Das Denkmal als Text oder Bild. Was passiert, wenn Geschichte Architektur unsichtbar macht?
Vortrag anlässlich des Symposiums «Nachdenken über Denkmalpflege» (Teil 2): »Das Denkmal zwischen Originalsubstanz und immateriellen Werten. Auf der Suche nach einer anderen Denkmalpflege», Hundisburg, 16. November 2002
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Abstract
Wenn Denkmalpfleger die Öffentlichkeit für Anliegen des Denkmalschutzes einnehmen wollen, so neigen sie oft zu einer Redeweise, die linguistische und animistische Methoden der Metaphernbildung mischt. Alte Häuser, heißt es dann, könnten reden und Geschichten erzählen. Aber auch wenn wir Denkmale nicht als lebendige Wesen, sondern als "Medien" definieren, werfen wir mit Metaphern herum, obschon natürlich intellektuell viel eleganter. Denn auch das Geschichtsbuch, als das wir das Denkmal zur Lektüre empfehlen, ist ein sprachzentriertes Medium. Nun ist das Buch wahrscheinlich eine den meisten Denkmalpflegern genehme Metapher, der Bildschirm oder gar das Computer-Display sind es nicht. Das elektronisch erzeugte Bild ist flüchtig und als virtuelles Flimmerbild das genaue Gegenteil von "Denkmal". Diesem schlechthinnigen Symbol kultureller Oberflächlichkeit stellt die "historische Substanz" des Denkmals eine unbewegte, darum konzentrierter Betrachtung zugängliche und also tiefgründige Wirklichkeit entgegen - meint man. "Lesen statt gaffen!" - So lautet deshalb die rezeptionsästhetische Devise der Denkmalpflege gegenüber dem Publikum. Nicht nur sehen, sondern auch denken, so der Appell, der insinuant mitklingt, wenn vom Denkmal als Buch, als Text die Rede ist und die uns allen bekannte und von uns allen täglich produzierte Konservatorenprosa die Ekstasen der "Ablesbarkeit" beschwört. Das Denkmal ist seiner Natur nach aber ein Bildmedium. Wer für seine substanzielle Erhaltung eintritt, tut dies, hoffentlich, im Interesse von Anschaulichkeit. Und trotzdem gerät immer wieder die Phraseologie des Lesens in den Mittelpunkt der Argumentation. Die Lesbarkeit der Geschichtsspuren und die Integrität der Architektur stehen in denkmalpflegerischen Entscheidungsprozessen in einem natürlichen Spannungsverhältnis. Bestimmte Sprach- und also Denkgewohnheiten haben aber gravierend negative Folgen für die Substanz und das Erscheinungsbild des Denkmals, sofern beide als Einheit gedacht werden sollen. Zu diesen Gewohnheiten gehört die Vorstellung, ein Denkmal gewinne seinen Wert vor allem daraus, dass man an ihm Geschichte ablesen könne. Das Einverständnis darüber möchte ich aufkündigen- jedenfalls für die Dauer dieses viertelstündigen Vortrags.
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