Informationspraxis mitgestalten?
Hier steht, wie's geht!
Editorial
DOI: https://doi.org/10.11588/ip.2017.1.39826
Gabriele FAHRENKROG, Felix LOHMEIER, Sebastian MEYER
Warum Openness in Kultur und Wissenschaft?
Openness is an overarching concept or philosophy that is characterized by an emphasis on transparency and free, unrestricted access to knowledge and information, as well as collaborative or cooperative management and decision-making rather than a central authority.“
https://en.wikipedia.org/wiki/Openness
Die nationale wie internationale Wissenschaftsförderung aus öffentlicher Hand bindet die Vergabe ihrer Mittel zunehmend selbstverständlich an die Einhaltung der Prinzipien der Open Science: nachvollziehbare Resultate durch die Offenlegung der Forschungsdaten, transparente Qualitätssicherung durch Open Peer Review sowie frei zugängliche Publikation im Sinne des Open Access. Die freie Veröffentlichung erhöht nicht nur nachweislich die Reichweite und fördert die weiterführende Forschung, sondern erscheint auch als moralische Pflicht der steuerfinanzierten Wissenschaft gegenüber der Kosten tragenden Allgemeinheit. Alternative Publikationsformen haben wiederum notwendigerweise Auswirkungen auf die Wissenschaftsevaluation: An die Stelle proprietärer Kennzahlen wie Journal Impact Factor oder dem h-Index, die Aussagen über die Qualität wissenschaftlicher Leistung aus der Quantität der Zitationen in Verlagspublikationen ableiten, treten nun zunehmend alternative Metriken, die auch Zitationen in anderen, auch nicht-wissenschaftichen Medien und weitere Relevanzfaktoren berücksichtigen.
Aber auch die Öffnung der Wissenschaft gegenüber dem interessierten Laien, die sogenannte Citizen Science, ist ein Ausdruck dieser Prinzipien. Sie gewährt Außenstehenden Einblicke in den Forschungsprozess oder lässt sie sogar unmittelbar daran teilhaben. Durch die weltweite Vernetzung kann mittels Crowdsourcing das kollektive Wissen tausender Menschen für die wissenschaftliche Arbeit erschlossen werden. In offenen Werkstätten wie Makerspaces oder FabLabs können Laien unter professionellen Bedingungen selbst kreativ werden und auf publikumswirksamen Veranstaltungen wie der „Langen Nacht der Wissenschaften“ selbst erforschen. So wird Wissenschaft der nicht-akademischen Allgemeinheit zugänglich.
Die egalitären Prinzipien der „Bürgerwissenschaften“ greift auch die Open Collaboration auf, deren wohl prominentestes Beispiel die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist. Dieser gemeinschaftlich gepflegte Wissensschatz ist nicht nur kostenlos und frei verfügbar, sondern
kann aufgrund offener Lizenzen vielfältig nachgenutzt werden. Ein Prinzip, das auch bei Open Educational Resources aufgegriffen wird, unter freier Lizenz veröffentlichte Lehr- und Lernmaterialien, die entsprechend der ausgewiesenen Nutzungsrechte verbreitet und nachgenutzt werden dürfen. Wesentliche Merkmale dieser offenen Communities sind die Selbstorganisation und intrinsische Motivation ihrer Mitglieder. Der Nutzen einer Beteiligung ergibt sich für jedes Mitglied aus der hohen Synergie der Mitwirkung einer großen Gemeinschaft: ein jeweils kleiner Beitrag vieler einzelner Menschen fügt sich zu einem großen Ganzen.
Das Konzept ist so alt wie die Menschheit, doch moderne Kommunikationstechnologien haben es revolutioniert: ohne nennenswerten Ressourcenaufwand können Communities in nahezu unbegrenzten Dimensionen - sowohl hinsichtlich Größe wie auch Reichweite - entstehen und orts- sowie zeitunabhängig zusammenwirken. Da verwundert es nicht, dass offenen Prinzipien verpflichtete Communities wie die „Freie-Software“-Bewegung bereits seit der Geburtsstunde des Internets vor mehr als 30 Jahren auch die Software-Entwicklung prägen. Open-Source-Software ermöglicht jedem Anwender Einsicht und Veränderung des Quellcodes und macht ihn somit als mündigen Teil einer größeren Anwender-Community unabhängig von spezifischen Systemanbietern. Die Implementierung von Open Standards führt zudem zu einem hohen Maß an Interoperabilität, die wiederum neue Synergien wie etwa Open Services ermöglicht. Darunter versteht man öffentliche (Web-)Dienste, die auf Basis von standardisierten Schnittstellen und Formaten spezifische Datenprozesse anbieten. Typische Beispiele sind etwa Ingest-, Abfrage und Rechercheschnittstellen von Archiven und Repositorien. Der Übergang zu Open Infrastructure, also der Bereitstellung ganzer Prozessketten inklusive der nötigen technischen Infrastruktur, ist fließend.
Transparenz und Offenheit sind in einer demokratischen Gesellschaft nicht zuletzt Forderungen, die sich an Politik und Wirtschaft selbst richten. Analog zu den Prinzipien einer offenen Wissenschaft verlangt Open Government die Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen, eine zugängliche und bürgernahe öffentliche Verwaltung sowie Möglichkeiten einer unmittelbaren Beteiligung an politischen Prozessen. Um jedoch aktiv an der Politik teilnehmen und informierte Entscheidungen treffen zu können, bedarf es einer entsprechenden Informationsversorgung der Öffentlichkeit. Über Open Data Portale versuchen inzwischen zahlreiche Behörden und Ämter, ihre Daten frei zur Verfügung zu stellen und damit maximale Transparenz zu schaffen.
Welche Chancen und Herausforderungen bietet Openness insbesondere für diejenigen, die Informationen erzeugen, verarbeiten, verbreiten, bewahren oder schützen? Wie stellen sich Wissenschafts- und Kultureinrichtungen, Verlage und Medien, die doch traditionell die Produzenten, Kuratoren und Distributoren von Wissen sind, dieser Aufgabe? In welchem
Verhältnis stehen dabei öffentliche und private Akteure? Und welche Bedeutung hat Openness im Bereich der technischen Informationsinfrastrukturen und Standards?
Sich in diesem Spannungsfeld zu positionieren und die eigene Rolle und Relevanz zu prägen, ist einerseits eine enorme Herausforderung und verlangt tiefgreifende Veränderungen der Geschäfts- und Servicemodelle, bietet andererseits aber auch eine einmalige Chance zur aktiven Mitgestaltung des Wandels in Gesellschaft und Wissenschaft.
Der Themenschwerpunkt „Openness” beleuchtet verschiedene Aspekte insbesondere aus dem Blickwinkel der Bibliotheken. Die Autorinnen und Autoren berichten aus der Praxis und setzen sich in ihren Beiträgen kritisch mit dem Thema auseinander.
Mit der Replik auf einen Diskussionsbeitrag im Blog „Geschichte der Gegenwart“, der Open Access als Geschäftsmodell eines akademischen Kapitalismus problematisiert, plädieren Daniel Hürlimann und Alexander Grossmann dafür, negative Begleiterscheinungen nicht zu überhöhen und des eingeschlagenen Weg der Open-Access-Transformation fortzusetzen. Dass auch große kommerzielle Verlage Open Access als Geschäftsmodell für sich entdeckt haben, kann so Hürlimann und Grossmann, nicht als Argument gegen Open Access verwendet werden. Die Frage Open Access als Utopie? Beantworten die Autoren mit einem klaren „Nein“ und legen dar, dass Open Access und eine kommerzielle Verwertung dieser Veröffentlichungen sich nicht ausschließen.
Ist das freie Bibliothekssystem Koha eine Alternative zu anderen gängigen Systemen, die vielfach in Bibliotheken eingesetzt werden?, fragt Márton Villányi von er IST Austria in seinem Kurzbericht Ein freies Bibliothekssystem für wissenschaftliche Bibliotheken – Werkstattbericht der IST Austria Library. Das Fazit zur Implementierung des Open Source-Produktes Koha lautet, dass trotz einiger Herausforderungen die Flexibilität des Systems maßgeschneiderte Lösungen für unterschiedliche Institutionen erlaubt. Villányi beschreibt den Weg der Implementierung von der Auswahl bis zur fertigen Installation von Koha und zieht für die IST Austria Library ein positives Fazit.
In ihrem Praxisbericht zu Openness in den Künsten der HGK FHNW Basel legen Tabea Lurk und Jürgen Enge dar, wie durch gezielte Integration von Open Access-Publikationen und offenen kulturellen Inhalten der Horizont von Bibliothekskatalogen erweitert werden kann. Sie plädieren für eine Unabhängigkeit gegenüber den Preis-, Zugangs- und Wissenspolitiken der Informationsdienstleister, um gerade im Bereich der Künste eine Rezeption von Information jenseits der standardisierten Filter zu ermöglichen.
Seit 2011 verfolgt die britische Regierung eine umstrittene Open Access-Strategie, die zentral gesteuerte Anreize für den Goldenen Weg setzt. Christian Koller kritisiert in seinem Beitrag Openness oder „nordkoreanische Verhältnisse?“ - Top-down implementierter Open Access im britischen Hochschulsystem die hohen Kosten und den erheblichen bürokratischen Aufwand. Er problematisiert die beträchtlichen Auswirkungen auf das britische Hochschulsystem und mögliche Einschränkungen der akademischen Freiheit.
Marco Humbel beschäftigt sich mit dem Thema Open Data an Wissenschaftlichen Bibliotheken in der Schweiz. In seinem Beitrag stellt er die Ergebnisse seiner im Rahmen einer im Studiengang Informationswissenschaft an der HTW Chur verfassten Bachelor-Thesis durchgeführten Untersuchung vor und leitet daraus konkrete Handlungsempfehlungen für Bibliotheken ab.
Durch die Betrachtung von Openness aus unterschiedlichen Blickwinkeln und in verschiedenen Kontexten wird mit der vorliegenden Ausgabe von Informationspraxis ein erster Einblick in das Thema geboten. Weitere Einreichungen zu allen Facetten von Offenheit in Bibliotheken, Archiven und Museen sind jederzeit willkommen!
Literatur
Grossmann, Alexander; Hürlimann, Daniel: Open Access als Utopie? In: Informationspraxis 3 (1). DOI: https://dx.doi.org/10.11588/ip.2017.1.33687.
Humbel, Marco: Open Data an Wissenschaftlichen Bibliotheken der Schweiz. In: Informationspraxis 3 (1). DOI: https://dx.doi.org/10.11588/ip.2017.1.34621.
Koller, Christian: Openness oder „nordkoreanische Verhältnisse&ldquo? Top-down implementierter Open Access im britischen Hochschulsystem. In: Informationspraxis 3 (1). DOI: https://dx.doi.org/10.11588/ip.2017.1.34568.
Lurk, Tabea; Enge, Jürgen: Openness in den Künsten - Ein Praxisbericht der Mediathek HGK FHNW Basel. Informationspraxis 3 (1). DOI: https://dx.doi.org/10.11588/ip.2017.1.35058.
Villányi, Márton: Ein freies Bibliothekssystem für wissenschaftliche Bibliotheken - Werkstattbericht der IST Austria Library. In: Informationspraxis 3 (1). DOI: https://dx.doi.org/10.11588/ip.2017.1.35227.