Legionäre, Frauen, Militärfamilien. Untersuchungen zur Bevölkerungsstruktur und Bevölkerungsentwicklung in den Grenzprovinzen des Imperium Romanum

  • Oliver Stoll (Autor/in)

Abstract

Die mit der Besetzung und Garnisonierung der germanischen Provinzen sowie Raetiens verbundenen Truppenbewegungen waren Anlaß zu vielfältigen Entwicklungen. Der dienstlich bedingte oder auch sozial und wirtschaftlich motivierte Zuzug ortsfremder Personen, der Regimenter und Verwaltungsbeamten samt ihrem zivilen Anhang, also Familien, Verwandten und Sklaven, machte die Grenzzonen zu »Einwanderungssländern«. Die Truppen und ihr »paraziviles« Gefolge sind so Katalysatoren demographischer Wandelprozesse, Faktoren der Herausbildung einer spezifischen Bevölkerungsstruktur und einer demographischen Neuformierung der  Grenzprovinzen. Die neu aufgeworfene Frage nach der Herkunft der Legionäre in den Grenzprovinzen und die Betrachtung der epigraphischen Denkmäler bestätigt Ergebnisse bereits vorliegender Untersuchungen, zeigt aber anderseits, daß dort vertretene dogmatische Lösungen und allgemeingültige Schemata der Rekrutierung falsch sein dürften. Dies betrifft insbesondere den Beginn der Praxis lokaler Aushebung oder die Aushebungsmuster bei Anwesenheit von mehreren Regimentern in einer Provinz oder individuelle »Rücksichten« auf den Rekrutenbedarf benachbarter Militärprovinzen; individuelle Regimenter zeigen durchaus spezifische Muster der Aushebung. Von großer Bedeutung ist die Frage nach den Lebensgemeinschaften im Umfeld des Militärs, nach den Soldatenfamilien. Trotz eines »Eheverbotes« für aktive Soldaten seit Kaiser Augustus, das bis zu seiner Aufhebung durch Septimius Severus Bestand hatte, hat es seit Beginn der Kaiserzeit diese Soldatenfamilien und quasiehelichen Gemeinschaften in den Limeszonen gegeben. Zu einem guten Teil stammten die Frauen aus der lokalen Umgebung der Lager oder aus der Heimatprovinz der Soldaten oder aus ehemaligen Dienstprovinzen. Ein enger Zusammenhang besteht zwischen Rekrutierung, Binnenwanderung und Mobilität von Teilen der Zivilbevölkerung im Reich. Die epigraphischen Denkmäler der Militärfamilien spiegeln Status und Selbstverständnis der Inhaber und ermöglichen einen Blick auf allgemeine gesellschaftliche Wertvorstellungen und kollektive Normen. Sie machen deutlich, daß in den Grenzprovinzen eine komplexe und enge Beziehung zwischen Militär und Gesellschaft bestanden hat, ein Netzwerk der Bindungen und Abhängigkeiten. Militärfamilien bildeten ein Segment der Gesellschaft, das entscheidend zu Transformationsprozessen in den »Militärprovinzen« beigetragen hat.

Statistiken

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Veröffentlicht
2015-01-29
Sprache
de
Beitragende/r oder Sponsor
RGZM
Schlagworte
Römerzeit, Europa, Imperium Romanum, Inschriften, Grabdenkmäler, Schriftquellen