Beispiellose Herausforderungen. Deutsche Archäologie zwischen Weltkriegsende und Kaltem Krieg

  • Susanne Grunwald (Autor/in)

Abstract

In der Geschichte der Archäologien dürfen die Herausforderungen, denen sich die Vertreter der Prähistorischen und Provinzialrömischen Archäologie in Deutschland zwischen 1945 und 1955 gegenübersahen, als beispiellos gelten: Der Mangel an Konzepten dafür, wie man in einem besetzten Land navigiert, verstorbene Kollegen ersetzt und Emigranten wieder integriert, politisch diskreditierte Forschungen fortsetzt, Institutionen wieder herrichtet und neue Ordnungen erlässt . Obwohl die Herausforderungen neu und gewaltig waren, war doch ebenso wie nach dem Ersten Weltkrieg die „Fortsetzung“ die Strategie der Stunde, in diesem Fall am besten die Fortsetzung all dessen, was die Archäologien vor 1933 gekennzeichnet hatte . Personelle Kontinuitäten und die geglückte Überlieferung zahlreicher Ortsakten und Dokumentationen als wirkmächtige epistemische Speichermedien sind die praktischen Gründe dafür, dass nach 1945 trotz weitreichender politischer Veränderungen keine Wende hinsichtlich der einstigen Forschungsziele, des Arbeitsgebietes oder des wissenschaftlichen Selbstverständnisses voll- zogen wurde . Damit sollte man erfolgreich sein, denn ebenso wie nach dem Ende des Ersten Weltkrieges oder nach dem Machtwechsel 1933 wurde auch nach 1945 kein einheitlicher Plan für die Fortführung oder Weiterentwicklung der deutschen Wissenschaften entwickelt . In diesem wissenschaftspolitischen Vakuum standen einstige Forschungen kaum auf dem Prüfstein . Es existierten deshalb bei allen Härten und Unwägbarkeiten der Nachkriegszeit genügend Spielräume, um wissenschaftliche Traditionen, umformuliert als Visionen, fortzuführen und Reviere neuerlich abzustecken . Was die Entnazifizierungsverfahren hinsichtlich der Aufarbeitung der jüngsten Fachvergangenheit hätten leisten können, wurde durch aktive Netzwerke und gegenseitige entlastende Stellungnahmen meist neutralisiert . So büßten die genannten Einrichtungen ihr wissenschaftliches Renommee nicht ein und deren zurückkehrende Protagonisten blieben wissenschaftlich und beruflich weitgehend handlungsfähig .

Die beschriebenen Aushandlungsprozesse und Initiativen der deutschen Nachkriegsarchäologie können unter den Stichworten Zentralisierung, Interdisziplinarität, Internationalisierung und deutsche Teilung zusammengefasst werden .

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges teilten die genannten Protagonisten die Überzeugung, dass eine Zentralisierung der Prähistorischen Archäologie der Archäologie als Ganzes dienlich wäre, sofern eine politische Einflussnahme auf die Forschungsmethoden und -inhalte ausgeschlossen werden könnte . In der Bundesrepublik diskutierte man vor allem die Frage der behördlichen Zuordnung von DAI und RGK lebhaft, sah sich aber inhaltlich frei von politischer Indoktrinierung . Umso mehr wurden die Reorganisation der RGK und die Einweihung des Neubaus in Frankfurt 1956 als ein angemessener Treff- und Arbeitsort für die deutsche Archäologie begrüßt . Unverzagt dagegen navigierte mit seiner Forschungseinheit an der Ost-Berliner Akademie unter großen Anstrengungen durch die ideologischen Eruptionen des Kalten Krieges, die in Berlin deutlicher spürbar waren als z . B . in Hamburg oder Frankfurt . Da sich aber die älteren Vorstellungen von zentralisierter Forschung und Denkmalpflege nach einheitlichen Richtlinien als kompatibel zum Wissenschaftsverständnis der ostdeutschen Politik erwiesen, konnten zahlreiche lang diskutierte Maßnahmen wie ein einheitliches Bodendenkmalschutzgesetz in der DDR realisiert werden .

Als Beispiel für die Entwicklung interdisziplinarer Forschungsansätze darf die Stadtkernarchäologie gelten, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit als ein Forschungsfeld zwischen Archäologie und Mediävistik etabliert wurde . Sie wirkte in disziplinärer wie kulturpolitischer Hinsicht integrativ, indem ihre Vertreter Forschungsfragen der älteren Deutschen Ostforschung weiterführten und das geteilte Deutschland noch lange als einen gemeinsamen Forschungsraum betrachteten . Die älteren Fragestellungen zur Stadtgründung und Ostexpansion sowie zum Miteinander von deutschsprachigen und slawischen Siedlern bestimmten die Debatten ebenso wie die nach der Stadtentwicklung aus Burgen und Pfalzen heraus . Ausgrabungen in kriegszerstörten Städten wie Hamburg und Magdeburg bestätigten und stärkten dieses Forschungskonzept, das in verschiedenen, gesamtdeutsch konzipierten Arbeitsgemeinschaften verfolgt wurde .

Die inhaltlichen Entwicklungen waren in beiden Teilen Deutschlands mit dem Ausbau internationaler Kontakte verbunden . Von der Ost-Berliner Akademie aus nahm man ab Mitte der 1950er Jahre systematisch den Kontakt auf zu vergleichbaren Institutionen in den benachbarten sozialistischen Staaten . Gegenseitige Kongressbesuche waren schon seit Anfang der 1950er Jahre wieder üblich . Einen wesentlichen Schritt zur erhofften (Wieder)Anerkennung der deutschen archäologischen Forschungen durch die internationale Forschergemeinschaft erfolgte gewiss auch durch die Vergabe des fünften Internationalen Kongresses für Prähistorische Archäologie, der Ende August / Anfang September 1958 in Hamburg stattfand . Er führte die etwa 90 Teilnehmer im Anschluss an das Vortragsprogramm in Hamburg auf eine mehrtägige Exkursion durch die DDR und bot den Gästen einen breiten Überblick über die Themen und Potentiale der Archäologien in Deutschland . Zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zeichnete sich allerdings ab, dass die engen inhaltlichen und institutionellen Verflechtungen der deutschen Archäologien nicht länger so eng bleiben würden . Die Fachvertreter, die noch ein gesamtdeutsches Archäologieverständnis vertraten, bildeten nun diejenige Generation aus, die an diesem Selbstbild aus politischen oder methodischen Gründen nicht länger festhalten wollte oder konnte . Alle verantwortlichen Stelleninhaber waren an die sich ideologisch verschärfende Wissenschafts- und Kulturpolitik ihrer Länderregierungen gebunden und es sollte teilweise bis in die 1980er Jahre dauern, bis gemeinsame Tagungsteilnahmen ost- und westdeutscher Archäologen oder gegenseitige Vortragsreisen wieder möglich wurden .

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Veröffentlicht
2020-11-05
Sprache
de