Inklusion in Gedächtniseinrichtungen in der Schweiz: Ein Seminarbericht

DOI: https://doi.org/10.11588/ip.2018.1.52494

Karsten SCHULDT, Azra BEKIRI, Jin CHEI, Meltem DINCER, Sigrid FREUDL, Johannes HAFNER, Sinan MERAL, Ronnie VOGT, Vrushali WYSSMANN, Sabrina ZAUGG

Inklusion in Gedächtniseinrichtungen in der Schweiz: Ein Seminarbericht

Zusammenfassung

In der Schweiz und Liechtenstein wird in den letzten Jahren sichtbar versucht, Menschen mit verschiedenen Behinderungen zu inkludieren. In einem Seminar im Studium der HTW Chur wurde untersucht, wie Gedächtniseinrichtungen in diesen Ländern dies angehen. Die Ergebnisse zeigen (a) ein breites Interesse am Thema, das aber kaum in der Literatur auftaucht, (b) Interesse vor allem an konkreten Hinweisen, wie Inklusion umzusetzen ist und (c) viele Einrichtungen, die sich auf dem Weg hin zu Inklusion befinden. Als Ergebnis des Seminars wird am Ende dieses Textes ein Fact-Sheet für Gedächtniseinrichtungen, die sich mit dem Thema befassen wollen, dargestellt.

Schlüsselwörter

Inklusion, Behinderung, Gedächtniseinrichtungen, assistive Technologien

Inclusion in Memory Institutions in Switzerland: A seminar report

In Switzerland and Liechtenstein, there have been in recent years visible attempts to include people with various disabilities. A seminar at the HTW Chur examined how memory institutions in these countries address this issue. The results show (a) a broad interest in the topic, which, however, hardly appears in the literature, (b) interest above all in concrete indications of how inclusion is to be implemented, and (c) many institutions that are on the way to inclusion. As a result of the seminar, a fact sheet will be presented at the end of this text for memory institutions that want to deal with the topic.

Keywords

inclusion, disablilities, memory institutions, assistive technologies

Die Schweiz und Liechtenstein sind zwei Gesellschaften, in denen in den letzten Jahren erkennbar versucht wird, Menschen mit verschiedenen Behinderungen in immer grössere Bereiche der Gesellschaft zu integrieren. Dies wird nicht beständig thematisiert, taucht als Thema aber immer wieder an verschiedenen Stellen und zu verschiedenen Gelegenheiten auf. Gründe dafür gibt es wohl einige: Beide Gesellschaften altern, d.h. das Durchschnittsalter und der Anteil älterer Personen an der Gesellschaft steigt, und da mit dem Alter von Menschen auch die Wahrscheinlichkeit zunimmt, Behinderungen zu entwickeln, gibt es einen Handlungsdruck. Zudem scheinen sich beide Gesellschaften langfristig zu öffnen und verschiedene Lebensentwürfe zu akzeptieren – darunter auch das Leben mit verschiedenen Behinderungen in der Mitte der Gesellschaft. Die Schweiz ist der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-Behindertenrechtskonvention 2006) beigetreten und muss diese damit auch umsetzen; Liechtenstein nicht (allerdings mit dem Argument, dass der Staat die Verantwortung für Behinderte in Liechtenstein schon wahrnimmt und die Umsetzung der Konvention dagegen vor allem Kosten verursachen würden, ohne etwas zu ändern).

Gleichzeitig wird das Thema Inklusion in der Fachliteratur von Gedächtniseinrichtungen (Bibliotheken, Archiven, Museen) kaum besprochen. Wenn, dann geschieht das mit einem klaren Fokus darauf, wie die jeweiligen Einrichtungen inklusiver werden können (sowohl für NutzerInnen beziehungsweise BesucherInnen als auch – allerdings seltener thematisiert – für das Personal).1 Es scheint in der Fachliteratur keine Ablehnung zu geben, aber andere Themen werden weit öfter behandelt.2 Selbstverständlich gibt es in anderen Feldern – beispielsweise der Heilpädagogik, den Bildungswissenschaften oder der sozialen Arbeit – weitere Forschungen und Berichte, die auch für Bibliotheken sinnvoll zu nutzen wären. Diese scheinen aber in der bibliothekarischen Fachliteratur nicht berücksichtigt zu werden.3

Diese Situation war die Basis eines Seminars – als Teil des Studiums an der HTW Chur –, über das der folgende Text berichtet. Zuerst wird die Lehrveranstaltung beschrieben (1), anschliessend die Ergebnisse zusammengefasst (2) und anschliessend von den am Seminar beteiligten Studierenden die Ergebnisse ihrer Teilprojekte vorgestellt (3). Nach dem Fazit (4) fasst ein kurzes Fact-Sheet auf der Basis der Ergebnisse des Seminars noch einmal für Gedächtniseinrichtungen zusammen, wie sie vorgehen sollten, um inklusiver zu werden (5).

1 Ziel und Aufbau des Seminars

Im Sommersemester 2018 ging ein Seminar an der HTW Chur das Thema Inklusion von Behinderten an.4 Dadurch, dass das Thema selten behandelt wird, ergab sich die Möglichkeit, explorativ vorzugehen. Den Studierenden wurden vom Dozent in der ersten Stunde einige Fakten und Fragen zur Inklusion berichtet, anschliessend suchten sie sich selber ein Thema und eine Forschungsfrage. Diese wurden gemeinsam im Unterricht diskutiert – sowohl auf das Thema hin als auch auf das geplante Forschungsprogramm – und dann von den Studierenden entweder einzeln. oder in Gruppen angegangen. Ziel dieser Übung war unter anderem, Forschungsmethoden und das Planen und Durchführen von Forschungsprojekten zu thematisieren und den Studierenden eine im Rahmen der Möglichkeiten grösstmögliche Form der Selbstbestimmung zu ermöglichen.

Die Projekte selber (siehe Kapitel 3) bezogen unterschiedliche Gedächtniseinrichtungen (also Museen, Archive und Bibliotheken) sowie Ämter ein, fragten nach dem Stand der Inklusion in diesen (sowohl vergleichend zwischen unterschiedlichen Einrichtungen als auch bezogen auf eine Form von Einrichtung; teilweise verteilt über die gesamte deutschsprachige Schweiz und einmal auf Liechtenstein, teilweise fokussiert auf die Stadt Chur) sowohl für NutzerInnen / BesucherInnen als auch als Arbeitsplatz. Teilweise fragte sie, wie die Einrichtungen genutzt werden könnten, teilweise, wie sie tatsächlich genutzt werden, teilweise auch danach, was die Einrichtungen planen. Eine Arbeit fragte danach, wie der gesetzlich festgeschriebene Anspruch auf gleichen Zugang zu öffentlichen Einrichtungen in Liechtenstein tatsächlich in den Ämtern des Landes umgesetzt ist.5 Genutzt wurden Interviews, Beobachtungen und Besuche, systematische Recherchen und Forschungsmethoden, die diese Hauptmethoden unterstützten.

Die Studierenden zeigten sich, auch im Vergleich zu anderen Lehrveranstaltungen an der HTW Chur, überdurchschnittlich engagiert. Sie nahmen ganz selbstverständlich Kontakt zu Betroffenen und Betroffeneneinrichtungen auf. Der in der Behindertenbewegung erhobene Anspruch „Nothing about us without us” wurde von ihnen offenbar als berechtigt anerkannt und, soweit möglich, versucht, umzusetzen. Während ihrer Projekte bemerkten die Studierenden, dass einige Beratungsstellen und Fachorganisationen eine wichtige Rolle bei der Vertretung der Interessen von Behinderten spielten. Dies führte dazu, dass in zwei Sitzungen Vertreterinnen und Betroffene eingeladen wurden. In einer Stunde berichtete Helen Zimmermann von der Fachstelle Studium und Behinderung an der Universität Zürich (und selber blind) sowohl von ihrer Arbeit als auch über das Leben mit Sehbeeinträchtigungen und Blindheit. In einer anderen Stunde wurde eigentlich eine kantonale Vertreterin der Fachorganisation Pro Infirmis, welche sich für Behinderte einsetzt, eingeladen, um über die Arbeit dieser Einrichtung, vor allem dem Label „Kultur inklusiv”, dass sie an Einrichtungen und Institutionen vergibt, zu berichten. Die Vertreterin warf dieses Konzept aber um und brachte drei weitere Personen mit, die bei Pro Infirmis arbeiten, zwei von ihnen von Behinderungen betroffen. Diese stellten gemeinsam die gesamte Arbeit der Stiftung im Kanton Graubünden vor und standen für Fragen bereit. Die Offenheit des Seminars ermöglichte solche überraschenden Veränderungen. 6

2 Ergebnisse

Im Vorfeld des Seminars wurde zum jetzigen Stand der Bemühungen um Inklusion in Bibliotheken und anderen Gedächtniseinrichtungen recherchiert sowie zum Stand der assistiven Technologien (Technologien, die Menschen mit Behinderung unterstützen, zum Beispiel Braille-Zeilen für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen oder Rollstühle). Der Eindruck dieser Recherche war, dass (a) das Thema selten behandelt wird, (b) assistive Technologien für viele Behinderungen existieren, diese aber oft sehr teuer sind (und eher von Krankenkassen, Stiftungen oder staatlichen Institutionen finanziert werden) und (c) dass gerade der Einsatz von assistiven Technologien in Gedächtniseinrichtungen praktisch nicht diskutiert wird. Das Seminar, in welchem die Studierenden, wie gesagt, über die Literatur hinausgingen, zeichnete ein anderes Bild.

  • Es gibt grundsätzlich in Gedächtniseinrichtungen, dem dortigen Personal und auch prinzipiell in der (schweizerischen und liechtensteinischen) Gesellschaft ein grosses Interesse daran, Menschen mit Behinderungen möglichst gut und vollständig den Zugang zu Dienstleistungen und Angeboten zu ermöglichen. Es gibt eine grosse Menge an Goodwill und den Wunsch, Menschen mit Behinderung zu unterstützen. Dabei geht es nicht um Caritas im dem Sinne, dass Menschen geholfen werden soll, sondern darüber hinausgehend scheint die Forderung von Menschen mit Behinderungen, als ebenso selbstständig behandelt werden zu wollen wie alle anderen Menschen auch, und die schon genannte Grundforderung „nothing about us without us”, als berechtigt akzeptiert. Dies scheint sich in den letzten Jahren zu einem verbreiteten Konsens entwickelt zu haben. In der Tendenz stimmten die Gastreferentinnen des Seminars dem auch zu.7

  • Diesem Goodwill stehen allerdings einige Hindernisse entgegen: Viele Einrichtungen sind sich nicht sicher, wie genau Sie den grundsätzlich geteilten Anspruch umsetzen können. Sie versuchen es im Rahmen ihrer Möglichkeiten, schrecken aber vor zu grossem Aufwand zurück. Beispielsweise suchen die Ämter in Liechtenstein (in Zusammenarbeit mit dem Behindertenverband des Landes) jeweils individuelle Lösungen, wenn Menschen mit Behinderung sie nutzen wollen, aber sie institutionalisieren dies nicht. In verschiedenen Bibliotheken, Archiven und Museen fanden die Studierenden Personal, dass sich hilfsbereit zeigte, aber wenig eindeutig geklärte Situationen, auf die sich zum Beispiel Menschen mit Behinderung verlassen könnten. Mehrere Einrichtungen betonten, dass sie sehr wohl Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung schaffen würden, aber entweder nicht genau wüssten, wie oder dass sie keine betreffenden Bewerbungen erhielten.8

  • Wie im Seminar auch klar wurde, gibt es eigentlich die notwendigen Informationen, von denen Einrichtungen den Eindruck haben, sie zu benötigen. Gerade Fachverbände wie Pro Infirmis oder der Liechtensteiner Behindertenverband bieten explizit Beratungen zu diesen Fragen an und wären direkt ansprechbar. Mehrfach kam im Seminar die Meinung auf, dass eine solche Beratung oder aber eine Analyse der Angebote einer Einrichtung unter dem Blickwinkel von Inklusion (also der Frage, wie sollen Menschen mit verschiedenen Behinderungen sie nutzen9) sinnvoll wäre, im Idealfall von Menschen mit Behinderungen unterstützt.

  • Viele Einrichtungen sind allerdings schon grosse Schritte gegangen, haben Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung besetzt, haben ihre Angebote so ausgerichtet, dass sie von Menschen mit Behinderung genutzt werden können. Es wurden zum Beispiel Umbauten vorgenommen oder es werden Ausstellungen regelmässig mit assistiven Technologien bestückt, welche diese zugänglicher machen. Kleinigkeiten können immer verbessert werden, aber grundsätzlich wird schon das Bestmögliche versucht. Dies wird aber fast nur sichtbar, indem man in den Einrichtungen vorbeigeht oder bei ihnen nachfragt. Die ganzen Überlegungen, Erfahrungen und das gesammelte Wissen wird nicht in die jeweilige Fachcommunity gegeben, sodass viele Gedächtniseinrichtungen die Anstrengungen wiederholen müssen. Das könnte geändert werden. Gleichzeitig heisst das auch, dass es für Menschen mit Behinderungen schwierig ist zu wissen, ob Einrichtungen und Angebote für sie zugänglich sind oder nicht. Eine klarere Informationspolitik würde dies erleichtern.

  • Während im Vorfeld festgestellt wurde, dass viele assistive Technologien relativ teuer sind und beispielsweise deshalb das Vorhalten von Braille-Zeilen in Bibliotheken sich als denkbar, aber schwer zu finanzieren darstellte, wurde im Laufe des Seminars klar, dass zu vielen assistiven Technologien preiswertere Alternativen bestehen, beispielsweise das handelsübliche Lupen für viele Menschen mit Sehbehinderungen sinnvoll sein können, und das die eigentliche Frage oft weniger ist, ob eine Einrichtung assistive Technologien vorhält, sondern ob sie so ausgestattet ist, dass solche Technologien überhaupt genutzt werden können (wieder zum Beispiel ob der Raum überhaupt mit einem Rollstuhl genutzt werden kann). Menschen mit Behinderungen besitzen diese Technologien zumeist schon selber. Ansonsten kann vor allem der Raum, inklusive Möblierung, so ausgestattet werden, dass er assistiv wirkt (zum Beispiel höhenverstellbare Tische, klare Beschriftungen, keine scharfen Kanten, „Wendeflächen”) oder aber das Personal pro-aktiv assistiv wirkt. Zudem sind viele moderne Technologien heute zugleich als assistive Technologien zu nutzen; insbesondere Tablets sowohl mit spezifischer als auch normaler Software. Diese Möglichkeiten müssen oft nur genutzt werden.

  • Eine erstaunliche Beobachtung war wohl, dass Blinde und Menschen mit Sehbehinderungen Bibliotheken eigentlich sehr wenig nutzen. Sie scheinen mit den Angeboten der Blindenbibliotheken (in der Schweiz und Deutschland) zufrieden zu sein. Obwohl im Kurs auch assistive Technologien für Menschen mit diesen Behinderungen (unter anderem das DAISY-Format für Hörbücher) thematisiert wurden und darüber nachgedacht wurde, wie Menschen mit dieser Beeinträchtigung Bibliotheken besser nutzen könnten,10 wurde klar, dass durch sie aktuell kaum ein Interesse an der Bibliotheksnutzung besteht. Dies ist für Wissenschaftliche Bibliotheken anders, aber Frau Zimmermann stellte auch klar, dass für Studierende mit Behinderungen die Bibliotheksnutzung nur eines der Probleme darstellt.

3 Berichte der Studierenden über ihre Forschungsprojekte

Im folgenden Abschnitt stellen die Studierenden in ihren eigenen Worten kurz die Ergebnisse ihrer jeweiligen Projekte vor.

3.1 Inklusion am Arbeitsplatz in Gedächtnisinstitutionen im Raum Chur

Meltem Dincer, Vrushali Wyssmann

Bei der Seminararbeit wurde die Inklusion am Arbeitsplatz in Gedächtnisinstitutionen im Raum Chur untersucht. Für die Untersuchung der Situation an Arbeitsplätzen wurde die Forschungsfrage „Wie können Arbeitsplätze und Tätigkeitsfelder ideal gestaltet werden, damit sie für Menschen mit Behinderung ansprechbar sind?“ formuliert. Damit die Forschungsfrage beantwortet werden kann, wurden Interviews mit Gedächtnisinstitutionen und Mitarbeitenden mit Beeinträchtigung geführt. Insgesamt konnten neun Gedächtnisinstitutionen, darunter ein Archiv, fünf Bibliotheken und drei Museen, befragt werden. Die Gespräche konnten grösstenteils persönlich geführt werden. Eine Herausforderung war es, mit Personen mit Beeinträchtigung in Kontakt zu treten, da das Kriterium, dass diese Personen im Raum Chur arbeiten müssen, erfüllt werden musste. Des Weiteren wurden auch Fachorganisationen berücksichtigt, da diese Erfahrung im Bereich Arbeitsplatzgestaltung und Vermittlung der Stellen haben.

Im Raum Chur sind von insgesamt 132 angestellten Personen in Gedächtnisinstitutionen zehn Menschen mit einer Beeinträchtigung. Das sind etwas mehr als 7.5 % bezogen auf die Gesamtbeschäftigung. Weshalb der Beschäftigungsgrad von Personen mit einer Beeinträchtigung in Gedächtnisinstitutionen nicht höher als siebeneinhalb Prozent ist und wie dies verbessert werden könnte, wurde aus der Auswertung der Interviews ersichtlich.

Gründe welche genannt wurden, waren unter anderem, dass sich betroffene Personen nicht auf die Stelle beworben haben, oder die Institution nicht barrierefrei zugänglich ist. Teilweise verfügen die Institutionen aber auch über zu wenig Ressourcen. Betroffene Personen werden oft nicht durch ein Inserat auf die Institutionen aufmerksam, sondern über Bekannte, Gesundheitsinstitutionen, die Invalidenversicherung oder private Stiftungen.

Die Thematisierung von Inklusion am Arbeitsplatz ist bei allen befragten Institutionen aktuell und alle sind bemüht, ihren Beitrag zur Inklusion am Arbeitsplatz zu leisten. Offenheit ist ein massgebender Punkt; denn dadurch können sich sowohl Arbeitgeber, wie auch Arbeitnehmer besser aufeinander einlassen.

Um einen Arbeitsplatz für Personen mit Beeinträchtigung ideal gestalten zu können, werden flexible Arbeitszeiten gerne angenommen. Ebenso sind sämtliche barrierefreie Zugänge von hoher Bedeutung. Je nach Bedürfnis der betroffenen Person, werden ruhige Arbeitsplätze geschätzt. Bei der Arbeitsplatzgestaltung spielt das Tätigkeitsfeld eine bedeutende Rolle. Aus Gesprächen mit Institutionen ging hervor, dass gerade Personen mit psychischer Beeinträchtigung bevorzugt Routinearbeiten ausführen. Bei allen befragten Personen mit Beeinträchtigung wurde zudem geäussert, dass sie das Arbeiten im Hintergrund präferieren.

Zur Arbeitsplatzgestaltung soll auch das ganze Umfeld, also alle anderen Mitarbeitenden, berücksichtigt werden. Ein Arbeitsplatz ist in erster Linie ein strukturierter Ort, an welchem Arbeit geleistet wird. Der soziale Kontakt am Arbeitsplatz ist dennoch keinesfalls zu vernachlässigen.

Der Begriff Inklusion steht nicht nur im Zusammenhang mit Behinderung, sondern Inklusion bedeutet ganz allgemein die vollkommene Teilhabe des Einzelnen am Ganzen. Abschliessend kann gesagt werden, dass mit Offenheit, gegenseitigem Respekt und Akzeptanz aller Beteiligten, Inklusion am Arbeitsplatz möglich ist.

3.2 Erfahrungsbericht

Sinan Meral

In diesem Bericht möchte ich meine Erfahrungen in Bezug auf die Arbeit «Enthinderung und Inklusion in Gedächtniseinrichtungen» kundtun. Ich ging dabei der Frage nach, ob und wie man Sehbehinderte in die bibliothekarische Arbeit miteinbeziehen kann.

Für die Beantwortung der Fragestellung kontaktierte ich vier grosse Schweizer Bibliotheken, von denen drei den zugesandten Fragebogen ausgefüllt haben. Lediglich von einer Institution erhielt ich keine Rückmeldung auf meine Anfrage. Die Schweizerische Bibliothek für Sehbehinderte war die einzige, die auch tatsächlich Menschen mit einer Sehbehinderung bzw. ganz blinde Menschen eingestellt hatten. Da es sich spezifisch um eine Bibliothek für Sehbehinderte handelt, hielt die Bibliothek es für sinnvoll auch Leute mit einer gravierenden Sehbehinderung einzustellen, da sich diese besser in die Lage der Kunden versetzen könnten. Die Angestellten würden daher vor allem für die Kundenberatung eingesetzt.

Die anderen Bibliotheken beschäftigten keine Menschen mit einer Sehbehinderung. Teilweise hatte das damit zu tun, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt einfach keine Bewerbung einer solchen Person erhalten haben. Andere hingegen meinten, dass es für die Erledigung der Aufgaben notwendig wäre, sehen zu können. Es stellt sich weiterführend die Frage, ob die Bibliotheken ihre Einrichtung so umstrukturieren sollten, dass auch sehbehinderten Menschen die Möglichkeit geboten werden kann, in Bibliotheken tätig zu sein.

3.3 Nutzung von Bibliotheken durch hochgradig sehbehinderte und blinde Menschen

Sigrid Freudl

Im Rahmen des Seminars unter dem gemeinsamen Oberbegriff Inklusion beschäftigte sich mein Part mit der Nutzung von Bibliotheken durch sehbehinderte und blinde Menschen. Die sieben Interviewpartner wurden über private Kontakte in Deutschland und der Schweiz gefunden.

Alle Befragten nutzen Bibliotheken, die meisten von ihnen Angebote der Blindenbibliotheken. Die Interviewten verwenden eigene, unterschiedliche assistive Technologien und sind darum nicht auf die Nutzung der teilweise in Bibliotheken vorhandenen Geräte angewiesen.

Aus den Äusserungen der sieben befragten Personen stellen sich die folgenden Punkte als besonders wichtig für die Nutzung von Bibliotheken durch blinde und hochgradig sehbehinderte Personen dar:

  • die gute Zugänglichkeit über die Bibliothekswebseite

  • die gute Erreichbarkeit mit öffentlichem Verkehr

  • Barrierefreiheit, Orientierungsmöglichkeiten und gute Kontrast- und Lichtverhältnisse im Gebäude

  • die Unterstützung durch kompetentes und hilfsbereites Bibliothekspersonal

  • ein auf Wünsche und Anforderungen von hochgradig sehbehinderten und blinden Menschen zugeschnittenes und einfach (per Download) von zu Hause aus nutzbares Medienangebot (ungekürzte Daisy-Hörbücher, Hörfilme)

Öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken könnten ihr Angebot für blinde und sehbehinderte Personen erweitern und zugänglicher machen und sich dazu im Austausch mit Vertretern von Verbänden und Blindenbibliotheken Anregungen holen. Sie könnten einerseits spezielle Veranstaltungen für sehbehinderte Menschen (wie z.B. Führungen) anbieten, andererseits ihr Augenmerk darauf richten, wie sie möglichst viele ihrer Angebote und Veranstaltungen barrierefrei zugänglich machen können. Erfreulich wäre es ausserdem, wenn öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken die Aufmerksamkeit der Menschen mit Sehbehinderung stärker auf ihre Angebote lenken könnten.

3.4 Einsatz von Assistiven Technologien in Bibliotheken und Museen

Jin Chei, Johannes Hafner

Unsere Zweiergruppe war am Unterschied zwischen Bibliotheken und Museen interessiert und wollte herausfinden, ob in der Anwendung von Assistiven Technologien (AT) Unterschiede zwischen den beiden Arten von Gedächtnisinstitutionen bestehen, und wenn ja, aus welchen Gründen. Zu diesem Zweck besuchten wir je drei grosse Bibliotheken und Museen in der Deutschschweiz. Dort beobachteten wir, was für AT vorhanden waren und wie diese nutzbar wären, dabei wurden auch bauliche Massnahmen miteinbezogen. Wenn möglich, suchten wir zusätzlich das Gespräch mit MitarbeiterInnen.

Fazit unserer Untersuchung war, dass zu diesem Zeitpunkt allgemein nicht sehr viele AT in Gebrauch waren. Zugänglichkeit ist hingegen überall gewährleistet, obwohl manchmal aufgrund des Denkmalschutzes Einschränkungen getroffen werden müssen.

Zwar sind Ausstellungen in Museen oft digitale Elemente wie Touchscreens oder Tablets vorhanden, jedoch besitzen diese Zusätze aber dennoch keine wirklich assistive Funktion. So sind etwa Bildschirme vorhanden, auf welchen sich aber die Schriftgrösse nicht verändern lässt. Hingegen bieten Museen weitere Angebote wie Audioguides oder sogar einen Kommentar in Gebärdensprache in Videoform auf einem Tablet.

Bibliotheken bieten den BesucherInnen bei der Katalogsuche und der Ausleihe die Möglichkeit, die Höhe der dafür benötigten Geräte anzupassen und die Schriftgrösse bei Bedarf einzustellen. Ansonsten sind die vorhandenen AT eher low-tech, wie etwa Lesebrillen oder ein Sortiment in leichter Sprache. Auffällig war, dass alle besuchten Bibliotheken auch das Personal als AT nannten. Im Gespräch zeigte sich, dass die technische Unterstützung zwar gewünscht ist, viele Besucher jedoch gerne auf den zwischenmenschlichen Dialog zurückgreifen. Dies ist den Bibliotheken bewusst und es wird deshalb auch darauf geachtet, dass immer genügend Ansprechpersonen vorhanden sind.

Allgemein werden kaum teurere high-tech AT verwendet, was sich durch den hohen finanziellen Aufwand bezogen auf die knappen Budgets und den kleineren tatsächlichen Nutzen erklären lässt.

Es kann durchaus festgestellt werden, dass in der Anwendung und Nutzung von AT Unterschiede zwischen Bibliotheken und Museen bestehen. Unsere Gruppe stellte als Begründung die These auf, dass Bibliotheken eher lokal verankert sind, und daher ihre Kunden auch besser kennenlernen – was durch so einfache Mittel wie etwa eine Pinwand geschehen kann – und eher auf ihre spezifischen Bedürfnisse eingehen können. Museen hingegen sind eher gesamtschweizerische Attraktionen und müssen daher ihre Ausstellungen auf ein breites Publikum ausrichten.

Wir können das Fazit ziehen, dass eine inklusorische Grundhaltung bereits einen stärkeren positiven Einfluss hat als das reine Platzieren einer komplizierten assistiven Technologie. Wenn eine Institution sich einige Grundfragen stellt, etwa was sie für Nutzer hat und wie sie diesen ihr Angebot am besten näherbringen kann und auch mit ihnen in Dialog tritt, so ist das bereits ein guter Schritt auf dem Weg zur Inklusion, denn Inklusion ist nicht nur von AT abhängig, sondern vor allem vom Willen dazu.

So kann auch keine allgemeingültige Empfehlung abgegeben werden, wie man am besten mit AT zur Inklusion beitragen soll, aber allein das Aufwerfen der Frage und das darüber-Nachdenken ist ein Start.

3.5 Entwicklung der assistiven Technologien und Vorgehensweisen in der Schweizer Museums- und Archivlandschaft

Azra Bekiri, Sabrina Zaugg

In der Arbeit, die im Rahmen des Seminars entstand, wurden die Fortschritte in Schweizer Museen und Archiven bezüglich assistiven Technologien untersucht. Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurden Beobachtungen vor Ort und Interviews mit Mitarbeitenden geführt. Insgesamt wurden 4 Museen und 3 Archive für die Untersuchung ausgewählt. Ein zusätzliches Kriterium war dabei, dass diese Archive und Museen schon auf ihrer Website auf Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen hinweisen. Die Gespräche fanden telefonisch, per Mail oder persönlich statt.

Eine Herausforderung war es, die Archive und Museen mit assistive Technologien vertraut zu machen, da für die meisten dieser Begriff nicht bekannt war. In den besuchten Institutionen werden vor allem Vorgehensweisen und Dienstleistungen ersichtlich, weniger assistive Technologien. Spezifizierte Führungen sind meist die ersten Dienstleistungen, die entgegengebracht werden. Vereinzelt findet man Audioguides in leichter Sprache, Hefte oder Broschüren in Brailleschrift oder Induktionsschlaufen für Hörgeräte vor.

Bei den Archiven ist Inklusion und assistive Technologien kein grosses Thema. Für Gehbehinderte oder Rollstuhlfahrer ist der Zugang zu einem Archiv grösstenteils barrierefrei möglich. Jedoch ist oft mit einer schweren Tür als Hindernis zu rechnen. Für sehbehinderte Menschen oder Blinde ist ein Besuch ins Archiv ohne Begleitperson unmöglich. Grund dafür, welcher genannt wurde ist, dass es nicht danach aussieht, dass sich das durch Dienstleistungen oder Technologien in der nächsten Zeit ändern liesse.

Innerhalb der schweizerischen Museumslandschaft lassen sich unterschiedliche Bedingungen feststellen. Währenddessen die einen möglichst barrierefrei auftreten, ist bei anderen das Thema überhaupt nicht verbreitet. Die verschiedenen Museen auf denselben innovativen Stand zu bringen und sich somit barrierefreie Museen als Vorbild zu nehmen, wäre eine anstrebenswerte Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderungen.

Die Organisation >>sichtbar GEHÖRLOS ZÜRICH<< ist eine gemeinnützige Organisation, die seit mehreren Jahren mit Museen zusammenarbeitet. Sie gelten als eine der Anlaufstellen für Gehörlose Menschen im Raum Zürich, wie auch für die Institutionen, die eine Kooperation wünschen. Ihre Aufgabe ist es die inklusiven Angebote, die von den verschiedenen Kultur-und Museumsinstitutionen angeboten werden zu koordinieren. Dafür benötigt die Non-Profit-Organisation verstärkt finanzielle Unterstützung.

3.6 Die Barrierefreiheit und der Staat: Erlebnisbericht zur Inklusion anhand einer Arbeit zur Barrierefreiheit im Verwaltungsapparat

Ronnie Vogt

Transparenz ist ein gelegentlich ausser Acht gelassener Grundpfeiler des demokratisch-sozialen Zusammenlebens. Einsicht und Zugang sind dementsprechend die Werkzeuge, die diese zu schaffen vermag. Die Gesetze bilden eine verpflichtende Grundlage für die Benutzbarkeit dieser Werkzeuge. Denn der Staat ist nichts weiter als die verlängerte Hand einer kollektiven Gesellschaft.Ein Kollektiv, welches alle miteinbezieht. Die Barrierefreiheit ist ein Sammelbegriff für dieses Miteinbeziehen.

Erkenntnisse aus der Arbeit

Ein Hauptproblem das sich bei der Beschäftigung mit Herangehensweisen in Verwaltungsbereichen ergeben hat, ist das durch die immense Gliederung die Prozessschritte sehr langwierig und aufwändig sein können. Die einzelnen Amtsstellen, Ämter oder Stabstellen, die eine Verwaltung aufweist, haben sehr unterschiedliche Kompetenzen und Fachbereiche. Nichtsdestotrotz unterstehen sie den gleichen gesetzlichen Verhaltensvorgaben und Pflichten.

Es liegt deshalb an den einzelnen Ämtern, solche Gesetze und Vorgaben gewissermassen in ihre eigenen Prozessabläufe einzugliedern, was mitunter sehr komplex sein kann. Es zeigte sich deshalb bei der Forschungsarbeit, bei der die verschiedenen Amtsstellen systematisch einzeln befragt wurden, dass bei der Thematik um die Barrierefreiheit und die Inklusion eine gewisse Scheu hervorgerufen wird. Dies hat aber weniger mit dem Unwillen der Ämter oder Staatsangestellten zu tun, barrierefrei zu sein, sondern mehr eine gewisse Passivität gegenüber gesetzlichen Vorschriften, die im allgemeinen Kontext so formuliert sind, dass sie sehr weitreichende Auflagen aufstellen, diese aber zu wenig genau für die Praxis formulieren, sodass beispielsweise beim Umgang von blinden Personen eventuell höchst aufwändige Prozessanpassungen vorgenommen werden müssten, solche Aufgaben durch die Ämter oder den Staat im praktischen Alltag jedoch weitaus weniger umständlicher gelöst werden.

Es ist deshalb ratsam bei Umfragen zur Barrierefreiheit diese nicht direkt in den Vordergrund zu stellen, sondern lediglich den Erfüllungszweck, den es zur Einhaltung der Gleichberechtigung aller Bürger braucht, zu analysieren und zu bewerten. Schlussendlich gäbe es ein falsches Bild in beide Richtungen, wenn ein Amt oder eine Verwaltung zwar gesetzliche Vorlagen einhält, diese aber in der Praxis nicht wirklich zur Barrierefreiheit verhelfen oder sie als nicht barrierefrei eingestuft werden, weil der Umgang auf den ersten Blick nicht den Vorgaben entspricht. Es gilt immer dem Zweck der Sache nachzugehen. Die Lösung eines Problems ist die oftmals wie die Stadt Rom, sprichwörtlich ja bekanntlich auf vielen Wegen erreichbar.

4 Fazit

Die Ergebnisse des hier vorgestellten Seminars zeigen, dass beim Thema Inklusion (hier von Behinderten) in Gedächtniseinrichtungen an sich viel Goodwill vorhanden ist, es auch schon viele Versuche gibt, diesen Goodwill umzusetzen, dass aber doch auch einige Schwächen zu benennen sind. Vor allem werden die bestehenden Beratungsangebote durch Betroffenenverbände und -stiftungen selten genutzt und das in einzelnen Einrichtungen erarbeitete Wissen wird nicht gross in der jeweiligen Fachcommunity geteilt, obwohl alle (die eigene Institution aufgrund von Rückmeldungen, andere Institutionen, Betroffene und die gesamte Gesellschaft) davon profitieren könnten. In einigen Einrichtungen schien die Befürchtung zu bestehen, dass, wenn man das jetzt schon existierende Angebot zu sehr nach aussen hin sichtbar machen würde, weitere Ansprüche angemeldet werden würden. (Dies absurderweise auch, wenn die Institution jeweils daran arbeitet, das von Pro Infirmis vergebene Label „Kultur inklusiv” zu erlangen.) Das ist ganz offensichtlich eine unglückliche Situation, die zu verändern aber nicht so schwer zu sein scheint.

Dieser Goodwill kann auch für die Studierenden des Seminars selber konstatiert werden. Sie durften zwar innerhalb des Seminars selber Projekte wählen und mitbestimmen, aber nicht das Grundthema des Seminars.11 Trotzdem war offenbar für alle das Thema sinnvoll. Es gab ein erkennbar überdurchschnittliches Engagement in den Projekten. Auffällig war auch, dass die Studierenden selber einen grösseren Anspruch an sich selber und die Institutionen stellten, als die Betroffenen, die dann als Gastreferentinnen im Seminar auftraten. So gab es – auf der Basis einer Diskussion in der Literatur – mehrfach ernsthafte Diskussionen darum, wie Menschen mit Behinderungen bezeichnet werden sollten, ohne diese weniger zu werten als andere Menschen und ohne sie zu beleidigen: Behinderte, Menschen mit Behinderung, Menschen mit Beeinträchtigungen, Menschen mit anderen Befähigungen oder noch anders? Die Menschen mit Behinderungen machten uns klar, dass es für sie (persönlich) vollkommen richtig ist, sie als Behinderte zu bezeichnen, solange dies mit Respekt einhergeht. Sie betonten auch, dass sie grundsätzlich sehr zufrieden mit den Entwicklungen der letzten Jahre sind, sich heute mehr ernst genommen fühlen und auch mehr eigene Anstrengungen einzubringen bereit sind, also nicht wollen, dass ihnen alles abgenommen wird.

Die Studierenden hingegen brachten mehr Kritik – immer mit Verständnis für die jeweiligen Umstände von Institutionen, zum Beispiel wegen historischer Bauten, die schwer umzubauen sind – an den untersuchten Einrichtungen vor, als Menschen mit Behinderungen selber.12

5 Fact-Sheet für Bibliotheken und andere Gedächtniseinrichtungen

  1. Man sollte von dem Grundsatz ausgehen, dass der Zugang zu allen Dienstleistungen und Angeboten von Gedächtniseinrichtungen allen Menschen ermöglicht werden muss. Dies schliesst Hilfeleistungen ein, unter anderem für Menschen mit Behinderung. Man sollte bedenken, das solche Lösungen zumeist mehr Menschen als nur denen mit Behinderung zukommen. Als Sinnbild kann die Rampe gelten, die für RollstuhlfahrerInnen gebaut wird, dann aber auch von Eltern mit Kinderwagen oder älteren Menschen benutzt wird.

  2. Der Grossteil assistiver Technologien, die sich für den Einsatz in Gedächtniseinrichtungen eignen, sind erschwinglich und zumeist auch schon vorhanden. Gerade in Bibliotheken und Archiven ist hilfsbereites Personal auch oft die beste assistive Technologie.

  3. Es lohnt sich immer, Angebote aus dem Blickwinkel von Menschen mit Behinderungen anzuschauen: Wie können sie diese nutzen? Wie kann man dies ermöglichen? Im Gegensatz zu den Befürchtungen ist dies zumeist nicht mit hohen Kosten oder hohem Aufwand verbunden. Teilweise müssen zum Beispiel nur bestimmte Funktionen schon vorhandener Technologie genutzt werden (zum Beispiel Bildschirmlupen aktiviert oder die Zeit, nachdem eine automatische Tür schliesst, verlängert werden). Im Idealfall kann dies mit Menschen mit Behinderungen geschehen, Behindertenverbände und -stiftungen stehen für Beratungen bereit. Dies sollte genutzt werden.

  4. Viele Einrichtungen unternehmen schon viel. Das Wissen darüber sollte unbedingt zwischen den Institutionen (in der Fachpresse, auf Fachtagungen) geteilt werden, gerade darüber, was funktioniert und was nicht funktioniert. Gleichzeitig sollte es auch nach aussen klar dargestellt werden, so das Menschen mit Behinderungen es wahrnehmen können.

  5. Gedächtniseinrichtungen sollten sich an folgenden Fragen orientieren, wenn Sie darauf abzielen, inklusiver zu werden:

    1. Wen möchten sie wirklich inkludieren? Haben sie mit diesen Personen auch schon selbst gesprochen? Betroffene wollen, dass man ihnen zuhört / sie einbezieht.

    2. Wie reagiert die Institution, wenn jemand im Bewerbungsgespräch eine Behinderung erwähnt? Gibt es eine Offenheit oder nicht?

    3. Welche Angebote macht die Institution speziell für Personen mit Behinderung? Bei welchen Angeboten sind Behinderte ausgeschlossen? Bietet unsere Institution Veranstaltungen für die besonderen Anforderungen von Menschen mit Behinderungen an? Erreichen wir mit unseren Angeboten die Menschen mit Behinderungen oder können wir noch gezielter dafür werben?

    4. Kann unsere Institution Personal und finanzielle Ressourcen dafür einsetzen?

    5. Gäbe es irgendwas, wo man nur eine kleine Änderung machen müsste? (Beispiel: Untertitel beim Video, aber nicht auf Deutsch)

    6. Denken wir eher über Dienstleistungen nach (besser) oder über Technologien (oft weniger hilfreich)?

    7. "Wie würden wir das machen?", nicht "Warum machen wir das nicht?"

    8. Ist Inklusion immer der bessere Weg als Integration? (Zum Unterschied siehe u.a. Kowalsky & Woodruff, 2017)

    9. Entspricht die Webseite unserer Institution den Richtlinien für barrierefreie Webinhalte Web Content Accessibility Guidelines 2.0/

    10. Kann unsere Institution für hochgradig sehbehinderte und blinde Menschen ein attraktives Medienangebot machen (z.B. ungekürzte Daisy-Hörbücher, Hörfilme)?

    11. Ist unsere Einrichtung für Menschen mit Behinderung gut erreichbar und ist es im Gebäude für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen möglich, sich zu orientieren und das Angebot selbständig zu nutzen?

6 Literatur

Bühler, Vreni (2014a). „Die inklusive Bibliothek – Teilhabe an Bibliotheken durch Menschen mit (Seh-)Einschränkungen‟. In: Forum Musikbibliothek 35 (2014) 2, 29-35, https://oa.slub-dresden.de/ejournals/fmb/article/view/298

Bühler, Vreni (2014b). „Die inklusive Bibliothek: Teilhabe an Bibliotheken durch Menschen mit Seheinschränkungen‟. In: BuB 66 (2014) 9, 633-635,https://b-u-b.de/wp-content/uploads/2014-09.pdf

Günther, Katrin ; Schürer, Caroline. „Kurs auf Inklusion: Erste Eindrücke zur Umsetzung des Projektes ‚Chance Inklusion‛‟. In: BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen 9 (2016) 2, 76-77, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-76066

Hyder, Eileen. „Reading Groups, Libraries and Social Inclusion: Experiences of Blind and Pratially Sightend People‟. Farnham ; Burlington : Ashgate, 2013

Kowalsky, Michelle ; Woodruff, John. „Creating Inclusive Library Environments: A planning guide for serving partons with disabilities‟. Chicago : ALA Editions, 2017

Kurt, Aline. „Anders sind wir alle!: 40 Kita-Projektideen zu 5 Bilderbüchern‟. Weinheim: Beltz Nicolo, 2015

Lang, Markus ; Hofer, Ursula ; Beyer, Friedericke. „Didaktik des Unterrichts mit blinden und hochgradig sehbehinderten Schülerinnen und Schülern: Band 1; Grundlagen‟. (2. Auflage) Stuttgart: W. Kohlhammer, 2017

Lang, Markus ; Hofer, Ursula ; Schweizer, Martina (2016a). „Die Nutzung von Brailleschrift und assistiven Technologien durch blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen unterschiedlichen Alters‟. In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 67 (2016) 10, 465-473

Lang, Markus ; Hofer, Ursula ; Schweizer, Martina (2016b). „Hat die Brailleschrift im Zeitalter der Technologien eine Zukunft?‟. In: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 22 (2016) 4, 45-51

Mammel, Dorothee. „Einfach Lesen!: Inklusion und Teilhabe mit Leichter Sprache". In: BuB 70 (2018) 04, 200-205

Riecken, Andrea ; Jöns-Schnieder, Katrin ; Eikötter, Mikro (Hrsg.). „Berufliche Inklusion: Forschungsergebnisse von Unternehmen und Beschäftigten im Spiegel der Praxis‟. Weinheim ; Basel: Beltz Juventa, 2017

Röh, Dieter. „Soziale Arbeit in der Behindertenhilfe‟. (UTB , 3217) (2. Auflage) München: Ernst Reinhardt Verlag, 2018

Schuldt, Karsten ; Mumenthaler, Rudolf. „Forschungsmethoden in die Praxisausbildung einbinden? Ansätze an der HTW Chur”. In: LIBREAS. Library Ideas 27 (2015), https://libreas.eu/ausgabe27/04schuldt/

Sonnenberg, Kristin. „Soziale Inklusion – Teilhabe durch Bildung: Medienkompetenz als Beitrag zu sozialer und kultureller Teilhabe für Menschen mit Beeinträchtigungen.‟ Weinheim ; Basel: Beltz Juventa, 2017

UN-Behindertenrechtskonvention (2006): „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen”, 2006, https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20122488/index.html

Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.0. https://www.w3.org/Translations/WCAG20-de/

Ziemen, Kerstin. „Didaktik und Inklusion‟. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 2018

AutorInnen

Azra BEKIRI, Studentin HTW Chur, Moosstrasse 14, DE-78467 Konstanz

Jin CHEI, Studentin HTW Chur,jin.chei@iw.htwchur.ch

Meltem DINCER, Studentin HTW Chur

Sigrid FREUDL, bis August 2018 Studentin der HTW Chur, Leitung Mathematik-Bibliothek der ETH Zürich, sfreudl@ethz.ch

Johannes HAFNER, Student HTW Chur, johannes.hafner@iw.htwchur.ch

Sinan MERAL, Student HTW Chur, Untere Bahnhofstrasse 21, CH-8640 Rapperswil

Karsten SCHULDT, Schweizerisches Institut für Informationswissenschaft HTW Chur, Pulvermühlenstrasse 57, CH-7004 Chur, Redakteur der LIBREAS. Libreas Ideas, karsten.schuldt@htwchur.ch

Ronnie VOGT, Student HTW Chur

Vrushali WYSSMANN, vrushali.wyssmann@iw.htwchur.ch

Sabrina ZAUGG, sabrina.zaugg@iw.htwchur.ch


1 Thema Inklusion allgemein (Kowalsky & Woodruff 2018). Thema Leichter Sprache (Mammel 2018). Für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen und Blinde (Günther & Schürer 2016; Bühler 2014a; Bühler 2014b).

2 Konkrete Forschungen dazu, wie diese Ansätze wirken, vor allem aus der Sicht der Menschen mit Behinderungen gibt es nur sehr selten. Siehe als eine Ausnahme Hyder (2013).

3 Beispielsweise die Literatur zum Projekt „ZuBra – Zukunft der Brailleschrift‟ der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich, das explizit zu der immer wieder aufgeworfenen Frage forscht, ob die Brailleschrift weiter benutzt wird oder durch andere technische Lösungen abgelöst wird (Lang, Hofer & Schweizer 2016a; Lang, Hofer & Schweizer 2016b). In der Bildungsforschung und -praxis ist die Literatur schon fast wieder unübersichtlich breit (zum Beispiel Erwachsenenbildung: Sonnenberg 2017, Berufsbildung: Riecken, Jöns-Schnieder & Eikötter 2017; Schule: Ziemen 2018; Lang, Hofer & Beyer 2017; Kita: Kurt 2015), ebenso in der Sozialen Arbeit (zum Beispiel Röh 2018).

4 Zu den methodischen Überlegungen hinter den Seminaren an der HTW Chur siehe Schuldt & Mumenthaler (2015).

5 Hinzu kam eine im gleichen Semester geschriebene Bachelorarbeit dazu, wie Menschen mit Rollstuhl Öffentliche Bibliotheken in der Schweiz nutzen könnten. Die Ergebnisse dieser Arbeit decken sich mit denen des Seminars.

6 Kritisiert wurde am Ende, dass die Besuche eher spät im Semester stattfanden und damit wenig Einfluss auf die Forschungsprojekte mehr hatten. Die lässt sich aber wohl bei Seminaren von einem Semester Länge nicht anders gestalten.

7 Das gleiche Ergebnis hatte auch die schon genannte Bachelorarbeit zur Nutzung von Bibliotheken durch Menschen mit Rollstuhl (Fussnote 3).

8 Was selbstverständlich umgekehrt daran liegen könnte, dass sie nicht explizit darauf hinwiesen, dass sie Menschen mit Behinderungen anstellen würden; wie im Seminar von den Gastreferentinnen geschildert, ist die Arbeitsplatzsuche für sie besonders erschwert, da sie oft den Eindruck haben, gerade wegen ihrer Behinderung trotz ausreichender Qualifikation doch nicht eingestellt zu werden

9 Chei und Hafner (Kapitel 3) erwähnten im Unterricht mehrmals eine Ausstellung in einem Museum, in welchem Videos eingesetzt wurde und die mit verschieden-sprachigen Untertiteln ausgezeichnet waren, nur nicht in Deutsch (der Sprache in den Videos). Während also schon der Schritt gegangen wurde, die Videos für Menschen mit anderen Muttersprachen zugänglich zu machen, hätten diese mit der schon vorhandenen Technik und einem kleinen Schritt mehr auch für deutschsprachige Menschen mit Hörbeeinträchtigungen geöffnet werden können. Der Eindruck der Studierenden war, dass dies einfach vergessen ging, was bei einer Analyse unter dem Blickwinkel Inklusion nicht passiert wäre.

10 Wobei wir auf das Problem aufmerksam wurden, dass Umbauten oder die flexible Nutzung des Bibliotheksraumes durch flexible Möbel für Blinde immer ein Problem darstellen, weil sie sich jedesmal neu im Raum orientieren müssen. Dies taucht in Diskussionen über die flexible Nutzung von Bibliotheken praktisch nicht auf.

11 Praktisch konnten sie zwischen der Teilnahme an diesem Seminar, dass in Chur stattfand, und einem anderen Seminar, welches in Zürich stattfand, wählen. Der Erfahrung nach wählen aber die meisten Studierenden, die normalerweise in Chur unterrichtet werden (Vollzeit) das „Churer Seminar”, während die Studierenden, die in Zürich unterrichtet werden (Teilzeit) das in Zürich wählen. Bei diesem Seminar gab es aber die Ausnahme, dass tatsächlich eine Teilzeit-Studierende jedesmal nach Chur fuhr, um an diesem Seminar teilzunehmen.

12 Das Seminar fand in einer Zeit statt, die politisch aufgeladen war und in der sehr schnell der Eindruck entstehen konnte, dass sich verschiedene west-europäische Gesellschaften radikal nationalistisch entwickelten. Bekanntlich greift solcher Nationalismus schnell von „Fremden” auf andere gesellschaftlich schwächere Gruppen über. Die Geschichte der Verfolgung oder Einsperrung Behinderter durch solche Bewegungen muss hier nicht nochmal erzählt werden, sie ist grundsätzlich bekannt. Das Seminar hingegen lieferte einen gänzlich gegenteiligen Eindruck. Kurz: Wenn die Studierenden in diesem Seminar tatsächlich die nächsten Generationen der schweizerischen und liechtensteinischen Gesellschaft repräsentieren, muss sich um diese Gesellschaften weniger Gedanken gemacht werden, als es politisch gerade erscheint. Wenn die Gesellschaften dem Goodwill, der im Seminar sichtbar wurde, auch folgen, dann werden sie tatsächlich Unterschiedlichkeit anerkennen und alle Menschen als gleich anerkennen.