Offene Bildungsressourcen an der RWTH Aachen: Innovationen in der Lehre mit anderen teilen

DOI: https://doi.org/10.11588/ip.2021.1.77327

Colette KNIGHT, Tamara MANSARAY, Heribert NACKEN und Aloys KRIEG

Offene Bildungsressourcen an der RWTH Aachen: Innovationen in der Lehre mit anderen teilen

Zusammenfassung

Als Folge der weltweiten Pandemie des Coronavirus im Jahr 2020 sind viele Universitäten kurzfristig gezwungen, zumindest vorübergehend auf Online-Lehre umzustellen. Open Educational Resources (OER) können dabei eine wichtige Rolle spielen, indem sie Studierenden und Lehrenden in die Lage versetzen, das am besten geeignete Lernmaterial sowohl aus freien als auch aus kommerziell verfügbaren Angeboten auszuwählen. Universitäten mit Erfahrung in der Erstellung und Implementierung von OER könnten als Vorbilder dienen. In diesem Beitrag beschreiben wir Beispiele von Open Education Resources, die an der RWTH Aachen bereits entwickelt wurden, sowie wichtige Erfahrungen, die gemacht wurden.

Schlüsselwörter

Open Educational Resources (OER), Digitalisierungsstrategie, Kollaboration, Hochschulbildung

Open Educational Resources at RWTH Aachen University: Sharing Innovations in Teaching

Abstract

As a result of the worldwide coronavirus outbreak in 2020, many universities have been forced at short notice to switch to fully online courses, at least temporarily. Open Educational Resources (OER) can play an important role by enabling students and educators to select the most suitable learning material from publicly licensed in addition to commercially available resources. Universities with experience in the creation and implementation of OER might serve as role models. In this article we describe examples of Open Education Resources that have been developed at RWTH Aachen University as well as some of the challenges and lessons learned during their implementation.

Keywords

Open Educational Resources (OER), digitalization strategy, collaboration, higher education


Veröffentlichung: 07.01.2021 in Informationspraxis Bd. 7, Nr. 1 (2021)


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Als Folge der weltweiten Pandemie des Coronavirus im Jahr 2020 sind viele Universitäten in Deutschland und dem Rest der Welt kurzfristig gezwungen, zumindest vorübergehend vollständig auf Online-Lehrveranstaltungen umzustellen. Innerhalb weniger Wochen und mit geringer Vorbereitung mussten Universitäten, die normalerweise Präsenzlehre betreiben, ihre Lehr- und Prüfungsmethoden auf online Formate umstellen. Dies ist eine umso größere Herausforderung, da effektive Online-Lehrveranstaltungen und -Prüfungen andere pädagogische Konzepte erfordern als traditionellere Lehrmethoden. Die Corona Krise bietet Bildungsinstitutionen eine einzigartige Gelegenheit, die Chancen der Digitalisierung auszuloten und verstärkt Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu nutzen.

Die Maßnahmen, die zur Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus durchgeführt werden, machen es notwendig, sowohl aktuellen als auch potenziellen Studierenden Zugang zu relevantem und hochwertigem Bildungsmaterial online zur Verfügung zu stellen. Dieser Zugang soll helfen, Nachteile und Verzögerungen im Studium zu verringern. In dieser Zeit des reduzierten Face-to-Face Unterrichtes ist es besonders wichtig, Strategien umzusetzen, die eine hohe Beteiligung von Lehrenden und Studierenden fördern und ihre Eigenverantwortung für die Lehr- und Lerninhalte erhöhen. Lehrende und Studierende tragen eine große Verantwortung dafür, dass die Vermittlung und der Inhalt ihres Lernmaterials den neuen Anforderungen gerecht werden. Open Educational Resources (OER) können bei der oben genannten Herausforderungen eine wichtige Rolle spielen, indem sie Studierenden und Lehrenden in die Lage versetzen, das am besten geeignete Lernmaterial sowohl aus freien als auch aus kommerziell verfügbaren Angeboten auszuwählen. Universitäten mit Erfahrung in der Erstellung und Implementierung von OER könnten als Vorbilder dienen. In diesem Papier beschreiben wir Beispiele von Open Education Resources, die an der RWTH Aachen bereits entwickelt wurden, sowie Herausforderungen und wichtige Erfahrungen, die in den letzten Jahren in Aachen gemacht wurden.

OER werden von der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Muuß-Merholz 2015) definiert als jegliche Art von Lehr-Lern-Materialien, die gemeinfrei oder mit einer freien Lizenz bereitgestellt werden. Das Wesen dieser offenen Materialien liegt darin, dass jedermann sie legal und kostenfrei vervielfältigen, verwenden, verändern und verbreiten kann. Der Begriff wurde 2002 auf dem UNESCO-Forum über die Auswirkungen offener Kursmaterialien für die Hochschulbildung in Entwicklungsländern geprägt (UNESCO, 2002). Die anfängliche Triebkraft bestand darin, den Entwicklungsländern Bildungsressourcen zur Verfügung zu stellen, die leicht auffindbar, bei Bedarf anpassbar und kostenlos weiterverwendbar sind. In jüngerer Zeit haben jedoch verschiedene Regierungen und politische Entscheidungsträger begonnen, OER als Mittel zur Förderung von Innovationen und zur Bewältigung von Herausforderungen in ihren Bildungssystemen zu betrachten, wie z.B. die mangelnde Zugänglichkeit und die hohen Kosten von Lehrbüchern.

In Deutschland war die OER-Bewegung bis 2012 relativ unauffällig (Neumann, 2018). In diesem Jahr wurde das erste white paper über OER für Schulen in Deutschland vom Think Tank “Internet & Gesellschaft Co:llaboratory” veröffentlicht. Darüber hinaus fand das erste “OERcamp” statt und Expertenanhörungen zum Thema OER wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Berlin organisiert. Im Jahr 2015 wurde von einer Arbeitsgruppe des BMBF und der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) ein OER-Bericht mit kurz- und mittelfristigen Maßnahmenempfehlungen veröffentlicht (Deimann et al., 2015). Dieser Bericht belegt das Bewusstsein für die Bedeutung der OER auf nationaler Ebene. Der OER-Informationsdienst (OERinfo) wurde 2016 mit Unterstützung des BMBF ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um ein Online-Portal, das umfassende Informationen über den aktuellen Wissensstand, Best-Practice-Beispiele, OER-Camps und andere Initiativen mit Bezug zu OER-Aktivitäten in Deutschland bietet. In den Jahren 2017 - 2018 wurde eine Reihe von OER-Projekten vom BMBF im Rahmen der Förderlinie OERinfo gefördert. Das in diesen Projekten generierte Material wird auf dem OERinfo-Portal zur Verfügung gestellt.

Zusätzlich zu den nationalen Initiativen wurden verschiedene landesweite Initiativen zur Stärkung des Einsatzes von OER definiert. Im Jahr 2019 kündigte das Land Nordrhein-Westfalen spezifische Förderlinien zur Entwicklung eines landesweiten Online-Bildungsportals und digitaler OER-Inhalte an. Das Programm “OERContent.nrw” unterstützt gezielt die hochschulübergreifende Erstellung von digitalen Lehr- und Lernmaterialien, die auf dem geplanten Online-Landesportal gemeinsam genutzt werden sollen. Das geplante Portal wird als gemeinsames Repository dienen und stellt eine wichtige landesweite, institutionenübergreifende OER-Infrastruktur bereit.

In diesem Paper beschreiben wir einige der OER-Initiativen an der RWTH Aachen. Die Digitalisierungsbeauftragten in den Fakultäten erstellten Listen mit OER-Initiativen, die aus Umfragen in ihren Fakultäten zusammengestellt wurden. Die hier vorgestellten Initiativen wurden auf der Grundlage ihrer potenziellen Auswirkungen und zur Veranschaulichung der bei der Umsetzung gewonnenen Erkenntnisse ausgewählt.

2 Beispiele für OER-Initiativen an der RWTH Aachen, ihre möglichen Auswirkungen und Herausforderungen bei der Umsetzung

2.1 OER-Initiative der Fakultät für Bauingenieurwesen

Im September 2016 startete die Fakultät für Bauingenieurwesen, im Rahmen der ersten Phase der Digitalisierungsstrategie für die Lehre an der RWTH Aachen, eine OER-Initiative. Initiator war Prof. H. Nacken, UNESCO-Lehrstuhl für Hydrologischen Wandel und Wasserwirtschaft, der auch der Digitalisierungsbeauftragte für die Lehre der Fakultät ist. Die Grundidee war hier, die gesamte Fakultät in die Erstellung eines Repositoriums mit offenem Lehrmaterial in Form von modularen, kombinierbaren, kurzen Videos zu Kernthemen des Bauingenieurwesens einzubinden. Die Videos veranschaulichen Konzepte, Techniken und Geräte und reichen von kleinen bautechnischen Tests zur Messung der Eigenschaften von Materialien bis hin zu fortgeschrittenen Forschungsprojekten. Sie enthalten Texteinblendungen in englischer Sprache und bieten Einblicke in wissenschaftliche Konzepte, jedoch keine detaillierten Erklärungen. Alle produzierten Videos werden auf einem, eigens für die Initiative erstellten, YouTube Kanal hochgeladen. Ohne die Musik sind die Videos unter einer CC BY 4.0 INTERNATIONAL-Lizenz lizenziert. In einigen Fällen haben die Videos aufgrund von Einschränkungen durch die Musik eine restriktivere Lizenz.

Das Potenzial dieses Formats besteht darin, anderen Lehrenden, die Vorbereitung ihrer Kursmaterialien zu erleichtern und ihnen die Möglichkeit einzuräumen, das Material so zu erklären, dass es in ihr Lehrkontext passt. Die Videos decken Standard-Lehrinhalte mit weit verbreiteter Anwendung ab. Es ist daher sowohl wirtschaftlich als auch sozial sinnvoll, dieses relevante und hochwertige Basismaterial als OER zur Verfügung zu stellen. Im September 2020 hatte der Kanal mehr als 4500 Abonnenten und etwas mehr als 50 Videos, die zusammen mehr als 750.000 Aufrufe verzeichneten.

Die größte Herausforderung bei der Erstellung qualitativ hochwertiger Videos besteht darin, dass sie zeitaufwändig sind und eine entsprechende Infrastruktur zu ihrer Herstellung erfordern. Weitere Herausforderungen bestehen darin, sicherzustellen, dass die Videos für Lehrende auffindbar sind, und zu evaluieren, wie viele der Aufrufe tatsächlich Lehrenden zuzuordnen sind, welche die Videos integrieren und schließlich modifizieren.

2.2 Phyphox app: Ein OER zur Unterstützung von unabhängigem Lernen und Experimentieren

Die phyphox app (https://phyphox.org/), ist eine offene Bildungsressource, die Lehrenden, Studierenden und anderen hilft, die Sensoren in ihren Smartphones für Physikexperimente zu nutzen (Staacks et al., 2018). Als solche unterstützt sie die Eigenverantwortung und Kreativität von Studierenden und Lehrenden. Die App ermöglicht die Kommunikation mit externen Bluetooth-Low-Energy-Geräten, wodurch es möglich wird, Sensoren zu integrieren, die in Smartphones nicht verfügbar sind. Phyphox wurde und wird mit Hilfe von Mitteln aus dem Exploratory Teaching Space der RWTH Aachen entwickelt, einem der Instrumente, die die Universität zur Unterstützung innovativer Bildungskonzepte einsetzt.

Die App wurde unter anderem von Dr. Staacks und Prof. Stampfer im 2. Physikalischen Institut A und der Digitalisierungsbeauftragen der Fachgruppe Physik, Frau Prof. Heinke entwickelt. Phyphox stellt Programmierwerkzeuge zur Verfügung, um eigene Physikexperimente durchzuführen, sowie die entsprechenden Daten zu messen und Berechnungen in Echtzeit durchzuführen. Zusätzlich enthält die App eine Reihe von Experimenten, die speziell für den Physikunterricht an Gymnasien konzipiert wurden. Viele davon können mit in Schulen verfügbaren Alltagsgegenständen und Materialien durchgeführt werden. In einigen Fällen stehen modulare Arbeitsblätter für die Experimente in deutscher Sprache zur Verfügung. Die Arbeitsblätter, die unter einer CC BY-Lizenz veröffentlicht werden, enthalten Informationen über die zugrunde liegenden Theorien und den experimentellen Versuchsaufbau. Die App ermöglicht es Lehrerinnen und Lehrern, auszuwählen, welche Inhalte sie in die Arbeitsblätter aufnehmen möchten. Falls vom Lehrenden ausgewählt, sind Laborberichtsformulare enthalten, mit denen Schüler gemeinsam experimentelle Daten sammeln können. In einigen Fällen gibt es Links zu Videos des Experiments. Diese sind ebenfalls unter CC BY lizenziert. Die Wiki-Funktion der App ermöglicht es den Benutzern, ihre Experimente zu dokumentieren und weiterzugeben, so dass sie für andere verfügbar sind.

Die Wirkung der App bei der Verbesserung des Physikunterrichts an Universitäten und Schulen spiegelt sich in einer Reihe von prestigeträchtigen Auszeichnungen wider. Im Jahr 2020 erhielt das Entwicklerteam den Ars-Legendi-Fakultätspreis in der Kategorie “Physik” für den bedeutenden Beitrag der App zur Verbesserung des Physikunterrichts an Universitäten und Schulen in Deutschland und darüber hinaus. Der Erfolg spiegelt sich auch in fast einer Million Downloads in den ersten drei Jahren sowie in der hohen Anzahl von Arbeitsblättern und Experimenten wider, die von den Nutzern zur Verfügung gestellt wurden. Die Website enthält mehrere von Lehrenden beigesteuerte Arbeitsblätter. Die jeweiligen Lizenzen werden vom Autor ausgewählt, der sich für eine Creative-Commons-Lizenz und in den meisten Fällen für eine CC BY- oder CC BY SA-Lizenz entscheidet und dabei dem Rat des phyphox-Teams folgt. Beispielsweise wurde eine Laborarbeit im Wiki von Forschern der Universität Münster beigesteuert. Sie enthält Anweisungen, wie man eine magnetische Hysteresekurve mit phyphox misst. Zudem erfährt man, wie man die erforderliche Sensorkonfiguration und entsprechende Visualisierungen direkt in die App lädt.

Das phyphox-Beispiel veranschaulicht, wie nutzergenerierte Experimente offen zugänglich gemacht und genutzt werden können, um die Qualität des naturwissenschaftlichen Unterrichts zu verbessern. Unterstützende pädagogische Ressourcen wie Arbeitsblätter sind enthalten. Diese sind wichtig, um die Integration von phyphox im akademischen Umfeld zu vereinfachen.

Die App und die meisten Begleitmaterialien wurden ursprünglich auf Englisch und Deutsch zur Verfügung gestellt. Eine der Herausforderungen bestand darin, die Sprachbarriere für globale Benutzer abzubauen. Dies wurde durch die Einrichtung eines Übersetzungssystems erreicht, das es Freiwilligen ermöglicht, die App in weitere Sprachen zu übersetzen. Mit Hilfe einer weltweiten Gemeinschaft von Lehrenden und Fachleuten aus dem Bereich der Physik wurde die App bisher in insgesamt 14 Sprachen veröffentlicht.

2.3 Gemeinsame Nutzung von Kursmaterialien auf Universitätsebene als OER

Neben der Erstellung von OER wie in den ersten beiden Beispielen, die nicht spezifisch an eine bestimmte Lehrveranstaltung gebunden sind, veröffentlichen einige Lehrende der RWTH einen Teil oder ihr gesamtes Lehrmaterial in bestimmten Lehrveranstaltungen als OER. In der Fakultät für Bauingenieurwesen werden z.B. komplette MOODLE-Kursräume im Bereich Hydrologie unter einer CC BY-Lizenz veröffentlicht. Die Ressourcen umfassen Vortragsfolien, Aufgaben, Quizfragen und in einigen Fällen Videos (oer-hydro.de).

Weitere Beispiele finden sich in der Fakultät für Elektrotechnik (https://rwth-os.github.io/eduOS-rs/), Fakultät für Georessourcen und Materialtechnik (https://github.com/cgre-aachen/remote-geomod) oder in der medizinischen Fakultät, wo umfangreiche Online-Lernanwendungen als OER zur Verfügung gestellt wurden. In einem Beispiel wurden Lehrvideos und Quizfragen zu Themen aus dem Kurs über menschliche Anatomie für Medizin-Studierende im zweiten Semester unter einer CC BY NC ND-Lizenz veröffentlicht (www.rwth-aachen.de/oer.anatomie). Unterschiedliche Organsysteme und Funktionalitäten werden von verschiedenen Spezialisten leicht verständlich und didaktisch geordnet dargestellt. Die Studierenden können die Videos als Vor- oder Nachbereitung des Sektionskurses nach einem umgekehrten Unterrichtsmodell nutzen.

Eine der größten Herausforderungen bei diesen Initiativen besteht darin, die Materialien leicht auffindbar zu machen.

2.4 Integration des Konzepts des OER in die Ausbildungsprogramme für Lehrende

Ziel des Projekts “MINT-L-OER-amt” (2017-2018), das in der Forschungsgruppe Lerntechnologien durchgeführt wurde, war es, OER als Thema in das MINT (Mathe, Informatik, Naturwissenschaft, und Technik) Lehrerausbildungsprogramm der Universität zu integrieren (www.rwth-aachen.de/mint-l-oer-amt, Ali et al., 2018). Das Projekt wurde vom BMBF im Rahmen der Förderlinie OERinfo unterstützt. Durch die Sensibilisierung, Schulung und Unterstützung von Lehrenden und Lehramtsstudierenden in der Anwendung von OER hat das Projekt Bewusstsein und Verständnis für OER an der Universität erhöht. Es hat zu einer aktiveren Beteiligung von Lehramtsstudierenden und Lehrenden am OER beigetragen. Alle während des Ausbildungsprogramms verwendeten Materialien werden unter einer CC BY SA-Lizenz auf der Projektwebseite und im Contentbuffet von Jointly veröffentlicht. Dieses Material kann als Ressource für andere Institute dienen, die sich mit der Schulung ihres Lehrpersonals in der Anwendung von OER befassen.

Die wachsende Bedeutung der digitalen Medien in Bildungskontexten macht es sinnvoll, angehende Lehrkräfte mit neuen didaktischen Ansätzen unter Einbeziehung digitaler Medien vertraut zu machen. Daher wird in einem Folgeprojekt (2019-2023) der Schwerpunkt auf digitale offene Bildungsressourcen (dOER) gelegt. Darüber hinaus wird die Zielgruppe auf Studierende in allen Lehramtsstudiengängen der Universität sowie auf Lehrende der Fachdidaktik aller Fakultäten erweitert. (www.rwth-aachen.de/lebiac-doer).

Bislang wurden mehr als 40 Didaktiklehrende ausgebildet, die sich in ihren jeweiligen fachdidaktischen Kursen für OER einsetzen. Der Effekt dieses Projektes ist, dass jedes Semester Hunderte von Lehramtsstudierenden erreicht und ermutigt werden, sich aktiv an der “OER-Bewegung” zu beteiligen. Der Erfolg des Projekts MINT-L-OER-amt zeigt sich in der Nominierung für den OER-Award 2017 in der Kategorie “OER über OER” unter dem Dach der Deutschen UNESCO-Kommission.

Es wurde jedoch auch eine Reihe von Herausforderungen identifiziert. Einer der Faktoren, die den Einsatz von OER behindern, ist der Vorbehalt einiger Lehrenden, ihr Lehrmaterial zu teilen und von anderem erstelltes Material zu verwenden. Selbst für diejenigen, die dazu bereit sind, kann es schwierig und zeitaufwendig sein, qualitativ hochwertige OER zu finden, die die von ihnen benötigten spezifischen Themen abdecken. Es kann sehr zeitaufwendig sein, geeignete Illustrationen zu finden, die unter einer kompatiblen öffentlichen Urheberrechtslizenz veröffentlicht werden, um die geschützten Illustrationen zu ersetzen. Schließlich wurde bestätigt, dass zeitlich begrenzte Projekte auf lange Sicht keine nachhaltige Wirkung entfalten.

2.5 Erstellen von OER-Material für Mathematik in der Sekundarstufe

Seit 2018 entwickeln Masterstudierende der RWTH im dritten Semester in der Ausbildung zum Mathematiklehrenden an Gymnasien ergänzendes digitales Lernmaterial, das sich an Gymnasiasten richtet und im Selbststudium eingesetzt werden soll. Die Studierenden erstellen das Material im Rahmen einer Prüfung im Lehr- und Forschungsbereich “Didaktik der Mathematik”. In einem kooperativen Peer-Review-Prozess wird das Material von zwei weiteren Studierenden korrigiert und bewertet, bevor es als OER auf der digitalen Lernplattform “GeoGebra Materials” veröffentlicht wird (https://www.geogebra.org/m/z6aqcxnz). Die Studierenden werden ermutigt, bei der Entwicklung des Selbstlernmaterials offene Lernressourcen zu verwenden und ihre Materialien gemäß den OER-Richtlinien zu lizenzieren. GeoGebra ist eine freie und quelloffene Anwendung, die für den Mathematikunterricht in Schulen weit verbreitet ist. Daher erwerben die Lehramtsstudierenden im Prozess der Erstellung der OER Kompetenzen, die für ihre spätere Tätigkeit als Lehrenden nützlich sind. Durch die Wiederverwendung von OER, die von anderen erstellt wurden, während sie gleichzeitig neue Ressourcen entwickeln, festigen die Studierenden ihr Wissen und Verständnis des OER. Sie lernen auch, wie sie erkennen, welche OER-Inhalte entwickelt werden müssen und wie sie dies in der Praxis umsetzen können.

Eine der größten Herausforderungen besteht darin, dass die Erstellung und Überprüfung des Lernmaterials zeitaufwändig sind. Da das Lernmaterial zwar von zwei anderen Studierenden, aber nicht von einem Mitarbeitenden überprüft wird, gibt es keine Garantie für seine Richtigkeit.

2.6 Aktuelle Erfolge in der OER-Ausschreibung der RWTH bei der DH-NRW

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, hat das Land NRW 2019 die Förderlinie “OERContent.nrw” zur Unterstützung der hochschulübergreifenden Produktion digitaler Lehr- und Lernmaterialien entwickelt. Voraussetzung für die Förderung ist eine Beteiligung von mindestens drei verschiedenen förderfähigen Hochschulen. Die Corona-Krise hat die Bedeutung von digitalen Lehrformaten und frei zugänglichen Lerninhalten im Netz deutlich gemacht. In Anerkennung dessen beschloss die Landesregierung, die Fördersumme für die Förderlinie “OERContent.nrw” von fünf auf 10,5 Millionen Euro zu erhöhen (https://www.mkw.nrw/pesse/OERContent ). So können alle von den Gutachtern als förderungswürdig erachteten Konzepte unterstützt werden.

Von den 18 geförderten Projekten haben 5 eine RWTH-Beteiligung. Mit 3 Projekten, bei denen die RWTH Aachen Konsortialführer ist, und 2 weiteren, an denen die RWTH Aachen beteiligt ist, hat die RWTH Aachen von aller beteiligten Universität die größte Anzahl von Projektanträgen mit Konsortialführung einwerben können. Diese erfreuliche Erfolgsquote spiegelt auch die hohe Akzeptanz von OER an der Universität wider.

3 Zusammenfassung, Lessons Learned und Schlussfolgerungen

Innovative Bildungskonzepte sind erforderlich, um Studierende aller Lerntypen auf ihre zukünftige Karriere vorzubereiten. Angesichts der wachsenden Bedeutung eines kooperativen und interdisziplinären Arbeitsumfelds ist es sinnvoll, dass Studierende und Lehrende ihre Ressourcen zusammenlegen und bei der Schaffung und Nutzung kostenloser, qualitativ hochwertiger offener Bildungsressourcen zusammenarbeiten, wann immer dies angebracht ist. OER ermöglichen es Lehrenden, das am besten geeigneten Material aus den offenen wie auch kommerziell verfügbaren Bildungsressourcen auszuwählen. Dies kann gerade jetzt eine besonders wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, Ungleichheiten beim Zugang zu qualitativ hochwertigen Bildungsressourcen für aktuelle und potentielle Studierende zu verringern.

Die in diesem Beitrag beschriebenen Beispiele veranschaulichen das an der RWTH Aachen entwickelte Spektrum des OER. Sie umfassen neuartige Möglichkeiten zur Förderung der Zusammenarbeit und des Austauschs bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität der wissenschaftlichen Ausbildung. Außerdem ging es dabei um die didaktische Integration von OER in das Lehrerausbildungsprogramm und Erstellung von öffentlich lizenziertem Material, z.B. zur Veranschaulichung der menschlichen Anatomie und von Ingenieurkonzepten. Diese und andere Initiativen leisten einen Beitrag dazu, das Bewusstsein für OER an den Hochschulen zu erhöhen und Vorbehalte abzubauen. Sie tragen auch dazu bei, einige spezifische Herausforderungen zu identifizieren, die auch für andere Institutionen relevant sein könnten, die den Einsatz von OER umsetzen wollen.

An der RWTH Aachen gibt es noch keine formale OER-Politik. Die Universität verfügt jedoch über eine etablierte und durch den Stifterverband der Deutschen Wissenschaft ausgezeichnete Digitalisierungsstrategie für die Lehre (www.rwth-aachen.de/digi-str-teaching). Sie nutzt eine Reihe von Instrumenten um innovativer Lehr- und Lernkonzepte zu entwickeln. Dazu gehören die Finanzierung strategischer Projekte im Rahmen der Digitalisierungsstrategie und die Förderung neuer innovativer Projekte im Rahmen des Wettbewerbs “Exploratory Teaching Space” (Knight et al., 2015). Diese Instrumente sind von entscheidender Bedeutung, da die Entwicklung und Erprobung innovativer Lehrkonzepte Zeit, Aufwand und finanzielle Mittel erfordert. Befürworter in den Fakultäten nutzten diese Instrumente, um unter anderen ein vielfältiges Spektrum von OERs zu schaffen. Im Rahmen der Digitalisierungsstrategie für die Lehre wurden entsprechende interne Serviceeinheiten im Center für Lehr- und Lernservices (https://cls.rwth-aachen.de/) organisiert. Das Zentrum bietet eine breite Palette von Dienstleistungen an, die darauf abzielen, die Qualität der Lehre und des Lernens an der Universität zu verbessern. Dozenten aller Fakultäten können sich an die Abteilung Medien für die Lehre wenden, um Unterstützung bei der didaktischen Gestaltung und Produktion ihrer videobasierten Lernmaterialien einschließlich OER zu erhalten. Der Erfolg der RWTH in der Förderlinie “OERContent.nrw” ist auch das Ergebnis der Vorarbeiten, die die RWTH seit einiger Zeit leistet, um die Digitalisierung der Lehre voranzutreiben.

Eines der Hindernisse, das einer breiteren Nutzung des OER im Wege steht, ist der Vorbehalt einiger Lehrenden, ihr Lehrmaterial zu teilen und von anderen entwickeltes Material zu verwenden. Daher ist es notwendig, die Ursachen für diese Vorbehalte zu verstehen. Dies kann mithelfen, hier Abhilfe zu schaffen. Die Forschungsgruppe für Lerntechnologien an der RWTH führt Forschungsarbeiten zur Nutzung von OER und zur Einführung einer Kultur des Teilens in der Hochschulbildung durch.

Ein weiteres häufiges Hindernis für die Schaffung und Nutzung von OER ist der Mangel an Wissen in Bezug auf geistige Eigentumsrechte. Obwohl OER unter öffentlichen Urheberrechtslizenzen veröffentlicht werden, können Unterschiede in den Lizenzoptionen zu Verwirrung und Inkompatibilität führen. Um den Einsatz von OER zu unterstützen, ist es notwendig, Schulung und Unterstützung in Lizenzfragen anzubieten, damit die einzelnen Lehrenden nicht überfordert werden. Eine Studie an einer südafrikanischen Fernuniversität identifizierte auch das mangelnde Wissen über offene Lizenzen als eines der Haupthindernisse für die Aufnahme von OERs durch das Lehrpersonal (de Hart et al., 2015). An der RWTH Aachen bietet das Center für Lehr- und Lernservices in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe Lerntechnologien Workshops zu OER, ihrer Rolle in der Hochschulbildung und verwandten Urheberrechtsfragen an.

Manchmal kann Material nicht als OER weitergegeben werden, da es selbst urheberrechtlich geschütztes Material ohne die ordnungsgemäße Genehmigung des Urheberrechtsinhabers enthält. Eine weitere Erkenntnis ist, dass es notwendig ist, Lehrende darin zu trainieren und sie dabei zu unterstützen, geeignete Alternativen zu urheberrechtlich geschütztem Material einschließlich Bildern und Illustrationen zu finden. An der RWTH bietet zum Beispiel das außerschulische Informatiklabor InfoSphere (Bergner et at., 2012) Hunderte von OER zum Herunterladen und zur Verwendung in Schulen an. Diese Materialien dienen als Beispiele und OER-Vorlagen innerhalb des Lehrerausbildungsprogramms der RWTH Aachen.

Die Erstellung von qualitativ hochwertigem videobasiertem Lehrmaterial hat die doppelte Herausforderung, Zeit und mediendidaktische Fähigkeiten zu erfordern. Daher ist es wichtig, Anreize und technische Unterstützung für ihre Produktion zu bieten. Im Fall der Fakultät für Bauingenieurwesen wurde die OER-Initiative durch eine zentrale Finanzierung der Universität ermöglicht, die für medientechnische Unterstützung und finanzielle Anreize für Institute, die Videos produzierten, verwendet wurde. Dabei bestätigt sich die Erfahrung, dass eine unterstützende Infrastruktur essentiell ist, um die Barrieren für Lehrende bei der Erstellung und Implementierung von OER und anderen innovativen Lerntechnologien abzubauen. An der RWTH leistet das Center für Lehr- und Lernservices diese wesentliche Unterstützung.

Es ist zudem wichtig die Auffindbarkeit der OER zu erhöhen und ihren Einsatz und ihre Effektivität zu evaluieren. Darüber hinaus ist es notwendig, relevante Kriterien zu definieren, die die Auswahl qualitativ hochwertiger OER leiten. Das geplante Online-Landesportal NRW wird als gemeinsames Repository dienen und stellt eine wichtige institutionenübergreifende Infrastruktur für NRW dar. Sobald es verfügbar ist, wird OER dort veröffentlicht werden. Es wird erwartet, dass dies ihre Zugänglichkeit für Lehrende und damit ihre Wirkung erhöht. Diese Wirkung sollte dann auch in entsprechenden Statistiken messbar werden. Auch dies könnte andere Lehrende dazu veranlassen, ihr eigenes Lehrmaterial zu veröffentlichen und gegebenenfalls verfügbare OER zu nutzen.

Es wird erwartet, dass die Anzahl und Qualität der an der Universität geschaffenen OER angesichts der Digitalisierungsstrategie für die Lehre der RWTH Aachen sowie einer Reihe verwandter Top-Down-Initiativen im Land Nordrhein-Westfalen, die die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Hochschulen fördern, zunehmen wird. Diese Initiativen zeigen, dass NRW das Potenzial von OER erkennt hat. Das Land möchte ein Umfeld schaffen und unterstützen, in dem OER gedeihen können. Um dieses Ziel sicher zu erreichen wäre es wichtig, eine OER-Strategie an der Universität zu verankern und OER Schulungen fest in das Lehrerausbildungsprogramm zu integrieren. Es bleibt zu hoffen, dass die OER-Initiativen nach dem Ende der Pandemie mit Sieben-Meilen-Stiefeln weiter voranschreiten werden.

Danksagung

Die Projektbeispiele wurden teilweise durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert (Reference numbers 01PL16068, 01PL16068 and 01JA1813).

4 Quellen

Ali, Lubna, Röpke, René, Bergner, Nadine (2018): OER-Sensibilisierung und Qualifizierung in der MINT-Lehrerbildung der RWTH Aachen, MINT-L-OER-amt. In: Projekte der BMBF-Förderung OERinfo 2017/2018. Sonderband zum Fachmagazin Synergie. Universität Hamburg, S. 156–163. [https://www.synergie.uni-hamburg.de/media/sonderbaende/sonderband-synergie-oerinfo-projekte-2017-18-mint-l-oer-amt.pdf]

Bergner, Nadine, Holz, Jan & Schroeder, Ulrik (2012): InfoSphere: an extracurricular learning environment for computer science. In: Proceedings of the 7th Workshop in Primary and Secondary Computing Education (WiPSCE '12). ACM, New York, S. 22-29. [https://doi.org/10.1145/2481449.2481457]

de Hart, Kerry Lynn, Chetty, Yuraisha & Archer, Elizabeth (2015): Uptake of OER by staff in distance education in South Africa. The International Review of Research in Open and Distributed Learning, 16(2). https://doi.org/10.19173/irrodl.v16i2.2047

Deimann, Markus, Neumann, Jan & Muuß-Merholz, Jöran (2015): Whitepaper Open Educational Resources (OER) an Hochschulen in Deutschland – Bestandsaufnahme und Potenziale 2015 Zugriff am: 21. September 2020. Verfügbar unter: https://open-educational-resources.de/materialien/oer-whitepaper/oer-whitepaper-hochschule/

Knight, Colette, Dondorf, Thomas, Eckers, Vera & Nacken, Heribert (2016): Exploratory Teaching Space: Stimulating Innovation in Teaching. In: The Online, Open and Flexible Higher Education Conference, S. 152-162. [http://hdl.handle.net/10400.21/7346]

Muuß-Merholz, Jöran (2015): UNESCO veröffentlicht neue Definition zur OER (Übersetzung auf Deutsch). OER.info. Zugriff am: 21. September 2020. Verfügbar unter: [https://open-educational-resources.de/unesco-definition-zu-oer-deutsch/]

Neumann, Jan, Orr, Dominic & Muuß-Merholz, Jöran (2018): Open Educational Resources in Germany State of development and some initial lessons learned. EmRede - Revista De Educação a Distância, 5(2), 259-270. Zugriff am 21. September 2020. Verfügbar unter: [https://www.aunirede.org.br/revista/index.php/emrede/article/view/335]

Staacks, Sebastian, Hütz, Simon, Heinke, Heidrun & Stampfer, Christoph (2018): Advanced tools for smartphone-based experiments: phyphox. Physics Education, 53(4). [https://doi.org/10.1088/1361-6552/aac05e]


AutorInnen

  • Colette Knight, knight@lfi.rwth-aachen.de
    RWTH Aachen, Lehr- und Forschungsgebiet Ingenieurhydrologie, Mies-van-der-Rohe-Str. 17, 52074 Aachen
  • Tamara Mansaray, mansaray@lfi.rwth-aachen.de
    RWTH Aachen, Lehr- und Forschungsgebiet Ingenieurhydrologie, Mies-van-der-Rohe-Str. 17, 52074 Aachen
  • Heribert Nacken, nacken@lfi.rwth-aachen.de
    RWTH Aachen, Lehr- und Forschungsgebiet Ingenieurhydrologie, Mies-van-der-Rohe-Str. 17, 52074 Aachen
  • Aloys Krieg, krieg@rektorat.rwth-aachen.de
    RWTH Aachen, Lehrstuhl A für Mathematik, Templergraben 55, 52056Aachen