Hic Suebiae finis? Ein mittelkaiserzeitliches Gräberfeld mit „Fürstengrab“ von Kariv-1 aus der Westukraine

Abstract

Im Frühjahr 2017 wurde das Historisch-Landeskundliche Museum in Vynnyky bei Ľviv (Lemberg) in der Westukraine über den Fund von mehreren Metallgegenständen informiert, die im Gebiet des Dorfes Kariv, obl. Ľviv, Fpl. 1, in der Westukraine, dicht an der Grenze zu Polen, entdeckt wurden. Aufgrund des Charakters der Artefakte war zu vermuten, dass es sich bei dem Fundplatz um eine bislang unbekannte kaiserzeitliche Nekropole mit Waffengräbern handelt, die in die zweite Hälfte des 2. Jh. datiert und möglicherweise mit der Przeworsk-Kultur in Zusammenhang steht. Eine Verifizierungsgrabung fand wenige Monate nach der Fundmeldung im Sommer 2017 unter der Leitung von Jaroslav Onyščuk (Ivan Franko-Universität Ľviv) statt. Sofort bei Beginn dieser Untersuchungen wurden zwei äußerst bemerkenswerte, leicht durch den Pflug gestörte Grablegen (Grab 1 und Grab 2) des späten zweiten Jahrhunderts n. Chr. freigelegt, deren Inventare hier wegen ihrer außerordentlichen Bedeutung für die kaiserzeitliche Archäologie in einem Vorbericht näher vorgestellt werden. In beiden Fällen handelt es sich um Brandgräber. Grab 1 barg unter anderem Fragmente einer römischen Amphore und eines Terra Sigillata-Gefäßes, ferner ‒ nach Material getrennt ‒ brandbeschädigte Beigaben aus Eisen und aus Kupferlegierung. Dazu zählen Gürtelbestandteile, ein Schildfesselfragment, fünf Pfeilspitzen, vier Sporen sowie Zaumzeug, das vermutlich noch am beigegebenen Pferdeschädel angeschnallt war. Die Beigaben von Grab 2 ruhten auf zwei voneinander durch eine etwa 20 cm mächtige Schicht sterilen Sandes separierten Niveaus. Im oberen Bereich lagen ein angepflügter Glasbecher mit Ovalschlifffacetten, ein schalenartiges Keramikgefäß, ein Bügelsporn und zwei Eisenscheren. Die untere Grabpartie barg einen Westlandkessel aus Kupferlegierung, dessen Attaschen mit Suebenbüsten verziert sind und der unter anderem den Leichenbrand einer Person im Alter von 25‒35 Jahren und eine Bronzeschnalle enthielt.  Daneben befanden sich ein Eimer mit Gesichtsattaschen, zwei ineinander gestellte Glasschalen, ein stark aufgelöstes Glasgefäß, ein weiterer Glasbecher mit Ovalschlifffacetten, eine römische Bronzeglocke, Beschläge zweier Trinkhörner und ein Eisenmesser.
Den spektakulärsten Fund aus den beiden reichen Gräbern von Kariv stellt sicherlich der Kessel aus Kupferlegierung mit Germanenbüsten dar. Nach Mušov in Mähren und Czarnówko, Grab R 430, in Hinterpommern handelt es sich nunmehr um das dritte Gefäß dieser Art. Nicht minder interessant sind die mit mehrfarbigem Email verzierten Metallbestandteile eines Trinkhornes. Bei der Trinkhornkette handelt es sich um ein echtes Ausnahmestück im Kontext mittel- und nordeuropäischer Funde, der Bezüge zu den sich anschließenden Gebieten Osteuropas hat.
Die genaue zeitliche Bestimmung von Grab 1 hinsichtlich der Frage, ob es sich um einen noch älterkaiserzeitlichen oder um einen schon jüngerkaiserzeitlichen Verband handelt, ist schwierig. Mehrere seiner Inventarbestandteile gehören zu einem Fundstoff, der sowohl im jüngeren Abschnitt der Stufe B2 als auch in B2/C1 bzw. C1a verwendet wurde. Lediglich eine Riemenzunge verweist auf eine Stellung des Befundes innerhalb der beginnenden jüngeren Römischen Kaiserzeit.
Die Zusammensetzung der Importgefäße aus Grab 2 bietet Ansatzpunkte für eine späte Datierung des Befundes innerhalb des 2. Jahrhunderts. Für eine jüngerkaiserzeitliche Position der Grablege sprechen zwei Sporen des Typs E6, bei denen es sich um eine  Form des frühen Stadiums der jüngeren Römischen Kaiserzeit handelt.
Die Funde von Kariv bieten viel Stoff für Diskussionen zu den überregionalen Kontaktnetzen der barbarischen Eliten im 2.  nachchristlichen Jahrhundert einerseits sowie zu den Beziehungen dieser Eliten zur römischen Welt im Allgemeinen und den Einbindungen dieser Eliten in die Ereignisse, die als Markomannenkriege (166/168–180 n. Chr.) bezeichnet werden, im Besonderen. Hatte man aufgrund der bekannten Funde hauptsächlich den nördlichen Mitteldonau- und den südlichen Ostseeraum im Blick, wird dieser mit dem Suebenkessel von Kariv nun auch nach Osten gelenkt und es treten Landschaften in den Fokus, die bislang im skizzierten Zusammenhang keine große Beachtung fanden: die östliche Peripherie der Suebia samt dem dahinter sich öffnenden Raum Osteuropas und die Gebiete der Westbalten. Grab 1 und Grab 2 von Kariv zählen aus dem Blickwinkel der kaiserzeitlichen Archäologie zu den bedeutsamsten und interessantesten Entdeckungen der letzten Zeit. Eine Reihe von Fragen ergibt sich allein schon aus der Lage des Fundplatzes in einem im ausgehenden 2. Jahrhundert peripheren Raum, einem Raum, der offensichtlich von einer gewissen, noch nicht ausreichend untersuchten Besiedlungsdynamik geprägt war und keinesfalls zu einem der bekannten Besiedlungszentren gehörte.

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Veröffentlicht
2021-12-22
Sprache
de
Schlagworte
Römische Kaiserzeit, Eliten, Fürstengrab, Römischer Import, Markomannenkriege, Ukraine