„Everything is connected“

Zum Plastikbegriff des frühen 21. Jahrhunderts – am Beispiel von Matthew Barney und Pierre Huyghe

  • Pamela C. Scorzin (Autor/in)

Abstract

Mit methodischem Bezug auf Bruno Latours ANT (Akteur-Netzwerk-Theorie - Anm.: 19) werden Begriff und Funktion des Plastischen in der Gegenwart exemplarisch an ausgewählten Werken von Matthew Barney (Djed, 2009-2011) und Pierre Huyghe (Untilled, 2011-2012) diskutiert und neu bestimmt. Nach der postmodernen Entgrenzung der Bildenden Künste, die mit einer Ausweitung der Materialien, Techniken, Gattungen und Genres, Kategorien und Hierarchien sowie der Themen und Zweckbestimmungen der modernen Kunst einherging, lässt sich heute nicht nur eine Hinwendung zum Performativen, zum Zusammengehen von Darstellungs- mit Aufführungskünsten, sondern auch eine neue Konvergenzkultur ausmachen, in der Verbindungen, Verknüpfungen, Vernetzungen und Vermittlungen von Heterogenem in inszenatorischen Konzepten und intermedialen Praktiken dominieren: Plastisches Entwerfen, Konzipieren, Realisieren und Präsentieren stellt dabei jeweils als Transformationsakt von Materiellem und Immateriellem multi-sensusale Knotenpunkte und temporäre Schnittstellen zu weiteren Dispositiven in einer Gesamtszenografie her. Die Skulptur/ Plastik, wie sie die westliche Moderne als Gattungskategorie hervorgebracht hat, zeichnet sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch Auflösung in intermediale Hybride aus, die sich einer klaren gattungstheoretischen Einordnung verweigern, wie auch gleichzeitig durch Verdichtung zu komplexen Knotenpunkten in einem weiten Netzwerk künstlerisch-gestalterischen Schaffens und symbolischen Erzählens. Die Installationskunst des 20. Jahrhunderts hatte bereits die Purifizierungstendenzen der Moderne mit einer Hinorientierung zu immersiven, multisensorischen Gesamtkunstwerken, die als ganzheitliche Wahrnehmungs- und Erfahrungsräume fungieren, durchgestrichen. Zunehmend partizipatorische Komponenten perforierten ebenfalls die hermetische Geschlossenheit des autonomen modernen Kunstobjekts. Eine neuartige Inszenierungs- und Ausstellungspraxis, die Szenografie, versteht sich als Aktualisierung der bisherigen modernistischen Installationskunst für ein Zeitalter, das im Wesentlichen durch eine technologisch vernetzte und global kommunizierende Gesellschaft verfasst ist. Durch das Überschreiten von physisch-räumlichen und zeitlichen Grenzen öffnet sie die totalitäre Geschlossenheit des modernen Gesamtkunstwerkes in ein prozessuales, sich stetig transformierendes, variables und heterogenes Feld, in dem unterschiedliche Akteure immer wieder neue Bezüge herstellen und daraus synoptische wie mythopoetische Narrative entwickeln. Die praktische Ausführung und vorläufige Vollendung eines plastischen Werkes gehen dabei heute oft auch mit seiner temporären Ausstellung respektive ephemeren Aufführung in eins. Zugleich drückt sich darin auch eine neue Rolle des Künstlers / der Künstlerin in der Gegenwart aus: Vom modernen Formgestalter, Zeichenarrangeur und Diskursmanager avanciert er/sie in einem konsumistischen Kapitalismus und in einer Ära der umfassenden Event- und Aufmerksamkeitsökonomie durch szenografische Praktiken, in der plastisches Gestalten heute ein- und aufgeht, vorrangig zum Atmosphärenproduzent und Kommunikationsgestalter, zum Ereignisinitiator, Story-Teller und Erlebnisformer.

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