Ein Ontologie-Entwurf für die Klassifikation von historischen Wasserzeichen

DOI: https://doi.org/10.11588/ip.2019.1.56833

Nicole EICHENBERGER

Ein Ontologie-Entwurf für die Klassifikation von historischen Wasserzeichen

Zusammenfassung

Die Klassifikation von historischen Wasserzeichen spielt sowohl für die kodikologische Forschung als auch für Bibliotheken und Archive als datenverwaltende Institutionen eine zentrale Rolle. Die existierenden Wasserzeichen-Datenbanken arbeiten mit hierarchischen Klassifikationssystematiken, die der Komplexität des historischen Materials oft nicht gerecht werden. Aus diesem Grund wird im vorliegenden Beitrag ein Entwurf einer Wasserzeichenklassifikation in der flexibleren Form der Ontologie präsentiert. Dieser erlaubt nicht nur eine differenziertere Erfassung von und Suche nach Wasserzeichen, sondern kann perspektivisch auch in andere Portale integriert und für Digital-Humanities-Forschungsszenarien nachgenutzt werden.

Schlüsselwörter

Semantic Web; Ontologie; Digital Humanities; Handschriftenkunde; Wasserzeichen

An ontology draft for the classification of historical watermarks

Abstract

The classification of historical watermarks is an important issue for codicological research as well as for libraries and archives providing the data. The existing watermark databases work with hierarchical classification systems, which often do not meet the complexity of the historical material. For this reason, this contribution presents a draft of an ontology, which is a more flexible classification system that allows for modelling and searching the data in a more differentiated way. Furthermore, the ontology can be integrated into other portals and be reused by other digital humanities‘ research projects.

Keywords

Semantic Web; Ontology; Digital Humanities; Manuscript Studies; Watermarks

Inhalt

1 Wasserzeichenklassifikation: Forschungsstand und Problemlage

Die Bestimmung von Wasserzeichen etablierte sich bereits früh als wichtiges Feld der kodikologischen und papierhistorischen Forschung (Ochsenkopf und Meerjungfrau 2006: 21). Das zentrale Anwendungsszenario der Wasserzeichenforschung ist die Datierung von Papieren bzw. der darauf notierten Texte, Kunstwerke oder Musiknoten. Bei der Katalogisierung von mittelalterlichen Papierhandschriften ist die Datierung anhand der Wasserzeichen gängiger Standard (Haidinger 2004). Auch bei der Erforschung der Geschichte von Papiermühlen und bei buchhistorischen Fragestellungen spielen Wasserzeichen eine zentrale Rolle (Frauenknecht 2015). In einem weiter gefassten Kontext können Wasserzeichen auch bei sozial- und wirtschaftshistorischen Fragestellungen als wichtige Quellen herangezogen werden (Bange 2015).

Wasserzeichen entstehen bei der manuellen Herstellung von Hadernpapier, wie sie in Europa vom Mittelalter bis zur Industrialisierung der Papierherstellung im 19. Jahrhundert üblich war (Ochsenkopf und Meerjungfrau 2006: 12-15). Dabei wurden Lumpen und Stoffreste eingeweicht und dann in Hammer- und Stampfwerken zersetzt. Aus diesem Faserbrei wurden mithilfe eines Schöpfsiebs Papierbögen hergestellt. Das Schöpfsieb hatte einen Holzrahmen und ein Metallgeflecht, das aus parallel verlaufenden Bodendrähten (auch: Siebdrähten) und rechtwinklig dazu angeordneten Bindedrähten bestand. Es war üblich, auf die Schöpfsiebe kleine Drahtfiguren aufzunähen. Dadurch entstanden die Wasserzeichen. In der Regel hatten die Schöpfsiebe eine Gebrauchsdauer von ca. zwei Jahren. Durch die mechanische Belastung beim Schöpfvorgang veränderte sich auch die Drahtfigur über die zwei Jahre hinweg. So entstanden sogenannte Varianten des Wasserzeichens, bei denen einzelne Elemente verbogen wurden oder abfielen.

Anhand der daraus resultierenden materialen Spezifika ergibt sich die Möglichkeit, Papiere aufgrund ihrer Wasserzeichen zu datieren (Haidinger 2004): Finden sich zwei Papiere, die das identische Wasserzeichen aufweisen, ist davon auszugehen, dass diese Papiere in einem Abstand von maximal zwei Jahren entstanden sind. Die mittelalterlichen Papiere selbst enthalten keine explizite Datierung, weswegen in der Wasserzeichenforschung mit datierten Textzeugen gearbeitet wird, wie sie etwa in Form von Urkunden in relativ großer Zahl überliefert sind. In der Regel ist davon auszugehen, dass das Papier innerhalb weniger Jahre nach seiner Entstehung auch beschriftet wurde. Daher kann der Entstehungszeitraum undatierter Quellen durch den Vergleich mit einer datierten Quelle, die ein identisches Wasserzeichen enthält, auf wenige Jahre genau bestimmt werden.

Die Bestimmung von Wasserzeichen aufgrund datierter Vergleichszeichen setzt voraus, dass auf (möglichst umfangreiche) Sammlungen von datierten Wasserzeichen zurückgegriffen werden kann. Daher war das Zusammenstellen von Sammlungen seit den Anfängen der Wasserzeichenforschung eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Während die älteren Sammlungen (Ochsenkopf und Meerjungfrau 2006: 49-57) als gedruckte Findbücher erschienen sind, ergab sich durch die digitale Transformation die Möglichkeit, Wasserzeichen in (Online-)Datenbanken zur Verfügung zu stellen und auch Sammlungen unterschiedlicher Provenienz zusammenzuführen (Ochsenkopf und Meerjungfrau 2006: 58-63; Limbeck 2009). Hier sind besonders das europäische Projekt Bernstein, das zahlreiche eigenständige Wasserzeichensammlungen integriert (Wenger 2016; Wenger/Ferrando Cusi 2013), sowie die Datenbank Piccard-Online (Rückert/Maier 2007) hervorzuheben. Letztere basiert auf der Sammlung von Gerhard Piccard (Piccard 1961-1997) und bildet den Grundstock des seit 2010 mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) entwickelten und ständig erweiterten Wasserzeichen-Informationssystems WZIS1 (Maier/Rückert 2017; Frauenknecht 2016; Frauenknecht/Stieglecker 2015; Wolf 2009). In WZIS sind außerdem jene Wasserzeichenbelege enthalten, die im Rahmen von Tiefenerschließungsprojekten an den deutschen Handschriftenzentren sowie in anderen bibliothekarischen und archivischen Forschungsprojekten (Eckhardt et al. 2016) entstehen. WZIS enthält ca. 135.000 Wasserzeichenreproduktionen (Stand April 2018).

Um ein Wasserzeichen bestimmen und datieren zu können, wird das Zeichen einer Motivklasse (z.B. Ochsenkopf) zugewiesen und innerhalb dieser Klasse nach möglichst passenden Belegen gesucht. Die Klassifikationssystematik der Wasserzeichensammlungen spielt daher eine zentrale Rolle. Im Lauf der Jahre wurden verschiedene Systematiken und Terminologien entwickelt (Wenger 2016; Frauenknecht/Stieglecker 2015; Eckhardt 2014; International Association of Paper Historians 2013).

Hier steht die Klassifikation der WZIS-Datenbank im Fokus (Frauenknecht/Stieglecker 2015), die teilweise auf der im Bernstein-Projekt entwickelten Klassifikationssystematik basiert (Wenger 2016) und monohierarchisch aufgebaut ist (Frauenknecht 2016: 276; Eckhardt 2014: 52-61). Bei monohierarchisch aufgebauten Klassifikationen ergeben sich fast zwangsläufig Zuordnungsprobleme, da die Hierarchie zu Entscheidungen zwingt, die vom historischen Gegenstand her nicht erforderlich oder gerechtfertigt sind. Solche Entscheidungen können zwar aus pragmatischer Sicht sinnvoll sein, sind aber aus der Perspektive der Systematik problematisch, wie etwa das folgende Beispiel zeigt.

Abb. 1: a) Horn im Kreis mit Kreuz (DE3075-PO-120569); b) Horn im Kreis (DE4620-PO-161552)

Während das Horn in Abbildung 1a) unter „Realien – Musikinstrumente – Horn – im Kreis – mit Beizeichen: Kreuz einkonturig“ zu finden ist, steht das Horn in Abbildung 1b) unter „Geometrische Figuren – ein Element – Kreis – mit Beizeichen: Horn – Kreis mit Quer- und Längsstrich“. Das identische Motiv Horn erscheint also auf ganz unterschiedlichen Klassifikationsebenen, was das Auffinden ähnlicher Zeichen erschweren kann. Als Lösung für dieses Problem wurde von Eckhardt (2014: 66-73) eine facettierte Indexierung von Wasserzeichen vorgeschlagen, in der das Zeichen in seine Teilmotive zerlegt und auch Elemente wie Ausrichtung, Stellung innerhalb des Bildes und Umgebung (d.h. Rahmung) berücksichtigt werden könnten.

Es erscheint daher sinnvoll, für die Klassifikation von Wasserzeichen ein alternatives Datenmodell zu wählen, das flexibler und offener ist als eine monohierarchische Klassifikation, wie es beispielsweise in Semantic-Web- und Ontologie-Modellen gegeben ist, die bereits in verschiedenen Bereichen der Erforschung historischer Bestände (Hiltmann 2013) und in bibliothekarisch-archivarischen Kontexten (Gradmann et al. 2013; Baierer et al. 2017) verwendet werden. Im Folgenden soll ein Entwurf einer Ontologie vorgestellt werden, der dieses Desiderat adressiert.

2 Entwurf einer Ontologie für Wasserzeichen

Im vorliegenden Ontologieentwurf sollen möglichst alle bei der Wasserzeichenbestimmung relevanten Aspekte Berücksichtigung finden sowie ein Austausch mit anderen Datenbanken und Portalen, z.B. digitalisierten Sammlungen von Bibliotheken, ermöglicht werden. Die Ontologie wurde im Ontologie-Editor Protégé (Musen 2015) modelliert. Dabei wurden die Begrifflichkeiten von WZIS in seiner englischen Version verwendet.

Abb. 2: Konzeption der Ontologie

Der Ankerpunkt der Ontologie ist die Klasse WatermarkInstance. Eine WatermarkInstance ist die individuelle, physische Ausgestaltung eines Wasserzeichens auf einem konkreten physischen Blatt Papier, d.h. ein Exemplar einer bestimmten Wasserzeichenmanifestation. Dieses Blatt Papier ist ein eigenes Individuum in der Klasse WatermarkSupport. Es kann wiederum Teil eines Kulturerbedokuments sein, z.B. einer Handschrift. Sowohl das Einzelblatt als auch die Handschrift können Informationen zu Datierung und Lokalisierung enthalten. Dies wird mittels der ObjectProperties hasDating und hasLocalisation modelliert. Dabei kann durch Subproperties zudem angegeben werden, ob Datierung und Lokalisierung explizit im historischen Dokument vermerkt sind oder ob es sich um durch die Forschung erschlossene Daten handelt. Denkbar wäre hier auch eine Quellenangabe zu der Datierung bzw. Lokalisierung auf einer Metaebene, z.B. als Verweis auf eine Handschriftenbeschreibung. Dies ließe sich als Reifikation bzw. als Named Graph des Datings bzw. der Localisation lösen, wurde jedoch im vorliegenden Entwurf noch nicht implementiert.

Aus der Modellierung von WatermarkSupport und WatermarkInstance folgt, dass von einem Sieb stammende Wasserzeichen auf unterschiedlichen Blättern als je eigene WatermarkInstances angelegt werden. Jedoch kann ihr Entstehungszusammenhang durch den Verweis auf das erschlossene gemeinsame Ursprungssieb angegeben werden, indem auf ein Individuum aus der Klasse WatermarkMould verwiesen wird. Weitere Motiv- oder Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen zwei WatermarkInstances können mit der ObjectProperty hasMotifCompositionRelationTo modelliert werden. Dazu gibt es die Subproperties isIdenticalWith, isVariantTo, isSameTypeAs, isSameMotifGroupAs, die sich an den gängigen Ähnlichkeitsstufen der kodikologischen Wasserzeichenbestimmung orientieren (Eckhardt 2014: 12-13; Haidinger 2004; Belov et al. 1999; Piccard 1966: 3-11, 20-21). Dabei bedeutet „identisch“, dass die Papiere mit demselben Schöpfsieb ungefähr zur gleichen Zeit hergestellt wurden; als „Variante“ werden Belege bezeichnet, die vom selben Schöpfsieb stammen, aber Unterschiede aufweisen, die auf Abnutzungserscheinungen des Schöpfsiebs zurückgeführt werden können; „Typ“ heißt, dass das Zeichen vom Motiv her übereinstimmt, aber z.B. aufgrund der abweichenden Größe keinesfalls vom gleichen Schöpfsieb stammen kann; „Motivgruppe“ ist die allgemeinste Bezeichnung, die besagt, dass das Zeichen zwar die gleichen Motivbestandteile aufweist, aber in Form und/oder Größe stark abweicht. Darüber hinaus können Beziehungen wie Formenpaare (isPairWith) und Gegenzeichen (isCountermarkTo) durch Subproperties ausgedrückt werden.

Der physische Zustand einer WatermarkInstance kann durch die WatermarkCondition beschrieben werden - z.B., dass ein Wasserzeichen fragmentiert ist. Die Größe der Wasserzeichen wird in der WZIS-Datenbank durch die Abmessungen der Höhe, der Breite und des Abstands zwischen den das Zeichen umgebenden Bindedrähten angegeben. Diese bereits vorhandenen Daten können mit der DataProperty hasSize bzw. ihren Subproperties hasHeight, hasWidth und hasDifferenceBetweenChainlines in Millimeterwerten (als ganze Zahl, d.h. Integer) übernommen werden.

In Wasserzeichendatenbanken sind Reproduktionen von Wasserzeichen gespeichert, nicht die Wasserzeichen selbst. Diese sind Individuen der Klasse WatermarkReproduction. Sie sind mit der ObjectProperty isReproductionOf bzw. hasReproduction mit den WatermarkInstances verbunden. Falls es von einer WatermarkInstance mehrere Reproduktionen gibt, sollte über die Subproperty isReferenceReproductionOf bzw. isAlternativeReproductionOf eine Referenzreproduktion als Standard festgelegt werden. Bei jeder WatermarkReproduction ist die Technik zu verzeichnen, in der sie angefertigt wurde. Dies geschieht mittels der ObjectProperty hasReproductionTechnique und einem Individuum der Klasse ReproductionTechnique. Diese Klasse ist wiederum unterteilt in die Unterklassen HumanInterpretedReproductionTechnique und MechanicalReproductionTechnique. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Verfahren wie die Durchzeichnung von menschlicher Interpretation bestimmt und dadurch viel anfälliger für Ungenauigkeiten und Abweichungen von der tatsächlich vorhandenen Wasserzeichengestalt sind als technische Reproduktionsverfahren. Somit kommt den menschlich interpretierten Methoden bei einer Ähnlichkeitsbestimmung auch nicht der gleiche Status bzw. die gleiche Präzision zu wie den technischen. Mit letzteren sind sowohl manuelle Verfahren wie die Abreibung als auch aufwändige Techniken wie Fotographie, Thermographie und Radiographie gemeint.

Der wohl anspruchsvollste Teil der Klassifikation von Wasserzeichen ist jedoch die Motivklassifikation. In diesem Bereich werden auch die Limitierungen einer hierarchischen Klassifikation am deutlichsten, da es zahlreiche Motiv-Versatzstücke gibt, die in unterschiedlichen Kombinationen und auf unterschiedlichen Ebenen vorkommen können. Daher ist von einer flexiblen Datenmodellierung ein besonderer Gewinn zu erwarten. Auch in dieser Hinsicht bildete die WZIS-Klassifikation die inhaltliche Grundlage des vorliegenden Ontologie-Entwurfs.

Ankerpunkt für die Motivbeschreibung sind in der Ontologie Individuen der Klasse MotifPart. Ein MotifPart ist der physische Teil der WatermarkInstance, der ein bestimmtes Motiv enthält. Diese physische Komponente ist von Bedeutung, um Größe und Position der MotivParts zu modellieren. Dies kann als absolute Angabe mittels der DataProperty hasAbsolutePosition geschehen. Hier können die Pixelkoordinaten des jeweiligen MotifPart auf der Referenzreproduktion der WatermarkInstance angegeben werden. Im vorliegenden Ontologie-Entwurf können durch Subproperties die jeweiligen x- und y-Koordinaten der oberen linken und der unteren rechten Ecke eines Rechtecks angegeben werden, in dem sich der MotifPart befindet. Dies ist jedoch nur als Platzhalter für eine präzisere Angabe der absoluten Position gedacht. Des Weiteren besteht mittels der ObjectProperty hasRelativePositionTo die Möglichkeit, die Position von MotifParts in Bezug zueinander anzugeben. Dazu sollen die Subproperties verwendet werden: isLocatedAbove, isLocatedBeneath, isLocatedLeftOf, isLocatedRightOf, isLocatedOutsideOf und isLocatedWithin geben die relative zweidimensionale Position an; isLocatedBehind und isLocatedInFrontOf bilden die visuellen Ebenen der Motive ab, wenn z.B. ein Buchstabenbogen vor einem Buchstabenschaft geführt ist; die etwas ungenaueren Angaben isCombinedWith, isSeparatedFrom, crosses und spears sollen komplexere Verflechtungen von MotifParts abbilden. Während die erste Gruppe der Subproperties eine Dopplung der Information darstellt, die auch in den Pixelkoordinaten bei hasAbsolutePosition enthalten ist, sind diejenigen Subproperties, die sich mit den verschiedenen visuellen Ebenen befassen, konstitutiv und durch die hasAbsolutePosition-Relation nicht zu ersetzen. Ebenfalls zum Bereich der Positionierung im weiteren Sinn gehört die OrientationToChainlines, d.h. die horizontale oder vertikale Ausrichtung des MotifParts zu den Bindedrähten. Dies ist bei Zeichen wichtig, die in unterschiedlichen Ausrichtungen vorkommen.

Ein MotifPart kann einen unterschiedlichen Wert in Bezug auf das gesamte Wasserzeichen haben – Hauptmotiv, Beizeichen oder Rahmen. Dies wird mit der ObjectProperty hasValue und einem Individuum der Klasse MotifValue modelliert.

Nun kommt der Teil der eigentlichen Motivbeschreibung. So instantiiert der MotifPart mindestens ein WatermarkMotif; das WatermarkMotif ist als abstrakte ikonographische Größe konzipiert, der MotifPart als eine konkrete, physische Manifestation derselben. Im Bereich der WatermarkMotifs wurden die Begrifflichkeiten sowie die Einzelmotive aus WZIS übernommen, bei der Modellierung gibt es jedoch zahlreiche Abweichungen, was nicht zuletzt an den grundsätzlichen Unterschieden zwischen einer monohierarchischen Klassifikation und einer Ontologie liegt. So ist etwa das Verhältnis zwischen Ober- und Unterklasse ein ganz anderes: In einer hierarchischen Klassifikation kann das Verhältnis zwischen Ober- und Unterklasse sowohl eine Oberbegriff-Unterbegriff-Relation (z.B. Vierfüßer – Bär) als auch eine Teil-Ganzes-Relation (z.B. Mensch – Herz) sein, während die Ober- und Unterklassen einer Ontologie zunächst in einer Oberbegriff-Unterbegriff-Relation zueinander stehen. Transitive Teil-Ganzes-Relationen können in einer Ontologie natürlich auch abgebildet werden, müssen aber in einer anderen Art und Weise modelliert werden. Daher wurden für Teil-Ganzes-Fälle in der Motivklassifikation jeweils zwei Unterklassen geschaffen, z.B. die Klassen LivingCreature , die dann u.a. Tiere, z.B. den Bären, enthält; und die Klasse LivingCreatureElement , die unselbständige Teile von Lebewesen enthält, z.B. Fuß, Klauen, Geweih. Die Verbindung zwischen dem MotifPart und dem von ihm abgebildeten WatermarkMotif wird durch die ObjectProperty hasMotif ausgedrückt. Eine WatermarkInstance muss mindestens einen MotifPart haben, der wiederum mindestens ein WatermarkMotif abbildet. Grundsätzlich kann für jedes Teilmotiv ein eigener MotifPart angelegt werden, egal, ob es sich dabei um ein selbständiges Motiv (z.B. als Beizeichen) oder um einen unselbständigen Teil handelt (z.B. die Augen eines Ochsen). Unselbständige Motivteile können ihren übergeordneten Motivteilen mittels der ObjectProperty isPartOf zugeordnet werden. Grundsätzlich gilt, dass für alle Motivteile, die über die Nennung des abgebildeten Motivs hinausgehend beschrieben werden sollen (z.B. über eine MotifValue oder eine relative Position), ein eigener MotifPart angelegt werden muss. Bei unselbständigen Motivteilen, die nicht näher zu beschreiben sind, besteht die Möglichkeit, sie unter dem gleichen MotivPart wie ihr übergeordneter Motivteil zu subsumieren. Dies geschieht mittels der SubProperties von hasMotif, nämlich hasBasicMotif und hasDependentMotifElement. So könnte ein Ochse mit Augen als ein MotifPart modelliert werden, indem man mit hasBasicMotif das WatermarkMotif Bull und mit hasDependentMotifElement das WatermarkMotif Eyes angeben würde.

Manche Motive haben mehrere gleichförmige Elemente, deren Anzahl für die motivische Bestimmung von Bedeutung ist. So unterscheidet man etwa Motive nach der Anzahl Blütenblättern von Blumen oder nach der Anzahl Strahlen von Sternen. Dies kann mit der DataProperty hasIdenticalElementCount und einer Zahl (Integer) modelliert werden. Soll die Anzahl gleichförmiger Elemente eines unselbständigen Motivteils innerhalb eines MotifParts angegeben werden, kann man dies mittels der SubProperty hasIdenticalDependentElementCount. So könnte man etwa eine fünfblättrige Blume folgendermaßen beschreiben: MotifPart hasBasicMotif Flower, hasDependentMotifElement Petal, hasDependentElementCount 5.

Eine weitere grundlegende Veränderung gegenüber der WZIS-Motivklassifikation ist der Umstand, dass zwischen dem abgebildeten ikonographisch-semantischen Motiv (WatermarkMotif) und dessen konkreter Ausformung bzw. dargestellter Form (MotifShape) unterschieden wird. Diese Form kann generischer Art sein, z.B. die Unterscheidung zwischen einkonturiger und zweikonturiger Form, oder spezifisch für eine bestimmte Motivklasse, z.B. die MotifShape HeadOnly, SemiFigure oder EntireFigure für LivingCreatures. Die Trennung von abgebildetem Motivinhalt und Ausformung erlaubt einerseits eine flexiblere Beschreibung, andererseits können dadurch auch motivische Gemeinsamkeiten besser wahrgenommen werden, die in einer hierarchischen Struktur an entfernten Stellen stehen. Dies birgt großes Potential gerade bei fragmentierten oder beschädigten Wasserzeichen, bei denen beispielsweise nicht mehr festzustellen ist, ob es sich um eine Halb- oder Ganzfigur handelte. In eine ähnliche Richtung geht die Klasse MotifPosture. Im Gegensatz zur MotifShape geht es hier nicht um die Ausformung, sondern um die Haltung des Motivs. Dies betrifft v.a. Motive der Klasse LivingCreature, die z.B. als steigend, liegend oder grasend dargestellt sein können, aber auch z.B. Wappen, die gekippt (Tilted) dargestellt sein können.

Um das Konzept zu veranschaulichen, wurden im vorliegenden Ontologie-Entwurf 16 Beispiele aus WZIS ganz oder teilweise implementiert. Sie haben als WatermarkInstances ihre WZIS-Referenznummer als Identifier bekommen; für die MotifParts und WatermarkReproductions wurden laufende Nummern vergeben.

WatermarkInstance

(WZIS-Referenznummer)

Verbale Motivbeschreibung

DE8085-PO-42479

Wappen, darin Schwan, darüber Buchstabe r

DE4620-PO-126043

Wappen, darin zwei Kreuze, darüber Stange, darüber Buchstabe K

AT3800-PO-64641

Ochsenkopf, darüber Stange (fragmentarisch)

DE2040-PO-73982

Ochsenkopf, darüber Stange und Kreuz

DE2730-PO-71291

Ochsenkopf im Kreis

DE4620-PO-65187

Ochsenkopf, darüber Stange und Blume

DE4860-Ms602_I

Ochsenkopf, darüber Stange und Blume

DE6300-PO-74268

Ochsenkopf, darüber Stange und Kreuz

CH0780-PO-153282

Dreiberg im Kreis, darüber Stange und Kreuz

DE0960-Mgf922_7

Leopard

DE0960-Mlf246_49

Traube

DE0960-Msav28_4

Einhorn

DE2040-PO-108180

Buchstabe P

DE4815-DNB-L-WZ-0008605

Reiter mit Mantel und Schwert (Hl. Martin)

DE4860-Ms1453_338

Kopf eines Schwarzen mit Stirnband und Krone, darüber Stange und Blume

DE5040-PO-100614

Turm

Tabelle 1: In der Ontologie implementierte Wasserzeichen-Beispiele

Die DataProperty hasAbsolutePosition wurde aufgrund des vorläufigen Charakters ihrer Implementierung nur anhand eines Beispiels (DE8085-PO-42479) mit den Rechteckkoordinaten umgesetzt.

Ein grundsätzliches Problem fast aller Klassifikationsschemata bzw. Datenmodelle liegt darin, dass die gleichen Inhalte auf unterschiedliche Arten modelliert werden können. Das betrifft natürlich auch den vorliegenden Entwurf. Die Fragen, in welche MotifParts ein Zeichen zerteilt, wann ein eigener MotifPart und wann nur eine hasDependentMotifElement-Relation angelegt wird, sind davon besonders betroffen. Sollte das Modell in größerem Maßstab in der Praxis umgesetzt werden, müssten daher möglichst präzise Erfassungsregeln erstellt werden, um die oft wiederkehrenden Zweifelsfälle zu klären. Doch auch dann wird eine vollkommene Homogenität der Datenerfassung nicht zu erreichen sein. Im Gegensatz zu einem monohierarchischen Modell bietet die flexible Form der Ontologie jedoch auch hier den Vorteil, dass über komplexe Abfragen auch unterschiedliche Kombinationen bzw. Modellierungsarten aufgefunden werden können.

Der vorliegende Ontologieentwurf versteht sich als Vorschlag, der in der Forschungsgemeinschaft diskutiert werden sollte. Das Modell ist offen und ausbaufähig, wenn bestimmte Aspekte noch nicht erfasst sind, können sie durchaus integriert werden. Bei einer Überführung in die Praxis müssten außerdem Fragen der (möglichst automatisierten) Übernahme von Daten aus den existierenden Datenquellen (WZIS und möglicherweise anderen Wasserzeichen-Datenbanken) geklärt und Schnittstellen zu anderen Datenbanken und Portalen geschaffen werden, wie z.B. zu den digitalisierten Sammlungen von Bibliotheken oder zu Fachportalen wie dem DFG-geförderten, neu entstehenden Handschriftenportal, an dessen Datenmodell die Klasse CulturalHeritageObject angelehnt ist. Außerdem müsste ein Frontend für die Eingabe von Daten aufgesetzt werden, das z.B. auch eine Erfassung präziser Pixelkoordinaten für die MotifParts erlauben würde, idealerweise durch Stifteingabe. Dies wiederum wäre auch der Anknüpfungspunkt für weitere Möglichkeiten der Datenprozessierung, etwa durch automatische Bilderkennung (Pondenkandath et al. 2018; Picard et al. 2016).2 Wenn eine größere Anzahl von WatermarkInstances mit den Pixelkoordinaten ihrer MotifParts und der Zuweisung der WatermarkMotifs annotiert wären, läge damit eine ideale Basis von Ground Truth-Daten für das Training neuronaler Netze vor, die mittels Deep Learning-Technologien automatische Bilderkennung und Motivklassifikationen durchführen könnten.

Der Ontologieentwurf ist zugänglich auf Github:

https://github.com/NicoleEichenberger/WatermarkOntology

Dank

Der Ontologieentwurf wurde 2018 im Rahmen eines Projekts an der Staatsbibliothek zu Berlin-Preußischer Kulturbesitz erstellt. Ich möchte mich bei Robert Giel (Staatsbibliothek zu Berlin), Franz Schollmeyer (Universitätsbibliothek Leipzig), Christian Stein (Humboldt-Universität zu Berlin) und Katrin Sturm (Universitätsbibliothek Leipzig) für ihre Hilfe während des Projekts bedanken.

Quellen

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Autorin

Nicole EICHENBERGER

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Potsdamer Straße 33
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nicole.eichenberger@sbb.spk-berlin.de