischen Metallurgen und Wissenschaftshistoriker Cyril Stanley Smith, werden – insbesondere am Beispiel von Makroaufnahmen verschiedener Metalle – Struktur und Strukturen höherer und niederer Ordnung erläutert. Smith gibt sich dort überzeugt, es bestünde eine "[…] erstaunliche Ähnlichkeit zwischen einem Kunstwerk mit seinem Ineinanderspiel von Dimensionen und der wirklichen inneren Struktur eines Metall- oder Gesteinsstückes, […]".14 Und in der Tat weisen viele der von ihm verwendeten Abbildungen frappierende Ähnlichkeiten zu Stadtgrundrissen oder abstrakten Kunstwerken auf. Der Beitrag von Richard Held, Gegenstand und Abbild, gibt einen historischen Abriss über verschiedene Theorien des Sehens und versucht abschließend die Erkenntnisse des Linguisten Noam Chomsky auf die visuelle Wahrnehmung, die von Held als eine Art kognitiver Mustererkennung verstanden wird, zu übertragen. Der Mathematiker Jacob Bronowski erläutert, ebenfalls an historischen Beispielen, in seinem Beitrag Die Entdeckung der Form das allgemeine Zusammenspiel von wissenschaftlichem Fortschritt und Kunst und schließt mit Beispielen von Henry Moore und Erläuterungen zu dessen Raumempfinden ab. Der Begrifflichkeit von Grundstrukturen widmet sich Richard Buckminster Fuller und berichtet von seinen Grundlagenforschungen zu Strukturformen, die er als "Muster der inhärent regenerativen konstellativen Assoziation von Energieereignissen" definiert.15 Unter Grundstrukturen versteht er "bequeme Anordnungen", die sich in der Natur und im experimentellen Versuch gleichermaßen beobachten lassen. Ähnlich wie Whyte kommt er zu der Erkenntnis, dass die Wissenschaft sich von den festen Stoffen ab- und den dynamisch wirkenden Kräften zugewandt habe. Auch sein Beitrag arbeitet mit Gegenüberstellungen von Makroaufnahmen und architektonischen Modellen. Der Architekturhistoriker Eduard F. Sekler betrachtet in seinem Beitrag Struktur, Konstruktion und Tektonik sowohl historische als auch zeitgenössische Bauten, von der gotischen Kathedrale bis hin zu Gebäuden Mies van der Rohes, unter Betonung des Aspekts der Struktur, die er von der Konstruktion abzugrenzen versucht. Gleich zwei, wenngleich kurze, Artikel steuerte der Architekt Pier Luigi Nervi bei: Tendiert die Architektur zu unveränderlichen Formen und Typen? sowie Über das Entwerfen. Das britische Architektenpaar Alison und Peter Smithson berichtet in seinem Beitrag Bauen und Gemeinschaftsstruktur über einen Erweiterungsbau der Universität Sheffield, bei dessen Planung der Altbestand sowie die Zirkulationswege im Vordergrund standen, während sie die Gebäude selbst lediglich als "Fragmente" oder "Glieder in umfassenderen Ordnungen" begriffen.16 Die Architekten Fumihiko Maki und Masato Ohtaka folgen in ihrem Artikel Gedanken zur Form des Kollektivs ähnlichen Überlegungen. Sie heben insbesondere die "Gruppenform" als "System generativer Elemente" hervor, die sich damit von der Megastruktur oder der zusammengesetzten Form unterscheide.17 Der Aufsatz Struktur und Kommunikation des Sprachwissenschaftlers I. A. Richards schlägt den Bogen zur Linguistik: So sei die Sprache weniger von festen Vokabeln bestimmt als von syntaktischen Zusammenhängen. Diesem Gedankengang schließt sich der niederländische Kunsthistoriker und De-Stijl-Experte H. L. C. Jaffé an, wenn er über Syntaktische Strukturen in der bildenden Kunst schreibt. Im Rückgriff auf Charles Baudelaire, Gustave Flaubert, Paul Valéry, Georges Seurat und Maurice Denis sieht er die moderne Malerei "um eine neue Objektivität menschlicher Kommunikation bemüht".18 Zu einem ähnlich rationalistisch geprägten Schluss kommt Max Bill in seinem Beitrag struktur als kunst? kunst als struktur?: "durch ihren ordnungscharakter rückt die kunst nahe an die strukturgesetze als ordnungsträger".19 Der Lichtkünstler Richard Lippold schließlich reflektiert anhand eigener Werke über Illusion und Struktur und Margit Staber, Mitarbeiterin an der Ulmer Hochschule für Gestaltung, beschreibt in ihrem instruktiven Artikel Konkrete Malerei als strukturelle Malerei.
Zu Argumentation und Funktion des Bandes
[8] Das Themenspektrum des Bandes reicht somit von naturwissenschaftlichen Untersuchungen an Atomen, Metallen und Pflanzen über soziologische, mathematische, philosophische und linguistische Fragestellungen bis hin zu Überlegungen zum architektonischen und künstlerischen Gestaltungsprozess. In der Auswahl der Autor/innen spiegelt sich sowohl die interdisziplinäre europäische und US-amerikanische, mit Japan um den pazifischen Raum erweiterte, intellektuelle zeitgenössische Auseinandersetzung wider als auch eine generationenübergreifende Perspektive, die auf den Anschauungen der Vorkriegszeit aufzubauen sucht.20 Wie in den anderen Bänden der Reihe vision + value verbindet die Artikel keine einheitliche Haltung, sondern sie bilden ein relativ breites, sich teils sogar widersprechendes Meinungsspektrum ab.21 Der dennoch einheitlich wirkende Charakter der Publikation wird von Kepes vor allem mittels des Gesamtlayouts erzeugt, das dem Leser visuell einen inneren, metaperspektivischen Zusammenhang zwischen den einzelnen Positionen vermittelt.22
[9] In diesem Sinne programmatisch beginnt der Band mit einer einleitenden, von Kepes unter dem Titel Structure: Visual Documents (deutsch: Struktur: Bildbeispiele) zusammengestellten Bildstrecke, die bereits ganz auf eine Argumentation mit Bildern setzt (Abb. 1-9):23 Makroskopische Aufnahmen von Pflanzen und Mineralien werden dort architektonischen Formen, beispielsweise experimentellen Modellen des deutschen Ingenieurs Frei Otto, gegenübergestellt. Auch finden sich Beispiele gegenstandsloser Kunst der Vorkriegsavantgarden wie von Piet Mondrian oder Kasimir Malewitsch in Verbindung mit den photographischen Nahaufnahmen. Mittels dieser demonstrativ betonten Formäquivalenz von technischem Bild und gestalterischem Entwurf wird nicht nur suggeriert, in Natur und Kunst herrschten die gleichen Formbildungsprinzipien vor, sondern auch, diese seien universalistisch und prinzipiell zeitlos zu denken.24
Formanalogie als populäre Seherfahrung in der Nachkriegszeit
[10] Eine derartige, auf der Basis von Formanalogien bildevidentielle Argumentation kann als symptomatisch für die Nachkriegszeit gelten: Bereits 1951 hatte Kepes in der Hayden Gallery des MIT in der Ausstellung The New Landscape Exponate präsentiert, die teils ebenfalls auf der Gegenüberstellung von künstlerischen Entwürfen und naturwissenschaftlichen Fotografien beruhten.25 Der umfangreiche, auf der Ausstellung aufbauende Band the new landscape in art and science erschien zwar erst einige Jahre später, 1956, wurde aber in den Folgejahren mehrfach neu aufgelegt.26
[11] Ebenfalls 1951 hatte Richard Hamilton am Londoner Institute of Contemporary Arts (ICA) eine nicht unähnlich konzipierte Ausstellung unter dem Titel Growth of Form ausgerichtet, die von einem von Lancelot L. Whyte organisierten Symposion begleitet wurde. Der Ausstellungskatalog erschien im selben Jahr unter dem Titel Aspects of Form, dieser dokumentierte aber in erster Linie das Symposion.27 Während sich die Beiträge, im Rückgriff auf D’Arcy Wentworth Thompsons On Growth and Form (1917), auf naturwissenschaftliche Phänomene von Formanalogie und Selbstähnlichkeit beschränken und das Buch als reiner Textband fast ohne Bilder auskommt, weist Herbert Read im Vorwort ausdrücklich auf Parallelen zur bildenden Kunst hin: "The increasing significance given to form or pattern in various branches of science has suggested the possibility of a certain parallelism, if not identity in the structures of natural phenomena and of authentic works of art." Formale Ähnlichkeiten habe es in der Geschichte zwar immer schon gegeben, nun führe aber die Entdeckung, "that perception itself is essentially a pattern-selecting and pattern-making function (a Gestalt formation); that pattern is inherent in the physical structure or in the functioning of the nervous system; that matter itself analyses into coherent patterns or arrangements of molecules", zu dem Schluss, dass es einen "identical plane of inquiry" geben müsse, der für beide Welten, Kunst und Wissenschaft gleichermaßen gelte: "Aesthetics is no longer an isolated science of beauty; science can no longer neglect aesthetic factors."28
[12] Beide Ausstellungen stehen am Anfang einer Art Modewelle:29 So sorgte für eine populäre Engführung von Kunst und Naturform 1958 eine gleichnamige Ausstellung, die anlässlich des Jubiläums der J. R. Geigy AG in der Kunsthalle Basel ausgerichtet wurde.30 Im Vorwort des Kataloges ist dementsprechend die Rede von einer "wahre[n] Renaissance der Strukturforschung",31 an die man mit der Ausstellung anschlösse. Auch, dass sich ein Chemie-Unternehmen wie Geigy (heute Novartis) besonders gut mit 'Strukturen' identifizieren konnte, zeigt, dass diese offen und unpolitisch genug waren, um sie mit einer eher allgemein gehaltenen wissenschafts- wie wirtschaftsbejahenden Bedeutung aufladen zu können. Der Bildband zur Ausstellung präsentiert zahlreiche ganzseitige Gegenüberstellungen von technischen Aufnahmen und Kunstwerken wie beispielsweise eine Mikroaufnahme eines Messingstücks gegenüber einem Werk von Cézanne. Die Kapitel sind nach künstlerischen Schulen wie Kubismus oder Konstruktivismus geordnet, so dass der Eindruck entsteht, auch die Natur würde derartigen Stilentwicklungen folgen. Der Suggestionskraft, die die verblüffenden Ähnlichkeiten zwischen den Bildern entfalten, kann sich auch ein heutiger Betrachter kaum entziehen.
[13] Einen Schub für ein breites, popularisiertes Bewusstsein für derartige Prinzipien von Selbstähnlichkeit auf Mikro- und Makroebene stellte sicherlich auch die Herstellung und mediale Verbreitung von dreidimensionalen Atommodellen dar, wie beispielsweise auch das, das anlässlich der Weltausstellung in Brüssel 1958 zum Atomium hochskaliert wurde.32
[14] In ähnlicher Weise bediente 1958 auch das Oktoberheft der Zeitschrift Das Kunstwerk unter dem Titel "Fotografie und Kunst" diese neuartige Seh-Erfahrung und präsentierte 19 Doppelseiten mit Gegenüberstellungen von modernen Kunstwerken und stark stilisierten Naturphotographien des heute weniger bekannten Künstlers Helmut Hahn (Abb. 10). Im redaktionellen Begleittext ist die Rede von einer "verblüffenden Übereinstimmung" beider Bildformen sowie von den engen Kontakten zwischen jüngerer Kunst und der "Mikrowelt".33 Dass der Fotograf bei seinen Werken nicht die Absicht hatte, Kunstwerke zu imitieren, dient den Herausgebern als Beleg für eine quasi unbewusste Formverwandtschaft. Auf die Basler Ausstellung Kunst und Naturform wird im Begleittext ausdrücklich Bezug genommen, offenbar, um das Phänomen als allgemeine Erkenntnis herauszustellen.
[15] Diese Begeisterung für die Gegenüberstellung von Makrofotografie und Kunstwerken entging auch einem skeptischen Arnold Gehlen nicht, der an der Parallelisierung in der genannten Kunstwerk-Ausgabe interessanterweise aber nicht den Vergleich eines Kunstwerks mit natürlichen oder nicht-künstlerischen Formen als degradierend kritisierte,34 sondern einwandte, dass die abstrahierende Nahaufnahme natürlicher Phänomene keine "direkte Naturerfahrung" mehr böte, Natur hier also nur mehr als eine Art Code eingesetzt sei.35 Mit dieser scharfsichtigen Einschätzung lag Gehlen durchaus richtig, wies die vorgeführte Strukturähnlichkeit zwischen Natur und Kunst auf lange Sicht doch weniger auf deren Gleichsetzung hin, sondern auf deren Ersetzung durch technisch vermittelte Begriffe aus den Naturwissenschaften, die einem digitalen Paradigma unterstellt wurden. Dies betraf letztlich auch die Computerisierung von Entwurfsprozessen, die man ebenfalls auf der Ebene des Codes parallelisieren konnte. Unter anderem der System-Designer Fritz Haller zeigte sich fasziniert von der Formäquivalenz zwischen Mikrochips und bildender Kunst: "Wenn man den Chip in einem stark vergrößerten Maßstab als Bild sieht, ähnelt er den Bildern von Mondrian. Das ist die neue Welt."36
'Struktur' als Leitbegriff in Kunst und Gestaltung
[16] Bezeichnenderweise belegen Lorraine Daston und Peter Galison in ihrer 2007 erschienenen Abhandlung zur Objektivität bereits die verschiedenen Universalprojekte der 1920er und 1930er Jahre, etwa von Rudolf Carnap oder Gottlob Frege, mit dem Begriff der "strukturellen Objektivität", den sie in ihrer allgemeinen Periodisierung verschiedener Objektivitätsvorstellungen der Oberkategorie der "mechanischen Objektivität" zurechnen.37 Wenngleich also der Begriff der 'Struktur' erst in der Nachkriegszeit allgemeine Popularität gewinnt und damit den in der Vorkriegszeit vorherrschenden Begriff des 'Systems' ablöst, lässt er sich als analytisches Instrument durchaus auch auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts beziehen – und deutet an, dass nicht nur die Episteme der Wissenschaft, sondern auch die der künstlerischen Produktion der 1920er bis 1960er Jahre unter einem gemeinsamen Prinzip von 'Struktur' subsumiert werden kann.38
[17] Zu den wenigen Künstlern, die sich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg dezidiert mit 'Strukturen' (und nicht mit 'Systemen') auseinandersetzten, zählt Paul Klee. Struktur begreift Klee in seinem 1925 erschienenen Pädagogischen Skizzenbuch als rhythmische, auf Repetition beruhende Abfolge unterschiedlich gewichteter Elemente, wie beispielsweise das Schachbrettmuster (Abb. 11).
Darüber hinaus geht er auch auf "Materielle Strukturen in der Natur" ein, die er in "Knochen", "Bänder" und "Muskeln" unterteilt und als "zellenartig", "sehnig-faserig" beziehungsweise "mit Querstreifung" charakterisiert (Abb. 12).39 Klee subsumierte damit naturhafte wie artifizielle Phänomene unter dem Begriff 'Struktur' und meinte damit formal eine auf Wiederholung basierende, sich selbst als Form generierende Materialität.
Kepes’ visuelle Argumentation
[18] Kepes bezog sich jedoch wohl eher auf Moholy, der in seiner Bauhaus-Publikation Malerei Photographie Film 1925 nicht nur die Mikrofotografie ins Neue Sehen einführte,40 sondern 1929 in Von Material zu Architektur auch explizit zwischen "Struktur, Textur, Faktur, Häufung" unterschied. Struktur wird von Moholy darin, Klee nicht unähnlich, als "die unveränderte Aufbauart des Materialgefüges" definiert, während dagegen Textur einen Gegenstand nach außen hin als Oberfläche abschließe.41 Wie Christiane Stahl gezeigt hat, setzte bereits Moholy "Formanalogien zwischen Mikro- und Makrokosmos" suggestiv ein.42 Dies dürfte mit dem von ihm benannten Struktur-Prinzip korreliert haben.
[19] Blakinger sieht darüber hinaus in Kepes’ Praxis der doppelseitigen Gegenüberstellung formal ähnlicher Bilder zum einen eine Verbindung zu Wölfflins Doppelprojektion,43 zum anderen benennt er als weitere mögliche Bezugspunkte Warburg, Malraux, Corbusier, Giedion und Blossfeldt.44 Und in der Tat muss das Vergleichende Sehen als Grundlage für Kepes’ Bildargumentation wie auch für die genannten anderen Beispiele betrachtet werden. Blakinger bestimmt (im Rückgriff auf Panofsky und Bois) diese Vorgehensweise als "pseudomorphic", womit er die Zufälligkeit der Konvergenz benennen möchte. Diese nicht-kausale Argumentation mittels Bildern setze Kepes ein, um "mystische" und "mythologische" Zusammenhänge zu evozieren, die Blakinger indessen als subversiv, weil dialektisch, gegen die Fortschrittsgläubigkeit des MIT gerichtet, bewertet.45
[20] Folgt man Bolay, geht Kepes’ visuelle Argumentation allerdings noch darüber hinaus. So werde Analogiebildung bei ihm weniger über eine rein statische Formübereinstimmung hergestellt, sondern über gemeinsam zugrundeliegende dynamische Prozesse. Vor allem das Prinzip der Montage setze Kepes für seine visuelle Argumentation ein; die Doppelseite des Buches fungiere bei ihm wie eine Art Montiertisch, auf dem unterschiedliche Inhalte zueinander in Beziehung gebracht werden können, ohne diese auf eine konkrete Aussage festzulegen. Dies entfremde die naturwissenschaftlichen Fotografien zwar von ihrer eigentlichen Bestimmung, schaffe aber neue, offene Inhalte.46 Bolay beschreibt dieses Prinzip, dabei Blakinger nicht unähnlich, als "mythologie informatique".47
Analogiesetzung als heuristisches Mittel
[21] Die ohne Zweifel suggestiven, quasi-magischen, Mythologien erzeugenden Effekte eines derartigen Bildgebrauchs sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die allgemeine zeitgenössische Faszination für derartige Analogiesetzungen sich auch ganz konkreten Umständen verdankte: Zum einen dürfte bei den Besuchern/Lesern das in actu nachvollziehbare Evidenzerlebnis eine gewisse Befriedigung hervorgerufen haben, zumal dieses lange nur Spezialisten vorbehalten war. Das Sehangebot der verschiedenen Ausstellungen und Publikationen traf nun auf ein Publikum, das in der Lage war, eine Seherfahrung der Konvergenz selbst zu machen. Zum anderen war mit der Methode der visuellen Analogiebildung tatsächlich deren produktive Anwendbarkeit verbunden. Die Übertragung von in der Natur durch Beobachtung gewonnenen Einsichten auf technische und gestalterische Prozesse wurde real praktiziert und zeitigte gerade in der Nachkriegszeit, aufgrund der Möglichkeiten verbesserter bildgebender Verfahren, eine Vielzahl neuer Erkenntnisse.48 Analogiebildung operierte also nicht nur auf symbolischer, sondern auch auf faktischer Ebene. Sie funktionierte.
[22] Wenngleich vor allem Buckminster Fullers Arbeitsweise auf dem Prinzip der Übertragung von Naturbeobachtungen auf architektonische Problemstellungen beruhte, sei hier Frei Otto als Beispiel besonders herausgehoben. Zur Verbindung zwischen Natur und Kultur schrieb dieser später: "Es gibt Konstruktionen in allen Bereichen der Natur und Technik. Im Bereich der nichtlebenden Natur sind es Galaxien, Sonnensysteme, Gestirne, Berge, Eisschollen, Wassertropfen, Kristalle, Moleküle, Atome. Im Bereich der lebenden Natur, also der Biologie, sind alle lebenden Objekte Konstruktionen."49 Damit knüpfte er nicht nur an die Gleichsetzung von Makro- und Mikrostrukturen an, sondern auch an das ebenfalls in der Nachkriegszeit aufkommende Denkmodell der Bionics.
[23] Trotz oder gerade aufgrund dieser fast naiv erscheinenden Gläubigkeit an die Kongruenz zwischen Natur und Kultur, zwischen Mikro- und Makrokosmos, wurden in dieser Zeit, unter anderem von Frei Otto, an kleinformatigen Modellen statische, adhäsive und elastische Kräftewirkungen erprobt, die vom Mikromodell auf die Großstruktur tatsächlich erfolgreich übertragen werden konnten. So verdankt sich beispielsweise das berühmt gewordene Damenstrumpf-Modell, das Behnisch und Partner für den Wettbewerb für die Münchner Olympiabauten einreichten, nicht nur einem spontanen Einfall, sondern der allgemeinen zeitgenössischen Überzeugung, in der Mikrostruktur des Nylongewebes ein auf die Großform übertragbares Materialgefüge gefunden zu haben. Frei Otto beschrieb diesen allgemeinen Zusammenhang wie folgt: "Der Makro- und der Mikrokosmos besteht aus unzähligen materiellen Objekten. Jedes materielle Objekt hat eine Form. Jedes materielle Objekt ist fähig, Kräfte aufzunehmen und zu übertragen."50 Aus dieser Grundannahme konnte auf die Skalierbarkeit von Kräften vom Modell auf die Großstruktur geschlossen werden. Die universalistische Tendenz verdankte sich mithin nicht nur der Suggestionskraft visueller Analogien, sondern – und das machte deren Attraktivität für eine gewisse Zeit sicherlich aus – real anwendbaren Erkenntnissen und Funktionalitäten, die aus dieser Denkfigur abgeleitet werden konnten.
Kepes’ ganzheitlicher Ansatz
[24] Diese real stattfindende Evidenzerfahrung ließ sich an unterschiedliche Denkschulen anschließen, im Fall von Kepes vor allem an eine holistisch-ganzheitliche Tradition. So zeigen insbesondere die Erläuterungen, die Kepes in der Einleitung zu Struktur in Kunst und Wissenschaft gibt, dass ihm vor allem an Synthese und Einheit gelegen war. Die zeitgenössische Situation in den Künsten und der Wissenschaft beschreibt er zunächst als Verlust von Ganzheit und Sinn:
Die meisten, die auf kulturellem oder wissenschaftlichem Gebiete arbeiten, geben zu, daß die letzten 150 Jahre eine Zersplitterung der Erfahrung, ein Aufsprengen des Wissens in viele autonome Disziplinen mit sich gebracht haben, von denen jede eine rasch wachsende und immer speziellere Sprache annimmt. […] Die sich immer mehr beschleunigende Spirale des Wissens mit der innewohnenden zentrifugalen Stoßkraft treibt uns ab. Es zeigt sich deutlich, wie unser Sinn für eine fest zusammenhängende Welt durch eine Kommunikationskrise gefährdet ist. Wir sind in einer neuen Größenordnung des Daseins verloren.51
[25] Um diese Krise, die Kepes vor allem als Überforderung angesichts der Vielzahl neu gewonnener Teilerkenntnisse beschreibt, bewältigen zu können, definiert er zwei konkrete Aufgaben:
Erstens, menschliches Streben muß auf jedem Feld bis zur äußersten Grenze des heute möglichen Wissens vordringen. Zweitens müssen wir dann all dieses Wissen kombinieren, so daß wir den Sinn von Struktur gewinnen und die Kraft, unsere Welt als ein zusammenhängendes Ganzes zu sehen.52
Kepes versteht den technischen Fortschritt und die voranschreitende naturwissenschaftliche Forschung somit als Möglichkeiten, die Unüberschaubarkeit der Erkenntnisse seiner Zeit bewältigen zu können. Der Begriff der Struktur eröffnet ihm zufolge die Perspektive, erneut sinnstiftende Zusammenhänge zwischen den Disziplinen herzustellen. Bezeichnenderweise fokussiert er vor allem auf den Sehsinn als übergeordneter Erkenntnismöglichkeit:
Es ist keine Spitzfindigkeit, den Begriff von Struktur von solchen verwandten Vorstellungen zu trennen wie Ordnung, Form, komplexe Organisation, Gesamtheit, System oder Gestalt. Jeder historische Zeitabschnitt braucht und sucht ein zentrales Motiv der Verständigung. Struktur erscheint für unsere Zeit zentral – die einzigartige Substanz unseres Sehens.53
[26] Kepes proklamiert außerdem (im Vorgriff auf Whytes Beitrag), dass Ganzheit nicht mehr im Einzelelement zu finden sei, sondern in den Beziehungen zwischen den Elementen:
Wissenschaftler zum Beispiel haben erkannt, daß die Haupteigenschaften von verschiedenartigen Materien eher nach der Anordnung und Verbindung ihrer Atome – die Elementar-Bausteine im Aufbau der Natur – bestimmt werden als nach dem Grundstoff der Materie, wie man früher glaubte. Der Unterschied zwischen festen, flüssigen und gasförmigen Zuständen wird durch die Anordnung der Atome und den relativen Abstand ihrer Moleküle erklärt. / Struktur durchzieht alles; von anorganischen Strukturen über Pflanzen und Tiere, der Entwicklung der Tiere und ihrem sozialen Verhalten bis zu den menschlichen Beziehungen. Ein dramatischer Punkt in der Erkenntnis von Struktur wurde durch die Einsicht erreicht, daß dem genetischen Mechanismus lebender Formen Molekularstruktur zugrunde liegt.54
Analog sei, so Kepes, nun vorgreifend auf Richards, in den Sprachen vor allem die Syntax verständnisgenerierend – weniger das einzelne Wort. Auch in der Kunst sieht er Struktur als Hinwendung zum Ganzen, nicht zum Einzelteil:
Grundsätzlich ist Struktur die geschaffene Einheit von Teilen und Verbänden. Sie ist ein Beispiel dynamischer Kohäsion, in dem Haupt- und Zeitwort – Form und formen – gleichzeitig vorhanden und austauschbar sind: ein Beispiel zusammenwirkender Kräfte, verstanden als eine einzige räumlich-zeitliche Ganzheit.55
Kepes überführt somit die Idee von Ganzheit in die neue Begrifflichkeit der 'Struktur', in die er entsprechend große Hoffnungen setzt. So habe er
[…] seit langem den starren Glauben, daß wir trotz aller gegenteiligen Zeichen aus der reichen, vielseitigen Weite unseres strukturellen Wissens eine Struktur der Strukturen, einen neuen Sinn von gegenseitiger Abhängigkeit zwischen Wissen und Fühlen entwickeln und dadurch ein tieferes und schärferes Bewußtsein unserer eigenen Zeit erhalten können.56
Insbesondere auch in der Übereinstimmung von Wissenschaft und Kunst sieht er eine neue Möglichkeit der Synthese:
Die Welt als Gebilde von Struktursystemen spaltet sich nicht in die beiden Gebiete des wissenschaftlichen Erkennens und des künstlerischen Sehens. Es ist vielmehr der Fall, daß unser wissenschaftliches Verstehen und unser künstlerisches Erfassen der physischen Welt in einer gemeinsamen Struktur von Motivierung, Mitteilung und Erkenntnis eingerichtet sind. Jeder Schritt zur gegenseitigen Bereicherung von Kunst und Wissenschaft führt uns näher zur vollen Verwirklichung unserer eigenen Fähigkeiten.57
Elementarismus vs. Dynamismus in der Vorkriegsmoderne
[27] Kepes erweist sich nicht nur dadurch als 'Modernist', dass er, wie viele andere seiner Zeitgenossen auch, ein Konzept von Ganzheit proklamiert; vielmehr schließt auch die von ihm beschriebene Abkehr vom Element hin zum Zusammenhang und zur Synthese durchaus an ältere, 'moderne' Überlegungen an. Hier kann aus Platzgründen nicht in voller Ausführlichkeit dargelegt werden, wie sich bereits in der Zwischenkriegszeit die Verschiebung vom 'Einzelelement' zum 'System' im Detail vollzogen hat; stark verknappt ließen sich die Vorkriegsavantgarden jedoch in eine erste Generation der 'Elementaristen' und eine zweite der 'Dynamisten' einteilen.58 So reetablierten beispielsweise Wassily Kandinsky, Piet Mondrian oder Kasimir Malewitsch die ontologische Einheit der Form und deren Unteilbarkeit, womit sie sich in Opposition zu dem als nihilistisch empfundenen Relativismus des 19. Jahrhunderts stellten, während andere, zumeist jüngere Künstler wie Theo van Doesburg oder El Lissitzky den elementaren Formenkanon nicht nur auf angewandte Bereiche übertrugen und ihn damit zum 'System' ausweiteten, sondern auch einer weitgehenden Dynamisierung unterzogen. Damit verbunden war eine gewisse Skepsis gegenüber einem holistischen Elementbegriff, der den 'Dynamisten' zu unbeweglich erschien, sowie eine fundamentale Kritik am transzendenten Konzept von Kunst als solcher, die, um sie aufzuheben, vollständig in Gestaltung aufgelöst und auf eine reine Diesseitigkeit gebracht werden sollte.59 Vermutlich spielte aber auch die akzelerationistisch motivierte Einsicht eine Rolle, dass man nicht einfach zu einer ganzheitlich gedachten, 'heilen' und damit 'mythischen' Vormoderne zurückkehren konnte, sowie die fortschrittsgeleitete Überzeugung, nicht hinter die Erkenntnisse des 19. Jahrhunderts zurückfallen zu wollen. Gepaart mit dem Willen, diese tatsächlich erkenntnistheoretisch – und damit nach vorne gerichtet – zu 'überwinden', führte dies zu einem dynamisierten, entmaterialisierten Gestaltungsbegriff.
[28] Es standen also zwei verschiedene Aspekte in der Kritik: zum einen das Element als (ab)geschlossene wesenhafte Einheit und zum anderen der transzendente Charakter von Kunst als solcher. Vor allem um ersteres zu überwinden, forderten die 'Dynamisten' eine Unterwerfung der Form unter die Funktion, was erstere damit von letzterer abhängig machte, also die Absolutheit und Ganzheit der Form relativierte. Dies zeichnet sich vor allem in verschiedenen theoretischen Überlegungen El Lissitzkys ab, der bereits 1924 schrieb:
Jede Form ist das erstarrte Moment. Bild eines Prozesses. Also ist das Werk Haltestelle des Werdens und nicht erstarrtes Ziel. – Wir erkennen Werke an, die in sich ein System enthalten, aber ein System, das nicht vor, sondern in der Arbeit bewußt geworden ist.60
Zwar verwendet Lissitzky hier den Begriff des 'Systems' (und noch nicht den der 'Struktur'), meint aber etwas ähnliches, nämlich die Alternative zu einem apriorisch gesetzten System, das ihm zu vorgefasst und starr erschien. Durch die gänzliche Orientierung an der Funktion müsse sich seiner Ansicht nach hingegen ein System in jedem einzelnen Gestaltungsfall von Grund auf neu bilden.
[29] Ganz ähnlich spricht auch der 1937 in die USA emigrierte Kunsthistoriker Alexander Dorner, der mit Lissitzky bereits in den 1920er Jahren im Landesmuseum Hannover das sogenannte Abstrakte Kabinett realisiert hatte, 1947 in seinem Buch mit dem programmatischen Titel the way beyond art, hier zitiert nach der deutschen Ausgabe überwindung der "kunst", von einem "Übergang von einem Denken in elementaren Zuständen zu einem Denken in der Selbstveränderung dieser elementaren Zustände".61 Das Buch war zwar in erster Linie dem Schaffen Herbert Bayers gewidmet, der ebenfalls in die USA emigriert war, verfocht aber auch in allgemeinerer Weise einen dynamisierten Gestaltungsbegriff.62 In den abstrakten Filmen eines Hans Richter oder Viking Eggeling sah Dorner die Forderung nach Selbstveränderung bereits weitgehend realisiert.63
Kepes’ Anknüpfungspunkte an die Vorkriegsmoderne
[30] Beide Positionen erinnern damit stark an Kepes’ Ausführungen zu Whytes Beitrag:
Wir ersetzen den alten Begriff des Atomismus durch den neuen der Struktur – einer Struktur, die nicht ein starres Gerüst für eine schematisierte Welt ist, sondern ein Aspekt des morphologischen Vorganges.64
Trotz dieser Übereinstimmung in Hinblick auf die Überwindung des atomaren Einzelelementes, unterscheidet Kepes sich von Lissitzky und Dorner durch sein positives Verhältnis zur Ganzheit. Denn sowohl Lissitzky wie auch Dorner argumentierten gegen ein holistisch verstandenes Ganzes. Nicht nur das Element wurde von ihnen als unhintergehbare Einheit in Frage gestellt, sondern auch das System, das als apriorische Setzung ebenfalls einer ganzheitlichen Auffassung zu entsprechen schien. In der Dynamisierung des Elements, wie diese sich in den bewegten Drei- und Vierecken des abstrakten Films etwas einfach abbildete, aber auch in der Dynamisierung des Systems selbst erblickte man ein taugliches Modell, um aus bestehenden holistischen Denk- und Gestaltungsmodellen auszusteigen. Dass allerdings auch ein selbstveränderliches, 'elastisches' System Ganzheit nicht zwangsläufig überwinden musste, sondern sogar im Gegenteil versprechen konnte, zeigen Kepes’ Ausführungen in der zitierten Einleitung, in der er in den Relationen selbst den Schlüssel für eine neue ganzheitliche Synthese sehen möchte. Letztlich konserviert sich also nicht nur im Begriff des dynamisierten Systems, sondern auch in dem der Struktur der Wunsch nach Ganzheit. Während die Sehnsucht nach Ganzheit bei Lissitzky und Dorner jedoch nicht ausgesprochen wird, sogar im Gegenteil vollkommen unterdrückt erscheint,65 wird sie bei Kepes – als romantischer Wunsch – offen ausgesprochen.
[31] Im Strukturbegriff der 1960er Jahre, wie ihn Kepes als neue Erkenntniskategorie zu umreißen versucht, perpetuiert sich also, indem die Vorstellung von einer Dynamisierung der Form weitergetrieben wird, auch die Problematik der Verlagerung der Ganzheitlichkeit vom Element ins System.66 Gegenüber dem – älteren – Systembegriff erwies sich die neue Terminologie der Struktur zwar als flexibler und unabgeschlossener, der ihr inhärente Generalismus schrieb aber den 'modernistischen' Anspruch auf Universalität ungebrochen fort. Auftrieb und neue Berechtigung schien diesem Denken zu Beginn der 1960er Jahre vor allem durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse gegeben, die in der Zwischenkriegszeit in diesem Umfang noch nicht bestanden hatten. Die rasanten, für Kepes sogar "dramatischen" Fortschritte in der Atomphysik, der Chemie und der Genetik sowie die völlig neuartigen Visualisierungstechniken führten dazu, in der Struktur eine neue Metaform erblicken zu können, die an die älteren Vorstellungen von System und Synthese zugleich anknüpfen wie diesen eine aktuelle und zeitgemäße Ausrichtung und Fundierung geben konnte.
[32] Sicherlich haben auch die traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges ihren Anteil daran, dass Ganzheit und Ganzheitlichkeit nach 1945 eine emotional positiv aufgeladene Renaissance erfuhren,67 die sich in der visuellen Erfahrung des Isomorphismus von struktureller Mikro- und Makrowelt erleben ließ. So ruft beispielsweise Adolf Portmann in dem erwähnten Katalog Kunst und Naturform in der Einführung hoffnungsfroh aus: "Eine Revolte des Gefühls, des unmittelbaren Erlebens gegen die ausschließliche Weltdeutung durch den Verstand ist ausgebrochen."68 Ähnliche Formulierungen finden sich auch bei Kepes: Ausdrücke wie "wundervoll versteckter Rhythmus der Welt" oder "unsere Welt als ein ineinander greifendes Ganzes" oder die Bezeichnung der Gesellschaft als "untrennbare[r] Teil der allumfassenden kosmischen Umgebung" weisen auf einen Sprachgebrauch hin, der Ganzheitlichkeit nicht nur deskriptiv, sondern auch proskriptiv mit einer gleichsam heilsamen Wirkung verbunden sehen will.69 Katja Kwastek hat beschrieben, wie weit Kepes’ "Idee eines ganzheitlichen Zusammenhangs so verschiedener Bereiche wie sozialer Gerechtigkeit, Ressourcenmanagement und Lebensqualität" reicht.70
Ganzheit als zeittypische Vorstellung
[33] Dass das Ganzheitsdenken nicht an die Integrität der Form als ontologische Entität gekoppelt war, sondern sich durch ein abstraktes Prinzip ersetzen ließ, zeigt auch das Beispiel Sigfried Giedions. Dieser setzte große Hoffnungen in die integrierende Funktion von Architektur und Städtebau und attestierte der Gegenwart ein "Verlangen nach Universalität", das er zum einen an die historische Kontinuität rückbinden wollte und zum anderen in eine zukünftige methodische Annäherung von Kunst und Technik resultieren sah: "Unbewußt führt eine zunehmende Methodengleiche zu einer einheitlichen Kultur. Ein Einblick in die sich entwickelnden Methoden hilft uns, der noch verhüllten Ganzheit des heutigen Lebens näherzukommen."71 Die 'Struktur' erwies sich also durchaus als (re)ontologisierbar.72
[34] Nicht nur in Kepes’ Einleitung wird die romantische Sehnsucht nach Synthese und Ganzheit deutlich, sondern auch in einigen der eingangs erwähnten Einzelbeiträge, von denen hier die von Max Bill und Pier Luigi Nervi herausgegriffen werden. Aus der nun offensichtlich möglichen Anbindung an naturwissenschaftliche Erkenntnisse folgerte Max Bill, dass auch die bildende Kunst auf allgemeingültige Gesetze gestellt sei und
[…], dass kunst nur dort und nur dann, und nur deshalb entstehen kann, wenn und weil individueller ausdruck und persönliche erfindung sich dem ordnungsprinzip der struktur unterstellen und diesem ordnungsprinzip neue gesetzmässigkeiten und gestaltmöglichkeiten abgewinnen können.73
Max Bill stellt sich damit eindeutig in eine moderne Tradition der Suche nach feststehenden Gesetzmäßigkeiten in Kunst und Gestaltung. Hatte man diese Grundgesetze beziehungsweise diesen "Generalbass" der Kunst in den 1910er und 1920er Jahren vor allem noch in Elementareigenschaften gesucht, wie der Wirkung von Farbe oder Form auf den Betrachter, hob Bill nun ganz auf die Struktur als eigentliche konstitutive Größe ab. Das grundsätzliche Denkmodell der Moderne, das auf verabsolutierbare Kategorien abzielte, wird von ihm dabei indes nicht aufgegeben.
[35] Aus einem solchen Absolutheitswunsch ließ sich auch die angestrebte Zeitlosigkeit der Form ableiten, wie sie die Moderne ebenfalls forderte.74 So kommt Pier Luigi Nervi in seinem Beitrag – mit dem bereits in sich aussagekräftigen Titel Tendiert die Architektur zu unveränderlichen Formen und Typen? – zu folgenden Prognosen: "Ich meine vielmehr, daß die Menschheit auf Formen zugeht, fast auf einen 'Stil', der, einmal erreicht, in der Zeit unverändert und unveränderlich bleiben wird." Des Weiteren ist Nervi der Ansicht, es stehe
außer Zweifel, daß, seit die Menschheit gelernt hat, Geschwindigkeiten von über 100 km/h zu erreichen, Flugzeuge zu bauen, Brücken mit einer Spannweite von über 1000 m und Wolkenkratzer zu konstruieren, sie Wesentliches und absolute und ewige Gesetze in ihre Umwelt gebracht hat, indem sie diese in Formen und Strukturen materialisiert hat, die innig mit dem täglichen Leben verknüpft sind.
Als Beispiel führt er die Modellierung eines Eisblocks durch strömendes Wasser an: "So kann ein unpersönlicherer und beständigerer Modellierer gefunden werden [als der Mensch]."75
[36] Angeregt durch die neu erschlossenen Möglichkeiten der Technik schließt sich Nervi hier an die in der Moderne fast durchwegs anzutreffende, hoch problematische Sehnsucht nach einem neuen authentischen Zeitstil an.76 Die Struktur, die sich nun rein technisch begründen ließ, lieferte neue Hoffnung und auch neue Argumente, um ein offenbar immer noch herrschendes Verlustgefühl zu kompensieren – Verlust nicht nur von Sinnhaftigkeit (wie Kepes dies formuliert), sondern auch Verlust eines künstlerisch einheitlichen Epochenstils. Ein solcher konnte nun wortwörtlich als 'naturwüchsig' vorgestellt werden, indem er als vollständig von der menschlichen Eingriffssphäre entkoppelt gedacht wurde.
[37] Zweifellos hat Nervi in seiner Entwurfspraxis zu ebenso innovativen wie ästhetisch herausragenden Lösungen gefunden, und dies gerade, weil er – darin Buckminster Fuller und Frei Otto nicht unähnlich – Kreativität nicht als willentlichen Akt begriff, sondern sich von den in der Natur wie in der Physik beobachtbaren Phänomenen – indem er diese gleichsam passiv aufnahm – leiten ließ. Seine Schriften jedoch weisen ihn als in hohem Maße romantisch geprägten Gestalter aus, dessen Glaube an die formende Kraft der Natur fast esoterischen Charakter annimmt. Das Einswerden mit Kosmos und Natur mittels Architektur scheint für ihn ein nicht unwesentlicher Motivationsgrund gewesen zu sein, sein Gestaltungsdenken für den neuen Strukturbegriff zu öffnen.
Jenseits von Ganzheit
[38] Trotz dieser holistisch aufgeladenen Adaptionen des Strukturbegriffs hielt dieser in den 1960er Jahren auch erste Ansätze für eine Überschreitung ontologisch-ganzheitlicher Denkmodelle bereit. Auch hierzu wird man in Structure in Art and Science bei mehreren Autoren fündig. So heißt es in dem Beitrag von Lancelot L. Whyte, in dem dieser angesichts neuerer Erkenntnisse in der Atomphysik einen neuen "strukturphilosophischen" Ansatz vorschlägt:
Strukturphilosophie ist monistisch, bezogen, genau und potentiell verständlich. Ungleich jenen Ontologien, die unter den Erscheinungen beständige Substanzen suchen, erweiterte Materie oder denkenden Geist, gilt für sie ein sich veränderndes Bezugsschema als allein objektiv. Isomorphe Strukturen sind nicht zu unterscheiden; es gibt nur Struktur. Es ist nicht unsere Sache, hinter dem Wandteppich vergänglicher Muster etwas Bleibendes oder Beruhigendes zu suchen, wenn auch in der sich wandelnden Struktur selbst gewisse Aspekte gewahrt bleiben: vielleicht Feldenergie oder Punktpartikel.77
[39] Hier deutet sich bereits an, was insbesondere bei Jacques Derrida oder auch bei Gilles Deleuze und Félix Guattari – subsumiert unter dem Begriff Poststrukturalismus – Schule machen sollte: Das Lob der Oberfläche und der enthierarchisierten Beziehung zwischen den Elementen, die nun vornehmlich als Zeichen verstanden wurden. So heißt es 1977 bei Deleuze/Guattari:
Jeder beliebige Punkt eines Rhizoms kann und muß mit jedem anderen verbunden werden. Ganz anders dagegen der Baum oder die Wurzel, wo ein Punkt und eine Ordnung festgesetzt werden. Chomsky’s [sic] linguistischer Baum beginnt an einem Punkt S und breitet sich dichotomisch aus. In einem Rhizom hingegen verweist nicht jeder Strang notwendig auf einen linguistischen Strang: Semiotische Kettenglieder aller Art sind dort nach den verschiedensten Codierungsarten mit politischen, ökonomischen und biologischen Kettengliedern verknüpft; es werden also nicht nur ganz unterschiedliche Zeichensysteme ins Spiel gebracht, sondern auch verschiedene Arten von Sachverhalten.78
Deleuze und Guattari argumentieren hier vor allem gegen das Prinzip der 'Wurzel' und des 'Baumes', das auf eine 'tiefere' Bedeutung ziele.79 Und auch vom Prinzip der Struktur, wie diese insbesondere Chomsky definiert hatte, grenzen sie sich ab:
Eine Struktur ist durch ein Ensemble von Punkten und Positionen definiert, durch binäre Relationen zwischen diesen Punkten und biunivoke Relationen zwischen diesen Positionen; das Rhizom dagegen besteht nur aus Linien: den Dimensionen der Segmentierungs- und Schichtungslinien, aber auch der Maximaldimension der Flucht- und Deterritorialisierungslinie, auf der die Vielheit abfährt und sich verwandelt.80
[40] Mit Whyte verbindet sie also vor allem, dass die Suche nach einem tieferen Sinn "hinter den Dingen" aufgegeben wird, ohne dies als Verlust zu empfinden, sondern als Möglichkeit, im Wechselspiel der Referenzen und Bedeutungen, der Zusammenhänge und Anspielungen neue Korrelationen zu schaffen. Die tendenziell anarchische Organisation des Rhizoms hebt dieses zudem von den technizistisch-rationalistisch orientierten Ansätzen, wie sie Kepes in seinem Band vorstellt, ab, und damit auch von Whyte, der auf der potentiellen Verständlichkeit der Struktur beharrt.
[41] Darüber hinaus scheint der Strukturbegriff ein gewisses Maß an Virtualisierung vorbereitet zu haben; so heißt es, ebenfalls bereits bei Whyte: "Struktur ist also die Antithese von Materie."81 Auch bei Richards deutet sich eine ähnliche Loslösung vom konkret Greifbaren an, wenn er den konstruktiven Anteil des Gehirns bei der Gestaltwahrnehmung anspricht. Schon 1964 präzisierte Roland Barthes in seinem Aufsatz Die strukturalistische Tätigkeit die erkenntnistheoretische, gleichsam virtuelle Hilfsfunktion, die der Struktur zukommt, und ebnete damit der Denkfigur des Simulacrum, wie sie in der Folge von Jean Baudrillard entfaltet wurde, den Weg:
Das Ziel jeder strukturalistischen Tätigkeit […] besteht darin, ein 'Objekt' derart zu rekonstituieren, daß in dieser Rekonstitution zutage tritt, nach welchen Regeln es funktioniert (welches seine 'Funktionen' sind). Die Struktur ist in Wahrheit also nur ein simulacrum des Objekts, aber ein gezieltes, 'interessiertes' Simulacrum, da das imitierende Objekt etwas zum Vorschein bringt, das im natürlichen Objekt unsichtbar oder, wenn man lieber will, unverständlich blieb.82
[42] Der Strukturbegriff konnte von sogenannten postmodernen oder poststrukturellen Theoretikern also durchaus produktiv adaptiert werden. Angesichts derartiger Kontinuitäten und Anschlüsse erscheint der hypostasierte Bruch zwischen Moderne und Postmoderne relativiert.
Anti-Struktur?
[43] Wenn James Stirling in seinem kurzen Text Anti-structure, der 1968 erschien, aber bereits 1966 während eines Symposions anlässlich der Emeritierung von Giovanni Michelucci in Bologna vorgetragen wurde, erklärt: "[Structure] is not really an appropriate subject for me as I tend to have a rather ad hoc and expedient attitude to structure, particularly as a design element, and usually manage to prevent it from intruding on the Architectural solution. I am more concerned with sociological, environmental, and organisational problems – which I regard as being more important to the evolution of design",83 dann artikuliert sich hier vor allem eine Kritik an "simple overall forms".84 Stirling zufolge sei eine Architektur, die in erster Linie von der Struktur abhänge, "superficial" und man solle sich weniger von technischen Lösungen leiten lassen als von "humanistic considerations".85 Dies ist vor allem insofern aufschlussreich, als Stirlings Baupraxis zu diesem Zeitpunkt durchaus stark von modularen Strukturen geprägt war und auch der zitierte Artikel mit Abbildungen von raster- und patternartig organisierten Gebäudeteilen illustriert ist. Die Verwendung von Strukturen leitet Stirling aber konsequent von der sozialen Funktion und deren innerer Notwendigkeit ab, wie beispielsweise die Gleichartigkeit von Zimmern in einem Studentenwohnheim. Die schon im Titel demonstrierte Abwehrhaltung gegenüber der Struktur richtet sich mithin wohl vor allem gegen deren oberflächliche Applizierung, wie diese als dekorative Muster an vielen, eher mittelmäßigen Gebäuden der frühen 1960er Jahre zu finden waren, die als 'Sparkassen'- oder 'Kaufhaus-Architektur' zu Recht kritisiert wurden.
[44] Aber schon in den von Kepes zusammengestellten Beiträgen ging es nie um eine nur oberflächliche Anwendung von Strukturen, sondern um ein tieferliegendes Formprinzip, so dass Stirlings Kritik wenig begründet erscheint. Das von ihm demonstrativ vorgetragene "Anti" erweist sich somit aus heutiger Perspektive als rhetorische Strategie der Selbstabgrenzung.
[45] Auch die von Christopher Alexander vollzogene Hinwendung zu einer architektonischen Pattern Language demonstriert in der Ersetzung des stark aufgeladenen Begriffes 'Struktur' durch den offeneren Begriff des 'Musters' (pattern) seine Abwendung vom Strukturalismus, der zunehmend als Top-Down-Prinzip wahrgenommen wurde und dem man – dabei im Grunde nicht unstrukturalistisch – ein niedrigschwelligeres Bottom-Up-Denken entgegenstellen wollte.86 An der Idee einer zeitlosen Architektur hält Alexander ebenso fest wie die Protagonisten der Zwischenkriegszeit. Als Gegenstück zu A Pattern Language, und dies wird nicht selten übersehen, publizierte er The Timeless Way of Building,87 das schon im Titel seinen universalistischen Anspruch deutlich macht.
[46] Bekanntlich waren die späten 1960er Jahre keine Zeit, in der man um die Herausstellung von Kontinuitäten zur Vorgängergeneration besonders bemüht war, sondern vor allem Rhetoriken von 'Bruch' und 'Neuanfang' bediente. So wurde 1968 auch die von Kepes mitorganisierte Mailänder Design-Triennale im Zuge der Studentenproteste gestürmt.88 Die Attacke galt dabei nicht nur der Institution als solcher, sondern auch dem modernistischen Erbe, das sich dort präsentierte. So erschöpfte sich die Abstraktion der Nachkriegszeit nicht selten in als formalistisch wahrgenommenen Spielereien.
Fazit
[47] Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich im Strukturbegriff, wie er in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in Kunst und Wissenschaft etabliert wurde, ein grundsätzliches Dilemma der westlichen Nachkriegsmoderne widerspiegelt: Ein hierarchischer, allein an der autonomen Form orientierter Gestaltungsbegriff wurde von vielen Gestaltern nun zwar abgelehnt, und damit auch die Vorstellung von einem übergeordneten 'System'; dennoch hielt man an Ideen von Ganzheit, formaler Richtigkeit und naturwissenschaftlicher Logik, also grundlegenden weltanschaulichen Denkmodellen der Moderne, wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt worden waren, fest. Der nach 1945 starkgemachte Strukturbegriff erlaubte es Architekt/innen, Gestalter/innen und Theoretiker/innen der Nachkriegsmoderne, diese Aporie vordergründig zu überbrücken: Die Einbettung in eine übergeordnete Meta-Form, die sich in den Mikro- und Makrostrukturen natürlicher Elemente und Erscheinungen genauso nachweisen ließ wie in sozialen und kommunikativen Austauschprozessen, gewährleistete die scheinbar objektiv zu fassende Richtigkeit von Strukturen in architektonischen Konstruktionen oder gestalterischen Prozessen bei gleichzeitiger Handlungs- und Experimentieroffenheit. Einem ontologisch fundierten Kunstbegriff wurde die Orientierung an realen gesellschaftlichen, funktionalen Verhältnissen und Bedürfnissen entgegengestellt, ohne jedoch die Bindung an eine übergeordnete Instanz völlig aufzugeben. Der Begriff der Struktur erwies sich als in hohem Maße geeignet, trotz geforderter Relativität nicht in Relativismus zu verfallen. Der überkommene, noch auf das einzelne Individuum bezogene Gestaltungsbegriff wurde in diesem Zuge auf eine scheinbar objektive naturwissenschaftliche Ebene verlagert, blieb aber in seinem normativen Anspruch erhalten. Besonders die in den 1960er Jahren populären Strömungen Metabolismus und Kybernetik verdanken sich diesem Denken. Die bewusste Unterordnung unter technische und naturwissenschaftliche Ordnungsprinzipien hat zugleich innovative künstlerische Ergebnisse hervorgebracht und bei Gestaltern wie Frei Otto oder Buckminster Fuller zu einer experimentellen Entwurfspraxis geführt, die bis heute Gültigkeit für sich beanspruchen kann.
[48] An die – kurze – Hochkonjunktur der 'Struktur' schloss sich ihre fundamentale Infragestellung unmittelbar an. In der Tat ist die Kritik an Begriff und Prinzip der 'Struktur' und ihrem modernistischen Erbe in vielen Punkten nachvollziehbar und auch nötig gewesen. Dennoch scheint es mitunter, als habe man zum einen die Tendenzen zur Selbstveränderlichkeit innerhalb der (Vorkriegs-)Moderne bewusst ignoriert, um die Postmoderne schärfer von ihr abheben zu können, und zum anderen, als sei das bis in den Anti- oder Post-Strukturalismus nachwirkende Ganzheitsdenken gezielt aus der Kritik herausgehalten worden. Meiner Ansicht nach müssen die Grenzen zwischen modernem, postmodernem und poststrukturalistischem Denken begriffsgeschichtlich und modelltheoretisch als durchlässig gesehen werden. In der Verschiedenheit der in Kepes’ Band versammelten Artikel präsentiert sich ein durchaus symptomatisches Spektrum von Positionen, die sich, wie gezeigt wurde, in diversen Theoriebildungen der Vorkriegszeit wiederfinden lassen: Die Beiträge pendeln zwischen einer romantisch zu nennenden Sehnsucht nach Ganzheit und Wesenheit der Form einerseits und relationalen Modellen andererseits, zwischen einer neuen Metaphysik oder aber einer dezidiert antimetaphysischen Haltung. Es ist also festzuhalten, dass es sich nicht um eine chronologisch fortschreitende 'Entwicklung' – von einer modernen Ontologie zu einem postmodernen Referenzialismus – handelt, sondern um zwei Denkpole, zwischen denen im Grunde das gesamte 20. Jahrhundert oszilliert.
Gutachter
Anonymi
Redaktion
Andrea Lermer, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München
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1 Jean Claude Milner unterscheidet daher zwischen Strukturalismus als Modebegriff der 1950er und 1960er Jahre, einem Strukturalismus "comme doxa", der in Frankreich nach 1968 vom Poststrukturalismus abgelöst wurde, und einem eigentlichen, strukturalistischen Paradigma, das er mit Saussure beginnen lässt und an dessen erkenntnistheoretischem Potential er festhält (Jean Claude Milner, Le périple structural. Figure et paradigme, 2. Aufl., Lagrasse 2008 [2002]). Für die deutschsprachige Soziologie wäre Armin Nassehi zu nennen, der in Weiterführung der Luhmann’schen Systemtheorie für ein strukturell ausdifferenziertes Gesellschaftsmodell plädiert, wenngleich, wie er anmerkt, Funktionalismus und Strukturalismus derzeit eine "schlechte Presse" hätten (Armin Nassehi, Gesellschaft der Gegenwarten, Frankfurt am Main 2011, 53). Seine Abhandlung Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft (München 2019) ist für den hier untersuchten Zusammenhang insofern aufschlussreich, als Nassehi darin die mit dem Strukturalismus eng verbundene Kybernetik nicht als zeitgebundenes Phänomen der Nachkriegszeit abhandelt, sondern als bis heute gültiges Paradigma versteht.
2 Das Übergreifen auf die Bereiche Kunst und Gestaltung sowie die damit verbundene Popularisierung des Struktur-Begriffs in den 1950er und 1960er Jahren zeigt sich an einer Vielzahl von Publikationen wie beispielsweise der von Curt Siegel verfassten Überblicksdarstellung Strukturformen der modernen Architektur (München 1960), dem Architekturbildband Material, Struktur, Ornament (hg. v. Horst Peter Dollinger, München 1966) oder dem 1965 in Zürich erschienenen Band Die Kunst der Struktur zum Werk Mies van der Rohes. Parallel zu diesen, den Struktur-Begriff nur oberflächlich aufgreifenden Publikationen fand auf den Gebieten der Architektur und der Urbanistik eine tiefergreifende Auseinandersetzung sowohl mit dem ethnologisch geprägten Strukturalismus als auch mit formalen Struktur-Fragen statt. So hat sich die Bezeichnung 'Strukturalismus' durchaus mit Berechtigung als architektonischer Stilbegriff durchgesetzt, wenngleich dessen Vertreter/innen darunter zum Teil sehr Gegensätzliches verstanden. Als erste Gesamtdarstellung des Themas gilt: Arnulf Lüchinger, Strukturalismus in Architektur und Städtebau, Stuttgart 1981. Einen eher retrospektiv geprägten Überblick über verschiedene 'Strukturalismen' in der Architektur geben: Tomás Valena, Tom Avermaete und Georg Vrachliotis, Hg., Structuralism Reloaded. Rule-based Design in Architecture and Urbanism, Stuttgart/London 2011, sowie Joaquín Medina Warmburg und Cornelie Leopold, Hg., Strukturelle Architektur. Zur Aktualität eines Denkens zwischen Technik und Ästhetik, Bielefeld 2012; zur eng mit dem Struktur-Denken verbundenen Kybernetik sowie zu computergesteuerten Entwurfsprozessen vgl. Georg Vrachliotis, Geregelte Verhältnisse. Architektur und technisches Denken in der Epoche der Kybernetik, Wien u. a. 2012. Die Nähe der Architektur zu 'Struktur' scheint durch die Herkunft des altgriechischen Begriffes aus dem Bauwesen plausibel. Seine andauernde Verwendung birgt indes die Gefahr, mit dem Begriff 'Struktur' auch damit in der Moderne verbundene Ganzheitsversprechen unkritisch zu perpetuieren. Einen Überblick über die erstaunlich wechselvolle Begriffsgeschichte von 'System' und 'Struktur' bis einschließlich Dilthey gibt: Manfred Riedel, "System Struktur", in: Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 6, Stuttgart 1990, 285-322.
3 Auch in der Kunstgeschichte wurde der Begriff 'Struktur' bisher kaum systematisch behandelt. Mit Hans Sedlmayrs 1925 in die Kunstgeschichte eingeführter Strukturanalyse setzte sich Lorenz Dittmann in seiner methodengeschichtlichen Abhandlung Stil, Symbol, Struktur. Studien zu Kategorien der Kunstgeschichte (München 1967) kritisch auseinander. Zur Strukturanalyse bei Dittmann, Herbert von Einem und Werner Hofmann vgl. Jörg Trempler, "Struktur", in: Kritische Berichte 35 (2007), 22-26. Trempler weist zurecht darauf hin, dass in der kunsthistoriographischen Forschung die Kategorie 'Struktur' bislang nur unzureichend untersucht wurde. So fehle das Lemma 'Struktur' beispielsweise im Metzler-Lexikon Kunstwissenschaft (Ulrich Pfisterer [Hg.], Metzler-Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart/Weimar 2003). Dieses Manko wurde in der zweiten Auflage (Stuttgart u.a. 2011) von Regine Prange behoben, die den Struktur-Begriff als historisch unterschiedlich ausformuliertes Denkmodell der kunsthistorischen Methodik beleuchtet (S. 419-425). Tremplers Hinweis ist hinzuzufügen, dass auch Barcks Ästhetische Grundbegriffe keinen Eintrag zu 'Struktur' enthalten (vgl. Karlheinz Barck [Hg.], Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 6, Stuttgart/Weimar 2003). Insbesondere George Kublers kybernetisch informierte Abhandlung The Shape of Time. Remarks on the History of Things (New Haven u. a. 1962) könnte in einem solchen Zusammenhang neu perspektiviert werden.
4 Wie sehr zeitgenössische (Selbst-)bezeichnungen und spätere Zuordnungen auseinanderfallen, zeigt vielleicht am eindrücklichsten das Beispiel der Semiotik, die heute unstrittig dem Strukturalismus zugerechnet wird, während Umberto Eco selbst seine Methode als "poststrukturalistisch" bezeichnete (Umberto Eco, La struttura assente, Mailand 1968). Eine Periodisierung der Ideengeschichte nach den Leitkategorien Substanz, System und Struktur nimmt Rombach vor (Heinrich Rombach, Substanz, System, Struktur. Die Hauptepochen der europäischen Geistesgeschichte, 2 Bde., 3. Aufl., Freiburg/München 2010 [1965/66], hier Bd. 1, XVI). Sein Ziel ist die Rekonstruktion einer "apokryphen Denkgeschichte", die nicht mit der Begriffsgeschichte des Strukturalismus gleichzusetzen ist (Rombach [2010], Bd. 2, 513). Auch er verficht eine eigene Auffassung von Strukturalismus, wenn er im "Denken des französischen Strukturalismus die wichtigsten Grundlagen des Strukturgedankens vergessen" sieht (Rombach [2010], Bd. 1, XIX). Hier soll keine Definition von Struktur oder Strukturalismus gegeben werden, auch keine Minimaldefinition, wie diese z. B. Cornelie Leopold liefert: "Struktur ist eine Menge von Relationen, die die Elemente eines Systems miteinander verknüpfen." Cornelie Leopold, "Strukturelles Denken als Methode", in: Warmburg und Leopold (2012), 15-35: 20.
5 Blakinger widmet der Reihe ein Kapitel seiner Kepes-Monographie (John R. Blakinger, Undreaming the Bauhaus. Gyorgy Kepes, Cambridge, MA/London 2019, 164-216). Ein geplanter siebter Band, der sich partizipativen Künsten widmen sollte, erschien nicht mehr (Blakinger [2019], 174), während das 1972 von Kepes veröffentlichte Buch Arts of the Environment konzeptuell an die vision + value-Reihe anschloss (Blakinger [2019]), 167). Eine weitere Dissertation, verfasst von Márton Orosz, zur vision + value-Reihe war nicht zugänglich.
6 Gyorgy Kepes (Hg.), Education of Vision, New York: Braziller/London: Studio Vista 1965 (Éducation de la vision, Brüssel: La Connaissance 1967; Visuelle Erziehung, Brüssel: La Connaissance 1967); Gyorgy Kepes (Hg.), Structure in Art and Science, New York: Braziller/London: Studio Vista 1965 (La structure dans les arts et dans les sciences, Brüssel: La Connaissance 1967; Struktur in Kunst und Wissenschaft, Brüssel: La Connaissance 1967); Gyorgy Kepes (Hg.), The Nature and Art of Motion, New York: Braziller/London: Studio Vista 1965 (Nature et art du mouvement, Brüssel: La Connaissance 1968; Wesen und Kunst der Bewegung, Brüssel: La Connaissance 1969); Gyorgy Kepes (Hg.), Module, Proportion, Symmetry, Rhythm, New York: Braziller/London: Studio Vista 1966 (Module, proportion, symétrie, rythme, Brüssel 1968; Modul, Proportion, Symmetrie, Rhythmus, Brüssel: La Connaissance 1969); Gyorgy Kepes (Hg.), The Man-Made Object, New York: Braziller/London: Studio Vista 1966 (L’objet créé par l’homme, Brüssel: La Connaissance 1968; Der Mensch und seine Dinge, Brüssel: La Connaissance 1972); Gyorgy Kepes (Hg.), Sign Image Symbol, New York: Braziller/London: Studio Vista 1966 (Signe, image, symbol, Brüssel: La Connaissance 1968; Zeichen, Bild, Symbol, Brüssel: La Connaissance 1972).
7 Allgemein zur Biographie siehe Judith Wechsler, "Gyorgy Kepes", in: Gyorgy Kepes. The MIT Years, Paintings, Photographic Work, Environmental Pieces, Projects, Ausst.kat., Cambridge, MA u. a., 7-19; zu Kepes’ künstlerischer Tätigkeit, die hier ausgeklammert bleibt, vgl. György Kepes. Malerei, Fotographie, Light Images (Fotogramme, Licht-Bilder), Druckgraphik, Abbildungen (Fotos von Lichtobjekten), Abbildungen von Objekten (Farbdias), Ausst.kat., Berlin/Wien 1976.
8 Das persönliche Netzwerk von György Kepes und direkte Rezeptionszusammenhänge, insbesondere am MIT, sind hier nicht Thema, da inzwischen bereits Gegenstand umfangreicher Untersuchungen: Vgl. dazu die Dissertationen von Elizabeth Finch, "Languages of Vision: Gyorgy Kepes and the 'New Landscape' of Art and Science" (PhD thesis, The City University of New York, 2005) und von Anne Collins Goodyear, "The Relationship of Art to Science and Technology in the United States, 1957–1971: Five Case Studies" (PhD thesis, University of Texas at Austin, 2002). Zu Kepes’ Netzwerk außerdem: Elizabeth Finch, "An Artist in the Barracks: Kepes and MIT", in: A fényjátékosok, Kepes György és Frank J. Malina a tudomány és a művészet metszéspontján. The Pleasure of Light, György Kepes and Frank J. Malina at the Intersection of Science and Art, Ausst.kat., Budapest 2010, 144-168.
9 Zum 'Rebranding' des MIT: Melissa Ragain, "From Organization to Network: MIT’s Center for Advanced Visual Studies", in: x-tra 14 (2012), no. 3, https://www.x-traonline.org/article/from-organization-to-network-mits-center-for-advanced-visual-studies. Kritik an einem technikaffinen und damit kriegsnahen Gestaltungsparadigma übt vor allem Reinhold Martin (The Organizational Complex. Architecture, Media, and Corporate Space, Cambridge, MA u. a. 2003). Den emigrierten Europäer Kepes vornehmlich im Kontext einer "cold war avant-garde" zu verhandeln (Blakinger [2019], 12), rückt möglicherweise die US-amerikanische Perspektive zu sehr in den Vordergrund. Diese war zweifelsohne von zunehmender Kritik an militärisch genutzten Innovationen (mit dem MIT als technokratischem Herz dieser Bestrebungen), von Kommunistenverfolgung sowie der Angst vor einer atomaren Eskalation in besonderer Weise geprägt und nicht unbedingt deckungsgleich mit der europäischen Sicht, in der, stärker als Pearl Harbor, die traumatisierende Erfahrung des Holocausts nachwirkte. In Bezug auf die Bildende Kunst ist daher mitunter neutraler von einer "transition period" die Rede (vgl. Achim Hochdörfer, "A Hidden Reserve. Painting from 1958 to 1965", in: Artforum international 47 (2009), no. 6, 153-159), was jedoch, ähnlich wie der Ausdruck 'Spätmoderne' insinuiert, dass Mitte der 1960er tatsächlich eine Art Epochenwechsel stattgefunden habe. Bolay stellt die Bezüge Kepes’ zur europäischen Vorkriegsavantgarde ausführlicher dar (vgl. Jean-Marie Bolay, Du langage visuel à l’art environnemental. György Kepes, Genf 2018). Auch Terranova betont die Verbindung zu Moholy-Nagy, dessen Biofunktionalismus sie als grundlegend für die Etablierung eines "haptischen Unterbewusstseins" ansieht, das eine ganzheitliche Verbindung zwischen Mensch und Technik avisiert (Charissa N. Terranova, Art as Organism. Biology and the Evolution of the Digital Image, London/New York 2016).
10 Gyorgy Kepes, Language of Vision, Chicago: Theobald 1944. Deutsche Ausgabe: Gyorgy Kepes, Sprache des Sehens, Mainz/Berlin 1971 (= Neue Bauhausbücher, hg. v. Hans Maria Wingler).
11 Die englischsprachige Ausgabe von Klees Pädagogischem Skizzenbuch wurde 1953 in einer Übersetzung von Sibyl Moholy-Nagy in New York und London herausgebracht (Paul Klee, Pedagogical Sketchbook, eingel. u. übersetzt v. Sibyl Moholy-Nagy, New York: Praeger/London: Faber and Faber 1953). In ihrem Vorwort betont sie Klees universalistischen Ansatz: "In the Microcosm of his own visual world he worshipped the Macrocosm of the universe" (8). Diesen sah sie als induktiven Ansatz gegen deduktive Denkmodelle gerichtet (10). 1965 war zudem eine Wiederauflage der Klee’schen Publikation in der Serie Neue Bauhausbücher bei Kupferberg erfolgt, wo später auch Kepes’ Lehrbuch auf Deutsch erschien.
12 Max Burchartz, Gleichnis der Harmonie, München 1949.
13 Im Folgenden wird der besseren Verständlichkeit halber aus der deutschen Ausgabe von 1967 zitiert (Kepes [1967]).
14 Cyril Stanley Smith, "Struktur und Strukturen höherer und niederer Ordnung", in: Kepes (1967), 29-41: 29.
15 Richard Buckminster Fuller, "Begrifflichkeit von Grundstrukturen", in: Kepes (1967), 66-88: 66.
16 Alison und Peter Smithson: "Bauen und Gemeinschaftsstruktur", in: Kepes (1967), 111-115: 112.
17 Fumihiko Maki und Masato Ohtaka, "Gedanken zur Form des Kollektivs", in: Kepes (1967), 116-127: 120.
18 H. L. C. Jaffé, "Syntaktische Struktur in der bildenden Kunst", in: Kepes (1967), 137-149: 137.
19 Max Bill, "struktur als kunst? kunst als struktur?", in: Kepes (1967), 150-151: 150.
20 Positionen des Globalen Südens sind indes nicht vertreten.
21 Auch Blakinger schätzt die Zusammenstellung der einzelnen Beiträge als "divergent" ein. In dieser Offenheit möchte er indes Kepes’ absichtsvolles Ziel erkennen, einen unabschließbaren Prozess eines "interseeing" und "interthinking" anzuregen (Blakinger [2019], 178-181).
22 Dies ist eindrücklich von Bolay rekonstruiert, der die ästhetische und sinnstiftende Qualität der Kepes’schen Layouts insbesondere am Beispiel von The New Landscape differenziert herausgearbeitet hat (Bolay [2018], 73-141). Bolay hebt unter anderem auf die vom Text nahezu unabhängige Bildverwendung ab. Hier wäre zu ergänzen, dass eine derartige Parallelführung von Bild und Text wohl erstmals im Almanach Der Blaue Reiter zur Anwendung gekommen ist. Vgl. dazu auch György Kepes, Graphic Forms. The Arts as Related to the Book, Cambridge, MA 1949.
23 Nur die ersten drei vision + value-Bände enthielten einen solchen picture-essay, während Kepes in den drei Folgebänden, möglicherweise nach der harschen Kritik von Sibyl Moholy-Nagy, die ihm Naivität in der Vorgehensweise vorwarf, darauf verzichtete und auch keine einleitenden Vorworte mehr verfasste; vgl. Blakinger (2019), 206-212.
24 Zur Mikrofotografie allgemein sowie zu deren Ästhetisierung und Popularisierung: Stefanie Dufhues, Fotografie konstruierter Sichtbarkeit. Bildpraxis der Mikrofotografie von den ersten Versuchen bis ins frühe 20. Jahrhundert, Paderborn 2020, Kapitel 5; zur vitalistischen Aufladung "lebender Kristalle" bei Kepes: Spiros Papapetros, On the Animation of the Inorganic. Art, Architecture, and the Extension of Life, Chicago u. a. 2012, 150.
25 Vgl. zu Ausstellung und Katalog das Kapitel "Patterns and Puzzles" bei Blakinger (2019), 78-163, sowie Oliver A. I. Botar, "György Kepes’ 'New Landscape' and the Aetheticization of Scientific Photography", in: A fényjátékosok, Kepes György és Frank J. Malina a tudomány és a művészet metszéspontján. The Pleasure of Light, György Kepes and Frank J. Malina at the Intersection of Science and Art, Ausst.kat., Budapest 2010, 124-143. Botar arbeitet die Bezüge zu bioromantischen und biozentristischen Ansätzen der Vorkriegszeit, insbesondere zu Moholy-Nagy und Kallai heraus. Kallai hatte bereits 1947 in Budapest die Ausstellung Uj vilagkep mit Gegenüberstellungen von wissenschaftlichen Bildern und Kunstwerken gezeigt, die von Kepes allerdings nicht erwähnt wird (141).
26 György Kepes, The New Landscape in Art and Science, Chicago: Theobald and Co. 1956. Weitere Auflagen erschienen 1963 und 1967, sowie 1979 eine ungarische Übersetzung. Vgl. folgende unveröffentlichte Dissertation: Elizabeth Finch, Languages of Vision: Gyorgy Kepes and the 'New Landscape' of Art and Science, PhD thesis, City University of New York, 2005.
27 Lancelot Law Whyte (Hg.), Aspects of Form. A Symposium on Form in Nature and Art, 2. Aufl., London u. a. 1968 [1951]. Dazu auch Vrachliotis (2012), 140-142.
28 Herbert Read, "Introduction of 1951", in: Whyte (1968), XXI.
29 Botar (2010), 142.
30 Kunst und Naturform. Form in Art und Nature. Art et Nature, Ausst.kat., Basel 1958. Der Katalog erschien ebenfalls in einer zweiten Auflage. Zu der Basler Ausstellung auch Bolay (2018), 109.
31 Robert Schenk, in: Kunst und Naturform. Form in Art und Nature. Art et Nature, Ausst.kat., Basel 1958, 41.
32 Vgl. dazu: Soraya de Chadarevian, "Modelle und die Entstehung der Molekularbiologie", in: Claudia Blümle (Hg.), Struktur, Figur, Kontur. Abstraktion in Kunst und Lebenswissenschaften, Zürich/Berlin 2007, 173-197.
33 Das Kunstwerk 12, Heft 4 (Oktober 1958), 43.
34 Hilla Rebay verweigerte Kepes den Abdruck von Kandinsky-Werken, weil sie deren Gleichsetzung mit Naturphänomenen als Abwertung sah; s. Blakinger (2019), 161.
35 Arnold Gehlen, Zeit-Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, 2. neu bearb. Aufl., Frankfurt am Main/Bonn 1965 [1960], 199.
36 Aus einem Interview Ende der 1990er Jahre, hier zit. n. Georg Vrachliotis, "Fritz Haller und der Mikrochip", in: Warmburg und Leopold (2012), 75-101: 99. Zur Geschichte computergesteuerter Entwurfsprozesse in der Architektur vgl. außerdem: Vrachliotis (2012).
37 Lorraine Daston und Peter Galison, Objektivität, Frankfurt am Main 2007 [engl. Objectivity, New York 2007], 267.
38 Daston und Galison sehen in den 1960er Jahren ein neues Paradigma am Wissenschaftshorizont aufziehen, das sie als "geschultes Urteil" bezeichnen. Insbesondere in der wissenschaftlichen Abbildungspraxis würden die Verfahren der mechanischen Objektivität, also vor allem fotografische Abbildungstechniken, abgelöst von Schaubildern, in denen das technisch erzeugte Bild vom Wissenschaftler durch Nachbearbeitung interpretiert wird. Zwar stellen Daston und Galison fest, dass die Grenze zwischen Natur und Kunst, und damit zwischen Wissenschaftler und Künstler, unter den Bedingungen des geschulten Urteils aufgeweicht wird, gehen aber nicht auf das – nachkriegsmoderne – Phänomen der Strukturanalogie in Kunst und Wissenschaft der 1960er Jahre ein (vgl. Daston und Galison [2007], 50, 434). Gerade dieses Jahrzehnt war jedoch durch ein massives Wiederaufleben der mechanischen Wiedergabeverfahren geprägt. Insbesondere mit der Erfindung des Elektronenmikroskops konnte das bereits Mitte des 19. Jahrhunderts etablierte Ideal einer mechanisch reproduzierbaren Objektivität noch einmal an Bedeutung gewinnen – möglicherweise als eine Art 'letztes Aufbäumen', bevor sich die neuen Visualisierungsformen des 'geschulten Urteils' endgültig durchsetzten.
39 Paul Klee, Pädagogisches Skizzenbuch, Mainz 1965 [1925], insbesondere 12-16, hier 16.
40 Christiane Stahl, "Vom Ornament zum Muster in der Mikrofotografie der Moderne", in: Annette Tietenberg (Hg.), Muster im Transfer, Köln u. a. 2015, 135-149: 143. Stahls Untersuchung endet gegen 1940, weshalb Kepes bei ihr nicht vorkommt. Stahl nennt für die Vorkriegszeit erste Beispiele für die Engführung von Mikrofotografie und Kunst, so eine Ausstellung 1935 von August Kreyenkamp in Essen und Oskar Prochnows Publikation Formenkunst der Natur (Berlin 1934).
41 Zit. n. Stahl (2015), 144.
42 Stahl (2015), 145.
43 Blakinger (2019), 91.
44 Blakinger (2019), 97.
45 Blakinger (2019), 97, 105, 122. Letztlich charakterisiert Blakinger Kepes "as a martyred figure" (216), die von einem "(blind) faith in vision" getrieben sei.
46 Bolay (2018), 115-132. Siehe Bolay weiter zum Isomorphismus, insbesondere bei Wolfgang Köhler (101) und bezüglich der Verwendung von naturwissenschaftlichen Aufnahmen in Publikationen des Bauhauses (102-103).
47 Bolay (2018), 130.
48 Bereits Norbert Wiener übertrug Erkenntnisse aus der Biologie, insbesondere zur Verschaltung von Nervenzellen, auf elektrotechnische Steuerungsprozesse – und dies nicht nur auf theoretisch-symbolischer Ebene, sondern in tatsächlichen, real wirksamen Analogieschlüssen. Hierin ist er Paul Klees Ausführungen in den Abschnitten I.11 und I.12 seines Pädagogischen Skizzenbuches nicht unähnlich.
49 Frei Otto, Konstruktion. Ein Vorschlag zur Ordnung und Beschreibung von Konstruktionen, Stuttgart 1991, 14.
50 Otto (1991), 14.
51 György Kepes, "Einleitung", in: ders. (Hg.), Struktur in Kunst und Wissenschaft, Brüssel 1967, IX-XV: IX. Diese Formulierung erinnert stark an Fullers Synergie-Begriff.
52 Kepes (1967), "Einleitung", X-XI.
53 Kepes (1967), "Einleitung", X.
54 Kepes (1967), "Einleitung", XI.
55 Kepes (1967), "Einleitung", X.
56 Kepes (1967), "Einleitung", XII.
57 Kepes (1967), "Einleitung", XV.
58 Die grobe Vereinfachung dieser Einteilung dient hier lediglich der Veranschaulichung; tatsächlich aber ist die Annahme einer zeitlichen Abfolge problematisch und könnte auch andersherum begründet werden. So sieht unter anderem T. J. Clark nicht in Lissitzky, sondern in Malewitsch den eigentlichen Dynamisten (Timothy J. Clark, Farewell to an Idea. Episodes from a History of Modernism, New Haven/London 1999, Kapitel 5: "God Is Not Cast Down", 225-297). Auch kann das 19. Jahrhundert nicht generell als positivistisch charakterisiert werden. Es ist vielmehr die Phraseologie der Avantgarden, die diesen Gegensatz verstärkt, um ihre eigenen Ideen von Ganzheit stärker hervorzuheben.
59 Vgl. dazu Daniela Stöppel, Visuelle Zeichensysteme der Avantgarden 1910 bis 1950. Verkehrszeichen, Farbleitsysteme, Piktogramme, München 2014, 150-165.
60 El Lissitzky, "1924√ + ∞ — = NASCI", in: El Lissitzky. 1929. Architektur für eine Weltrevolution, hg. v. Ulrich Conrads, Berlin/Frankfurt am Main/Wien 1965 (= Bauwelt Fundamente, 14), 120-121: 121.
61 Alexander Dorner, die überwindung der "kunst", Hannover 1959 [engl. the way beyond art. the work of herbert bayer, New York 1947], 18.
62 Bayer vertrat einen anwendungsbezogenen, funktionalistischen Gestaltungsbegriff, den er im Umfeld von Walter Paepcke in Chicago an die Auftragslage in den USA anpasste. Ertragreich wäre sicherlich nicht nur ein Vergleich seines Schaffens mit den Ideen Kepes’, sondern auch mit dem 'design flow' eines Ladislav Sutnar, einem weiteren Immigranten, der in den USA seine Arbeitsweise rasant und mit hochinnovativen Ergebnissen dem hier skizzierten Dynamisierungsgedanken unterstellte.
63 Vgl. zum abstrakten Film: Stöppel (2014), 143-148.
64 Kepes (1967), "Einleitung", XII.
65 Bereits Carl Einstein kritisierte das Anliegen der Konstruktivisten als "utopisch rational" (Carl Einstein: Die Kunst des 20. Jahrhunderts, Berlin 1926).
66 Ähnliches lässt sich für die Kybernetik feststellen. Zu Frühformen kybernetischen Denkens in der Planwirtschaft vgl. Daniela Stöppel, "Otto Neuraths 'Empiritäten'. Zum Verhältnis von Naturalrechnung und Bildstatistik aus medientheoretischer Perspektive", in: Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie 38 (2019), Heft 67, 117-130.
67 Dass 'Ganzheitlichkeit' heute vor allem im Zusammenhang mit ökologischen Fragestellungen sowie in der Alternativmedizin als Begriff Verwendung findet, macht deutlich, wie sehr dieser mit Vorstellungen von Heilung, Ausgleich und Versöhnung verbunden ist. Dass auch Interdisziplinarität im Kontext von 'Ganzheit' zu situieren ist, zeigt sich bereits an Norbert Wieners am MIT explizit als interdisziplinäres Projekt eingeführter Kybernetik (Norbert Wiener, Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschine, 2. erw. Aufl., Reinbek bei Hamburg 1968 [1948]). Zum holistischen Ansatz der HfG Ulm vgl. Hermann Edel, Strukturelles Denken an der Hochschule für Gestaltung Ulm, in: Warmburg und Leopold (2012), 55-73. Insbesondere Terranova (2016) hat sich um eine Neubewertung des Modernismus als holistisch-ganzheitlich bemüht, indem sie ein "warmes" und "feuchtes" ("wet") Paradigma herausarbeitet, das die der Moderne unterstellte Kälte und Rationalität korrigieren soll.
68 Ausst.kat. Kunst und Naturform (1958), 13. Auch Curt Siegel ist der Ansicht, dass Strukturen "nicht errechenbar" seien, sondern "gestaltbildhafte Natur" (Siegel [1960], 8). Hier wirken Grundsätze der Gestalttheorie nach, die sich insbesondere über Rudolf Arnheim in den USA verbreitet hatten. Zu den methodischen (und ideologischen) Fallstricken der Gestalttheorie, insbesondere vermittelt über Ehrenstein und Wertheimer und in Hinblick auf die totalitäre Konstruktion von 'Struktur' bei Sedlmayr, vgl. Dittmann (1967).
69 Zit. n. Katja Kwastek, "'Umweltkunst' am Center for Advanced Visual Studies: György Kepes’ Vision einer technoökologischen Kunst", in: Maria Effinger u. a. (Hg.), Von analogen und digitalen Zugängen zur Kunst. Festschrift für Hubertus Kohle zum 60. Geburtstag, Heidelberg: arthistoricum.net 2019, 249-262: 251, 252, 253, https://doi.org/10.11588/arthistoricum.493.c6567 (zuletzt aufgerufen am 25. Juli 2020).
70 Kwastek (2019), 253. Sie weist auch auf den bislang nicht ausreichend untersuchten Zusammenhang zwischen Organizismus und Environmental Studies hin (259).
71 Sigfried Giedion, Raum, Zeit, Architektur. Die Entstehung einer neuen Tradition, Ravensburg 1965 [engl. 1941], 38, 40-42.
72 So möchte insbesondere Rombach, in Abgrenzung zum französischen Strukturalismus, seine Strukturontologie als metaphysisches Projekt verstanden wissen und regt eine ganzheitliche Betrachtung von 'Struktur' an (Rombach [2010], Bd. 2, 523). Dieses Projekt ist bei ihm teleologisch gedacht: "Wo die Verfassung der Struktur herrscht, gibt es streng genommen keine Entwicklung mehr, sondern nur Geschehen von anderer Art." Dies würde zu einer Art "Schlussform der Ontologie", ähnlich der Demokratie, führen (Rombach [2010], Bd. 2, 508).
73 Bill (1967), 150.
74 Vgl. u. a. Ludwig Goldscheider, Zeitlose Kunst. Gegenwartsnahe Werke aus fernen Epochen. 132 Aufnahmen, Wien 1934.
75 Pier Luigi Nervi, "Tendiert die Architektur zu unveränderlichen Formen und Typen?", in: Kepes (1967), 97-105: 97.
76 Vgl. dazu Stöppel (2014), 111-113, sowie Daniela Stöppel, "Kommentar zu 'Die bildende Kunst im neuen deutschen Staat, 1933' von Wilhelm Pinder", in: Uwe Fleckner und Maike Steinkamp (Hg.), Gauklerfest unterm Galgen. Expressionismus zwischen "nordischer" Moderne und "entarteter" Kunst, Berlin/Boston 2015, 218-224 (= Schriften der Forschungsstelle "Entartete Kunst", 9).
77 Lancelot L. Whyte, "Atomismus, Struktur und Form. Über die Naturphilosophie der Form", in: Kepes (1967), 20-28: 22.
78 Gilles Deleuze und Félix Guattari, Rhizom, Berlin 1977 [franz. 1980], 11-12.
79 Vgl. zur Konkurrenz zwischen Baum/Wurzel und Rhizom: Joaquín Medina Warmburg, "Baum oder Rhizom? Vom Nutzen und Nachteil struktureller Denkbilder für die Architektur", in: Warmburg und Leopold (2012), 121-137.
80 Deleuze und Guattari (1977), 34.
81 Whyte (1967), 22.
82 Hier in deutscher Übersetzung zit. n.: Roland Barthes, "Die strukturalistische Tätigkeit", in: Kursbuch 5 (1966), 190-196: 191 [franz. 1964].
83 James Stirling, "Anti-structure", in: Zodiac. A Review of Contemporary Architecture 18 (1968), 51-60: 51.
84 Stirling (1968), 57.
85 Stirling (1968), 60.
86 Christopher Alexander, A Pattern Language. Towns, Buildings, Construction, New York 1977.
87 Christopher Alexander, The Timeless Way of Building, New York 1979.
88 Vgl. Paola Nicolin, Castelli di carte. La XIV Triennale di Milano, 1968, Macerata 2011.