Chicano Park. Bürgerinitiative, Graffiti-Kunst und Traumaverarbeitung

Geschichte und Bedeutung von ‹Chicano Park› in Barrio Logan, San Diego (Kalifornien, USA)

  • Michael S. Falser (Autor/in)

Abstract

Chicano Park ist mit seinen über 70 öffentlich zugänglichen Freiluft-Wandmalereien und Skulpturen eine der beeindruckendsten Stätten sozialpolitisch und basisdemokratisch motivierter "Volkskunst" einer ethnischen Minderheit in den USA und stellt in seiner seit 1970 bis heute steten Weiterentwicklung und Pflege durch ansässige Gemeinde ein herausragendes Beispiel von "lebendigem Kulturerbe" dar. Es war das Ziel die herausragende Bedeutung des Parks durch die Überlagerung entwicklungs-, sozial- und kunstgeschichtlicher und kulturwissenschaftlich-psychologischer Perspektiven herauszuarbeiten. Dabei entwickelte sich Chicano Park im Medium der Kunst zu einer (in dieser Auswirkung allerdings singulär gebliebenen) Erfolgsgeschichte der mexikanisch-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Die Gemeinde von Barrio Logan erstritt sich von der kampfbereiten Landbesetzung der Landfläche unter dem lebensraumbedrohlichen Brückenbauprojekt 1970 und der gemeinschaftlich ausgeführten malerischen Ausgestaltung bis heute zunehmend lokale, städtisch-administrative, universitärakademische bis national-mediale Anerkennung, bis der Park und seine Kunst sogar in das Kalifornische Denkmalregister aufgenommen wurde und bis heute sogar z. T. mit staatlichen Subventionen restauriert wird. Der Park ist aber auch ein bedeutender sozialpolitisch und kulturgeschichtlich hoch verdichteter Ort, an dem sich die mexikanisch-amerikanische Identität im Allgemeinen mit den ideologischen Geschichtskonstruktionen des sog. Chicano Movement der turbulenten 1970er Jahre im Speziellen verband. Genau an diesem Ort stabilisierte sich demnach auch symbolisch der Topos eines zu friedvoll zu Ende gekommenen "Dauer-Exodus", als sich die Parkgeschichte mit berechtigten zeitgenössischen Forderungen nach sozialer Gleichberechtigung einer ethnischen Minderheit und einem hochspekulativen Landanspruch aufgrund einer aztekischen Frühgeschichte im sagenumwobenen Land Aztlán überlagerte. Genau dieses ideologisch brisante Konstrukt bestimmte auch die künstlerische Ikonographie der Wandmalereien auf Straßen- und Brükkenauflagern von Chicano Park, in denen sich aztekische Götterwesen mit Schöpfungsszenen der kosmischen Rasse über Aztekenpyramiden, weltweit geltenden Lebenssymbolen, mexikanischen(-amerikanischen) Revolutionshelden und real-zeitgenössischen Szenen der Farmarbeitergewerkschaft, Frauenemanzipation und der Parkbesetzung selbst zu einem Chicano-Kosmos zusammen fanden. Dabei nahmen die Maler von Chicano Park auch stilistische eindeutig Bezug auf die künstlerischen Traditionen des aus Mexiko stammenden Muralismo, der als großformatige, öffentliche Volkserziehungskunst aus der Mexikanischen Revolution (1910-1921) hervorging, v. a. in den 1930er Jahren mit Künstlern wie Rivera und Siqueiros auch auf die USA ausstrahlte und Ende der 1960er Jahre sogar die Künstler des Black Power Movement beeinflusste. Letztlich kann Chicano Park aus psychologischer Sicht als Geschichte einer durch Kunstaktionen erfolgreichen Selbststabilisierung einer über Generationen bis heute durch Ausgrenzung, Rassismus und Stadtraumvernichtung (transgenerationell und kumulativ) traumatisierten Chicano-Gemeinde von San Diego gedeutet werden. Dass das mexikanisch-amerikanische "Ausgrenzungs"-Trauma mit Chicano Park allerdings nicht zu einem vorerst vorbildhaften Ende gekommen ist, wird in Angesicht des menschenverachtenden Grenzmauerbaus der USA zu seinem Nachbarn Mexiko und der sich zunehmend verschärfenden Immigrantenpolitik der Bush-Administration kaum zu übersehen sein.

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