Open Access als Utopie?

DOI: http://dx.doi.org/10.11588/ip.2017.1.33687

Daniel HÜRLIMANN, Alexander GROSSMANN

Open Access als Utopie?

Zusammenfassung

Open Access (OA) wurde als Prinzip entwickelt, um jedem Leser einen direkten freien Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen weltweit zu ermöglichen. In Abweichung zu einigen aktuellen Diskussionen korreliert OA nicht mit einer bestimmten Qualität der Ergebnisse, und auch nicht mit dem formalen Stil, in dem sie in einer wissenschaftlichen Zeitschrift oder einem Buch veröffentlicht werden. Im Gegensatz zu Geschäftsmodellen die auf Subskription basieren, kann OA einfach als ein anderes Erlösmodell betrachtet werden, das vollständig auf demselben Arbeitsablauf basiert, der seit Jahrzehnten erfolgreich im wissenschaftlichen Publizieren praktiziert wird. Folglich haben fast alle großen akademischen Verlage OA als weitere Umsatzquelle zusätzlich zu ihren traditionellen Abonnement-Geschäft mittlerweile etabliert. Es ist jedoch nicht gerechtfertigt, diese Beobachtung einer laufenden Disruption des Marktes als Argument gegen OA zu verwenden, wie es Michael Hagner in einer kürzlich erschienenen Publikation versucht hat.

Schlüsselwörter

Open Access, Verlage, Wissenschaftliches Publizieren, Open Science

Abstract

Open Access (OA) has been developed as a principle to provide any reader with an immediate, free access to current research output globally. At complete variance to some recent discussions, OA is not correlated to a certain quality of these results or the formal style in which they have been compiled in an academic journal or book. In contrast to subscription-based business models, OA can be considered simply as a different economic model which is fully based on the same workflow that has been successfully exercised in scholarly publishing for decades. Consequently, almost all major academic publishers have established OA as an add-on revenue source in addition to their traditional subscription business meanwhile. However, it is not justified to use that observation of an ongoing market disruption as an argument against OA as it has been attempted by Michael Hagner in a recent publication.

Keywords

Open Access, Publishers, Academic Publishing, Open Science


Michael Hagner kritisiert in seinem Beitrag “Wie der akade­mische Kapitalismus die Wissenschaften verändert” Open Access mit Verweis auf negative Auswirkungen der Bestrebungen von Verlagen, aus Open Access ein Geschäft zu machen1. Selbstverständlich hat auch Open Access, wie alles, seine negativen Seiten. Wenn man nur diese betrachtet, kommt man zwangsläufig auch zu kritischen Schlussfolgerungen. Eine solche Betrachtung erscheint jedoch einseitig und kaum wissenschaftlich.

Open Access ist in vielen Disziplinen noch lange nicht Realität, schon gar nicht als Geschäftsmodell eines “akademischen Kapitalismus”. Während Open Access in den Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie in der Medizin mehr und mehr zum Standard wird, gilt dies noch lange nicht für die Geistes- und Sozialwissenschaften2. In diesen Disziplinen haben Open-Access-Befürworter unter anderem immer wieder mit dem falschen Vorwurf zu kämpfen, sie wollten das gedruckte Buch abschaffen. Viele Wissenschaftler, darunter auch die Autoren dieses Beitrags, halten nach wie vor gerne ein Buch in der Hand und sind auch bereit, dafür zu bezahlen. Das ist jedoch kein Widerspruch zum Engagement für Open Access. Ein wissenschaftliches Werk kann gleichzeitig kostenpflichtig in Buchform und kostenlos online angeboten werden. Über die kostenlose Online-Version kann die ganze Bevölkerung, welche die wissenschaftlichen Autoren in der Regel finanziert, vom generierten Wissen profitieren. Leser, die das Werk regelmässig konsultieren, und auch Bibliotheken werden unabhängig davon weiterhin das Buch kaufen.

Um diesen Effekt nachzuweisen, läuft derzeit ein Pilotprojekt des schweizerischen Nationalfonds mit Namen OAPEN3. Verlage konnten Bücherpaare eingeben und der SNF hat entschieden, welches von zwei Büchern zusätzlich zur gedrucken Version Open Access erscheint und welches nicht. Weil beide Bücher gedruckt und verkauft werden, lässt sich beobachten, welchen Einfluss die Open-Access-Publikation einerseits auf den Buchverkauf und andererseits auf die Zitationen hat4.

Trotz dieses finanziellen Engagements des SNF gibt es weiterhin grossen Widerstand gegen die Open-Access-Publikation u.a. auch von Büchern. So hat in der ersten Runde des OAPEN-Projekts kein einziger juristischer Verlag mitgemacht5. Auch sonst lässt sich beobachten, dass sich die juristischen Verlage in der Schweiz bis heute systematisch jeglicher Annäherung an Open Access widersetzen. Einige von ihnen sind politisch gut vernetzt und haben auf diesem Weg sogar verlangt, dass der Nationalfonds “vor irgendeinem Entscheid” zuerst mit den Verlagen diskutieren müsse6. Glücklicherweise ist der Nationalfonds nicht direkt von der Politik abhängig und konnte so mit wenigen Abstrichen an seiner Open-Access-Strategie festhalten7. In diesem Zusammenhang sei auch auf die am 28. September 2016 veröffentlichte Open-Access-Strategie der schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) verwiesen: Diese verlangt unter anderem, dass alle Zeitschriften und Reihen bis 2019 eine Open-Access-Policy haben8.

Das Internet bzw. dessen Vorläufer Arpanet wurde ursprünglich zur Vernetzung von Universitäten geschaffen9. Forschungsergebnisse und Publikationen konnten so erstmals weltweit und ohne Verzögerung verbreitet werden. Noch bevor es den Begriff überhaupt gab, war Open Access also gewissermassen der Standard für elektronische Veröffentlichungen. Erst im Laufe der Zeit wurde das Internet auch für kommerzielle Zwecke nutzbar gemacht. Und heute besteht die mit Blick auf den Gründungsgedanken groteske Situation, dass die Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen via Internet aus kommerziellen Gründen eingeschränkt wird. Die Rechte an staatlich finanzierten Publikationen liegen bei Verlagen und staatlich finanzierte Institutionen müssen die Verlage bezahlen, um Zugang zu den Publikationen zu erhalten. So betrachtet ist es erstaunlich, dass sich in gewissen Disziplinen die Idee des Open Access erst jetzt durchzusetzen beginnt. Dass man vor diesem Hintergrund die Ziele der Open-Access-Bewegung als Utopie bezeichnen kann, ist erstaunlich.

Ein Beispiel für die durch Open Access befruchtete Förderung von Wissen und Austausch ist die Entstehung des vorliegenden Textes. Hätte Michael Hagner seinen Beitrag nicht offen und frei zugänglich für jedermann, also als Open Access publiziert, hätten wir ihn nie gelesen und folglich auch nicht darauf reagieren können. Es geht also nicht “nur” um den Zugang für die breite Bevölkerung, sondern auch um den Zugang für WissenschaftlerInnen aus anderen Disziplinen als die des Autors. Politiknahe Wissenschaften wie zum Beispiel die Rechtswissenschaften haben ein grosses Interesse daran, nicht nur von WissenschaftlerInnen, sondern auch von JournalistInnen und PolitikerInnen gelesen zu werden.

Es trifft zu, dass ein Oligopol weltweit operierender Wissenschaftsverlage einen grossen Teil der MINT-Fächer abdeckt und jährlich mehr als 7 Milliarden Euro Umsatz allein mit Fachzeitschriften erlöst. Es greift nun jedoch arg zu kurz, daraus zu folgern, dass Horizon 2020 nichts anderes als Wirtschafts­för­derung sei. Mit derselben Rhetorik könnte man folgern, dass das über Jahrzehnte praktizierte Geschäftsmodell der kostspieligen Anschaffung von Forschungsliteratur eine äusserst lukrative Art der Wirtschaftsförderung war, nämlich der vorgenannten Verlage: So betrugen alleine die Ausgaben der ETH Zürich im Jahr 2014 für Zeitschriften, E-Books und Datenbanken der drei Verlage Elsevier, Wiley und Springer CHF 7.8 Mio10.

Die Open-Access-Strategie der Verlage ist aus verschiedenen Gründen zu kritisieren, so zum Beispiel aufgrund des “Double Dipping”, also des zusätzlichen Verkaufs von einzelnen Open-Access-Artikeln in Zeitschriften, die ansonsten nach dem klassischen Geschäftsmodell subskribiert werden müssen. Hier kassieren Verlage oft doppelt, einmal die Abonnementgebühr von den Bibliotheken, und zusätzlich die Artikel-Gebühren (APC, Article Processing Charge) von den Autoren, die Open Access publizieren. Bernhard Mittermaier hat diese merkwürdige Praxis der “Hybrid-Zeitschriften”, die vor allem von Bibliotheken stark kritisiert wird, unlängst untersucht11. Er kommt zum Ergebnis, dass selbst bei jenen Verlagen, die eine “no double-dipping policy” haben, letztlich doch ein Double Dipping stattfindet.

Eine der erfolgreichsten, ausschliesslich Open Access publizierenden Online-Fachzeitschriften ist PLOS ONE, die zudem eine vergleichsweise moderate APC verlangt. PLOS ONE kann durchaus als gewal­tiges Experiment bezeichnet werden. Schon heute zeigt sich allerdings, dass dieses Experiment ein sehr erfolgreiches ist und es ist davon auszugehen, dass gerade solche Initiativen dazu beitragen werden, dass (natur)wissenschaftliche Karrieren zukünftig nicht mehr von Publikationen in einzelnen und massiv überteuerten Zeitschriften wie Nature oder Science abhängen. PLOS ONE führt einen genauso strengen Gutachterprozess durch wie die meisten etablierten Fachzeitschriften. Ein derartiges, standardisiertes Verfahren zur Qualitätssicherung fehlt indessen bei vielen Periodika in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Es liegt auf der Hand, dass Open Access ein wichtiger Schritt ist, um diese Situation zu verbessern und neue, transparentere Verfahren zur Qualitätssicherung zu ermöglichen. Als Beispiele seien hier das Open Peer Review oder Post-Publication Peer Review genannt: Hierbei werden die neuen Arbeiten zunächst auf einem Repositorium oder einer Online-Plattform veröffentlicht, und dann von geeigneten Fachleuten offen begutachtet. Sowohl die Identität der Gutachter, als auch die vollständigen Gutachten sind für den Leser zusammen mit dem Artikel und dessen Bewertung offen und frei einzusehen12.

Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass es sowohl im internationalen als auch im schweizerischen Zeitschriftenmarkt schwierig ist, bestehende Zeitschriften auf Open Access umzustellen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Nicht zuletzt spielt wohl auch mit, dass die Herausgeber dieser Zeitschriften ihre wissenschaftlichen Karrieren in einer Welt ohne Open Access durchlaufen haben. Dabei besteht in der Schweiz für genau diesen Fall sogar eine Finanzierungsquelle: Es handelt sich um das zunächst mit 45 Millionen Franken ausgestattete Programm “Wissenschaftliche Information: Zugang, Verarbeitung und Speicherung” von Swissuniversities13. Dieses stellt zwar keine Gelder für den Aufbau neuer Open-Access-Zeitschriften zur Verfügung, unterstützt aber die Umstellung von bisher kostenpflichtigen Zeitschriften auf Open Access14.

Tatsächlich gibt es auch Open-Access-Zeitschriften, die nur gegründet wurden, um via APC Gewinne zu erzielen. Dieses Problem ist jedoch schon lange erkannt und es gibt eine regelmässig aktualisierte Liste solcher Zeitschriften15. Dass auch qualitativ zweifelhafte Forschungsergebnisse publiziert werden, ist dagegen ein altbekanntes Problem und hat nichts mit Open Access zu tun. Gerade in der Medizin, aber auch in den meisten anderen Impact-Factor-getriebenen Disziplinen, besteht ein Grossteil der “Arbeit” im Vorfeld einer Publikation darin, ein Manuskript zunächst bei einem erstklassigen, dann nach erfolgter Ablehnung bei einem zweitklassigen und im Falle einer erneuten Ablehnung schliesslich bei einem der zahlreichen drittklassigen Journals zu publizieren. Dabei handelt es sich in aller Regel nicht um Open-Access-Journals. Dass die Kategorisierung in erst-, zweit- und drittklassige Journals via Impact Factor ebenfalls höchst problematisch und dem wissenschaftlichen Fortschritt nicht zuträglich ist, ist bekannt16.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es durchaus Verlage gibt, die auch aus Open Access ein Geschäft machen wollen. Das ist solange kein Problem, als der Preis dafür in einem angemessenen Verhältnis zur Leistung steht. Nichtsdestotrotz ist es richtig, wenn Forschungsförderer, Universitäten, Akademien und Wissenschaftlerinnen den eingeschlagenen Weg in Richtung Open Access weitergehen und sich nicht von undifferenzierter Kritik einzelner negativer Begleiterscheinungen aufhalten lassen.

Autoren

Prof. Dr. iur. Daniel Hürlimann ist Assistenzprofessor für Informationsrecht und Direktor der Forschungsstelle für Informationsrecht an der Universität St.Gallen sowie Herausgeber der juristischen Open-Access-Zeitschrift sui-generis.ch

Prof. Dr. rer. nat. Alexander Grossmann hat 12 Jahre in internationalen Wissenschaftsverlagen gearbeitet und ist seit 2013 Professor für Verlagsmanagement und Projektmanagement in Medienunternehmen an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig sowie Gründer von ScienceOpen.com


2 Vgl. Open-Access-Anteile nach Fakultäten in der Statistik des Zurich Open Repository and Archive: Ökonomie 59%, Naturwissenschaften 50%, Veterinärmedizin 45%, Medizin 34%, Kunst 24%, Theologie 20%, Rechtswissenschaft 19%. Bei der Universität Bern liegt der Anteil an Open-Access-Publikationen in den Rechtswissenschaften bei Zeitschriftenartikeln unter 9% (vgl. Präsentation von Dirk Verdicchio zur Einführung in die Tagung Open Access in den Rechtswissenschaften, S. 12).

4 Ausschreibung zum Pilotprojekt OAPEN-CH, Ziff. 6 (Datensammlung).

6 Interpellation Géraldine Savary vom 20. März 2014: Open Access. Eine Bedrohung für das Verlagswesen?.

9 Michael Hauben / Ronda Hauben, Netizens: On the History and Impact of Usenet and the Internet, Los Alamitos 1997, S. 75.

12 Nikolaus Kriegeskorte: Open Evaluation: A Vision for Entirely Transparent Post-Publication Peer Review and Rating for Science in Frontiers in Computational Neurosciences (2012), DOI: 10.3389/fncom.2012.00079

13 Webseite des SUK-Programms P-2: Wissenschaftliche Information: Zugang, Verarbeitung und Speicherung. Am 26. Mai 2016 hat der Hochschulrat SHK entschieden, den Projektantrag für die Fortsetzung von SUK P-2 2017-2020 im Umfang von CHF 30 Mio. zu genehmigen.

14 SUK P-2 "Wissenschaftliche Information: Zugang, Verarbeitung und Speicherung", Hilfsblatt EP-9.

16 John Bohannon: Hate journal impact factors? New study gives you one more reason. In: Science (2016) DOI: 10.1126/science.aag0643 zu möglichen Alternativen Roland Fischer, Wenn Likes und Shares die Forschung bewerten, Horizonte Nr. 108, März 2016; Vincent Lariviere et al.: A simple proposal for the publication of journal citation distributions In: bioArxiv DOI: http://dx.doi.org/10.1101/062109.