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DOI: http://dx.doi.org/10.11588/ip.2016.1.28559
Andrea HOFMANN & Christian HAUSCHKE1
Roving Librarians in der Zentralbibliothek der Hochschule Hannover: ein Experiment
Zusammenfassung
In der Zentralbibliothek der Hochschule Hannover wurde ab Wintersemester 2012 ein Experiment mit Roving Librarians durchgeführt, um die Auskunftsqualität zu verbessern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bibliothek liefen zu diesem Zweck mit einem Netbook ausgerüstet durch den Benutzungsbereich der Bibliothek, um Fragen der Nutzer und Nutzerinnen gleich dort zu beantworten, wo sie entstehen. Der Versuch kann nicht als erfolgreich bezeichnet werden, doch konnten während des Experiments wertvolle Einblicke in Nutzerwünsche gewonnen werden.
Schlüsselwörter
Mobile Auskunft; Roving Librarian
Roving Librarians in the Central Library of the University of Applied Sciences and Arts Hannover: an experiment
Abstract
Beginning with winter semester 2012, in the Central Library of the University of Applied Sciences and Arts Hannover, an experiment with roving Librarians was carried out to improve the reference quality. The employees of the library were roving in the library to answer patron’s questions where they occurred. The experiment cannot be called successful, but valuable insight into patron needs could be obtained during the experiment.
Keywords
Mobile Reference; Roving Librarian
Inhaltsverzeichnis
2 Umsetzung des Konzepts in der Bibliothek der HsH
3 Erkenntnisse und Schlussfolgerungen
1 Was sind Roving Librarians?
Roving Librarians („streunende Bibliothekarinnen oder Bibliothekare“) wird eine spezielle Form der mobilen Auskunft genannt. Um eine Frage zu stellen, müssen Nutzer und Nutzerinnen keinen stationären Auskunftsplatz (z.B. Ausleih- oder Infotheke) aufsuchen. Stattdessen bewegen sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Bibliothek durch das Bibliotheksgebäude, um Fragen dort beantworten zu können, wo sie auftreten. Ziel dieser Maßnahme ist es, die Hemmschwelle zur Fragestellung zu senken. So soll auch zu Fragen ermutigt werden, die ansonsten aufgrund des Weges zum Auskunftsplatz vielleicht gar nicht gestellt worden wären. Die Tatsache, dass kein Tresen zwischen der fragestellenden und der Auskunft gebenden Person steht, soll ebenfalls zur Niedrigschwelligkeit des Angebots beitragen.
Literatur und Fallstudien zu Roving Librarians sind zahlreich zu finden. (Kramer 1996) hebt hervor, dass durch das Roving Fragen beantwortet werden können, die am stationären Auskunftsplatz normalerweise gar nicht erst gestellt werden. (Sharman & Walsh 2012) betonen die positiven Effekte für das Image der Bibliothek und die Auskunftsdienstleistung insgesamt. (Smith & Pietraszewski 2004) heben die Nützlichkeit eines Tablets für mobile Auskünfte beim Roving hervor. Die Diskussion, wie mit nicht gestellten Fragen und ihren verhinderten Fragestellern umgegangen werden kann, geht noch deutlich weiter zurück. Hier sei beispielhaft auf (Swope & Katzer 1972) verwiesen.
2 Umsetzung des Konzepts in der Bibliothek der HsH
Die Umsetzung erfolgte nahe den Vorschlägen, die in einer Bachelorarbeit zu Auskunftsdienstleistungen der Zentralbibliothek der HsH (Meiers & Schröder 2011) gemacht wurden. Die Arbeit berief sich bezüglich des Rovings zu einem großen Teil auf (Lister 2007). So wurden bestimmte benutzungsintensive Zeiträume für das Roving definiert. Im Dienstplan wurde festgelegt, wer an welchem Tag durch die Bibliothek „streunt“. Die Teilnahme seitens der neun Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Zentralbibliothek am Roving war freiwillig, die Bereitschaft dazu aber mit ca. 80 % erfreulich hoch. Die konkreten Einsatzzeiten waren während der Vorlesungszeit von Montag bis Freitag jeweils von 10 Uhr bis 14 Uhr. Die Öffnungszeiten der Bibliothek umfassten den Zeitraum von 9 Uhr bis 20 Uhr. Das Roving fand statt im Benutzungsbereich, sowohl im Freihandbestand mit ca. 100.000 Medieneinheiten als auch im Gruppenarbeitsbereich. Dort wurde besonders der Bereich um die Recherche-Arbeitsplätze und die Kopierer und Drucker frequentiert.
Um die Zeiten zu nutzen, in denen keine Auskünfte zu erteilen waren, sollten während des Rovings Tätigkeiten wie z.B. Aufräumarbeiten oder Bestandspflege durchgeführt werden. Durch das Zeigen von Präsenz sollte auch der Lautstärkepegel im Benutzungsbereich niedrig gehalten werden. Der Wunsch, für mehr Ruhe zu sorgen, war schon mehrfach von Nutzerseite (vgl. Blasetti 2009:8) an uns herangetragen worden.
Im Zuge der Diskussion, wie offensiv die Roving Librarians auftreten sollten, wurde als Leitlinie vereinbart, dass Nutzer direkt angesprochen werden sollten, sobald bei ihnen Zeichen von Unsicherheit oder ein Informationsbedarf erkennbar waren. Die Strategie, jeden Nutzer initiativ anzusprechen, wurde im Kollegium als zu aufdringlich empfunden.
Um Fragen mobil beantworten zu können, wurde ein Netbook angeschafft, das durch einen großen Aufkleber auf der Rückseite des Monitors zum Ansprechen des Bibliothekspersonals ermuntern sollte (Abb. 1).
Abb. 1: Roving-Netbook
Über die Einführung des neuen Informationsangebots wurde unter anderem per Bibliotheksblog (Hofmann 2011) informiert. Als Erprobungszeitraum waren zwei Semester vorgesehen, um die Roving-Maßnahme unter unterschiedlichen Bedingungen während des gesamten Jahres beurteilen zu können. Um unsere Bemühungen messbar zu machen, wurde eine Liste angelegt, in die alle teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen die während des Rovings durchgeführten Interaktionen – grob klassifiziert – eintragen sollten.
Interaktion | Häufigkeit |
Ruhe | 457 |
Essverbot | 51 |
Kopierer | 50 |
Telefonverbot | 46 |
Aushilfe Tresen | 34 |
Katalogrecherche | 20 |
Standortsuche | 17 |
Regalordnung | 14 |
14 | |
Offene Getränke | 13 |
Sonstiges | 7 |
Vormerkung | 5 |
USB-Stick | 4 |
Signaturen | 2 |
Anmeldung | 2 |
WLAN | 2 |
Ausleihbarkeit | 2 |
Thematische Suche | 1 |
Tabelle 1 Gezählte Interaktionen im Wintersemester 2012/2013
„Ruhe“ bezeichnet die Aufforderung an die Nutzerinnen und Nutzer, sich leise zu verhalten. Die Roving Librarians waren also überwiegend mit der Durchsetzung der Benutzungsordnung beschäftigt, auch bezüglich des Ess- und Telefonierverbots. Die meisten an das Personal gerichteten Fragen zielten auf die Bedienung technischer Geräte (Drucker oder Kopierer). Katalogrecherchen und Standortsuche waren die häufigsten Fragen aus dem klassisch bibliothekarischen Auskunftsspektrum, wobei auffällig ist, wie extrem gering die absoluten Zahlen sind. „Aushilfe Tresen“ bezieht sich auf die Unterstützung der konventionellen Auskunfts- oder Ausleihtätigkeit am Tresen durch die Roving Librarians. Inhaltlich deckt sich das Themenspektrum weitgehend mit dem der an der Ausleihtheke gestellten Fragen.
Diese Daten wurden von 20. September 2012 bis 31. März 2013 erfasst, das Roving-Experiment erstreckte sich jedoch insgesamt auf drei Semester (Wintersemester 2011/2012 bis Wintersemester 2012/2013). Die Zahlenbasis kann leider keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie ist jedoch sicherlich ausreichend, um Tendenzen aufzuzeigen.
Die große Zahl der Interaktionen zur Regulierung der Lautstärke in der Bibliothek sind in Zusammenhang mit den baulichen Gegebenheiten (vgl. Ferber 2008) und der auch in Befragungen (s.o.) regelmäßig vorgebrachten Kritik an der zu hohen Lautstärke in der Zentralbibliothek zu betrachten. Die Ursachen für die auffällig geringe Anzahl an „bibliotheksspezifischen“ Fragen gilt es weiterhin zu erforschen. Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen anderer Bibliotheken lassen den Schluss zu, dass es sich hierbei nicht um ein spezifisches Phänomen allein unseres Hauses handelt, sondern eher um einen Trend, der auch in anderen Bibliotheken erkennbar ist. (Kenney 2015) unterstützt diese Annahme mit seiner Antwort auf die Frage, was Nutzerinnen und Nutzer einer Bibliothek wollen: „They want help doing things, rather than finding things.“
3 Erkenntnisse und Schlussfolgerungen
Die durchgeführte Umsetzung des Konzepts „Roving Librarian“ kann nicht gerade als Erfolgsmodell bezeichnet werden. Mögliche Gründe dafür sind einmal der Mangel an konstanter Arbeit „im Bestand“, der dazu führte, dass in erster Linie in regelmäßigen Abständen „Roving-Runden“ gelaufen wurden. Die Roving-Runden wiederum waren aufgrund der räumlichen Verhältnisse zu schnell absolviert, so dass die Verweildauer und somit die Verfügbarkeit des Bibliothekspersonals “netto“ deutlich unter vier Stunden pro Tag lagen. Eine permanente Anwesenheit und Ansprechbarkeit für die Nutzerinnen und Nutzer hätte sicherlich positiven Einfluss auf die Zahl der Auskunftsinteraktionen gehabt.
Doch abgesehen von Erfolg, Misserfolg oder blanken Zahlen – bei Experimenten gibt es immer etwas zu lernen. So wurde uns die Relevanz des Themas „Ruhe“ deutlich ins Bewusstsein gerückt und führte im Folgenden auch zu Aktionen wie z.B. einem „Tag der Stille“ zur Senkung der Lautstärke in der Bibliothek. Präsenz im Benutzungsbereich hatte weiterhin den Effekt, dass wir allein durch Beobachtung unsere Klientel besser kennenlernen konnten.
Wir können inzwischen mit Fug und Recht anzweifeln, dass die Auskunftsform „Roving“ den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer in der Zentralbibliothek der Hochschule Hannover entspricht. Andererseits ist aus Gesprächen mit Nutzern und Nutzerinnen, aber auch durch die alltäglichen Interaktionen an der Ausleihtheke und an den Recherche-Arbeitsplätzen deutlich zu erkennen, dass es ein Bedürfnis nach Hilfestellung und Auskunftsdienstleistungen gibt. Wie dies am besten zu befriedigen ist, bleibt weiterhin zu klären. (Kenney 2015) liefert eine interessante Diskussionsgrundlage über die Zukunft bibliothekarischer Auskunfts- und Unterstützungstätigkeit. Daran anknüpfend muss nachgedacht werden, welche qualitativen Anforderungen an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eigentlich nötig sind. Der Einsatz studentischer Hilfskräfte, die zu Zeiten mit hohen Besucherzahlen Hilfestellungen rund um das Drucken, Scannen und Kopieren anbieten (Universitätsbibliothek Würzburg 2015), könnte z.B. ein interessantes nächstes Experiment rund um die Auskunftsdienste der Bibliothek werden.
Das Experiment „Roving Librarians“ möchten wir mit den Worten von (Kenney 2015) beschließen: „It’s not clear that roving reference is at all helpful to our patrons. But with doctors saying that sitting is more dangerous than smoking, it may at least extend the life of some library staff.”
Literatur
Blasetti, Alessandro 2009. Wie zufrieden sind die Benutzer der Bibliothek der Fachhochschule Hannover?: Ergebnisse einer Befragung im Juni 2009. Hannover. URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:960-opus-2895
Ferber, Horst 2008. Mehr Arbeitsplätze, weniger Lärm: Umbaumaßnahmen an der Bibliothek der Fachhochschule Hannover zur Schaffung zusätzlicher und besserer Nutzerarbeitsplätze. Mannheim. URL: http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn:nbn:de:bsz:960-opus-700
Hofmann, Andrea 2011. Roving Librarians. URL: http://blog.bib.hs-hannover.de/2011/09/27/roving-librarians/ [Stand 2016-02-17].
Kenney, Brian 2015. Where Reference Fits in the Modern Library: Today’s reference user wants help doing things rather than finding things. URL: http://www.publishersweekly.com/pw/by-topic/industry-news/libraries/article/68019-for-future-reference.html [Stand 2016-04-04]
Kramer, Eileen H. 1996. Why roving reference: A case study in a small academic library. Reference Services Review 24(3), 67–80. Online im Internet: URL: http://dx.doi.org/10.1108/eb049290
Lister, Pauline 2007. One desk + one stop = one solution, in Schmidt, Gail (Hg.): ALIA NLIT Conference 2007 Papers.
Meiers, Nadine & Schröder, Stefanie 2011. Auskunftsdienste der Zentralbibliothek der FH Hannover: Evaluation derzeitiger und Konzeption neuer Auskunftsdienste. Bachelorarbeit. Fachhochschule Hannover. URL: http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn:nbn:de:bsz:960-opus-3563
Sharman, Alison & Walsh, Andrew 2012. Roving librarian at a mid-sized, UK based University. Library Technology Reports 48(8), 28–34. Online im Internet: URL: http://core.kmi.open.ac.uk/download/pdf/9256789.pdf
Smith, Michael M. & Pietraszewski, Barbara A. 2004. Enabling the roving reference librarian: wireless access with tablet PCs. Reference Services Review 32(3), 249–255. Online im Internet: URL: http://dx.doi.org/10.1108/00907320410553650
Swope, Mary J. & Katzer, Jeffrey 1972. The silent majority: why don't they ask questions? Reference & user services quarterly 12(2), 161–166.
Universitätsbibliothek Würzburg 2015. „BibScout“: Hilfe direkt vor Ort und auf Augenhöhe.: Eine Testphase. Bibliotheksforum Bayern(3), 242. Online im Internet: URL: https://www.bibliotheksforum-bayern.de/fileadmin/archiv/2015-3/eBook/files/assets/basic-html/page78.html
AutorInnen
Andrea HOFMANN |
Bibliothek der Hochschule Hannover |
Ricklinger Stadtweg 118 |
D-30459 Hannover |
http://www.hs-hannover.de/bibl |
andrea.hofmann@hs-hannover.de |
Christian HAUSCHKE |
Bibliothek der Hochschule Hannover |
Ricklinger Stadtweg 118 |
D-30459 Hannover |
http://www.hs-hannover.de/bibl |
christian.hauschke@hs-hannover.de |
Bibliothek der Hochschule Hannover↩