PREPRINT - Krise als Herausforderung und Entwicklungschance – Reaktionen der Staatsbibliothek zu Berlin auf die COVID-19-Pandemie

DOI: https://doi.org/10.11588/ip.2020.1.72363

Heinz-Jürgen BOVE, Jochen HAUG, Barbara HEINDL, Indra HEINRICH, Belinda JOPP, Christian MATHIEU, Heidi MEYER, Gudrun NELSON-BUSCH, Angela OEHLER, Christina SCHMITZ, Ralf STOCKMANN, Armin TALKE

PREPRINT - Krise als Herausforderung und Entwicklungschance – Reaktionen der Staatsbibliothek zu Berlin auf die COVID-19-Pandemie

Zusammenfassung

Auch die Staatsbibliothek zu Berlin stellt die COVID-19-Pandemie vor beträchtliche Herausforderungen. Zugleich aber setzt der Handlungsdruck, nach Schließung ihrer Häuser für den Publikumsverkehr zentrale Informations- und Serviceangebote aufrechtzuerhalten, Vernetzungs- und Flexibilisierungsdynamiken in Gang, die zu einer Beschleunigung bereits eingeleiteter institutioneller Transformationsprozesse führen. Die in diesem Zusammenhang ergriffe-nen Maßnahmen in ihren Auswirkungen vor allem auf die Organisationskultur der Staatsbibliothek zu Berlin darzustellen, ist Absicht dieses Beitrags.

Schlüsselwörter

COVID-19, Pandemie, Benutzung, Organisationsentwicklung

PREPRINT - Crisis as Challenge and Opportunity – The Staatsbibliothek zu Berlin’s Reactions to the Coronavirus Pandemic

Abstract

Just like other libraries, the Staatsbibliothek zu Berlin too is faced with considerable challeng-es due to the COVID-19 pandemic. Yet at the same time the pressure to maintain basic infor-mation and delivery services triggers dynamics of networking and flexibilisation, which accel-erate previously initiated transformation processes. This paper presents some of the activities and projects the Staatsbibliothek has initiated with regard to their effects on the organisational culture of the library.

Keywords

Coronavirus, Pandemic, Library Services, Organisational Development


Veröffentlichung: 15.04.2020 in Informationspraxis Bd. 6, Nr. 1 (2020)


Inhaltsverzeichnis

1. Krise als beschleunigter Prozess – Einleitung

In seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen definiert Jacob Burckhardt Krisen als beschleunigte Prozesse: „Entwicklungen," – so der Baseler Kulturhistoriker – „die sonst Jahre brauchen, scheinen in Monaten und Wochen wie flüchtige Phantome vorüberzugehen und damit erledigt zu sein" (Burckhardt 1978/1905).1 In besonderer Weise trifft dieser Befund auf die Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) zu, in der unter dem Einfluss der COVID-19-Pandemie Dynamiken mit einer Geschwindigkeit in Gang kamen, die angesichts der strukturellen wie organisatorischen Rahmenbedingungen einer derart großen und zudem auf mehreren Häusern verteilten Einrichtung bis dahin als kaum möglich erschien. Dabei war es keineswegs alleine der Wunsch des Kollegiums, nach Schließung der SBB für den Publikumsverkehr zum 14. März 2020 zumindest einige der zentralen bibliothekarischen Basisdienste aufrechtzuerhalten, der diesen Flexibilisierungsschub auslöste – eine Herausforderung, die im Übrigen durch das nur vier Tage später für die Angehörigen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) verpflichtend gemachte Homeoffice nochmals drastisch verschärft werden sollte. Daneben trugen auch der von ihrer Zielgruppe aufgebaute Handlungsdruck sowie das Vorbild einiger besonders agil reagierender Bibliotheken dazu bei, die Corona-Krise als Chance und Katalysator bereits initiierter Wandlungsprozesse wie etwa der umfassenden digitalen Transformation der SBB zu begreifen.

Dabei zeigte sich rasch, dass die häufig genug als Hemmschuh empfundene Größe der Einrichtung der unter den Krisenbedingungen abteilungsübergreifend zu einer Art Notgemeinschaft vernetzten und zudem einem breiten Konsens zur schnellen, auch unkonventionellen Hilfe verpflichteten Belegschaft einen beträchtlichen Möglichkeitsraum eröffnete. Die in den vergangenen vier Wochen auf den Feldern von Servicebetrieb, externer und interner Kommunikation ergriffenen Maßnahmen zur virtuellen Öffnung der vor Ort geschlossenen Bibliothek in ihrem Effekt auf Organisation, Kultur und Außenwirkung der SBB darzustellen, ist Absicht dieses Beitrags.

2. Krise als Herausforderung und Chance – auf Feldern des Servicebetriebs

2.1 Auskunft

Bereits mit der Schließung der Bibliothek für den Publikumsverkehr wurde der sonst sehr intensive und umfassende Kontakt zwischen Nutzenden und Mitarbeitenden vor Ort abrupt eingestellt. Anfragen, die bei Normalbetrieb des Hauses an den verschiedenen Informationsstellen eingehen, blieben auf einmal aus, eine ungewohnte und teilweise befremdliche Situation für die Mitarbeitenden, aber mit Sicherheit auch außergewöhnlich für Kundinnen und Kunden der Bibliothek, die es gewohnt waren, direkte Ansprechpersonen vor Ort zu haben. Denn mit der recht kurzfristig umzusetzenden Schließung der Bibliothek ergaben sich für viele völlig neue Fragen, die nun nicht mehr face-to-face gestellt werden konnten. Die erste Maßnahme, die ergriffen wurde, um möglichst viele, vor allem nutzungsbezogene Fragen bereits im Vorfeld zu beantworten, war eine breit angelegte Sammlung von Hinweisen zu den Veränderungen bei Anmeldung und Ausleihoptionen auf der Webseite und im Blognetzwerk der SBB.2 Eine der wenigen interaktiven Möglichkeiten, mit den Mitarbeitenden in Kontakt zu treten, konnte darüber hinaus dank einiger bereits vorhandener Homeoffice-Plätze ebenfalls aufrecht erhalten werden: Durch gezielte Hinweise im Web werden viele Fragende zum elektronischen Auskunftssystem der SBB (QuestionPoint) weitergeleitet, wo sie zeitnah mit einer persönlichen Rückmeldung rechnen können.

Der direkte, telefonische Kontakt zwischen Mitarbeitenden und Nutzenden konnte in einem weiteren Schritt wiederhergestellt werden. Gut eine Woche nachdem so gut wie alle Mitarbeitenden der SBB ins Homeoffice umgesetzt wurden, gelang es, die Telefonauskunft der Bibliothek wieder zu aktivieren, diesmal mit weniger Kolleg*innen, die aber alle über einen technisch gut ausgestatteten Arbeitsplatz verfügen, um die vielfältigen Fragen beantworten zu können. Inhaltlich unterscheidet sich das Spektrum der anfallenden Anfragen nur wenig von den Themen vor der Bibliotheksschließung. Es ist nur eine leichte Verschiebung zu praktischen Anliegen, wie Ausweisverlängerung, Leihfristen und Nutzungsmöglichkeiten elektronische Ressourcen festzustellen. Nach und nach melden sich die Nutzenden aber auch wieder mit inhaltlichen Fragestellungen und konkreten Rechercheanliegen, so dass es zumindest an dieser Stelle gelingt, zur Normalität zurückzukehren.

2.2 Online-Anmeldung – StabiOnline

Die virusbedingten Betriebseinstellungen von Geschäften und einigen öffentlichen Einrichtungen mussten bekanntermaßen mit recht knappem Vorlauf erfolgen. Daher konnte auch die SBB die Schließung ihrer Gebäude für den Publikumsverkehr nur sehr kurzfristig bekanntgeben. Gleichzeitig erreichten uns am letzten Tag der Öffnung allerdings noch sehr viele Anfragen zu den künftigen Nutzungsmodalitäten und der Möglichkeit einer elektronischen Anmeldung mit Freischaltung für die Nutzung der elektronischen Ressourcen. Seit Jahren betreiben wir unseren Anmeldeservice für anreisende Leserinnen und Leser, dabei war das persönliche Erscheinen notwendige Voraussetzung für den Zugang zu unseren E-Ressourcen. Um möglichst vielen Nutzenden auch weiterhin den Zugriff zu ihren Bibliothekskonten und den damit verbundenen Berechtigungen zu ermöglichen, verlängerten wir zunächst die Ausweisgültigkeit um 50 Tage. Die SBB als wissenschaftliche Infrastruktureinrichtung zieht allerdings mit ihren elektronischen Ressourcen auch im virtuellen Betrieb weiterhin viele Interessent*innen an. Nach elf Tagen konnten wir mit StabiOnline die elektronische Anmeldung ohne physische Anwesenheit eröffnen – ein Angebot, das in ähnlicher Form im Übrigen auch die Fachinformationsdienste der SBB für Asien- und Rechtswissenschaften ihren Zielgruppen machen.3 Für die SBB mit ihren standes- und größenbedingt komplexen Verwaltungsstrukturen ist der schnelle Aufbau eines solchen abteilungsübergreifenden Angebots nur aufgrund der besonderen Umstände möglich geworden. Immerhin mussten Lizenzbedingungen der Anbieter elektronischer Journals und E-Books, Datenschutz- und weitere juristische Rahmenbedingungen geprüft, die Informationen für die Webseiten vorbereitet und vor allem auch die Kolleginnen und Kollegen mit der notwendigen IT-Infrastruktur versehen wurden. Aus rechtlichen Gründen muss die StabiOnline-Anmeldung zunächst auf Corona-bedingte Ausnahmesituation beschränkt sein.

Dank des Engagements der beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können wir jetzt sogar am Wochenende die eingehenden Anmeldungen bearbeiten und damit allen Interessierten schnell einen Zugang zu unseren elektronischen Angeboten anbieten. Die Situation hat also bei allem Übel auch etwas Gutes: Wir sehen, dass sich auch große Tanker wie die SBB flexibel auf Änderungen der Außenbedingungen einstellen können.

2.3 Digitale Inhalte

An irgendeinem Punkt geht es ja dann doch immer auch um die Bestände, die eine Bibliothek zu bieten hat. Mit der Schließung der SBB und ihrer Lesesäle, ebenso wie mit der abrupten und so natürlich nicht geplanten oder planbaren Unterbrechung des regulären Leihverkehrs auf unbestimmte Zeit, war schlagartig klar: Die Versorgung mit wissenschaftlicher Information verlegt sich nun noch mehr als bisher ins Digitale. Wesentliche Säule des Informationsgeschäfts würden jetzt erst einmal die digitalen Angebote sein – die eigenen digitalisierten Sammlungen, aber vor allem auch die Zugänge zu Fachdatenbanken, wissenschaftlichen E-Books und E-Journals.

Grundsätzlich ist die SBB in diesem Bereich gut aufgestellt, so dass wir hier in der glücklichen Situation sind, auf einem soliden Fundament agieren zu können. Volltext- und bibliographische Datenbanken in den Geistes- und Sozialwissenschaften bietet die SBB einigermaßen umfassend an, bei Zeitschriften wird seit vielen Jahren, nicht nur in den Fachinformationsdiensten, eine E-Preferred-Strategie gefahren, und die Zahl der lizenzierten E-Books bewegt sich im komfortablen sechsstelligen Bereich. Besonders schön: Es ist so gut wie alles im Fernzugriff zugänglich, man muss als Leser*in also nicht das eigene Homeoffice verlassen und kann in entspannt-achtsamem Distancing komfortabel mit den digitalen Beständen arbeiten.

In der COVID19-Ära haben viele Verlage und Anbieter nun die Systemrelevanz digitaler wissenschaftlicher Information erkannt und auf diese Erkenntnis reagiert, indem sie zusätzliche digitale Inhalte für einen befristeten Zeitraum verfügbar gemacht haben – ohne Zusatzkosten oder irgendwelche sonstigen Haken und Ösen. Das reicht von situationsspezifisch hochaktuellen Inhalten wie den Pneumologie-Titeln des Springer-Verlags über die Plattform Springer Nature bis hin zu genuin für das Sammelprofil der SBB relevanten Angeboten aus dem geistes- und sozialwissenschaftlichen Spektrum. Nur ein paar wenige können hier selektiv genannt werden: Die großen digitalen Zeitschriften- und E-Book-Archive JSTOR und Project MUSE haben für einen begrenzten Zeitraum Tausende von zusätzlichen Titeln freigeschaltet. Auf dem britischen Markt bieten etwa die renommierten Verlage Cambridge University Press und Bloomsbury Academic umfangreich zusätzliche Inhalte an, Bloomsbury gibt für Lizenznehmer gar befristet den Zugriff auf das komplette akademische Programm frei. In Deutschland ziehen unter anderem die Verlage De Gruyter, Nomos und Tectum mit und gewähren Zugriff auf Zigtausende zusätzlicher Titel. Die Plattform ProQuest Ebook Central liefert kurzfristig nicht nur unlimitierte Zugriffe, sondern spendiert auch noch den Zugang zu nicht weniger als 183.000 zusätzlichen Titeln. Und Standardprodukte wie die umfassende interdisziplinäre Datenbank Web of Science, seit Jahrzehnten eines der Flaggschiffe wissenschaftlicher Fachinformation, stellen in der momentanen Situation ohne großes Aufhebens von Campuslizenz auf Fernzugriff um. Es ist eine Zeit, in der sich Solidarität, Pragmatismus und der Wille, Türen zu öffnen und unbürokratisch vieles möglich zu machen, auch in der digitalen Informationswelt zeigt. Natürlich freuen sich alle, wenn die Bibliothek auch wieder in die nichtvirtuelle Welt zurückkehrt – aber bis dahin lässt sich die Zeit mit den zusätzlichen digitalen Inhalten formidabel überbrücken.

2.4 Dokumentlieferung

Die SBB gehört mit Ihren umfangreichen Beständen zu den wichtigsten Geberbibliotheken im Rahmen der Fernleihe und ist damit ein zentraler Baustein in der nationalen Literaturversorgung in Deutschland. Auch international beteiligt sich die SBB schon seit einiger Zeit mittels Worldshare an der Fernleihe. Die Nutzerinnen und Nutzer der SBB fragen das Angebot der Fernleihe ebenfalls intensiv nach. Denn die SBB gehört zu den wenigen Bibliotheken, die sich immer noch um Bestellungen aus dem Ausland oder schwer zugänglicher Forschungsliteratur bemühen. Der Zugang zu gedruckten Quellen spielt hierbei immer noch eine herausragende Rolle. Denn selbst wenn die Digitalisierung von Publikationsformen oder Open Access massiven Einfluss auf die weltweite Zugänglichkeit von Informationen hat, werden insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften immer noch gedruckte Quellen stark nachgefragt. Das klassische Angebot der Fernleihe und Dokumentenlieferung ist deswegen essentiell für die wissenschaftliche Grundversorgung.

Mit der Schließung der deutschlandweiten Umschlagszentren sowie der SBB musste dieses Angebot im März 2020 schlagartig ausgesetzt werden. Sämtliche Dienste – (inter-)nationale Fernleihe sowie die Dokumentenlieferung über Subito – wurden in der Bibliothek quasi über Nacht eingestellt und die elektronischen Bestellmöglichkeiten deaktiviert. Stündlich trafen Meldungen von anderen Bibliotheken ein, denen es ähnlich erging, so dass tatsächlich innerhalb weniger Tage deutschlandweit die Fernleihe zum Erliegen kam. Einige wenige Bibliotheken hielten zumindest ihre Aktivitäten im Dokumentenlieferdienst Subito noch aufrecht.

In der SBB konzentrierte man sich in dieser Situation zunächst auf die Ausweitung der elektronischen Angebote und die Online-Anmeldung. Schnell wurde aber auch klar, dass eine Wiederaufnahme der Dokumentenlieferung und die Teilnahme an der Fernleihe in Form von Kopienlieferungen für den Auf- und Ausbau eines Notbetriebs ebenfalls von großer Bedeutung sind. Aus diesem Grund entschloss sich die SBB zu einem schrittweisen Wiedereinstieg in die Fernleihe und Dokumentenlieferung nach der Klärung aller wesentlichen Rahmenbedingungen. Fernleihe und Dokumentenlieferung sind ohne einen Einsatz vor Ort nicht zu realisieren, so musste beispielsweise der stark eingeschränkte Zutritt zu den Häusern der SBB, die Infrastruktur an den Standorten wie etwa funktionierende Aufzüge und der generelle Einsatz der Mitarbeitenden geklärt werden. Am 3. April 2020 wurde schließlich der Service wieder aufgenommen, indem in einem ersten Schritt Subito-Bestellungen wieder freigeschaltet wurden. Vorerst sind die Bestellungen auf die beiden Standorte Potsdamer Platz und Außenmagazin Friedrichshagen beschränkt, da auf diese beiden Standorte in der Vergangenheit die meisten Bestellungen entfielen und hier vor Ort gescannt werden kann. Der Service wird mit jeweils einem kleinen Team in den Magazinen und zu Hause im Homeoffice sowie dem Kopierdienstleister aufrecht erhalten. Nach wenigen Tagen kann schon festgehalten werden, dass die Nachfrage nach solchen Angeboten auch in Krisenzeiten bei den Nutzerinnen und Nutzern nicht nachlässt, sondern eher sogar zunimmt, was zu höheren Bestellzahlen im Vergleich zu den regulären Subito-Bestellungen führte. In den nächsten Tagen und Wochen werden die Aktivitäten nach und nach ausgebaut und die Serviceangebote des Notbetriebs erweitert – selbstverständlich immer mit dem nötigen Schutz der Mitarbeitenden vor Ort. Beispielsweise ist geplant, das Angebot über Subito um Kopienlieferungen aus Büchern zu erweitern, da das Standardangebot der SBB hier bisher nur die Lieferung von Zeitschriftenaufsätzen umfasst. Auf der Ebene des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds (GBV) – ihm gehört die SBB an – laufen die Vorbereitungen für die Wiederaufnahme der Kopienfernleihe über dessen Systeme. Neben den notwendigen technischen Anpassungen für den Wiederaufbau, sind es hier vor allem die rechtlichen Rahmenbedingungen, die eine Informationsbereitstellung in diesen Zeiten besonders schwer machen.

Krisenzeiten stellen die Einrichtungen jedoch nicht nur vor große Herausforderungen, sie können auch Katalysator für einen fortschreitenden digitalen Wandel sein. So wurde in der Facharbeitsgruppe für Fernleihe und Endbenutzer des GBV sowie in anderen Gremien und Bibliotheksverbünden sehr schnell darüber diskutiert, diese Krise als Chance zu nehmen und die schon seit der jüngsten Novelle des Urheberrechtsgesetzes vorgesehene Auslieferung per E-Mail an die Endnutzenden zu forcieren – ganz nach dem Motto: wenn nicht jetzt, wann dann? Bisher werden elektronisch übermittelte Aufsatzkopien von anderen Bibliotheken nämlich ausschließlich als physischer Ausdruck den eigenen Nutzerinnen und Nutzern übergeben, da man sich in den Gesamtverträgen zwischen Bund, Ländern und der VG Wort nicht auf eine entsprechende Vergütung der Rechteinhaber – wie sie im Gesetz vorgesehen ist – für die Auslieferung per E-Mail einigen konnte.

Verschiedene Akteure aus dem Kultur- und Bibliotheksbereich sind daher mit der Absicht an die VG Wort herangetreten, eine Interimsvereinbarung zu erzielen, die für einen begrenzten Zeitraum die elektronische Lieferung an Benutzer*innen regelt. Die VG Wort stimmte der Interimsvereinbarung inzwischen zu, so dass bis Ende Mai 2020 die Lieferung per E-Mail an die Endnutzenden erfolgen kann. Diese Regelung bedeutet insbesondere in Krisenzeiten eine signifikante Verbesserung der Literaturversorgung von Studierenden und Forschenden, da damit der Zugang zu wissenschaftlichen Informationen deutlich schneller und das Angebot der Fernleihe noch serviceorientierter ist. Außerdem dürfte sie sich als wegweisend für die Zeit nach der Corona-Pandemie herausstellen.

3. Krise als Herausforderung und Chance – auf Feldern der externen Kommunikation

3.1 Blog

Mit dem Launch des Blognetzwerks SBB aktuell im Oktober 2015 hat die SBB einen wichtigen Schritt im Rahmen des Ausbaus ihrer Infrastruktur für die Online-Kommunikation gemacht. Eine Vielzahl teils inhaltlicher, teils allgemeinerer Themenblogs bietet eine Plattform für unterschiedlichste Beiträge aus allen Bereichen der Bibliothek. Mit der einfachen Bedienung in der Wordpress-Umgebung, einem permanenten Monitoring aller technischen Anforderungen im Hinblick auf IT-Sicherheit und notwendige Updates durch das IT-Fachpersonal und einem fast schon libertär zu nennenden Redaktionsansatz – nach der Anmeldung erhält man einige redaktionelle Hinweise, kann sofort veröffentlichen und ist nur gehalten, den Artikel zuvor durch selbst gewählte Kollegen lesen zu lassen – ist das Blognetzwerk die Basis einer kollaborativen Kommunikation nach außen (Schneider-Kempf und Nelson-Busch 2017). Bewährt sich dieses Konzept im Normalbetrieb, so ist es in der aktuellen Situation unverzichtbar. Vergleichbar mit der Programmgestaltung eines Radiosenders, der technikgestützt Sendungen so klingen lässt, als säßen die Moderatoren gemeinsam im Sender, derweil sie doch – jeder für sich – zuhause sprechen, ist das Bibliotheksblog in seinem Schaufenster, dem Foyer eine Zusammenschau von Artikeln der Kollegen und Kolleginnen, die am heimischen Schreibtisch alleine sitzen, aber gemeinsam publizieren. Natürlich ist eine im Hintergrund funktionierende, interne Kommunikation dann besonders wichtig. Aktuell ergänzen Chat-Testumgebungen, Video- und Telefonkonferenzen die üblichen Absprachen per Mail. Die hier gewählte Kapitelüberschrift könnte im Hinblick auf die Online-Kommunikation der Bibliothek sogar noch etwas pointierter formuliert werden: Die Herausforderungen in der Krise lassen sich meistern, wenn zuvor die richtigen Chancen ergriffen wurden.

Im Blog-Netzwerk publiziert die SBB unter anderem regelmäßig fachspezifische Beiträge, um der Öffentlichkeit die Sammlungen in ihrer Breite und Tiefe vorzustellen. Oft werden die Beiträge mit einem aktuellen Anlass, wie einer Neuerscheinung, einem Jubiläum oder einem gesellschaftsrelevanten Ereignis verknüpft. Zum Wissenschaftsjahr 2019 erschien beispielsweise eine über das Jahr verteilte Reihe mit 16 Blogbeiträgen zum Thema Künstliche Intelligenz, in der die Fachreferent*innen aktuelle Debatten aus Forschung und Gesellschaft wie den Einsatz von Kampfdrohnen oder die moralischen Kompetenzen von Maschinen vorstellten, technische Innovationen und Projekte der SBB wie KI-gestützte Methoden zur Volltexterkennung von historischen Drucken präsentierten und Themen aus der Literatur-, Kunst- und Technikgeschichte aufbereiteten. Ergänzt werden diese Beiträge jeweils mit Lektüreempfehlungen zu Büchern aus unserem Bestand – sowohl gedruckt als auch online. Damit bieten die Beiträge gleichermaßen Wissen und Unterhaltung und tragen überdies zur Sammlungsvermittlung bei – niedrigschwellig und abwechslungsreich.

Unter dem Motto Sie fehlen uns – wir empfehlen Ihnen: Digitale Lektüretipps haben wir diese Aktivitäten kurz nach der Corona-bedingten Schließung der Bibliothek verstärkt und halten nun den virtuellen Kontakt mit unseren Nutzer*innen, indem wir täglich (außer an Sonn- und Feiertagen) Online-Materialien aus dem breiten Spektrum unserer Fächer vorstellen.4 In Windeseile haben wir dafür unsere immerhin etwa 30 Homeofficers aus den Fachreferaten aller Abteilungen zusammengetrommelt, die nun die ruhigere Bürozeit am heimischen Schreibtisch dazu nutzen, Empfehlungen für unsere vielfältigen digitalen Ressourcen zu schreiben und passendes Bildmaterial zu recherchieren. Dabei können die Kolleg*innen aus dem Vollen schöpfen: Die bisher veröffentlichten Empfehlungen sind nur ein sehr kleiner Ausschnitt aus dem vorhandenen Online-Material. Von kartographischer Fachliteratur, Gender Studies, juristischen Artikeln und buchwissenschaftlichen Handbüchern, über digitalisierte Frühdrucke zum Umgang mit Seuchen, Bilddatenbanken für visuell ansprechende Ostergrüße und die historische wie aktuelle Tagespresse bis hin zu einem kuratierten Datenset zu Lebensentwürfen ausgewählter Personen, Theater-, Tanz-, Film- und Musikstreamings und Italiens Kulturerbe: Die Interessierten finden in den Lektüretipps mehr als genug Material für Forschungszwecke, Allgemeinbildung und Vergnügen. Vieles ist frei verfügbar, für anderes braucht man einen Bibliotheksausweis, der aber während der Schließzeit online erhältlich und selbstverständlich kostenfrei ist. Der Redaktionsplan für die folgenden drei Wochen ist bereits gut gefüllt und wird laufend durch neue Beitragsankündigungen ergänzt – ein exzellentes Beispiel für die gute Zusammenarbeit über Haus- und Ortsgrenzen hinweg.

3.2 Ausstellungsportal

Genau drei Tage wurde die große Beethoven-Ausstellung der SBB nach der bereits abgesagten Eröffnungsfeier gezeigt – dann kam auch das Aus für die Ausstellung, die Bibliothek wurde geschlossen. Monatelange Vorbereitungen eines großen, abteilungsübergreifenden Teams schienen von einem Moment auf den anderen umsonst gewesen zu sein, ebenso der nicht unerhebliche finanzielle Einsatz, maßgeblich gefördert vom Kulturstaatsministerium. Das Fehlen einer – wie auch immer gearteten – Perspektive für eine Wiedereröffnung wurde dabei als besonders entmutigend empfunden. In dieser Situation erwies sich die vorhandene virtuelle Präsentation der Ausstellung als Lichtblick.5 Eher auf Umwegen war sie zustande gekommen – Auszubildende waren auf ihrer Station in der Abteilung Informations- und Datenmanagement (IDM) auf der Suche nach einem kleinen Projekt und hatten bereits Erfahrungen mit der Konzeption von Ausstellungen auf der Wordpress-Plattform. Mit den Texten und Abbildungen, die die Kuratorinnen der Beethoven-Ausstellung zur Verfügung gestellt hatten, bildete deren Online-Version nun das einzig öffentlich zugängliche Angebot. In den wenigen Tagen, die die Bibliothek nach der Schließung für die Öffentlichkeit noch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geöffnet hatte, wurden letzte Änderungen an der digitalen Präsentation vorgenommen, zusätzliche Features, die ursprünglich nur in der physischen Schau gezeigt werden sollten, auch online eingebunden und prominent platzierte Hinweise auf die virtuelle Ausstellung auf der Homepage und im Blog angebracht. Vier Wochen nach ihrem Online-Gang verzeichnet die Ausstellung nun über 1.500 Besuche, die Verweildauer ist hoch und die Absprungraten verhältnismäßig niedrig. Der Zugriff ist dabei weltweit möglich, ein Aspekt, den die virtuelle Ausstellung sogar der analogen voraus hat. Insgesamt ein wirklich schöner Erfolg, der zumindest ein wenig für die Absage der physischen Ausstellung entschädigen kann. Möglich wurde die verhältnismäßig einfache Erstellung der virtuellen Ausstellung durch Auszubildende allerdings auch hier durch das Vorhandensein einer entsprechenden Infrastruktur.

Bereits 2017 wurde im Blognetzwerk der Bibliothek ein für Ausstellungen reservierter Bereich, das Ausstellungs- und Veranstaltungsportal, eingerichtet. Ausstellungen sollten dort innerhalb der Wordpress-Umgebung auf jeweils einer Seite (One-Pager) erstellt werden können. Trotz der bereits in dem 2015 veröffentlichten Strategiepapier der SBB niedergelegten Absichtserklärung, „klassische Ausstellungen werden, wo immer möglich, durch digitale Präsentationen begleitet und nachhaltig ergänzt"6, ist allerdings die so beschriebene Dualität physisch präsentierter Ausstellungen mit einem Online-Pendant keineswegs gelebter Alltag. Allzu oft fällt in der anstrengenden Zeit der Ausstellungskonzeption der Verzicht auf eine digitale Variante besonders leicht. Neben der Hoffnung auf eine Wiedereröffnung der Beethoven-Ausstellung nach Aufhebung der Einschränkungen ist somit vor allem die Hoffnung auf eine beispielgebende Funktion der virtuellen Beethoven-Ausstellung mit ihren skizzierten Vorteilen lebendig.

3.3 Serviceinformation

In der gegenwärtigen Ausnahmesituation können viele Services der Bibliothek nicht wie gewohnt angeboten werden und es bestehen von außen nur begrenzte Möglichkeiten, Detailinformationen zu erfragen. Umso wichtiger ist daher eine schnelle und möglichst umfassende Information der Nutzenden und Interessierten auf allen verfügbaren digitalen Kanälen. Als zentrale, immer aktuell gehaltene Informationsquelle dient auch hier unser Blog. Dort veröffentlichen wir die Informationen zu den verfügbaren Dienstleistungen und Online-Angeboten in Überblicksbeiträgen im Stile von FAQ sowohl in deutscher als auch englischer Sprache.7 Gleichzeitig werden einzelne Services in separaten Beiträgen näher erläutert und beworben. Über die Kommentarfunktionen sind Rückmeldungen und Fragen der Lesenden möglich und werden zeitnah beantwortet.

Mit dem Ziel, die im Blog zusammengestellten Informationen weit zu streuen, verweisen wir in anderen Web-Angeboten und Kanälen auf die entsprechenden Blogbeiträge. So verlinken wir die Hinweise an prominenten Stellen der Website und crossposten die Links zu Blog-Beiträgen auf Facebook und Twitter. Ein weiterer Informationskanal ist unser WhatsApp-Newsletter, in dem auf aktuelle Blogbeiträge zu unseren Services hingewiesen wird. Damit möchten wir so viele Interessierte wie möglich auf denjenigen Kanälen erreichen, die diese auch in ihrem Alltag nutzen, und ihnen auch die Möglichkeit für Rückmeldungen oder einer Weiterverbreitung der Nachrichten geben. Die Strategie der crossmedialen Informationsverbreitung wurde schon in Vor-Corona-Zeiten etabliert und bewährt sich jetzt, da Nutzende ausschließlich auf digitale Informationsangebote angewiesen sind, besonders.

3.4 Twitter

Auch die Twitter-Aktivitäten der SBB haben sich unter dem Eindruck ihrer COVID-19-bedingten Schließung erkennbar verändert – gleichfalls zugunsten einer signifikanten Intensivierung der Zielgruppeninteraktion. Diente Twitter der SBB bis dahin im Wesentlichen als unidirektionaler Kanal zur crossmedialen Verbreitung ihrer vor allem über Veranstaltungsportal und Blogplattform veröffentlichten Inhalte, kommunizierte sie über dieses Mediums in den vergangenen Wochen in einer deutlich erhöhten Frequenz und dabei zunehmend im Responsivmodus. Denn die unter dem ebenso auf Facebook wie Instagram verwendeten Hashtag #sbbonlineoffen versammelten Serviceinformationen führen auf Seiten der Nutzenden zu zahlreichen Rückfragen, die in aller Regel direkt via Twitter beantwortet werden. Befeuert durch die neue Qualität ihrer externen Ansprache – eine Entwicklung, die sich im Übrigen auch positiv auf die Zahl der Follower von @sbb_news auswirken sollte8 – reifte in der SBB schnell der Wunsch, die interaktive Dimension von Twitter offensiver auszuloten. Was lag vor diesem Hintergrund daher näher, als ihre SchreibZeit in ein virtuelles Format zu überführen?

Knapp einen Monat vor Beginn der wegen COVID-19 nötig gewordenen Einschränkungen hat die SBB SchreibZeit ins Leben gerufen. Jeden Freitag treffen sich Nutzende der SBB, um zwei Stunden konzentriert an ihren Forschungsarbeiten, Anträgen, Zeitschriftenaufsätzen etc. zu arbeiten. Im Zentrum steht die routinierte Textproduktion in einer Gemeinschaft, zu der Interessierte jederzeit spontan hinzustoßen können. Zusätzlich zum äußeren Rahmen und der steigenden Verbindlichkeit, werden die Treffen mithilfe der Pomodoro-Technik strukturiert: 25 Minuten konzentriertes Schreiben wechseln mit fünfminütigen Pausen ab. Nachdem in einer schnellen Eingangsrunde individuelle Ziele für das SchreibZeit-Treffen formuliert werden, folgen insgesamt vier Pomodoros, die mit einer kurzen Reflektion abgeschlossen werden: Welche Erfahrungen wurden gemacht, was hat gut geklappt, wurde das gesetzte Ziel erreicht?

Mit den Corona-Einschränkungen sind aber nicht nur derartige Angebote plötzlich weggefallen, sondern viel grundlegender auch die Möglichkeit, den recht freien akademischen Alltag mit Bibliotheksbesuchen zu strukturieren. Über die Hälfte der SBB-Nutzer*innen kommen in die Lesesäle, um vor Ort an ihren Forschungsarbeiten zu schreiben und die soziale Kontrolle zu nutzen, die Bibliothekslesesäle bedeuten können. Um das aufzufangen, ist SchreibZeit in den virtuellen Raum umgezogen: Täglich werden zwei Pomodoro-Durchgänge auf dem eigens eingerichteten Twitter-Kanal @sbb_schreibzeit von Mitarbeitenden der SBB moderiert und die partizipativen Aspekte von Social Media herausgefordert. Twitter wird dabei zu einer tatsächlich multidirektionalen Plattform, auf der nicht nur Nutzende mit ihrer Bibliothek kommunizieren, sondern auch miteinander in Kontakt treten können: Enablement im virtuellen Raum. Ein genauer Blick auf Likes legt nahe, dass bei jeder Twitter-SchreibZeit auch einige stille Schreibende die virtuellen Treffen verfolgen. Weil vielen SchreibZeit-Fans zwei Durchgänge à 25 Minuten aber nicht ausreichen, findet eine ausführliche SchreibZeit zusätzlich einmal wöchentlich per Videokonferenz im Deutschen Forschungsnetz statt. Niedrigschwellig können Interessierte ohne eigenen Account per Zugangslink teilnehmen. Während die Moderation dieser Treffen und die Vernetzung der Teilnehmenden im virtuellen Raum deutlich komplexer ist als vor Ort in der Bibliothek, scheint der Community-Effekt letztendlich aber vielleicht sogar stärker zum Vorschein zu kommen: Noch mehr als sonst verhandeln die Teilnehmer*innen die gleichen Problemstellungen und gerade technische Schwierigkeiten können hervorragende Eisbrecher in ungewohnten Kommunikationssituationen sein.

4. Krise als Herausforderung und Chance – auf Feldern der internen Kommunikation

4.1 Online-Zusammenarbeit

Die SBB verfügt mit der Abteilung IDM über eine der größten und leistungsfähigsten IT-Abteilungen deutscher Bibliotheken. Dennoch bedeutet die aktuelle Situation für den Bereich der internen Kommunikation eine nicht geringe Herausforderung: Denn IDM unterstützt mittlerweile weite Teile der IT auch der anderen SPK-Einrichtungen – etwa der Staatlichen Museen zu Berlin oder des Geheimen Staatsarchivs. Damit wächst die Anzahl der zu betreuenden Personen auf ca. 1.800. Als Teil dieser bundesunmittelbaren Stiftung unterliegt die SBB überdies erheblich anderen Rahmenbedingungen in Bezug auf IT-Sicherheit als etwa eine Universitätsbibliothek.

Die bisherige IT-Strategie orientierte sich daher an der Maßgabe, zum einen von Beginn an Strukturen zu schaffen, die für alle Einrichtungen der Stiftung funktionieren, zum anderen hohen Anforderungen an Systemsicherheit gerecht zu werden. Verboten sind etwa der Zugriff auf E-Mail über Privatgeräte (Bring-your-own-device), Cloud-Dienste aller Art (etwa Google Docs), direkter Zugriff auf alle relevanten Laufwerke und Backend-Systeme (etwa TYPO3, Redmine, Gitlab, Kanboard), sondern nur über vorkonfigurierte VPN-Verbindungen. Eine sehr reale Aufgabe ist daher derzeit, die Kolleg*innen im Homeoffice überhaupt nur zu erreichen, geschweige denn mit einer arbeitsfähigen Infrastruktur auszustatten. Zwar wurde der Bereich der Telearbeit in den letzten Jahren systematisch ausgebaut, kurzfristig stehen jedoch nicht mehr als 300 Lizenzen für den gleichzeitigen VPN-Zugang für die derzeit schon über 500 mit Home-Office-Anbindung versehenen Mitarbeiter*innen zur Verfügung. Unter dem Eindruck der COVID-19-Pandemie müssen daher in sehr kurzer Zeit Lösungen entstehen, die das Problem fehlender interner Kommunikation auf ganz unterschiedlichen Wegen adressieren: Um rasch Informationen an zentraler Stelle bereitstellen zu können, wurde eine passwortgeschützte Intranetseite auch für den Zugriff von außen frei geschaltet. Entlang der bestehenden Telearbeits-Infrastruktur werden für systemkritische Bereiche – also solche, die zur Aufrechterhaltung eines Notbetriebs der (geschlossenen) Häuser benötigt werden – so viele Endgeräte wie möglich mit VPN konfektioniert und ins Homeoffice verbracht. Die bestehende Kooperation mit CISCO im Bereich der Telefonie wurde um Videoconferencing (WebEx Meetings9) und Projektchat (WebEx Teams10) erweitert und ist auch von Privatgeräten aus erreichbar. Insbesondere der Projektchat bietet auch langfristig großes Potenzial. Zwar mag er nicht ganz so ausgereift sein wie etwa Slack, er ermöglicht aber doch durch die guten Mobil-Clients eine Teilnahme am SBB-Geschehen – selbst in herausfordernden Homeoffice-Situationen, etwa bei gleichzeitiger Kinderbetreuung. Der Mehrwert, auch im Homeoffice mobil kommunizieren zu können, ist nicht zu unterschätzen. Die fehlenden Laufwerksanbindungen werden kurzfristig zwar kaum zu kompensieren sein, zumindest aber werden Werkzeuge für kollaboratives Arbeiten erprobt: eine CodiMD Installation bei der GWDG11 ermöglicht maximal niedrigschwelliges Brainstorming im Team, für komplexere Aufgaben wird eine Owncloud-Instanz12 mit angeschlossenem Onlyoffice13 (Open Source Office im Browser) getestet.

Die Hoffnung ist, mit diesen ersten Maßnahmen bereits die Kommunikations- und Arbeitsfähigkeit des Kollegiums signifikant zu verbessern, dabei aber den Spagat zu schaffen, eine langfristige Infrastruktur-Strategie nicht mit hektischem Aktionismus umzuwerfen, sondern mit etwas Planung in Bereiche zu investieren, die auch noch nach der aktuellen Krise Bestand und Mehrwert haben können. Klar ist aber auch: Bei weitem nicht alle Teile des Hauses profitieren gleichermaßen von den neuen Möglichkeiten. In vielen klassischen Arbeitszusammenhängen ergibt sich wenig oder gar kein Mehrwert. Ferner müssen die neuen Angebote mit gut verständlichen Anleitungen versehen werden – der ganz überwiegende Teil der Belegschaft hat nämlich auch privat noch nie mit Werkzeugen wie Slack gearbeitet. Dennoch lohnt der Aufwand: Auch digital ist man zusammen weniger allein. Oder wie eine Kollegin spontan formulierte: „Oh, ich mag das. Man hat sofort das Gefühl, da sind die anderen Menschen, und die hören zu."

4.2 Webinare

Webinare sind an sich ja nichts Neues. Aber: Jetzt plötzlich steigt die Bedarfskurve fast senkrecht. Weder Universitäten noch Bibliotheken können dieser quasi unmittelbar von 10 % auf 100 % gesprungenen Nachfrage ad hoc entsprechende Angebote entgegenstellen. Diese neue totale Online-Normalität hat auch die SBB überrollt.

Halbwegs gut gemachte Webinare brauchen Vorbereitungszeit – auch wenn das analoge Schulungs-Pendant vorher schon steht. Das liegt auf der einen Seite am Testbedarf im Hinblick auf unterschiedliche webinartaugliche Softwareprodukte und der Schaffung der technischen Voraussetzungen im Homeoffice, auf der anderen Seite aber auch an der Notwendigkeit, in Frage kommende Zeitfenster ohne Netzüberlastung auszuloten, unter der z.B. das Deutsche Forschungsnetz mit seinen Angeboten nachvollziehbarerweise knirscht. Daher haben wir zunächst einmal mit internen Fortbildungen losgelegt (z.B. Bildrechte-Schulungen für die SBB-Blogger), in der Hoffnung, dass die Teilnehmer*innen bei Übertragungs- oder Zugangsproblemen nachsichtig sind. Dieses Schulungsprogramm wird voraussichtlich ausgebaut, so dass der planbare normale Bücherbehördenalltag hinsichtlich der Fortbildungs-Events auch aus dem bibliotheksfernen Homeoffice weitergehen kann. Parallel dazu stehen bereits die ersten Konferenzschaltungen nach außen, also für unsere Bibliotheksnutzer*innen. Hierzu ist – wie erwähnt – vor allem die SchreibZeit zu zählen, ein wichtiges Angebot für prokrastinationsgefährdete Wissenschafts-Schreiber*innen, dessen Fortführung in der Phase der physisch fühlbaren Bibliothekslosigkeit noch unverzichtbarer ist als in analogen Zeiten. Andere Angebote, etwa zum wissenschaftlichen Publizieren (nicht nur) für Promovierende, die eher in Richtung klassischer Webinare gehen, sind gewollt, werden aber erst in ein paar Wochen verfügbar sein.

5. Krise als Entwicklungsschub – Zusammenfassung

Wie nicht zuletzt auch der vorliegende, von Angehörigen mehrerer Abteilungen innerhalb kürzester Zeit verfasste Gemeinschaftsbeitrag dokumentiert, trägt die COVID-19-Pandemie eminent bei zur Flexibilisierung der SBB jenseits der etablierten Geschäftsgänge und damit zugleich zur Integration ihres momentan überwiegend im Homeoffice arbeitenden Kollegiums – ein Befund, der mit Blick auf Größe, Struktur und Organisationskultur einer Bibliothek in zwei Häusern kaum hoch genug zu werten ist.

Insbesondere im Bereich der externen Kommunikation ist es gerade die spezifische Architektur des Social Media-Auftritts der SBB, die diesem Prozess ideale Voraussetzungen schafft, werden doch die verschiedenen Kanäle – Blog, Facebook, Instagram, Youtube und Twitter – von Anbeginn dezentral, partizipativ und hierarchiefrei mit crossmedial verbreiteten Inhalten bespielt. Getrieben von dem Wunsch, auch unter den prohibitiven Bedingungen der Corona-Krise im Interesse der Nutzenden selbstwirksam zu bleiben, sowie in Reaktion auf deren nach der kurzfristigen Hausschließung drastisch gesteigerten Informationsbedarf war es daher konsequent, diesen Partizipationsimpuls mit neuen Formaten wie etwa der virtuellen SchreibZeit oder dem deutschlandweit kostenfreien elektronischen Anmeldeservice StabiOnline nach außen zu wenden. Aber auch nach innen führt die Herausforderung, eine auf zahlreiche und nur teilweise mit Telearbeitsplätzen ausgestattete Homeoffices verstreute Belegschaft zu vernetzen und unter Krisenbedingungen reaktionsfähig zu halten, zur Beschleunigung bereits initiierter Prozesse. Angesprochen ist damit namentlich die digitale Transformation der SBB im Verbund mit den übrigen Einrichtungen der SPK – ein Vorgang, der insbesondere durch die schnelle Einführung von Instrumenten für die Online-Zusammenarbeit einen nachhaltigen Schub erhielt. Neben den positiven Effekten auf ihre Organisationsentwicklung zeitigen die von einer neuen Experimentierlust geprägten Aktivitäten der SBB, um während der Pandemie wenigstens #sbbonlineoffen zu bleiben – dies der auf allen Social Media-Kanälen verwendete Krisen-Hashtag –, schließlich eine weitere, überaus erfreuliche Wirkung: So dürfte die Zielgruppenbindung der SBB in den vergangenen Wochen nochmals enger geworden sein, was zumindest der fast exponentielle Anstieg von Frequenz und Intensität der Nutzungskommunikation sowie die rasant wachsende Zahl von Neuanmeldungen und Followern nahelegen. Allen Anstrengungen zum Trotz, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie abzufedern und die (digitale) Servicekurve nicht abflachen zu lassen, ist aber auch die SBB von galoppierenden Verdopplungsraten der beiden zuletzt genannten Kennzahlen weit entfernt – in diesem Fall muss man allerdings sagen: leider!

6. Quellen

Burckhardt, Jacob (1978/1905): Weltgeschichtliche Betrachtungen. Stuttgart: Kröner.

Schneider-Kempf, Barbara; Gudrun Nelson-Busch (2017): Freiheit wagen – erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit mit dezentralen Strukturen in der Außenkommunikation [online]. Zugriff am: 8. April 2020]. Verfügbar unter: https://opus4.kobv.de/opus4-bib-info/files/3040/Freiheit_wagen.pdf.


  1. Diese Preprint-Fassung des Artikels wurde am 14. April 2020 eingereicht und am 15. April 2020 im Rahmen eines Post-Publication-Review-Verfahrens veröffentlicht und gibt somit den zu diesem Zeitpunkt aktuellen Stand der Dinge wieder.↩︎

  2. https://blog.sbb.berlin/schliessung_coronavirus/.↩︎

  3. https://staatsbibliothek-berlin.de/service/anmeldung/.↩︎

  4. https://blog.sbb.berlin/digitale-lektueretipps/.↩︎

  5. http://sbb.berlin/bthvnvirtuell.↩︎

  6. https://staatsbibliothek-berlin.de/die-staatsbibliothek/portraet/strategie/.↩︎

  7. https://blog.sbb.berlin/closure_coronavirus/.↩︎

  8. Vgl. https://bibcharts.eu/chart.jsp?libs=75.↩︎

  9. https://www.webex.com/de/index.html.↩︎

  10. https://www.webex.com/de/team-collaboration.html.↩︎

  11. https://pad.gwdg.de.↩︎

  12. https://owncloud.gwdg.de.↩︎

  13. https://www.onlyoffice.com/de/.↩︎


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