Informationspraxis mitgestalten?
Hier steht, wie's geht!
DOI: http://dx.doi.org/10.11588/ip.2015.2.19391
Martin WOLLSCHLÄGER-TIGGES
Informationssuchverhalten als Grundlage für die Gestaltung von Veranstaltungen zum Erwerb von Informationskompetenz
Zusammenfassung
Für die Gestaltung von Veranstaltungen zum Erwerb von Informationskompetenz (IK) stellen die bisherigen Ergebnisse und Befunde der Forschung zum Informationssuchverhalten eine wertvolle Grundlage dar, indem v.a. typische Verhaltensmuster, Routinen und Präferenzen im Umgang mit Informationsressourcen und Informationen in IK-Veranstaltungen eingebracht und eingesetzt werden. Das Informationssuchverhalten untersucht Informationsprozesse und Faktoren, die diese maßgeblich beeinflussen. Hierzu werden der gesamte Informationsprozess oder einzelne Abschnitte untersucht. Dabei zeigt sich, dass Faktoren wie Informationsbedarf, Informationsart und -form sowie Arbeitsprozesse wesentlichen Einfluss auf das Suchverhalten haben. Diese Erkenntnisse lassen sich abseits der diskutierten IK-Modelle zur konzeptionellen und inhaltlichen Anpassungen von IK-Veranstaltungen als Empowerment einbringen und einsetzen. Schließlich ist in diesem Zusammenhang ein erster Ansatz einer evidenzbasierten Gestaltung von IK-Veranstaltungen realisiert.
Schlüsselwörter
Informationssuchverhalten; Informationskompetenz; Schulung
Designing informations literacy courses on the basis of information seeking behavior
Abstract
The results and findings of the research on information seeking behavior are describing behavioral patterns, routines and preferences in dealing with information resources and information. They are a valuable basis for designing courses to acquire information literacy skill. The information seeking behavior examines information processes and their influencing factors. Therefore the entire information process, or individual sections are examined. It turns out that factors such as information requirements, information type and form as well as work tasks have significant impact on the information seeking behavior. These findings can be incorporated and used off-discussed information literacy models for conceptual and content changes on courses to acquire information literacy skills using empowerment. Finally, in this context, the adpotion of information seeking behavior for designing information literacy courses, realizes a first approach of evidence-based information literacy course design.
Keywords
Information Seeking Behavior; Information Literacy; Course Design
Die Preprint-Version sowie die dazu eingegangenen Kommentare finden sich hier.
Inhaltsverzeichnis
2 Informationssuchverhalten - Gegenstand und Methoden
3 Anwendung der ISB auf die IK
3.1 Methodisches Recherchewissen, Suchtypen, Haltung und Aufgabenstellung
3.1.1 Anwendung auf die IK und Empowerment in der IK-Vermittlung
3.2.1 Anwendung auf die IK und Empowerment in der IK-Vermittlung
3.3.1 Anwendung auf die IK und Empowerment in der IK-Vermittlung
3.4.1 Information Search Process
3.4.2 Anwendung auf die IK und Empowerment in der IK-Vermittlung
4 Zusammenfassung, Fazit und Ausblick
1 Einleitung
In die Gestaltung von Lernsituationen und -prozessen für Veranstaltungen zum Erwerb von Informationskompetenz 1 (IK) fließen v.a. methodisches und fachliches Wissen ein. Dabei spielt der Kenntnisstand der individuellen Lernvoraussetzung bzw. der Lernvoraussetzung einer gesamten Lerngruppe eine Rolle, um Lernprozesse effektiv gestalten zu können. Dieses Feststellen der individuellen sowie der kollektiven Lernvoraussetzung soll Lernende am Stand ihres Wissens abholen und in einem anschließenden Lernprozess im Hinblick auf ein Lernziel weiterentwickeln (Empowerment). Als Anknüpfungspunkt ist eine genaue Analyse der Lernvoraussetzungen innerhalb einer IK-Veranstaltung hauptsächlich aus zeitlichen Gründen nur bedingt möglich und sinnvoll. Eine derartige Analyse der individuellen und kollektiven Lernvoraussetzungen hat im Rahmen von IK zum Ziel, neben Handlungswissen v.a. Verhaltensmuster, Routinen und Präferenzen im Umgang mit Informationsressourcen identifizieren zu helfen. Diese individuellen und kollektiven Verhaltensmuster, Routinen und Präferenzen im Umgang mit Informationsressourcen werden aber auch im Informationssuchverhalten erfasst, charakterisiert und erforscht, das somit als Hilfsmittel für die Gestaltung von IK-Veranstaltungen herangezogen werden kann.
Das Informationssuchverhalten (auch Information Seeking Behavior, ISB 2) ist Teil des Informationsverhaltens (auch Information Behaviors, IB). Mit dem ISB werden Informationsprozesse untersucht und beschrieben. Dabei geht es darum, v.a. personenbezogene Aspekte von Informationsprozessen beschreiben, verstehen und erklären zu können. Wesentliche Ziele dabei sind nach Womser-Hacker und Mandl im Verstehen und Beschreiben der Verhaltens- und Vorgehensweisen von Benutzern zur Anpassung von Informationssystemen sowie in der Entwicklung geeigneter Methoden zur Beschreibung des Benutzerverhaltens zu sehen (Womser-Hacker & Mandl 2013:97). Das Benutzerverhalten wiederum bildet die Voraussetzung, um Benutzer als Lernende effektiv im Rahmen von IK-Veranstaltungen anleiten und entwickeln zu können, indem gezielt auf charakteristische Verhaltensmuster zurückgegriffen oder auf diesen aufgebaut wird, wie es auch bspw. Sühl-Strohmenger formuliert, der einige „empirische Befunde zum wissenschaftlichen Informationsverhalten“ im Hinblick auf IK referiert, um Lernvoraussetzungen zu beschreiben, auf denen Teaching Library aufbaut (Sühl-Strohmenger 2012:45 - 96).
Für einen solchen Rückgriff bzw. Aufbau in der Vorbereitung von IK-Veranstaltungen trägt dieser Überblick aktuelle Befunde und Ergebnisse der ISB-Forschung summarisch zusammen. Damit soll eine weitere Sichtweise der IK-Forschung und -Praxis abseits der etablierten Modelle eröffnet werden, um zu zeigen, dass IK gefördert und entwickelt werden kann, indem auf bestehende Erfahrungen aufgebaut wird und Verhaltensmuster, Routinen und Präferenzen weiterentwickelt werden. So kann im Sinne eines evidenzbasierten Vorgehens dieses Wissen um Verhaltensmuster, Routinen und Präferenzen v.a. in konzeptionellen und inhaltlichen Anpassungen von IK-Veranstaltungen eingebracht und eingesetzt werden. Dabei spielen insbesondere eine Charakterisierung verschiedener Suchtypen und -verhalten eine Rolle, auf die äußere Faktoren (Suchgegenstand und -formen) einwirken und Informationsprozesse maßgeblich beeinflussen. Diese Informationsprozesse lassen sich schließlich in Informationsmodelle zusammenfassen, um Informationsprozesse zu erfassen, beschreiben und deuten zu können.
2 Informationssuchverhalten - Gegenstand und Methoden
Das
ISB lässt sich zu seiner Untersuchung und Beschreibung nach
personengebundene und den Suchprozess beeinflussende Eigenschaften
einteilen. Personengebundene Eigenschaften charakterisieren Benutzer
oder Benutzergruppen nach inneren und äußeren Merkmalen.
Innere Merkmale betreffen v.a. kognitive und affektive Effekte und
deren Resultate in einer konkreten Operationalisierung als
Handlungsmuster v.a. als Suche (Information Seeking). Äußere
Merkmale stellen sich in Form spezieller Suchtypen dar. Den
Suchprozess beeinflussende Eigenschaften sind v.a. in den
Informationsarten sowie dem Einfluss auf Benutzer oder
Benutzergruppen und deren IB zu sehen. Zur genaueren Analyse dieser
Eigenschaften wird der Suchprozess in größere Bereiche
(Informationsbedürfnis (Information Need), Suchvorgang
(Information Seeking) und Informationsnutzung (Information Use),
Information Need, Search and Use (INSU)) eingeteilt. Auf diese wirken
nach Görtz die Größen Informationsbedürfnis,
Aufgabenkomplexität, Informationsart und Informationsform, die
das Suchverhalten wesentlich beeinflussen (Görtz 2011:91 - 99).
Die Informationsbedürfnisse erörtern die Frage der
Motivationslage und damit grundlegende Voraussetzungen für einen
Informationsprozess, wann und wie dieser initiiert wird. Hierbei geht
es v.a. um das Verstehen affektiver und kognitiver Zustände und
Abläufe. Die Aufgabenkomplexität reflektiert die Bedeutung
konkreter Aufgabenstellungen für und auf einen
Informationsprozess. Die Informationsart untersucht die
Beschaffenheit einer Information v.a. nach quantitativen und
qualitativen Merkmalen sowie deren Einfluss auf das ISB. Die
Informationsformen beschreiben den Zugang zu Informationen und den
damit verbundenen Einfluss auf das ISB.
Untersuchungen der ISB mit
quantitativen und qualitativen Methoden geführt, um v.a.
Einblicke in personengebundene Prozesse zu ermöglichen. In der
Regel werden hierzu verschiedene Methoden kombiniert (Methodenmix).
Die gebräuchlichsten Methoden sind in den Bereichen
Beobachtungen, Befragungen und Sekundäranalysen angesiedelt.
Das ISB ist also ein komplexes System, das es erlaubt, die verschiedenen Ebenen und Abläufe eines Suchprozesses erfassen, beschreiben und deuten zu können. Viele Einflussfaktoren spielen eine Rolle und wirken auf das ISB ein. So haben Aufgabenstellungen, Informationsarten und -formen ebenso einen Einfluss wie der Informationsbedarf, aber auch personengebundene Eigenschaften wie Affektion und Kognition. Auch ergeben sich komplementäre Beziehungen zu den Bereichen Human-Machine Interaction (HMI) und Information Retrieval (IR), sodass sich der der Komplex ISB wie in Abbildung 1 darstellen lässt.
Abb.
1: Ganzheitlicher Informationsprozess
Entlang unterschiedlichster Ansätze und Methoden lässt sich unter verschiedensten Blickwinkeln das Benutzersuchverhalten untersuchen und deren Ergebnis und Befunde zusammentragen. Diese sind im Folgenden dargestellt und werden im Hinblick auf ihre Anwendung auf die IK diskutiert.
3 Anwendung der ISB auf die IK
Die systematische Erforschung des Benutzersuchverhaltens hat vielfältigste Ergebnisse hervorgebracht, die dabei helfen, Informationsprozesse und Verhaltensmuster beschrieben, verstehen und erklären zu können. Im Folgenden werden wesentliche Befunde der ISB-Forschung summarisch zu den Schwerpunkten Suchtypen, Benutzergruppen, Suchgegenstand, Suchformen sowie Informationssuchmodelle vorgestellt und ihre Übertragbarkeit und Anwendung auf IK-Veranstaltungen diskutiert.
3.1 Methodisches Recherchewissen, Suchtypen, Haltung und Aufgabenstellung
In einem ersten Komplex lassen sich die Ergebnisse und Befunde zu Suchtypen, Haltung und Aufgabenstellungen mit der IK in Verbindung bringen. Hierbei lassen sich Vorbedingungen abklären, die in einer konkreten Lehr-Lern-Situation oder Übung zu beobachten und anzuwenden sind. Damit leisten sie einen Beitrag zum Empowerment der IK-Vermittlung.
Die Untersuchungen Leichners et al., die das Wissen von Studierenden und Doktoranden der Psychologie zur Recherche und Bewertung von Fachinformationen zum Gegenstand haben, ergaben ein überraschendes Ergebnis, das zu der Annahme führte, dass es sich bei einer Recherche um Wissen handelt, das in unterschiedlicher Breite und Tiefe vorliegt. Dies führte zur Annahme, IB und ISB mit der Knowledge in Pieces-Theorie zu erklären. Die Knowledge in Pieces-Theorie besagt nach Leichner et al., dass durch Lernformen (v.a. Sozialisation) Wissen zu einem Komplex in einer gewissen Breite und Tiefe angeeignet wird. Dieses Wissen ist aber zu ungenau, um einen gesamten Komplex zu erfassen und daraus Handlungs- oder Lösungsalternativen entwickeln zu können (Leichner u.a. 2013). Somit liefern Leichner et al. einen Erklärungsansatz und die Möglichkeit eines theoretischen Anschlusses für unterschiedliche Rechercheergebnisse bei gleicher Aufgabenstellung und vermeintlich gleicher Ausgangslage.
Als nächstes lassen sich typische Verhaltensmuster in gruppieren. Eine Einteilung von Benutzergruppen nach Suchtypen in einem akademischen Umfeld gelang Heinström, indem Informationsprozesse im Hinblick auf Persönlichkeitsmerkmale und Ansätze, Suchen zu führen, untersuchen wurden. So ist eine Einteilung nach Fast Surfer, Broad Scanner und Deep Diver möglich (Tabelle 1).
Rechercheverhalten |
Fast Surfer |
Broad Scanner |
Deep Diver |
recherchiert oberflächlich und schnell |
recherchiert breit und gründlich |
recherchiert sehr tief und sehr gründlich |
|
Ziel |
möglichst schnelles Ende einer Suche |
Denkanregungen aus verschiedensten Dokumenten verschiedenster Quellen |
umfassend und gründlich informieren |
Informationshand-habung |
Schwierigkeiten bei der Relevanz-bewertung |
Der Umgang mit Informationen fällt leicht |
nur Informationen von herausragender Qualität kommen in Frage |
Charakteristika |
Nervosität, Konservativität und Sorglosigkeit |
Extraversion,
Wettbewerbsfähigkeit, |
hohes inhaltliches Interesse, um Zusammenhänge zu durchdringen und verstehen zu können |
Tabelle 1: Suchtypen (nach Heinström 2002:157, 173, 183)
Mit dieser Einteilung in Fast Surfer, Broad Scanner und Deep Diver ist ein erster Schritt zum näheren Verständnis verschiedener Suchtypen gemacht, wobei die Übergänge zwischen den einzelnen Suchtypen noch näher zu charakterisieren sind.
Des Weiteren haben Zhang und Jansen herausgefunden, dass die persönliche Haltung (Optimismus und Pessimismus) einen Einfluss auf das Suchverhalten hat. So formulieren Menschen mit einer positiven Lebenseinstellung ihre Suchen weiter und nehmen ein breiteres Suchergebnis in Kauf; während Menschen mit einer eher negativen Lebenseinstellung dazu neigen, Suchen enger zu formulieren, um schlankere Suchergebnisse verarbeiten zu können (Zhang & Jansen 2009:8).
Ferner nimmt die Aufgabenkomplexität (Task Complexity) maßgeblich Einfluss, indem eine Aufgabenstellung einen Informations- bzw. Suchprozess initiiert. Byström unterscheidet hierzu Aufgaben nach (Arbeits-)Auftrag und (Arbeits-)Leistung. Der Auftrag versteht sich als erteilter Arbeitsauftrag (z.B. eine Vorgesetzte trägt ihrem Mitarbeiter eine Marktanalyse auf). Die Leistung umfasst eine physische und kognitive Arbeitslast (z.B. das Finden von Lösungswegen als kognitive Leistung, um die Marktanalyse zu führen; und die konkrete Recherche als physische Leistung) (Byström 1999:24). Dabei stellt sich ein originärer Entscheidungsprozess in seiner Abschätzbarkeit als komplex dar. Die benötigten Informationen sind im Vorfeld nicht näher nach Quantität und Qualität zu bestimmen bzw. vorauszusagen. Der Aufwand für den eigentlichen Suchprozess kann im Vorfeld nicht präzise abgeschätzt werden. Ebenso wenig lässt sich das Resultat der Suche voraussagen. Dem gegenüber stehen automatisierte Informationsprozesse wie bei Current Awareness-Services. Sie sind in allen Phasen abschätzbar, da der Informationsbedarf in Form der konkreten Themenfassung erschlossen und als Suche hinterlegt ist. Damit ist ein automatisierter Suchprozess mit konkreten und zu erwartenden Ergebnissen möglich. Zwischen diesen beiden Polen staffeln sich Aufgaben zu Entscheidungsprozessen auf Grund von Vorwissen oder Erfahrungen, in normale bzw. einfache Entscheidungsprozesse sowie normale Informationsprozesse, was sich wie in Abbildung 2 darstellen lässt.
Abb.
2: Kategorien der Arbeitsschritte nach Byström und Järvelin
(Görtz 2011:94)
Diese Ergebnisse und Befunde zum Handlungswissen von Recherche, zu Suchtypen, Haltung und Aufgabenstellungen lassen sich nun auf IK-Veranstaltungen und deren Konzeption übertragen und anwenden.
3.1.1 Anwendung auf die IK und Empowerment in der IK-Vermittlung
Der
Erklärungsversuch von Leichner et al. liefert einen ersten
Beitrag, unterschiedliche Rechercheergebnisse und Vorgehensweisen mit
der Knowledge in Pieces-Theorie zu erklären (Leichner u.a.
2013). Die Knowledge in Pieces-Theorie hilft zu verstehen und zu
erklären, warum bei gleicher Aufgabenstellung unterschiedliche
Recherchen geführt und unterschiedliche Ergebnisse erzeugt
werden. Diese gehen aus verschiedenen Wissensständen
hinsichtlich eines fachlichen Vorwissens zu einer Aufgabenstellung
und dem individuellen Handlungswissen zum Recherchieren hervor.
Hierdurch wird auch deutlich, warum eine Einteilung nach Suchtypen
erfolgen kann (Heinström 2002) - wobei hier auch die
Faktoren persönliche Haltung (Zhang & Jansen 2009) und
Aufgabenstellung (Byström 1999) maßgeblich einwirken.
Durch eine Aufgabenstellung, durch die persönliche Haltung sowie
durch unterschiedliche Wissensstände entwickeln sich
verschiedene Lösungsansätze und -strategien, um eine
Aufgabenstellung zu lösen. Dies zeigt sich schließlich in
individuellen Verhaltensmuster, Routinen und Präferenzen.
Eine
Präferenz, die der Großteil Informationssuchender teilt,
ist der Beginn einer Recherche mit Google, wie es u.a. bei Siegfried
und Flieger sowie Salisbury et al. dargestellt ist (Siegfried &
Flieger 2011; Salisbury, Gupta & Kumar 2006). Diese Präferenz
erwächst aus der Vertrautheit mit der Suchmaske, den
Trefferansichten, einem vertrauten Ranking sowie der Verlinkung von
Volltexte.
Dieses Wissen um Suchtypen und zu Wissensständen sowie dem ersten Informationszugang mit Google erlauben im Rahmen von IK-Veranstaltungen ein Empowerment. Ein solches Empowerment nutzt die Erfahrungen der Studierenden im Umgang mit Google, um darauf aufbauend dann bestehende Suchstrategien und ggf. -techniken in einem Lernprozess weiterzuentwickeln - auch begründet dies grundsätzliche didaktische Vorgehensweisen. Ein wichtiges Ziel dabei ist es, die studentische Haltung so zu entwickeln, dass der Nutzen für ein vertiefendes Wissen über Informationsressourcen und Recherchestrategien sowie -techniken als sinnvoll erachtet wird. Um eine Veränderung der Haltung zu erreichen, wird v.a. auf problemorientierte Ansätze der Vermittlung IK-relevanter Inhalte zurückgegriffen. Durch die Problemorientierung in einem fachlichen Kontext wird ein Praxisbezug hergestellt. Dieser Praxisbezug konstruiert die Sinnhaftigkeit der Thematik, diese wiederum begründet eine Notwendigkeit, die einen konkreten Nutzen erfahrbar macht. Sie schafft damit eine wesentliche Voraussetzung für Motivation. Motivation wiederum ist nach Roth wichtig für die erfolgreiche Gestaltung von Lernprozessen (Roth 1970:223 - 227).
Somit
wird auch der bei Klafki formulierte Primat der Didaktik eines
zielorientierten Handelns erfüllt, um „Wissen oder
Erkenntnisse, Fähigkeiten oder Fertigkeiten, Verhaltensformen
oder Einstellungen“ zu beeinflussen und zu entwickeln (Klafki
1973:70).
Ausgehend von diesen Grundlagen lassen sich ein
problemorientierter Handlungs- und Lernrahmen für eine
IK-Veranstaltung sowie fachlich angemessene problemorientierte
Aufgabenstellungen entwickeln. Diese sollen Lernende involvieren und
damit sicherstellen, dass durch eine ausreichende Sinnstiftung
Motivation und damit ein Lernerfolg sichergestellt wird. Die
Gestaltung der Rahmenbedingungen durch eine fachliche
Problemorientierung bzw. durch fachlich verortete Aufgabenstellungen
fordern aber im Hinblick auf die Lösung einer Aufgabenstellung,
eine Auseinandersetzung mit der Formierung des Informationsbedarfs
und dann auch der eigentlichen Umsetzung der Suche (s.u.). Auch
werden weiterhin unterschiedliche Recherchestrategien und -ergebnisse
zu beobachten sein, da hier nach wie vor die verschiedenen Suchtypen
zum Tragen kommen. Gegebenenfalls lassen sich in Übungen
positive Veränderungen im ISB feststellen, die im Rahmen
einzelner Suchtypen liegen und zeigen, dass ein erfolgreicher
Lernprozess stattgefunden hat.
3.2 Suchgegenstand
Der Suchgegenstand umfasst den Komplex Informationen mit den Faktoren Informationsarten, -formen und -eigenschaften.
Zunächst lassen sich nach Byström und Järvelin Informationen nach ihrer Art unterschieden, die je Aufgabenstellung einen Informationsbedarf decken (Tabelle 2).
Informationsart |
Eigenschaften |
Probleminformation / Aufgabenstellung (Problem Information) |
geben Auskunft über die Struktur, Eigenschaft und Anforderungen eines Problems |
Informationen eines Wissensgebiets / Fachinformation (Domain Information) |
repräsentieren spezielles Informationen, die Fakten, Konzepte, Gesetze und Theorien beinhalten |
Problemlöse-Wissen / -Information (Problem-Solving Information) |
geben eine Anleitung, wie ein bestimmtes Problem strukturiert zu lösen ist |
Tabelle 2: Informationsarten (nach Byström & Järvelin 1995:195 - 196)
Daneben arbeitet Byström die Informationsform und an sie gekoppelte Informationseigenschaften als Faktoren heraus. Die Informationsform wird durch die verschiedenen Kanäle und Quellen, über die Informationen zugänglich sind, charakterisiert und beeinflusst; die Informationseigenschaften umfassen:
Fakteninformationen,
aufgabenorientierte Informationen und
Informationen zum allgemeinen Gebrauch.
Informationskanäle sind in interne (z.B. Memos, Kollegen oder Anweisungen) und externe (z.B. Datenbanken) Kanäle unterteilt.
Die Informationsquellen umfassen gebundene Informationen:
Personengebundene Informationen: v.a. Experten
Dokumentgebundene Informationen (unabhängig der physischen Form): z.B. gedruckte bzw. elektronische Anleitungen oder gedruckte bzw. elektronische Adresskarteien
An Beobachtungen gebundene Informationen ('visits as sources'): z.B. Unfallschäden eines verunglückten Autos.
Schließlich werden Informationseigenschaften generell nach
Fakteninformationen,
aufgabenorientierte Informationen und
Informationen zum allgemeinen Gebrauch
unterschieden. (Byström 1999:73 - 75)
Darüber
hinaus berichten Bawden und Robinson über die negativen
Eigenschaften von Informationen. Im Zuge des Übergangs
von gedruckten zu digital verfügbaren Informationen (digitaler
Übergang) lässt sich ein Anstieg der Informationsmenge
feststellen. Damit ist auch eine Verschiebung bei den
Informationsanbietern zu beobachten: Sie wandeln sich zu
Informationsfiltern. Informationsanbieter geben gezielt spezielle
Informationen in den Markt, um ein Alleinstellungsmerkmal zu
schaffen, da gleichwertige Informationen über andere Systeme
anderer Anbietern recherchiert und beschafft werden können.
Ferner zeigt sich im Zusammenhang der ansteigenden
Informationsmenge das Phänomen Informationsüberversorgung
('Informationsflut'). Die Informationsüberversorgung
ist nicht direkt an Informationen gebunden, sondern ist vielmehr im
Zusammenhang verschiedener Informationsformate und -kanäle, also
Kommunikationsprozessen, zu beobachten. Im Rahmen eines Lösungs-
oder Lernprozesses fällt die Qualifizierung angemessener
Informationen auf Grund der Menge sowie allgemeiner und spezifischer
Informationseigenschaften schwer, sodass sich das Paradox der
Uninformiertheit ergibt:
Trotz
vorhandener Informationen ist eine schlechte Informationslage
festzustellen.
Schließlich beschreiben Bawden und Robinson
die Ambivalenz des Web 2.0, dass einerseits Inhalte einfach, schnell
und breit kommuniziert werden können. Andererseits aber bleibt
die Frage nach der Verlässlichkeit und Qualität von
Informationen, wenn diese jederzeit beliebig ergänzt, ersetzt
oder bearbeitet werden können. (Bawden & Robinson
2008:181 - 186)
3.2.1 Anwendung auf die IK und Empowerment in der IK-Vermittlung
Informationsarten,
-formen und -eigenschaften spielen als Suchgegenstand in
Informationsprozessen eine tragende Rolle, wobei v.a. der Faktor
Informationseigenschaft für die IK von besonderer Bedeutung ist.
Im Rahmen des bei Bawden und Robinson formulierten „digitalen
Übergangs“ kommt es zu einer Verschiebung von gedruckten
zu digitalen Informationen. Es wird zunehmend digital veröffentlicht,
da elektronische schneller als analoge Kommunikationsprozesse sind
und Medienbrüche minimiert werden. Dies führt u.a. zu einer
immer schneller wachsenden Informationsmenge, die von speziellen
Informationsanbietern (z.B. Fachverlagen oder Datenbankanbietern)
gesteuert wird. Damit wandeln sich die Informationsanbieter zu
Informationsfilter, die nur spezielle Informationen zugänglich
machen, was nach Hobohm auf die von Chatman
formulierte Theorie der
kleinen informationellen Lebenswelten (auch Filter-Bubbles oder
Echoräume) verweist
(Hobohm 2013:110). Die
steigende Informationsmenge führt aber auch zu einer
Informationsüberversorgung, was wiederum im Paradox der
Uninformiertheit resultiert, bei dem trotz vorhandener Informationen
eine schlechte Informationslage festzustellen ist, da relevante
Informationen in der Informationsfülle nicht identifiziert
werden können (Bawden
& Robinson 2008:181 - 186).
Im
Komplex Informationseigenschaften ergeben sich in Hinblick auf
IK-Veranstaltungen Themen zu Veröffentlichungsverfahren (v.a.
Open Access) und Informationsressourcen sowie eine Auseinandersetzung
mit der Theorie kleiner informationeller Lebenswelten resp. der
Relevanzprüfung. Im Rahmen des digitalen Übergangs ergibt
sich das Thema Publikationsverfahren spezieller Textgenre (z.B.
Patente, Normen, Gesetze oder Studien), die sich im Hinblick auf
Online-Kataloge oder Fachdatenbanken diskutieren lassen. So lassen
sich verschiedene Veröffentlichungsverfahren spezifischer
Informationen und damit verbunden die Wahl einer speziellen
Informationsressource darstellen. Es ist also eine konkrete Benennung
von Informationsressourcen - ggf. eine klare Empfehlung -
bei besonderen Aufgabestellungen angezeigt. So lässt sich z.B.
für Patentrecherchen konkret auf die Datenbank DEPATISnet statt
der Fachdatenbank DOMA Maschinenbau und Anlagenbau hinweisen. Auch
lässt sich im Zusammenhang Fachdatenbanken, Bibliothekskataloge
oder der Internet-Suche das Phänomen der verteilten
Informationsressourcen als Filter-Bubbles oder Echoräume
erarbeiten, indem dargestellt wird, dass Informationsressource immer
nur Teilausschnitte eines Themas abdecken. Durch das Wissen um die
verteilten Informationen in verschiedenen Informationsressourcen
können gezielt Lernprozesse gesteuert werden, indem für
spezielle Aufgabenstellungen auf spezifische Informationsressourcen
hingewiesen wird. Die in diesen Informationssystemen gefundenen
überwiegend digitalen Informationen sind dann entlang einer
Relevanzprüfung hinsichtlich des sich aus einer Aufgabenstellung
ergebenden Informationsbedarfs als sachdienlich zu qualifizieren
(s.u.). Ferner begegnen Bibliotheken
dem Problem der verteilten Informationsressourcen und den damit
verbundenen verteilten Zugänge mit so genannten
Discovery-Systemen. Discovery-Systeme bündeln verschiedene
Informationsressourcen unter einer Bedienoberfläche und sollen
so den Zugang zu Informationen
erleichtern. Diese stellen nach Hapke u.a. eine präventive Form
der IK dar, die über
die Infrastrukturen von Bibliotheken realisiert wird (Hapke
2015:44 - 48)
3.3 Suchformen
Suchformen umfassen das Suchen in Informationsressourcen und -systemen, die v.a. durch Aufgabenstellungen (s.o.), dem daraus abgeleitete Informationsbedarf, die konkrete Suche sowie das Beenden und An- oder Verwenden von Informationen beeinflusst werden.
Initial für einen Suchprozess ist das Bewusstwerden einer Wissenslücke bzw. eines Informationsmangels, was als Informationsbedarf (Information Need) bezeichnet wird. Beim Informationsbedarf geht es im Wesentlichen um das Verstehen kognitiver Prozesse, wie sich ein Informationsbedarf entwickelt, wie damit umgegangen wird und wie dieser den eigentlichen Suchprozess auslöst und anstößt. Zur Beschreibung des Informationsbedarfs haben sich bisher drei Ansätze herausgebildet:
Four Levels of Question Formation
Anomalous State of Knowledge (ASK)
Principle of Uncertainty
Taylors
Ansatz Four Levels of Question Formation charakterisiert die
Bildung eines Informationsbedarfs über vier unterschiedliche
Bedarfsebenen, über die sich ein Informationsbedarf entwickelt,
konkretisiert, formuliert und artikuliert. Damit zeigt Taylor, dass
der Informationsbedarf v.a. ein vielschichtiger kognitiver Prozess
ist, in dessen Verlauf verschiedenste Wahrnehmungsebenen im Hinblick
auf ein Informationsdefizit durchlaufen werden (Taylor
1968:182 - 183).
Aus Taylors Ansatz entwickeln Belkin et al. nach
Görtz ihren Ansatz des Anomalous State of Knowledge (ASK)
(Görtz 2011:92). Charakteristisch für den ASK ist ein nicht
konkret zu fassendes und zu artikulierendes Wissensdefizit, das das
Informationsbedürfnis repräsentiert. Durch eine Suche soll
dieses Wissensdefizit behoben werden. Daher ist nach Belkin et al. in
der konkreten Auskunftssituation entscheidend, dass der
Informationsbedarf in seinem Kontext erfasst wird, um angemessene
Lösungen erarbeiten zu können (Belkin, Oddy & Brooks
1982:62).
Schließlich ist Kuhlthaus Ansatz Principle of
Uncertainty zu nennen, der die Entwicklung des
Informationsbedarfs als logische Reihe (corollary), also Ablauffolge,
beschreibt. Über die einzelnen Schritte wird externalisiert, was
v.a. auf kognitiver und affektiver Ebene passiert, wenn sich ein
Informationsbedarf entwickelt (Kuhlthau 1993:347 - 352).
Dem Informationsbedarf steht am Ende eines Suchprozesses die Relevanzprüfung gegenüber, bei der der Informationsbedarf zum Prüfkriterium gefundener Informationen auf die Sachdienlichkeit einer Aufgabenstellung wird. In diesem Zusammenhang untersuchten Siegfried und Flieger vom ZBW - Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft das IB und ISB von Studierenden und Forschenden der Wirtschaftswissenschaften. Die Ergebnisse zeigen u.a., dass es 53% der „Wirtschaftsforschenden“ bzw. 40% der Wissenschaftler in BWL und VWL Schwierigkeiten bereitet, die Relevanz der gefundenen Informationen zu einem Thema resp. einer Aufgabenstellung zu validieren, bzw. 35% der Forschenden die Schlagwortfindung für eine Recherche schwer finden (Siegfried & Flieger 2011). Mit diesen Ergebnissen wird v.a. ein Nachholbedarf bei der Relevanzprüfung deutlich.
Bei der Informationssuche geht es um die konkrete Suche und damit v.a. um die Entscheidung für eine bestimmte Informationsressource. Diese ist v.a. mit der Präferenz für Google verbunden (s.o.).
Einer
Suche schließt sich immer auch ein Beenden der Suche (Seeking
Stopping) an und damit die Frage nach den Faktoren, die zur
Beendigung einer Suche führen.
Warwick
et al. stellten bei der Untersuchung des Suchverhalten von
Studierenden des Informationsmanagements
fest, dass diese adaptiv
und aufgabenorientiert im Informationsprozess handeln. Dies drückt sich in einem
möglichst geringen Rechercheaufwand aus, obwohl die Studierenden
verschiedenste Suchtechniken beherrschen (Warwick u.a. 2009).
Prabha
et al. untersuchten, welche Kriterien
zur Beendigung eines Suchprozess
bei Lehrenden und Studierenden führt, und konnten hierbei
quantitative und qualitative Kriterien identifiziert (Tabelle 3).
Qualitative Kriterien |
Quantitative Kriterien |
Anforderungen einer Aufgabenstellung erfüllt |
Vertrauenswürdige Informationen wurden gefunden |
Wenig Zeit für eine Suche |
Eine repräsentative Menge an Informationen wurde zusammengetragen |
Bestätigung der Informationen durch Lehrende oder Gutachter |
Aktuelle Informationen wurden gefunden |
|
Exakt treffende Informationen wurden gefunden |
Ausführliche Recherchen wurden geführt |
|
Eine umfassende Zusammenstellung von Informationen gefunden wurde |
Tabelle 3: Qualitative und quantitative Kriterien zur Beendigung eines Suchprozesses (Prabha u.a. 2007:83 - 84)
Diese Kriterien zeigen die inhaltlichen Dimensionen, die auch auf eine Relevanzbestimmung (s.o.) einwirken.
Der Aspekt der Informationsver- oder -anwendung (Information Use) nimmt in der ISB- bzw. IB-Forschung eine randständige Rolle ein, da die Untersuchungen von Informationsprozessen i.d.R. mit dem Beenden von Suchen abgedeckt ist. Jedoch findet sich z.B. in Kuhlthaus ISP-Model (s.u.) eine Betrachtung der Informationsverwendung, da das Modell Informationsprozesse im Rahmen des wissenschaftlichen Arbeitens darstellt. So steht am Ende des ISP die Verwendung von Informationen in Form eines Textproduktes, das mit seiner Veröffentlichung Eingang in einen Informationskreislauf findet (Kuhlthau 1988).
3.3.1 Anwendung auf die IK und Empowerment in der IK-Vermittlung
Das
Besondere am Informationsbedarf und dem Beenden eines
Informationsprozesses, ist der Rückgriff auf den
Informationsbedarf als Kriterium für die Bestimmung der
Sachdienlichkeit von Informationen zu einer Aufgabenstellung
(Relevanzprüfung). Die dargestellten Ansätze zum
Informationsbedarf sind eine erste Annäherungen, die Formierung
eines Informationsbedarfs v.a. auf kognitiver Ebene zu verstehen.
Diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass ein Informationsbedarf ein
subjektiver Prozess ist, der v.a. an individuelle kognitive
Eigenschaften gekoppelt ist und mit der Knowledge in Pieces-Theorie
gedeutet werden kann: Durch unterschiedliches Vorwissen kommt es zu
unterschiedlichen Gewichtungen einzelner Aspekte und Details einer
Aufgabenstellung. Diese unterschiedlichen Auslegungen einer
Aufgabenstellung führen zu verschiedensten Recherchen. Die
genaue Erfassung des Informationsbedarfs ist aber auch im Hinblick
auf das Ende einer Suche und einer damit verbundenen
Relevanzbestimmung wichtig. Der Informationsbedarf bildet dabei den
Maßstab, an dem gefundene Informationen als sachdienliche
bewertet werden.
Ferner
zeigt sich, dass auf die Beurteilung der Sachdienlichkeit von
Informationen v.a. äußere Faktoren (z.B. Zeit) einwirken.
Diese Faktoren führen schließlich zur Beendigung eines
Suchprozesses, der einer Relevanzbeurteilung vorausgeht bzw. im
Rahmen einer Relevanzbeurteilung erfolgt. Wie die Untersuchungen
Siegfrieds und Fliegers zeigen (Siegfried & Flieger 2011),
ergibt sich ein inkohärentes Bild bei der Relevanzbestimmung und
wie diese vorgenommen werden kann. Damit ergibt sich ein
IK-relevantes Thema, in dessen Rahmen in mögliche Formen der
Relevanzbestimmung angeleitet wird.
Besonders
hervorzuheben ist beim Informationsbedarf die Verbindung zu
Lernprozessen und dem Einfügen und Verbinden fehlenden Wissens
in bestehendes Wissen. Mit diesem Lernprozess sind
lernpsychologische, didaktische und auch neurobiologische Phänomene
verbunden, um eine Informationslücke und damit ein
Wissensdefizit zu beseitigen.
In diesem Zusammenhang sieht Heinström
im kritischen Hinterfragen bzw. Reflektieren
3
sowie der Relevanzüberprüfung eine Verbindung zur IK
(Heinström
2002:16 - 24).
Schließlich
lässt sich das bei Warwick et al. dargestellt adaptive und
aufgabenorientierte ISB mit den Suchtypen, der persönlichen
Haltung und der Aufgabenkomplexität deuten (Warwick u.a. 2009).
Suchtypen, persönliche Haltung und Aufgabenkomplexität
haben maßgeblichen Einfluss auf das ISB (s.o.) und führen
zu unterschiedlichsten Recherchen und Suchergebnissen, was sich in
einem situativ angemessenen adaptiven und aufgabenorientierten
Vorgehen und Handeln äußert. So ist es auch hier möglich,
unterschiedliche Recherchestrategien und -ergebnisse zu beobachten,
die sich ggf. in Übungen als Ergebnis eines erfolgreichen
Lernprozesses feststellen lassen oder aber mögliche
Entwicklungspotentiale aufzeigen.
In
IK-Veranstaltungen ist beim Informationsbedarf eine konkrete
Anleitung in der Suchwortfindung und ggf. einer Themenzuspitzung
angezeigt. Bei der Suchwortfindung lässt sich zeigen, wie aus
einer Aufgabenstellung Suchworte systematisch extrahiert und dazu
Synonyme, Über- und Unterbegriffe gebildet sowie Übersetzungen
v.a. ins Englische ergänzt werden können. Eine
Themenzuspitzung ist i.d.R. fachlich geprägt, kann aber
sukzessive entlang allgemeiner Kriterien (z.B. eine zeitliche oder
regionale Eingrenzung) veranschaulicht werden.
Auch ist es hierbei
möglich die Formierung eines Informationsbedarfs zu
problematisieren und damit herauszuarbeiten, welchen Einfluss der
Informationsbedarf v.a. als inhaltliche Kriterien auf die
Relevanzbestimmung am Ende einer Recherche hat.
Bei der
Relevanzbeurteilung selbst ergibt sich in der Anleitung zur
Bestimmung der Sachdienlichkeit einer Information entlang formaler
Kriterien ein Lernthema. Hierzu haben sich v.a. im Rahmen des
wissenschaftlichen Arbeitens Vorschläge zur Bestimmung
relevanter Informationen wie z.B. bei Gudjons entwickelt (Gudjons
1990:32), an die eine Relevanzbestimmung angelehnt werden kann.
3.4 Informationssuchmodelle
Das Ziel, Suchverhalten und Informationsprozesse zu beschreiben und zu erklären, mündet schließlich in der Modellbildung von Informationssuch- und Informationsprozessen. Dabei ist nach Wilson unter einem Modell ein Framework zu verstehen, das bei der Reflektion eines Phänomens behilflich ist und dazu genutzt werden kann, Aussagen zwischen verschiedenen theoretischen Positionen zu entwickeln (Wilson 1999:250). Im Folgenden soll exemplarisch das breit rezipierte Modelle Informations Search Process (ISP) von Kuhlthau stellvertretend vorgestellt werden - weitere Modelle werden u.a. bei (Wilson 1999), (Joseph, Debowski & Goldschmidt 2013), (Womser-Hacker & Mandl 2013) und (Hobohm 2013) diskutiert.
3.4.1 Information Search Process
Kuhlthau leitete in den 1980er Jahren den Information Search Process (ISP) zunächst als sechsstufigen Prozess induktiv her und entwickelte diesen im Laufe der Zeit weiter. Aus den qualitativen Befunden zu den Erfahrungen amerikanischer High School-Schüler zum wissenschaftlichen Arbeiten konnte Kuhlthau einen Informationsprozess nachbilden und diesen um affektive und kognitive Faktoren, die einen Suchprozess begleiten, ergänzen (Kuhlthau 1988). Im Rahmen der Revision der Informationskompetenz-Standards der Association of College and Research Libraries (ACRL) wurde der ISP um den Schritt „Assessment“ erweitert (Abbildung 3).
Abb 3: Das Modell Information Search Process (ISP) (nach Kuhlthau
2013:95)
Die besondere Leistung des ISPs ist die die Ergänzung eines linearen Informationsprozesses um affektive und kognitive Faktoren, die einzelnen Arbeitsschritten zugeordnet sind. Das Modell vernachlässigt jedoch, dass Such- und Lernprozesse rekursiv sind bzw. sich Gefühle und Gedanken zu einzelnen Schritte und dem gesamten Suchprozess asynchron verhalten können. Dennoch findet der ISP eine breite fachliche Rezeption und Akzeptanz, die sich u.a. in einer Weiterentwicklung des ISPs mit rekursiven und asynchronen Zyklen im Information Seeking-Modell von Marchionini findet (Marchionini 1997) bzw. eine Bestätigung in der Übertragung auf das Suchverhalten in Gruppen bei Shah et al. zeigt (Shah & González-Ibáñez 2010).
3.4.2 Anwendung auf die IK und Empowerment in der IK-Vermittlung
Informations- sowie Informationssuchprozess-Modelle - insbesondere der ISP - tragen typische und wiederkehrende Handlungsmuster während eines Informationsprozesses zusammen und bilden diese ab. Damit helfen Modelle in konkreten Lehr-Lern-Situationen, gewisse Sachverhalte und Handlungen beobachten sowie einordnen zu können. Dies erlaubt es, rückblickend und vorausschauend zu agieren (z.B. folgt der Präsentation im ISP eine Bewertung des Arbeitsergebnisses und damit auch eine Bewertung des gesamten Suchprozesses). Also helfen die Modelle, den Überblick in einem Informationsprozess zu behalten - sie geben damit Orientierung. Mit dieser Orientierungsfunktion und den sich aus den Befunden und Ergebnissen der ISB-Forschung hergeleiteten Lerninhalten für IK-Veranstaltungen, schwächt sich die Bedeutung der Modelle in der Gestaltung von IK-Veranstaltungen ab.
4 Zusammenfassung, Fazit und Ausblick
Die bisherigen Befunde und Ergebnisse der ISB-Forschung lassen eine gute Beschreibung bestimmter Aspekte und Details von Informations- und Suchprozessen zu. Zunächst zeigt sich, dass eine Aufgabenstellung maßgeblichen Einfluss auf das Suchverhalten hat. Der sich aus der Aufgabenstellung entwickelnde Informationsbedarf spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in der Themenzuspitzung und der Suchwortfindung bzw. als rekursives Kriterium in der Relevanzbestimmung. Des Weiteren konnte die Bedeutung von Informationsarten, -formen und -eigenschaften auf Informationsprozesse herausgearbeitet werden. Die hierzu entwickelten Systeme erlauben es, die unterschiedlichen Einflussgrößen besser zu verstehen. Auch bieten die gesicherten Erkenntnisse einer Google-Präferenz einen Ansatz und eine wertvolle Voraussetzung, eine individuelle oder kollektive IK festzustellen bzw. diese in einem Lernprozess weiterzuentwickeln. Das exemplarisch vorgestellte Modell eines Informationsprozesses (ISP) zeigt, dass sich Informationsprozesse auf verschiedenen Ebenen darstellen und damit sowohl konkret beobachten als auch begleiten lassen. Diese Funktion und die einzelnen ISB-Befunde und -Ergebnisse führen zu einer Abschwächung der Modelle in ihrer gestaltenden Funktion für IK-Lerninhalten. Schließlich erfahren die vorgestellten Ansätze, Befunde und Ergebnisse unterschiedlichster Handlungs- und Verhaltensmuster einen ersten Erklärungs- und Deutungsansatz mit der Knowledge in Pieces-Theorie.
Das ISB leistet mit seinen Ergebnissen und Befunden einen wertvollen Beitrag, Suchprozesse allgemein und auf affektiver und kognitiver Ebene zu verstehen. Mit diesem Verstehen können nicht nur Such- und Informationssysteme sowie Dienstleistungen und Services dem Benutzerverhalten und damit deren Bedürfnissen angepasst werden, sondern auch IK-Veranstaltungen dahingehend entwickelt werden, dass auf individuelle sowie kollektive Ressourcen bauend Lernprozesse im Umgang mit Informationen und Suchprozessen unterstützt werden können (Empowerment). In Verbindung mit einer gezielten Benutzerforschung (v.a. Schulungsevaluierungen und Benutzungsstatistiken) kann das ISB in Anlehnung der bei Bock formulierten Forderung nach einem Lernkonzept und der Reflexion von Lernvoraussetzungen dabei helfen (Bock 1970-71:35), zu einer evidenzbasierten und damit gesicherten sowie bedarfsorientierten IK zu gelangen. Eine solche IK bietet zielgruppenspezifisch Themen und Inhalte an und vermittelt diese bedarfsgerecht, sodass Kompetenzerwerb möglich wird. Einen ersten Schritt zu einer evidenzbasierten IK stellen sicherlich die Befunden und Ergebnissen der ISB-Forschung dar. Durch dieses Wissen um wesentliche Faktoren, die das ISB beeinflussen, ist es möglich, die Didaktik und Methodik von IK-Veranstaltungen sowie die Ziele solcher Veranstaltungen zu konkretisieren. Damit ist es möglich, sowohl seitens der Lernenden als auch der Lehrenden spezifischer zu agieren und IK individuell und kollektiv zu entwickeln. Es werden aber weitere und nähere Untersuchungen zeigen und beweisen müssen, ob das ISB eine allgemeine und ggf. auch theoretische Grundlage der IK sowie eine gesicherte Gestaltungsgrundlage von IK-Veranstaltungen sein kann.
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Autor
Martin WOLLSCHLÄGER-TIGGES
Fachhochschule Bielefeld - University of Applied Sciences
Hochschulbibliothek, Interaktion 1, Raum A111
33619 Bielefeld
http://www.fh-bielefeld.de/bib/
martin.wollschlaeger-tigges@fh-bielefeld.de
1 Im Folgenden wird für die Wendung 'Veranstaltung(en) zum Erwerb von IK' 'IK-Veranstaltung(en)' verwendet.
2 Die Begriffe Informationssuchverhalten und Information Seeking Behavior sowie dessen Akronym ISB werden synonym verwendet. Dies gilt ebenso für Informationsverhalten und Information Behavior resp. IB sowie weitere andere Begriffe im Rahmen dieser Arbeit. Diese werden i.d.R. begrifflich eingeführt und anschließend synonym verwendet.
3 In der Literatur wird überwiegend die Bezeichnung 'kritisches Denken' der englischen Übersetzung 'critical thinking' geführt.