Max Ernst, der König der Vögel und die mythischen Tiere des Surrealismus

  • Rainer Zuch (Autor/in)

Abstract

Im Surrealismus treten zahlreiche animalische Figurationen mit mythischen, genderspezifischen, sexuellen und metamorphotischen Bezügen auf, die, wie die Melusine, die Sphinx oder der Minotaurus, vor allem als Mischwesen erscheinen. Max Ernsts anthropomorphe Vogelfigur ?Loplop? stellt das prägnanteste Beispiel einer individualmythologischen Anwendung animalischer Figurationen im Surrealismus dar. Unter der Verwendung tiefenpsychologischer, mythologischer, romantischer und autobiographischer Quellen synthetisiert Ernst in dem Vogelwesen ein theriomorphes ?Alter Ego?, welchem er in autobiographischen Texten und in seinem bildenden Werk verschiedene Rollen zuweist: Stellvertreter des Künstlers im Bild, Personifikation surrealistischen Künstlertums sowie der unterdrückten Triebnatur, autobiographischer ?Seelenvogel? und totemistischer Schutzdämon. Ernst instrumentalisiert das Vogelwesen als Tarnidentität und Maske. Indem er ihn bestimmte Rollen spielen lässt und in ihm bestimmte Facetten seiner Persönlichkeit repräsentiert, setzt er die surrealistische Negierung einer stabilen Persönlichkeit zugunsten metamorphotischer Identitätskonzepte um. Ernsts Umgang mit seinem Vogel zeigt paradigmatisch das surrealistische Spiel des Enthüllens und Maskierens mittels differierender Identitätskonzepte. Dabei bedient er sich nicht nur der Erkenntnisse der psychologischen Theorien Freuds und Jungs, sondern vollzieht wiederum deren Rezeption mythologischer, totemistischer und animistischer Systeme nach, wonach etwa Totemtiere als Figurationen von Trieben oder apotropäischen Bedürfnissen gedeutet werden. Nicht selten inszeniert Ernst seinen Vogel als persönliches Emblem oder Wappentier. Durch Verweise auf privatmythologische Figurationen anderer KünstlerInnen in Gestalt chimärischer Mischwesen (Carrington, Fini, Brauner) wird der Surrealismus als ein der Entwicklung individueller mythologischer Systeme mit den dazugehörigen Figurationen außerordentlich förderliches Umfeld charakterisiert.

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