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DOI: https://doi.org/10.11588/ip.2020.2.73402
#Nearby: Landeskunde und Citizen Science mit Pandemie im Frühjahr 2020
Zusammenfassung
‘Nearby’ ist eine Reaktion auf die Corona-Pandemie, beides wird uns weiter prägen. Und: Nearby heißt eine Wikidata-Abfrage. Dieser Beitrag skizziert wie der Begriff nearby für Entwicklungen im Homeoffice nutzbar gemacht wurde.
‘Nearby’ kann als Grundlage dienen für digitale Methoden in Projekten der Heimatforschung und Landeskunde mit und ohne GLAM-Institutionen, insbesondere für bürgerwissenschaftliche Forschungsfragen und -projekte mit offenen Daten.
Deutlicher wurden durch die Ausgangsbeschränkungen die Potentiale von Ansätzen im Sinne der Digital Humanities in Verbindung mit Wissenschaftskommunikation, digitaler Open Data- und Kommunikationsmethoden für den Hausgebrauch.
Schlüsselwörter
Landeskunde, Citizen Science, Open Data, Wikidata, Sachsen, 1Lib1Nearby
#Nearby: Regional Studies and Citizen Science during the pandemic in spring 2020
Abstract
‘Nearby’ is a reaction to the Corona pandemic, both of which will continue to shape us. And Nearby is a Wikidata query. This article outlines how the term nearby has been made useful for developments in the home office.
‘Nearby’ can serve as a basis for digital methods in projects of local history and regional studies with and without GLAM institutions, especially for research questions and projects in the field of civil sciences with open data.
Due to the initial restrictions, the potential of approaches in the sense of Digital Humanities in connection with science communication, digital open data and communication methods for domestic use became clearer.
Keywords
saxony, open data, wikidata, wiksiource, regional studies, citizen science, 1lib1nearby
Veröffentlichung: 27.09.2020 in Informationspraxis Bd. 6, Nr. 2 (2020)
Inhaltsverzeichnis
1 Landeskunde: “Places around you”
Dieser Text entstand in mehreren Phasen am heimischen Schreibtisch: Beispiele aus der Arbeit für das Referat Landeskunde/ Saxonica der Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB). “Gegenwärtig ist die SLUB geschlossen. Aber wir sind dennoch für Sie da! Genau hier. Im Netz”, stand Mitte April 2020 auf der Startseite unserer Bibliothek. Erste Arbeiten an diesem Text am 17. April mit den Erfahrungen der ersten Woche im Homeoffice wurden am 30. Mai 2020 und am 3. September 2020 ergänzt. Durch die Bearbeitung nach Erstveröffentlichung und öffentliches Post-Publication-Peer-Review in der Zeitschrift Informationspraxis enthält die überarbeitete Fassung dieses Beitrages persönliche Erfahrungen und Wissensstände von mindestens drei Phasen der Pandemie.
“Kulturdaten, Landeskunde und Landesgeschichte haben gerade keine Priorität. Aber: Diese Themen sind für uns Alltag”, schrieb ich am 31. März 2020 in meinem ersten Saxorum-Blogpost, der anlässlich von Corona entstand.
Grundlagen für mehr Citizen Science in der Landeskunde seien längst gelegt, texteten wir im Dezember 2019 in einem Tweet @saxorum. Darin zitierten wir Andreas Wagner: “Es ist gut, wenn mit den Sachen was passiert!” Der Dresdner transkribiert und administriert im deutschsprachigen Portal Wikisource.de historische Textquellen und deren Illustrationen. Im Frühjahr 2020 arbeitete er schwerpunktmäßig an den Katalogen der Jahresausstellungen der Kurfürstlich/Königlichen Sächsischen Akademie der Künste des 19. Jahrhunderts. Seine Erstkorrekturen dieser Ausstellungskataloge sind inzwischen abgeschlossen. Nach dem Vier-Augen-Prinzip folgen nun Zweitkorrekturen für die Fertigstellung.
Sächsische Landeskunde in den Arbeitsfeldern Citizen Science (Bürgerwissenschaften), Landesgeschichte und offene Kulturdaten (Open GLAM) verstehen wir als Beratung, Begleitung und Aktivierung. Adressat*innen unserer Dienste sind insbesondere forschende Bürger*innen sowie professionelle Wissenschaftler*innen geisteswissenschaftlicher Fachgebiete der TU Dresden. Und wir entwickeln Beispielanwendungen mit offenen Kulturdaten in Wikisource und Wikidata. Diese Projekte entstehen prototypisch meist in offenen Citizen Science-Kooperationen zusammen mit metadaten-affinen Bürger*innen und Kolleg*innen.
Wir dokumentieren diese Themen und Ergebnisse im Weblog saxorum.hypotheses.org wöchentlich in Artikeln und in Gastbeiträgen: Rezensionen, Projektberichte und Essays. Auf Twitter @saxorum werden diese und andere landeskundlich relevanten Mitteilungen Dritter täglich geteilt und kommentiert.
Die Einschränkungen durch Corona veränderten diese Tätigkeiten inhaltlich im Rückblick nicht wesentlich, denn der Fokus auf offene Kulturdaten als Ressource und Teilgebiet der Bürgerwissenschaften prägt das Portal Saxorum.de, das 2019 von der SLUB neu gestaltet und neu gestartet wurde von Beginn an mit. Ein Auftakt dazu waren 2019 zwei digitalisierte Bildbände der sächsischen Industriegeschichte in Wikisource und deren Erschließung und Visualisierung mittels Wikidata.
Aus diesem Grund sind die Portale und Werkzeuge, die Wikimedia weltweit zur Verfügung stellt, damit jede und jeder selbst Wissen teilen und Daten pflegen kann, für unsere bibliothekarische Arbeit mit Saxorum.de elementar. Auch die Sächsische Bibliografie, deren Pflege zu den zentralen Aufgaben des Referats Landeskunde gehört, profitiert vom Wiki-Prinzip: jeder kann dort Ergänzungen und Korrekturen einbringen; Saxonica in Wikidata, https://w.wiki/UBC.
Nicht nur in der Zeit geltender Ausgangsbeschränkungen heißt das: in digitalen Zusammenhängen können Saxonica und Landeskunde helfen Abstand zu halten und Nähe zu gewinnen.
2 Heimatforschung nearby
Nearby ist eine Spezialseite von Wikidata, eine Abfrage, die mittels der Geodaten des Internetbrowsers nächstgelegene Datenobjekte anzeigt: z.B. Straßennamen, Gebäude, Kulturdenkmäler, www.wikidata.org/wiki/Special:Nearby – multilinguales Weltwissens der nahen Umgebung.
Wir empfahlen die Nutzung der Nearby-Queries in der Anfangszeit von Ausgangsbeschränkungen zum niedrigschwelligen Einstieg in die Arbeit mit Wikidata. Fehlende Informationen in den dort angezeigten Items können von allen durch zusätzliche Aussagen ergänzt werden: mehrsprachige Beschreibungen, alternative Bezeichnungen oder Eigenschaften, die ein Objekt detaillierter beschreiben, wie z.B. Alter, Koordinaten, ein Bild oder Verlinkungen in andere Datenbanken.
Abbildung 1: www.wikidata.org/wiki/Special:Nearby"Reizvoll an Nearby ist, dass die Bezeichnung dieser Wikidata-Abfrage auch als Metapher für Heimatforschung verstanden werden kann: die Erkundung und Beschreibung der nahen Umgebung mit offenen Daten. Diesen Zusammenhang verknüpften wir mit naheliegenden Hinweisen zur Beschäftigung mit Sächsischer Landeskunde “in der Nähe”, z.B. mit Tipps zur Arbeit an lokal relevanten Themen in Wikisource, mit Buchtipps zum Themenfeld Heimatforschung und Links digitaler Sammlungen mit Saxonica-Titeln. Da die Abfrage Nearby an allen Abfrageorten in der Regel andere Ergebnisse anzeigt, ist bzw. war sie bisher insbesondere auf Reisen geeignet, um neue und - unterwegs - wechselnde Umgebungen zu entdecken – und dabei Kulturdaten zu pflegen.
Abbildung 2: Ergebnis einer Nearby-Abfrage in der Zentralbibliothek der SLUB Dresden, Juli 2020Landeskunde wird - über die Bestandsentwicklung einer Bibliothek hinaus und aufbauen auf dem wachsenden Bestand digitaler Quellen - tendenziell ortsunabhängiger, sowohl für Nutzer- wie auch für Bibliotheksmitarbeiter*innen. Etwaige Beratungsbedarfe können meist telefonisch und per E-Mail befriedigt werden.
2.1 Fechten in Dresden
Trotzdem mussten Projektstarts verschoben werden. Ein Beispiel: Im Stadtwiki Dresden beginnt derzeit eine Gruppe des Dresdner Fecht-Club 1998 e.V. die Geschichte des Fechtens in Dresden zu dokumentieren. Diese Empfehlung sprachen wir bereits vor der Pandemie in persönlichen Beratungsgesprächen aus. Das Stadtwiki Dresden ist für solche insbesondere kollaborativen und offenen Erschließungs- und Dokumentationsprojekte gut geeignet. Ein erstes Treffen der Arbeitsgruppe des Vereins für die Erschließung des Archivs wird nun erst Anfang Juni stattfinden, da auch aufgrund des hohen Durchschnittsalters der Beteiligten in den zurückliegenden Wochen auf eine Treffen verzichtet wurde. Zumindest für einen Aspekt der Dresdner Fecht-Geschichte - das Denkmal “Der Fechter” - entstand bereits im März ein erster Artikel im Stadtwiki.
2.2 St.-Jakobus-Kirche in Pesterwitz
“Die St.-Jakobus-Kirche ist ein im Stil des Historismus errichtetes evangelisch-lutherisches Kirchengebäude im Freitaler Stadtteil Pesterwitz.” Gegenüber eines Hofladens befindet sich diese Kirche unmittelbar am Weg zum Einkaufen von Waren des täglichen Bedarfs. Als Pilgerkirche ist sie im Sommerhalbjahr in der Regel täglich bis zum Sonnenuntergang geöffnet, offenbar auch während der Ausgangsbeschränkungen. Aus meinen Besuchen dieser Kirche folgten kleine Dokumentationen landeskundlicher Spuren und Anekdoten z.T. für Saxorum und für das Coronarchiv: Fotos der in vorderen Kirchenbänken ausliegenden Gebetshilfen und Fürbitten, der Hinweise zum Verhalten beim Aufenthalt in der Kirche sowie eine digitale Abschrift der aushängenden Tafeln mit den Namen aller Pesterwitzer Pastoren seit 1540 im Weblog von Saxorum.
Als Illustration dieses Saxorum-Artikels wurde auch eine historische Ansichtskarte von Pesterwitz (1899) mit dem Vorgängerbau der heutigen Kirche des Kunstverlags Brück & Sohn, Meissen verwendet. Teile des Verlagsarchives werden sowohl in Wikimedia Commons als auch in der Deutschen Fotothek der SLUB digitalisiert präsentiert. So besteht für diese Ansichtskarten die Gelegenheit diese Bildbestände durch Links und Wikidata-Datenobjekte aufeinander zu beziehen und mit strukturierten Daten zu erschließen und abzufragen sowie mit dem Werkzeug Wikidata Image Positions die Details eines Bildes in den Metadaten des Gesamtwerks punktgenau zu markieren.
Die St.-Johann-Kirche in Pesterwitz bot darüber hinaus Anlass, die von Stephan Kühn entwickelte Wikidata-Abfrage Viewpoint für einen anderen Ort anzupassen, um mit diesem Karten-Query Datenobjekte markanter Punkte aus Wikidata anzuzeigen, die z.B. vom Kirchturm in Pesterwitz theoretisch zu sehen sein könnten. Eine Prüfung des Pesterwitzer Rundum-Panoramas in Realität steht aus. Solche Queries stehen zu Hause jederzeit für Abfragen und Ortsanpassungen zur Verfügung: https://w.wiki/SQ6, https://w.wiki/SPj.
Während die Nearby-Funktion den oder die Betrachter*in in den Mittelpunkt stellt und eine erste Idee verschaffen kann, was Wikidata über die reale Umgebung weiß, so ermöglicht es die SPARQL-Abfrage-Funktionalität wikibase:around{} jeden beliebigen Punkt als Zentrum anzugeben, um zu sehen, was in einem bestimmten Umkreis existiert. Diese Abfrage erlaubt inhaltliche Einschränkungen für spezifische Fragestellungen, bspw., um nur Gebäude darzustellen, oder die im Umkreis befindlichen Datenobjekte nach Kriterien zu gruppieren, um sie gezielt zu erforschen und zu bearbeiten (z.B. bebilderte oder unbebilderte Wikidata-Items). Wikibase:around ist insofern eine Art Zirkel der Heimat- und Regionalforschung mit offenen Daten, um Wissen in strukturierter und vernetzter Form in einem offenen Wissensgraphen zu verankern oder zu entdecken. Die Grundlage dafür sind Links zwischen offenen Datenpunkten.
3 Open GLAM mit offenen Kulturdaten: Linked Open Storytelling
Wir haben die Wochen im März, April und Mai genutzt mit diesem methodischen Ansatz und mit digitalen Objekten und Metadaten der Sächsischen Landeskunde (Saxonica) gezielt zu experimentieren. Mit Linked Open Storytelling - Wikidata (Q66631860) - bezeichne ich die Verwendung offener Daten z.B. in der Wissenschaftskommunikation. Denn Daten sind noch keine Geschichten, diese entwickeln sich aus Bezügen zwischen Details, mit Links, in Verbindung mit Kontextinformationen, Feedback oder Beiträgen Dritter.
3.1 Königlich sächsische Kunstkataloge
Andreas Wagner, der in der Zentralbibliothek der SLUB regelmäßig samstags mit dem Wikisource-Informationsstand ehrenamtlich zur Mitarbeit in Wikisource berät, informierte uns am 14. April 2020 über die Veröffentlichung eines weiteren Transkripts: den Katalog der Kunstausstellung 1875, in dem das Gemälde Johann Joachim Winckelmann in der Bibliothek von Bünau’s in Nöthnitz, umgeben von sächsischen Gelehrten und Künstlern zum Verkauf angeboten wird.
Abbildung 3: Theobald Reinhold von Oër (1807-1885): Winckelmann im Kreise der Gelehrten in der Bibliothek des Schlosses Nöthnitz, SLUB Dresden/ Deutsche Fotothek, http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70224826 (Q90790988), Lizenz: CC BY SA 4.0Dieses Gemälde, das jahrelang im großen Sitzungszimmer der SLUB ausgestellt war, nutzten wir, um die Teilnehmer des fiktiven Treffens mit Johann Joachim Winckelmann in Schloss Nöthnitz, die auf dem Gemälde dargestellt sind, mit offenen Daten aus Wikidata verknüpft zu präsentieren: (Q90790988). Das kleine Projekt hatte direkte Auswirkungen: der bislang fehlende Wikipedia-Artikel wurde für den Dresdner Bibliothekar Johann Michael Francke (1717-1775) in Folge des coronabedingt virtuellen Dresdner Wikipediastammtisches ergänzt. Matthias Erfurth berichtete dort von unserem gemeinsamen Projekt. Ein Wikidata-Item bestand bereits seit 2015 (Q21415736), Franckes freigestelltes Abbild fehlt noch immer in den Wikimedia Commons.
Zudem entstand eine Wikisource-Themenseite für den Dresdner Maler Theobald von Oer, auf der seine in Dresdner Kunstkatalogen genannten Werke sowie seine Illustrationen in transkribierten Artikel aus der Zeitschrift Die Gartenlaube verlinkt wurden.
Unsere persönlich beratende und institutionelle Zusammenarbeit mit Andreas Wagner geht über Transkriptionen und den Austausch zu Details der transkribierten Werke hinaus. Die SLUB profitiert von seinen Hinweisen, z.B. wenn er in digitalisierten Werken fehlende Scans oder Fehler in der Seitenfolge feststellt und übermittelt, so dass Korrekturen vorgenommen werden können.
3.2 Ein Ausflug nach …
Die Fliegende Frau (Q92764452) und der Fliegende Mann (Q92880543) sind wiederkehrende Postkartenmotive des Kunstverlags Brück & Sohn. Die Postkarten sind Bestandteile des Wikipedia-Projekts Commons:Brück & Sohn sowie einer digitalen Kollektion der Deutschen Fotothek in der SLUB. Sie eignen sich aufgrund der Motive und der vielfältigen regionalen Bezüge für landeskundliche Wissenschaftskommunikation mittels offener Kulturmetadaten.
Abbildung 4: Ein Ausflug nach Bautzen, Wikimedia Commons: File:05237-Bautzen-1904-Blick nach Bautzen - Fliegende Frau-Brück & Sohn Kunstverlag.jpg, (Q92463032), Lizenz: CC0 1.0Alle Postkarten der Motivserie Ein Ausflug nach… wurden im April 2020 jeweils mit Wikidata-Items erschlossen. Diese Datenobjekte können seitdem illustriert abgefragt werden: A trip to … heißt dieser Versuch Saxonica-Digitalisate möglichst offen zu verwenden: https://w.wiki/PbN.
Inzwischen wurde im Familienarchiv des Kunstverlags Brück & Sohn ein Foto entdeckt, das zeigt wie Männer mit Regenschirm, Hut und Koffer für die Fotomontage posieren. Auf dem Bild sind Franz Richard Brück (1858-1909) und Oscar Julius Brück (1855-1920) abgebildet. Im Bildarchiv der Deutschen Fotothek sind einzelne solcher Bildelemente enthalten, so dass auch Remixe mit diesen Produktionsdetails der digitalisierten Postkarten möglich wären.
Zugleich offenbaren die Fliegenden Frauen und Männer ein potentielles Forschungs- und Sammelgebiet. Abbildungen fliegender Personen waren in der ersten Jahren nach 1900 auch andernorts beliebte Kartenmotive. Einige dieser Postkarten entstanden möglicherweise in Lizenz und Kooperationen mit dem Meißner Verlag Brück & Sohn. Weitere Motive scheinen von Brück & Sohn gänzlich unabhängig produziert worden zu sein. Wer zuerst eine fliegende Person mit Regenschirm und Tasche in ein Postkartenmotiv montierte ist für den Autor eine noch völlig offene Frage.
4 Bedeutung und Ausblick
Die COVID-19-Pandemie dauert fort. Wir streben nicht erst seit März 2020 an, beispielhaft anhand prototypischer Projekte und Anwendungen mit offenen Daten zu zeigen, welche Möglichkeiten bereits vorhandene Kulturdatenbestände, offene Werkzeuge und offene Dateninfrastrukturen alltäglich bieten. Wir verstehen diese Arbeit als Forschung & Entwicklung, durch wechselseitige Impulse in Kooperation mit Gleichgesinnten – Laien und Profis.
Wir begleiten solche Ideen, Projektansätze und Zwischenergebnisse grundsätzlich als Bestandteile und mit Methoden der Wissenschaftskommunikation, insb. mit Blick auf Bürgerinnen und Bürger, die forschen. D.h. wir sprechen über eigene Themen und über die Themen anderer Akteure mit Bezügen zum Freistaat Sachsen.
Die Frage Für wen machen wir das? und Wie am besten? stellt sich für fast alle Aufgaben: z.B. Texte, Tweets, Links und Transkriptionen. Schaffen wir mit der skizzierten Mischung tatsächlich die Aktivierung, Beratung, Begleitung und Profilierung - nicht nur, aber insbesondere - sächsischer Forschung über Sachsen? Inwieweit gelingt uns gerade für Ausnahmesituationen wie die anhaltende Pandemie Aufmerksamkeit für die Landeskunde zu wecken, zu erhalten bzw. bei Bedarf wirksam Forschung zu stützen? Wie groß ist überhaupt der Bedarf für derlei Hilfen?
Linked Open Storytelling als Aufgabe in der Landeskunde bedeutet Neugier und Interesse zu wecken: Anstiften mit Medien- und Datenbeständen “zu arbeiten” und bei Bedarf zu zeigen, wie dies im Einzelfall funktionieren kann, insbesondere als Element von Bürgerforschungsprozessen. Im Verlauf der hier skizzierten Ideen, Initiativen und Projekte wurde im ersten Halbjahr 2020 deutlich, dass Prozessorientierung - die von uns gepflegte Arbeitsweise in offenen Citizen Science-Kooperationen mit forschenden Bürger*innen - gegenüber strikterer Projektzielorientierung tatsächlich eine wirksame Strategie ist, um kontinuierlich Aufmerksamkeit für offene Kulturdaten zu gewinnen.
4.1 Einfach … #nearby … anfangen
Zwei Ansätze stehen in Anlehnung an die Ideen #Nearby und #1Lib1Neaby für #MenschenInBibliotheken, für Bildungs- und Forschungsprojekte und für vertiefende Arbeiten mit Wikidata und mit strukturierten bibliografischen Daten zur Verfügung, um Grundlagen für Linked Open Data-Projekte zu schaffen:
- [[#Wikisource+#Wikidata]] sowie
- Structured Data on Commons.
Vorteilhaft ist dabei, dass diese offenen Werkzeuge, Methoden und Inhalte durch Wikimedia und die beteiligten Personen und Gemeinschaften lizenzkostenfrei zur Verfügung gestellt werden.
Durch die Verknüpfung von Wikisource als freie Quelle historischer Texte und Wikidata als Bibliothekskatalog dieser Quellensammlung wächst ein strukturierter “Datenberg”. Für den leichten Einstieg in diese bibliografische und in die Textarbeit mit [[#Wikisource+#Wikidata]] sind die Themen- und die Regionen- und Ortsseiten zu empfehlen:
Für Saxonica sind das insbesondere diese Seiten:
- Sachsen, https://de.wikisource.org/wiki/Sachsen
- Königreich Sachsen, https://de.wikisource.org/wiki/K%C3%B6nigreich_Sachsen
- Kurfürstentum Sachsen, https://de.wikisource.org/wiki/Kurf%C3%BCrstentum_Sachsen
- Sachsen-Polen, https://de.wikisource.org/wiki/Sachsen-Polen
- Kategorie:Sachsen, https://de.wikisource.org/wiki/Kategorie:Sachsen sowie
- Ortsseiten, https://de.wikisource.org/wiki/Sachsen#Ortsseiten.
Auf diesen Seiten sind relevante Wikisourcetranskriptionen und andere digitalisierte Quellen - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - als Überblick verlinkt. Viele Bereiche der deutschsprachigen Wikisource wurden jedoch noch nicht in Wikidata erschlossen: einzelne Werke, Bände oder Serien. Je nach Interessengebiet eignen sich die Ortsseiten aus landeskundlicher Sicht besonders gut für systematische Zugänge zu Wikisource.
Eigene Vorüberlegungen für ein spezifisches Wikidata-Datenschema für einen bestimmten umfangreichen Quellenbestand in Wikisource sind angeraten. Orientierung können Vorarbeiten bieten, die in Projekten wie Die Datenlaube (Die Gartenlaube) und den Alben der Sächsischen Industrie Verwendung finden.
Für Structured Data on Commons, also die Formal- und Sacherschließung illustrativer Werke in den Metadaten der Wikimedia Commons mit Wikidata Image Positions, eignet sich z.B. das Archiv des Kunstverlags Brück & Sohn, Meissen. Die enthaltenen Ansichtskarten bieten Motive des deutschen Sprachraums und aus anderen Ländern: https://w.wiki/SQK.
Nearby, einfach anfangen. So kann die Nutzung und Pflege offener Kulturdaten mit Wikidata, Wikisource und den Commons im nächsten Umfeld beginnen – mit oder ohne Pandemie.
4.2 Paradigma für digitale Heimatforschung in Europa
Als Fellow im Förderprogramm “Freies Wissen” reiste ich im Januar 2020 für Recherchen durch Estland, Lettland und Litauen. Wenig später wäre diese Reise nicht gewesen. Ideen der hier beschriebenen Nearby-Ansätze wurden insofern auch durch die dabei gewonnen GLAM-Erfahrungen im Sinne von “Europäischer Heimatforschung” (Q64618134) unterwegs beeinflusst.
Die Ideenskizze Fragen gibt es überall. #1Lib1Nearby-Sommerprojekte für #MenschenInBibliotheken im SLUBlog beschreibt auch vor diesem Hintergrund, wie wir während etwaiger Reisebeschränkungen ein nahes Umfeld digital und real entdecken können, um Kulturdaten zu pflegen. 1Lib1Nearby ist eine Kampagnenidee für die multilinguale Datenpflege des Weltwissens der jeweils nahen Umgebung und ist entstanden in Anlehnung an die 1Lib1Ref-Wikimedia-Aktionen, bei denen Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter mit Quellenbelegen die Wikipedia verbessern. Die Ideen für #1Lib1Nearby entstanden bedingt durch COVID-19. Sie funktionieren auch ohne Pandemie.
Abbildung 5 #1Lib1Nearby, in: Fragen gibt es überall. #1Lib1Nearby-Sommerprojekte für #MenschenInBibliotheken, SLUBlog, 23. Juli 2020So gesehen eignet sich der Begriff Nearby lokal und unterwegs als Paradigma für digitale landeskundliche Bildungs- und Forschungsprojekte. Wikidata-Nearby-Abfrageergebnisse ließen sich z.B. in georeferenzierten Zusammenhängen verknüpfen; dazu zwei Beispiele:
- Nearby-Abfragen entlang der Stationen einer Reise (z.B. an Standorten von GLAM-Institutionen, Sehenswürdigkeiten oder im Hotelzimmer) und
- Nearby-Abfragen an historischen Distanzsteinen (Postsäulen, Meilen-, Stunden- und Wegweisersteine).
Lokale, regionale oder überregionale Zusammenhänge offener Kulturdaten entstünden dann durch die verknüpften Datenobjekte entlang solch einer Kette von Stationen einer “Nearby-Abfragereise”. Sie ließen sich linked open präsentieren und zugleich als Bildungsressource für die Pflege und Benutzung offener Daten verwenden.
Für GLAM-Institutionen würde die Durchsuchbarkeit der Bestände über eine räumlich-geographische Methode abseits des textbasierten Retrievals mittels Ortsnamen für zahlreiche kultur- und sozialwissenschaftliche Fragestellungen einen wertvollen Beitrag zur Ermöglichung neuer Ideen, neuen Wissen und neuer Zusammenhänge gewähren.
Und: Nearby kann im Kontext gesellschaftlicher Regionalisierungsprozesse als paradigmatischer Begriff und schließlich als Denkmodell im Sinne etwaiger Megatrends verstanden werden, die grundlegend über Open GLAM-Anwendungen i.V.m. Wikidata hinausgehen.
5 Offene Review-Reflektion
Ideen und alle Teile dieses Textes entstanden phasenweise zwischen März und Oktober 2020 am heimischen Schreibtisch. Die Zeitschrift Informationspraxis.de suchte ab März Berichte über COVID-19 – Herausforderungen und Lösungsansätze für Informationseinrichtungen. Der vorliegende Artikel wurde für diesen Call for Papers eingereicht, stattdessen von der Zeitschrift als Fachbeitrag jedoch außerhalb des Calls angenommen und am 15. Juni im Open Peer Review-Verfahren veröffentlicht, das am 14. Juli 2020 endete: Gutachten liegen nicht vor, Einzelhinweise wurden eingearbeitet.
Daraus entstand die folgende Thesen zum Entstehungsprozess eines solchen Fachbeitrags:
Öffentliche Review-Verfahren bieten als Methode und als Baustein für Linked Open Storytelling zusätzliche Gelegenheiten Publikationen gezielt als performative Praxis in der Wissenschaftskommunikation zu nutzen. Ideen- und Textentwicklung potentiell mit Publikumskontakt, beispielsweise mittels sozialer Medien, in und mit der Fachcommunity und als medialer Inhalt, der i.S.v. Linked Open Data durch zusätzliche Bezüge kontextualisiert und weitergedacht werden kann. Zugleich gilt: Ökonomisch formuliert sind Reviews knappe Güter, gutachterlicher Rat von Fachkolleginnen und -kollegen ist wertvoll und Calls for Papers sind nützlich, um sich zum Schreiben zu bewegen – Anreize sind wichtig.
Nearby ist eine Spezialabfrage für Wikidata, nearby prägt für viele Menschen den Alltag des Jahres 2020, der stärker als bisher gewohnt auf die nahe Umgebung beschränkt ist.
Nearby ist deshalb möglicherweise sehr grundsätzlich eine Quelle und ein Treiber für gesellschaftliche Entwicklungen und Lebensstile, für Suchstrategien und für veränderte Anwendungsszenarien offener Kulturdaten in Informationseinrichtungen. Offene Infrastrukturen und Werkzeuge sind dafür bereits vorhanden und hilfreich. Wir können sie brauchen.
6 Quellen
Bemme, Jens (8. Februar 2019): Kollaborative Query- und Modulentwicklung für SXRM mit Wikidata und Wikisource, [online]
Verfügbar unter: https://www.saxorum.de/aktuelles/beitrag/2019/02/08/kollaborative-query-und-modulentwicklung-fuer-sxrm-mit-wikidata-und-wikisource/ [Stand 2020-05-30]
Bemme, Jens (31. März 2020): Regionale Kulturdatenquellen: alte Texte über Sachsen mit Wikisource verbessern [online].
Verfügbar unter: https://saxorum.hypotheses.org/4593, Wikidata (Q89071278) [Stand 2020-05-30]
Bemme, Jens (8. April 2020): “Places around you” – Saxonica und Landeskunde können helfen Abstand zu halten und Nähe zu gewinnen [online]
Verfügbar unter: https://saxorum.hypotheses.org/4659, (Q89802705) [Stand 2020-05-30]
Bemme, Jens (8. Mai 2020): Nearby: die St.-Jakobus-Kirche in Pesterwitz [online]
Verfügbar unter: https://saxorum.hypotheses.org/4732, (Q93634446) [Stand 2020-05-30]
Bemme, Jens; Erlinger, Christian (27. Mai 2020): Die Datenlaube: Neues Wissen und Daten aus alten Texten – Mit Wikisource, Wikidata und mit Commons [online]
Verfügbar unter: https://doi.org/10.5281/zenodo.3859555, (Q95150422) [Stand 2020-05-30]
Bemme, Jens (25. Juni 2020): SUCHE Gutachter*innen: Fliegende Frauen und Männer in der digitalen Heimatforschung [online], https://saxorum.hypotheses.org/4854, (Q96631791) [Stand 2020-09-03]
Bemme, Jens (23. Juli 2020): Fragen gibt es überall. #1Lib1Nearby-Sommerprojekte für #MenschenInBibliotheken [online], https://blog.slub-dresden.de/beitrag/2020/07/23/fragen-gibt-es-ueberall-1lib1nearby-sommerprojekte-fuer-menscheninbibliotheken/ (Q97668365) [Stand: 2020-09-03]
Brück & Sohn, Kunstverlag, Meissen [online]:
Wikimedia Commons: Projekt Commons:Brück & Sohn [online]
Verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:Br%C3%BCck_%26_Sohn/de [Stand 2020-05-30]
SLUB/Deutsche Fotothek: Brück & Sohn [online]
Verfügbar unter: http://www.deutschefotothek.de/documents/wer/90000011 [Stand 2020-05-30]
Coronarchiv.de [online]:
Bemme, Jens (25. April 2020): St.-Jakobus-Kirche, Pesterwitz
Verfügbar unter: https://coronarchiv.geschichte.uni-hamburg.de/projector/s/coronarchiv/item/2228 [Stand 2020-05-30]
Bemme, Jens (27. April 2020): "Platzkarte" in der St.-Jakobus-Kirche in Pesterwitz
Verfügbar unter: https://coronarchiv.geschichte.uni-hamburg.de/projector/s/coronarchiv/item/2407 [Stand 2020-05-30]
Erfurth, Matthias; Bemme, Jens (18. April 2020): Winckelmann im Kreise der Gelehrten in der Bibliothek des Schlosses Nöthnitz [online]
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Verfügbar unter: [https://diedatenlaube.github.io/die_datenlaube_der_gartenlaube] [Stand 2020-05-30]
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Verfügbar unter: [https://diedatenlaube.github.io/beschreiben_wir_bilder_punktgenau.html] [Stand 2020-05-30]
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Verfügbar unter: https://de.wikisource.org/wiki/Theobald_von_Oer [Stand 2020-05-30]
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Verfügbar unter: https://wd-image-positions.toolforge.org/ [Stand 2020-09-03]
Wikimedia Commons: Category:Postcards published by Lederer & Popper, Prague [online]
Verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Postcards_published_by_Lederer_%26_Popper,_Prague [Stand 2020-05-30]
AutorInnen
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Jens Bemme, Jens.Bemme@slub-dresden.deSächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, 01054 Dresden, www.slub-dresden.de